Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Vom Leben und anderen Komplikationen
Als Bettina Tietjen im Keller ihre alten Tagebücher wiederfindet, beginnt für sie eine aufwühlende Zeitreise. Sie begegnet ihrem 14-jährigen Ich wieder, das sich leidenschaftlich politisch positioniert, taucht ein in die ersten, manchmal auch nur heiß ersehnten Liebschaften, die Jahre der Abnabelung vom streng gläubigen Elternhaus und die große Suche nach dem Lebensglück.
Konfrontiert mit den Träumen, den Idealen und Ängsten ihres jüngeren Ichs, begibt sich die heute einundsechzigjährige Moderatorin, Autorin und Talkmasterin auf eine höchst unterhaltsame, aber auch nachdenkliche Selbsterkundung und stellt fest: auch wenn wir Jahrzehnte später ganz anders auf das Leben blicken, können wir einiges von unserem jüngeren Ich lernen!
"Eine wirklich unterhaltsame, aber auch emotionale und aufwühlende Zeitreise."
"Unterhaltsam und eindrucksvoll"
"Das Buch ist lustig und es ist klug."
"Tietjen kommentiert die Tagebuchaufzeichnungen unterhaltsam und nimmt uns mit auf eine emotionale Reise."
Bettina Tietjen, geboren 1960, arbeitete nach ihrem Germanistik- und Romanistikstudium als Moderatorin, Reporterin und Autorin für RIAS Berlin, Deutsche Welle, WDR und diverse Printmedien. Seit 1993 ist sie beim NDR-Fernsehen Gastgeberin auf dem Roten Sofa der Sendung "DAS!". Außerdem empfängt sie einmal im Monat prominente Gäste in ihrer Freitagabend-Talkshow im NDR, seit 2020 zusammen mit Jörg Pilawa. Seit 2008 moderiert sie die Radiosendung »Tietjen talkt« bei NDR 2. Ihre Bücher "Unter Tränen gelacht" und "Tietjen auf Tour" waren beide Spiegel-Bestseller.
»Weißt du, Kind«, sagte meine Lieblingstante einmal zu mir, »dass ich schon 80 Jahre alt bin, merke ich eigentlich nur, wenn ich mich im Spiegel sehe. In mir drin bin ich immer noch 20.« Ich habe mich damals darüber gewundert, fand die Vorstellung aber beglückend, dass das Ich offenbar weniger altert, als das Äußere es vermuten lässt. Gut, die Tante war keine ganz normale 80-Jährige. Sie war aufgeschlossen, weltoffen und diskussionsfreudig, und sie hatte viel Verständnis für uns Jüngere. Das lag wahrscheinlich daran, dass sie im Gegensatz zu meinen Eltern weit gereist war und viele Jahre im Ausland gelebt hatte.
Heute bin ich selbst über 60 und frage mich oft, was diese Zahl eigentlich bedeutet. Im Kopf fühle ich mich frisch und wach, immer neugierig auf das Leben und alles, was es zu entdecken gibt. Meistens jedenfalls. Von meiner inneren Verfassung hängt auch ab, wie ich mein Äußeres wahrnehme. Bin ich gut gelaunt, finde ich es cool, in Jeans und Sneakers mit wallender Lockenmähne herumzulaufen. Manchmal erwische ich mich aber auch dabei, wie mich ein peinliches Gefühl beschleicht, wenn ich mich auf Fotos betrachte, die mich in ungünstigem Licht aus unvorteilhafter Perspektive erwischt haben. (Mein Mann fotografiert gut, aber dieses Talent zeigt sich deutlicher, wenn er Tiere oder Landschaften vor der Linse hat.)
Seit unsere Kinder aus dem Haus sind, musste ich häufiger an meine längst verstorbene Tante und ihre Bemerkung denken. Bleibt man wirklich in seinem Inneren immer 20? Macht uns das Leben mit all seinen Höhen und Tiefen, all dem Glück und all der Trauer, den Erfahrungen und Enttäuschungen nicht unweigerlich reifer, weiser und auch abgeklärter? Ist es vielleicht klug, sich auf unser jüngeres Ich zurückzubesinnen, weil es in seiner Unschuld und Unmittelbarkeit die Dinge auf eine Art gefühlt und auch verstanden hat, die uns mit zunehmendem Alter verloren gegangen ist?
