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Wie froh bin ich, dass ich wegkann, dachte Goethe am Sonntag auf dem Bahnsteig in Weimar, wo er einerseits auf den Regionalexpress und andererseits auf Schiller wartete. Dabei hatte er zunächst überhaupt nichts von dieser Reise gehalten, hatte sich mit Händen und Füßen oder genauer mit Aussitzen und Abwarten dagegen gewehrt. Aber Cotta, vertreten durch seine unverschämt junge und unverschämt selbstbewusste Assistentin, deren Namen zu merken Goethe sich als kleine Klassiker-Allüre weigerte, hatte darauf bestanden.
»Wir müssen ein bisschen was für Ihre Bücher tun«, hatte Cotta ausrichten lassen. »Ein bisschen was tun«, dieser Satz kam normalerweise einen Monat vor dem Ramsch-Brief. Schlimmer war nur, wenn der Satz gar nicht erst kam. Dann waren die Bücher gleich auf der Makulatur-Liste und mithin im Schredder gelandet. Alle hatten damit zu kämpfen, dass die Absatzzahlen runtergingen, nun also auch Goethe. Unfassbar. Seine Deutschen kauften den >Werther< und auch den >Faust< nicht mehr, ja, selbst als Pflichtlektüre in den Schulen stand sein Werk mittlerweile zur Disposition. Cotta war in seiner Verzweiflung sogar dazu übergangen, eine Art Bilderbuch zum Götz entwickeln zu lassen. »Graphic Novel« heiße so etwas, hatte er durch seine unmögliche Assistentin ausrichten lassen.
Der ICE von Leipzig rauschte inzwischen jenseits des Ettersbergs weiträumig an Weimar vorüber, um erst in Erfurt zu halten. Auch so eine Frechheit, dachte Goethe. Uns hier sozusagen aufs nationale Abstellgleis zu verschieben. Er hätte damals eben doch intervenieren sollen, hätte sich diesen Bahnchef mal zur Brust nehmen müssen, oder besser noch seine Frau, falls er eine hatte. Über die Frauen ließ sich meistens viel mehr ausrichten, denn die wirklich großen Entscheidungen fielen nun mal beim Dessert oder im Bett. Und von Frauens verstand Goethe was. Aber er war zu der Zeit nicht besonders interessiert an der Bahn und ihren ausufernden Neubauprojekten gewesen, schließlich hatte man ihm gerade erst den neuen Dienstwagen samt Fahrer vor die Tür gestellt, gesponsert von seinem Freund dem Ministerpräsidenten. Auf den Fahrer konnte Goethe meist verzichten, weil er, sofern er nicht selbst hinter dem lederbezogenen Lenkrad dieser unglaublich breiten, unendlich komfortablen Limousine Platz nahm, den Eckermann fahren ließ. Der könne nicht viel kaputt machen, hatte der Fahrer gesagt, schließlich gebe es für alles und jedes Assistenzsysteme. Nun saß der Fahrer, der arme Tropf, meist auf Abruf im Café gegenüber der Denkmalschutzbehörde, während Eckermann sich mit dem Wagen abmühte. Natürlich haben der Fahrer einerseits und die Maschinenbauer andererseits das Fehlleistungspotenzial des Eckermann bei Weitem unterschätzt. Wie überhaupt alle das eckermannsche Fehlverhaltenspotenzial unterschätzten. Eckermann war es gewesen, nicht etwa er selbst, der die Schrammen und die Beule in den nagelneuen Wagen gefahren hatte. Das hatte er Christiane gegenüber immer wieder betont. Die Einfahrt am Frauenplan war einfach zu schmal und obendrein verwinkelt. Was der großmütige Herzog Carl August nach goetheschen Ideen (und auf Carl Augusts Kosten) für eine Kutsche gebaut hatte, passte eben, Assistenzsysteme hin, Rückfahrkamera her, nicht unbedingt auch für so ein Geschoss von einem Automobil. Darum wollte Goethe sie ja auch ändern lassen, die Einfahrt ins Haus. Das war Teil des größten Umbauvorhabens, das das Haus am Frauenplan seit der klassischen Zeit von Carl August erleben würde. Goethe wollte einen Wintergarten im gehobenen Standard mit Dreifachverglasung, Solarmodulen und Fußbodenheizung, eine gescheite Isolierung der Außenfassade und des Dachs und endlich, endlich eine Einfahrt, die den mangelhaften Fahrkünsten Eckermanns einerseits und der Autorität des Dienstwagens andererseits gerecht werden würde. Diese Einfahrt sollte selbstverständlich mit einem sich automatisch öffnenden und geräuschlos schließenden Rolltor versehen sein sowie einer Illumination der lackierten Oberflächen nach goetheschen Plänen, die das Einfahren als schwebend-sphärisches Spiel erscheinen ließe. Aber Herr Heinrichs von der Denkmalschutzbehörde, mit dem Goethe allein das Gefühl der wechselseitigen Verachtung verband, hatte auf das Thüringer Gesetz zur Pflege und zum Schutz der Kulturdenkmale gepocht, deren Paragraf 13 den dicksten Strich durch Goethes Rechnung mache, den je ein Rechtsstaat einem seiner Bürger gemacht habe. Mit diesen Worten hatte Heinrichs Goethe seine Pläne, versehen mit dem Stempel »abgelehnt«, buchstäblich vor die Füße geworfen. Da kannte dieser Heinrichs Goethen schlecht. Gesetze und Verordnungen waren inzwischen sein Steckenpferd. Denn sosehr er die Juristerei auch immer gehasst hatte - Gesetze waren nicht so schlimm; man musste nur wissen, wie man sie umgehen oder ändern konnte.
