Schweitzer Fachinformationen
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Ich saß in meinem schäbigen möblierten Zimmer, hatte Hunger und war müde. Ich wusste nichts mit mir anzufangen, fühlte mich einsam und von der Welt verlassen. Sollte ich irgendwohin etwas essen gehen? Draußen regnete es immer noch und ich konnte mir ein Essen im Restaurant eigentlich nicht leisten. Ich hatte mich mehrere Stunden in einer Markthalle voller Lebensmittel und Feinkostspezialitäten aufgehalten, war aber nicht auf die Idee gekommen mir etwas zu kaufen, womit ich meinen Kühlschrank hätte füllen können.
Mit knurrendem Magen setzte ich mich an meinen Laptop und versuchte weiter an einem vor wenigen Tagen begonnenen Romanmanuskript zu schreiben. Es fiel mir schwer, meine Gedanken zu ordnen. Wäre ich doch nie dem verdammten Ferdinand begegnet und hätte ich bloß niemals von diesem Großmarkt erfahren!
Lustlos tippte ich einen Satz in meinem Textprogramm, dann starrte ich minutenlang auf die Zeilen. Was tat ich hier eigentlich? Seitdem ich aus den USA zurückgekehrt war, wo ich mich mit mäßigem Erfolg als Honorardozent für Astronomie und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität von Des Moines im Bundesstaat Iowa durchgeschlagen hatte, war mir das Glück nur für kurze Zeit beschieden. Ich hatte in Amerika mehrere Bücher zu astronomischen Themen geschrieben, die in einem deutschen Sachbuchverlag in geringen Auflagen vermarktet wurden. Das hatte mir viel Spaß gemacht, mir einen gewissen Bekanntheitsgrad in Fachkreisen verschafft und mir zudem ein paar Euro in die notorisch klamme Kasse gespült. Dann verstarb meine Schwester Franziska plötzlich und unerwartet. Sie war in ihrem kleinen Auto an einem unbeschrankten Bahnübergang von einem Regionalzug erfasst worden. Ein schrecklicher Gedanke! Franzi war alleinstehend und hatte keinerlei Angehörige außer mir. Also machte ich mich auf den Weg zurück nach Deutschland, um die Beisetzung zu organisieren. Doch dann sollte eine Fügung mein Leben nachhaltig verändern.
Bei der Auflösung ihres Hausstands fiel mir ein fast tausendseitiges Romanmanuskript in die Hände. Das war ein riesiger Berg Papier, und bei der Durchsicht des Werks, dem meine Schwester den Titel »Der schwere Hauch der Sehnsucht« gegeben hatte, sah ich sofort, dass es ein gewaltiges Stück Arbeit werden würde, es in eine vermarktungsfähige Form zu bringen. Das Manuskript war furchtbar langatmig, schwülstig und unschlüssig. Es war so etwas wie »Vom Winde verweht« für Arme, aber dennoch sah ich ein gewisses Potenzial in dem Epos. Zudem entdeckte ich in der Geschichte immer wieder den versteckten Hilfeschrei meiner einsamen Schwester, was mich rührte und gleichzeitig bestürzte.
In den Folgemonaten verbrachte ich viel Zeit damit, das Manuskript zu bearbeiten. Ich kürzte es, schrieb es um und gab es schließlich meinem Literaturagenten zur Beurteilung. Um ehrlich zu sein, glaubte ich nicht an einen Erfolg des Buches und machte mir nicht einmal die Mühe, den furchtbar kitschigen Titel zu ändern. Mein Agent allerdings war vollends begeistert und fand zu meiner Überraschung schnell einen Verlag, der das Werk fast unverändert publizierte.
Es wurde ein Bestseller! Mein Leben veränderte sich in einer Weise, wie ich es nie für möglich gehalten hätte. Ich verdiente wirklich viel Geld, war ständig auf Lesereise und hatte sogar Radio- und Fernsehauftritte. Man erkannte mich auf der Straße, und in Köln, wo ich zu dieser Zeit lebte, bekam ich, wo immer mir der Sinn danach stand. Doch bald bedrängte mich mein Verlag, einen Folgeroman zu schreiben. Und damit begann ein Dilemma, in dem ich jetzt in Hamburg irgendwie immer noch steckte.
Ich tat mich schwer mit Trivialliteratur, hatte ehrlich gesagt weder Ideen noch ein besonderes Talent dafür. Belletristik lag mir einfach nicht und ich hatte keine Ahnung, wie ich den Plot für eine spannende Geschichte entwickeln sollte. Ich muss gestehen, dass ich damit begann, bei anderen Autoren nachzuschauen. Ich habe nicht direkt abgekupfert, gebe aber zu, dass ich mir die Charaktere von zwei, drei Romanen sowie die Handlung weiterer Bücher genauer angeschaut und daraus eine eigene Geschichte entwickelt hatte. So entstand mit viel Mühe ein vierhundertseitiges Werk mit dem Titel »Der Atem des Glücks«. Meine Lektorin war unglücklicherweise nicht besonders begeistert. Sie hatte wohl etwas anderes von mir erwartet, konnte es aber nicht so artikulieren, dass ich etwas mit ihrer Kritik hätte anfangen können. Ständig zitierte sie mich in den Verlag und ich schrieb den Roman monatelang um, ohne dass er dadurch wirklich besser wurde. Im Gegenteil hatte ich den Eindruck, dass sich meine Story immer mehr von mir als Autor entfernte. Der Druck der Redaktion wurde immer unerträglicher, sodass ich einfach nur erleichtert war, als »Der Atem des Glücks« endlich fertiggestellt und herausgebracht wurde. Mein Bestseller lief nach vier Jahren nicht mehr so gut und der Verlag hatte die Befürchtung, dass der Name Peter Loetsch völlig in Vergessenheit geriet, noch bevor ein Folgeroman verfügbar wäre.