Nun ist das mit dem Zurückblicken ja so eine Sache. Auch wenn wir glauben, Ereignisse, zwischenmenschliche Begegnungen und Gefühle Jahrzehnte später noch ganz genau zu erinnern, spielt unser Gehirn uns Streiche. Es belügt uns und lässt die Dinge im Nachhinein oft ganz anders erscheinen, als sie in Wirklichkeit waren. Es verzerrt, verharmlost oder dramatisiert. Manchmal erfindet es auch Dinge dazu, andere wiederum löscht es einfach aus, ohne dass wir es bemerken. Wie also die Wahrheit herausfinden?
Weil die Wahrheit meist unbequem ist, habe ich diese Frage lange vor mir hergeschoben, obwohl ich wusste, dass irgendwo in unserem Haus unbestechliche Zeugen meiner Jugend schlummerten, die ich nur hervorzuholen brauchte: meine Tagebücher. Von meinem 14. bis zum 30. Lebensjahr habe ich mehr oder weniger regelmäßig aufgeschrieben, was mich bewegte, wusste aber nicht mehr, wo ich diese streng geheimen Aufzeichnungen nach mehreren Umzügen verstaut (oder versteckt) hatte.
»Schatz, wo sind eigentlich meine alten Tagebücher?«, fragte ich meinen Mann, nachdem ich alle Bücherregale in meinem Büro vergeblich nach ihnen durchsucht hatte.
»Keine Ahnung, woher soll ich das wissen? Wahrscheinlich irgendwo im Keller in den Kartons mit deinen alten Sachen. Vielleicht habe ich sie auch beim Renovieren aus Versehen weggeworfen.« Entsetzt sah ich ihn an.
»Das ist nicht dein Ernst«, rief ich und wusste nicht, ob ich weinen oder wütend werden sollte. »Ich brauche sie ganz dringend. Ich muss herausfinden, wie ich früher war. Ich will mein jüngeres Ich wiederentdecken.« Udo sah mich verständnislos an.
»Wieso das denn? Man soll die Vergangenheit ruhen lassen, das bringt einen nur auf komische Gedanken.«
»Aber ich will ja auf komische Gedanken kommen!« Aufgebracht sah ich zu, wie er seufzend die Zeitung zur Seite legte und sich aus seinem Sessel erhob.
»Du bist 61 Jahre alt, meine Süße«, sagte er und nahm mich in den Arm, »äußerlich und innerlich. Und an manchen Tagen sieht man das auch.« Das war der Moment, in dem ich einsah, dass es zwecklos sein würde, in dieser Angelegenheit auf große Unterstützung seinerseits zu hoffen. Ich begab mich also allein auf die Suche.
Über mehrere Wochen hinweg stellte ich das ganze Haus auf den Kopf, durchwühlte jedes Regal, jeden Schrank, jede Kiste. Ich förderte Unglaubliches zutage: Kindergartenbasteleien, Schulhefte, Hunderte von alten Fotos, körbeweise Briefe, sogar unsere Hochzeitseinladungen, die Geburtsanzeigen der Kinder, Girlanden, Stofftiere, Karnevalsverkleidungen - ich hatte einfach alles aufbewahrt. Nur die Tagebücher konnte ich nicht finden.
Eines Abends krochen mein Mann und ich (mittlerweile tat ich ihm leid) auf allen vieren unter ein Holzpodest in der dunkelsten Ecke unseres Kellers und entdeckten dort zwischen vielen Aktenordnern unsere Examensarbeiten, das »gute Geschirr« meiner Großeltern und unseren Kinderwagen, den seit 23 Jahren niemand mehr von der Stelle bewegt hatte. Irgendwann setzte ich mich völlig frustriert im Schneidersitz auf den Boden und fing an zu weinen.