Sein erster Versuch, ausgerechnet einen Knochen wie diesen Heinrichs und seine Kollegen mit Lustreisen in die Toskana zu bestechen, war leider ziemlich gründlich gescheitert. Alles hatte Heinrichs genommen. Nichts wollte er geben.
Das aber hatte Goethe nicht verzagen lassen. Im Gegenteil: jetzt sollten sie bluten. Heinrichs, seine Kollegen und die Steuerzahler. Goethes Haus vor Goethe zu schützen, das war doch an Absurdität nicht zu überbieten.
Er hatte beste Kontakte in die Landespolitik, da war so ein Paragraf 13 in egal welchem Gesetz kein echtes Hindernis. Goethe hatte kurz entschlossen einen kleinen Zusatz erfunden, den Paragrafen 13a des Thüringer Gesetzes zur Pflege und zum Schutz der Kulturdenkmale. Der Kern des Paragrafen war so einfach wie genialisch: Er stellte den Schutz und die Pflege lebendiger Kulturdenkmale über den Schutz und die Pflege nicht-lebendiger Kulturdenkmale. Und selbstverständlich gab es nur ein einziges lebendes Kulturdenkmal: Johann Wolfgang von Goethe! In den zugehörigen Verordnungen sollte dann noch geregelt werden, dass die Kosten für die Erhaltung, Pflege, Erweiterung und Erneuerung nicht-lebendiger Kulturdenkmale durch lebendige Kulturdenkmale in gleichen Teilen von Land und Kommune zu tragen waren. Sein Freund der Ministerpräsident war mit allem einverstanden, solange Goethe ihn erneut im Wahlkampf in der Schulpolitik unterstütze. Denn seine Mehrheit im Landtag war etwas bröckelig, weshalb der Ministerpräsident den goetheschen Zusatz zu Paragraf 13, den er liebevoll »Lex Goethe« nannte, erst nach einer erfolgreichen Wahl in den Landtag einbringen wollte.
Also war Goethe noch einmal für den Freund in den Wahlkampf gezogen.
»Keine Experimente an unseren Kindern!«, hatte er immer wieder in die Kameras und Mikrofone gesagt, und der Ministerpräsident hatte die Goethe-Kommission ins Leben gerufen, die im Grunde nichts tat, aber hochkarätig besetzt war. Das kam erstaunlich gut an beim Volk. Die Umfragewerte schossen hinauf zu einer Zweidrittelmehrheit. Sein Freund der Ministerpräsident, freute sich und versprach ihm jede Unterstützung, die er brauche. Mit Goethe ließen sich Wahlen gewinnen. Und mit seinem Freund dem Ministerpräsidenten ließ es sich Häuser umbauen.
Und Auto fahren.
Goethe war froh, dass ihm diese Lesereise eine kleine Pause von den doch recht anstrengenden Wahlkampfauftritten und den politischen Ränkespielen verschaffen würde. Nur war es ein Jammer, dass er den Wagen nicht nutzen konnte.
»Die Reise steht unter dem Motto: >Klassiker zum Anfassen<«, hatte die Assistentin von Cotta schnippisch bemerkt. »Da ist Volksnähe gefragt, Herr Goethe.«
Von Goethe, hatte Goethe innerlich verbessert und bescheiden die multiplen Ehrendoktorwürden und Professorentitel unter den Tisch fallen lassen. Aber dieser Assistentin war nicht beizukommen. Die hielt ihn - das konnte Goethe, der sich auch mit dieser Sorte Frauen leider, leider auskannte, selbst durchs Telefon spüren - für einen eitlen, alten, im Grunde lächerlichen Greis, der nichts zum positiven Verlagsergebnis beitrug. Eine Art Leidenschaft des Verlegers, bar jeder Vernunft, ein Zopf, den man längst hätte abschneiden sollen. Allein schon die Art, wie sie »Herr Goethe« sagte! Vermutlich hatte sie noch keine Zeile von ihm gelesen . Aber nein, das war zu viel der Unterstellung. Immerhin war sie die Assistentin von Cotta, und er, Johann Wolfgang von Goethe, war immerhin der Klassiker, das größte lebende Kulturdenkmal Deutschlands. Sie hatte mindestens den >Zauberlehrling< in der Schule gelesen - wenn auch, offensichtlich, nicht verstanden. Vermutlich hatte sie den >Faust< im Abitur gehabt und den >Werther< unter der Bettdecke verschlungen. Als Goethe sich Cottas Assistentin unter der Bettdecke vorstellte, fiel ihm Steffi ein. Steffis Rücken. Steffis Bauch. Steffis Arme, Hände und Beine; natürlich . ihre Augen. Steffis Silhouette im Gegenlicht der Toskana, Goethe am Küchentisch sitzend - »Sonnentautropfendes Glück«, hatte er in sein Notizbuch geschrieben und eine Zeichnung gemacht. Es sollte der Beginn eines kleinen Gedichtes werden. Auch das hatte sich dann zerschlagen.
Zu dumm, dass Christiane die Zeile mit der Zeichnung gefunden hatte, nachdem er von seiner italienischen »Dienstreise« mit der Praktikantin der Denkmalschutzbehörde nach Weimar zurückgekehrt war. Nun hing der Haussegen schief, und Goethe war einmal mehr froh, dass er für ein paar Tage weg sein würde. Er würde Christiane etwas Schönes mitbringen müssen. Ein Collier vielleicht, falls er im Harz so etwas finden könnte. Außerdem hatte er ja aller Voraussicht nach bald den...
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