Es gab ein paar Rezensionen, die für mich sehr enttäuschend waren. Natürlich verglichen die Rezensenten meinen zweiten mit dem ersten Roman, und diesem Vergleich hielt »Der Atem des Glücks« irgendwie nicht so recht stand. Über die Buchverkäufe wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nichts und schaute mit Sorge von Zeit zu Zeit in ein paar größeren Buchhandlungen nach. Bisher war mein neuer Roman dort noch nicht vorrätig und der alte indessen vergriffen.
Ich lebte mehr oder weniger von meinen Rücklagen, die Überweisungen vom Verlag wurden immer spärlicher, und auf die Bewerbung um einen Job beim Hamburger Planetarium hatte ich immer noch keine Antwort erhalten.
Nun saß ich also vor meinem Computer und grübelte über einer Idee, die ich vor einiger Zeit während einer Bahnfahrt gehabt hatte. Es ging um eine Intrige am englischen Königshof. Eigentlich wusste ich gar nichts über den englischen Königshof. Ich hatte nur diese vage Vorstellung und aus der konstruierte ich einen Plot. Anfänglich gefiel mir die Geschichte auch ganz gut, aber jetzt steckte ich irgendwie fest. Meine Gedanken schweiften ab, ich sah die Regentropfen an meiner Fensterscheibe herunterlaufen und irgendwann war ich dann einfach eingeschlafen.
Es lag nicht nur daran, dass ich hundsmiserabel geschlafen hatte, auch mein gestriger Streit mit Ferdinand lag mir schwer im Magen. Mein Hunger war zudem indessen so stark geworden, dass mein Bauch anfing zu schmerzen.
Eiligen Schritts erreichte ich im Großmarkt Flavios Stand, schwang mich sofort auf einen Hocker und sah erwartungsvoll meinem Frühstück entgegen. Flavio selbst war damit beschäftigt, Kartons von einer Palette abzuladen. Nach jedem Paket nahm er ein Klemmbrett zur Hand und hakte den entsprechenden Posten auf dem Lieferschein ab. Dabei gab es ständig Diskussionen mit dem Lieferanten, da einmal die gelieferte Ware nicht mit der Bestellung übereinstimmte und ein anderes Mal Flavio die Liste falsch las. Auf jeden Fall hatte er heute keine Zeit für mich, ja, er hatte mich noch nicht einmal wahrgenommen an diesem Morgen. Stattdessen bediente mich Frau Pinifarina. Sie bereitete mir einen gewohnt guten Cappuccino und ein herrlich knuspriges Brötchen mit Parmaschinken zu. Dazu bekam ich den obligatorischen Prosecco. Frau Pinifarina beobachtete mich aus den Augenwinkeln, und da sie scheinbar bemerkte, mit welchem Heißhunger ich mein Brötchen verschlang, brachte sie mir kurz darauf ein weiteres Brötchen mit den Worten: »Hier, Sie esse immer nur Parmaschinken. Probiere Sie unsere Gorgonzola eccellente grado.«
Das Brötchen berechnete sie hinterher nicht. Obwohl ich dies als eine besonders nette Geste der guten Frau empfand, schämte ich mich ein wenig, denn ich fühlte mich in meiner Notlage ertappt.
Beim Käsestand fand ich nur den Feinkosthändler a.D., Herrn Verheer, vor und das, obwohl heute Freitag war und nicht sein Markt-Donnerstag. Maxi Sturm war gar nicht zugegen und Rolf und Sü-Sü damit beschäftigt, Käseräder in unterschiedlichen Größen und Farben in Kartons zu packen.
»Ah, der Herr Apotheker«, begrüßte mich Verheer.
»Sternenguck. äh, Astronom«, verbesserte ich ihn.
»Egal! Wo ist denn Ihr geschätzter Freund Ferdinand heute? Wir hatten gestern ein so anregendes Gespräch, sodass ich mir erlaubt habe, heute ausnahmsweise an einem Freitag dem Großmarkt einen Besuch abzustatten. Dies in der Hoffnung, unser Gespräch von gestern fortführen zu können.«
Ich wusste auch nicht, wo Ferdinand steckte, ja, ich kannte noch nicht einmal dessen Adresse oder Telefonnummer. Irgendwie war ich sogar erleichtert, ihn nach unserem gestrigen Eklat hier nicht anzutreffen. Andererseits hatte ich fest damit gerechnet, dass er wieder einmal vor mir am Käseladen eingetroffen wäre. Ich hatte ihn gestern mit wirklich schlimmen Schimpfwörtern bombardiert. Monster hatte...
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