»Es kann doch nicht sein, dass meine gesamten Jugenderinnerungen einfach so auf dem Müll gelandet sind!«, jammerte ich.
»Eine letzte Chance gibt's noch«, sagte Udo und klaubte mir die Spinnweben aus den Haaren. »Den Schreibtisch deines Großvaters. Der steht eingeklemmt hinter dem Schrank mit der Weihnachtsdekoration. Da kommt man ganz schwer ran, aber den hast du doch früher mal benutzt.« Wir kämpften uns durch bis zu dem antiken Möbelstück und stellten fest, dass die Schubladen verschlossen waren und nirgendwo ein Schlüssel steckte.
»Wir brauchen einen Draht«, sagte mein Mann und bahnte sich seinen Weg zurück Richtung Werkzeugkeller. Minuten später hatte er die Schubladen entriegelt. Selten habe ich ein intensiveres Glücksgefühl empfunden als in dem Moment, als ich sah, was da im trüben Kellerlicht zum Vorschein kam. Ein Stapel bunter, leicht zerfledderter Hefte.
»Da sind sie!«, rief ich fassungslos. »Ich muss sie da eingeschlossen haben. Wahrscheinlich wollte ich nicht, dass sie jemand findet und darin liest.«
»Na, das ist dir ja gut gelungen«, kommentierte mein Mann nüchtern. »Viel Spaß mit deinem jüngeren Ich, meine Mission ist hiermit erledigt.«
Ganz behutsam nahm ich die Tagebücher in die Hand. Neun Stück waren es, manche dicker, manche dünner, alle sorgfältig durchnummeriert, verziert mit »Atomkraft? Nein danke« und anderen Aufklebern und bekritzelt mit Sprüchen. Auf einigen der Hinweis: »STRENG PERSÖNLICH!«
Versonnen betrachtete ich meinen endlich gehobenen Schatz. Was mochte sich darin alles verbergen? Vorsichtig transportierte ich die historischen Dokumente in mein Büro und legte sie auf den Schreibtisch. Ein paar Tage umkreiste ich den angestaubten Stapel und traute mich nicht hineinzusehen. Sollte ich sie doch besser ruhen lassen, die Person, die ich mal gewesen bin? Möglicherweise würde mir mein junges Ich gar nicht sympathisch sein, vielleicht sogar peinlich?
Irgendwann wagte ich es. Wochenlang konnte ich mich gar nicht mehr lösen von der versunkenen Welt, die da plötzlich wieder auftauchte. Tag für Tag, Jahr für Jahr ließ ich meine Vergangenheit Revue passieren. Was ich in all den fein säuberlich aufgeschriebenen Zeilen entdeckte, stimmte mich nachdenklich und ließ mich innehalten.
Wie habe ich mit 14 Jahren die Welt gesehen, wie mit 20, mit 30 - und wie sehe ich sie heute? Woran habe ich geglaubt, wovon geträumt? Und was ist aus meinen Träumen geworden? Welche Zukunftspläne habe ich geschmiedet, wovor hatte ich Angst? Was hat mich aus der Bahn geworfen, was hat mir Halt gegeben, wie wichtig waren Eltern, Familie, Freundinnen und Freunde? Bin ich heute der Mensch, der ich sein wollte?
Ich habe viel erfahren über mich, ich musste lachen, weinen und war oft überrascht von diesem jungen Mädchen, der jungen Frau, die ich mal war. Gelegentlich habe ich mich für mich selbst geschämt, manchmal habe ich mich einfach nur gewundert. Und ja, am Ende bin ich tatsächlich auf »komische Gedanken« gekommen. Darauf nämlich, dass wir, wenn wir uns unserem jüngeren Ich stellen, viel von ihm lernen können. Erwachsensein sollte nicht bedeuten, die Dinge und uns selbst nicht mehr infrage zu stellen. Wenn wir das Verdrängte, Durchlebte und Abgehakte bewusst wieder hervorholen, stellen...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.