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Zweites Kapitel
Februar 1895
Nachdem Guy Domville durchgefallen war, kämpfte seine Entschlossenheit zu arbeiten durchaus gegen das Gefühl, besiegt und bloßgestellt worden zu sein. Er sah ein, daß es ihm nicht gelungen war, den Geschmack des breiten Publikums zu treffen, und jetzt mußte er sich der traurigen Tatsache stellen, daß keine seiner Arbeiten je populär sein oder allgemein geschätzt werden würde. Meistens schaffte er es mit einiger Mühe, seine Gedanken zu zügeln. Was er nicht zügeln konnte, war der entsetzliche Schmerz am Morgen, ein Schmerz, der sich fast bis zum Mittag hinzog und oft auch dann nicht nachließ. Eine Zeile in Oscar Wildes Stück hatte ihm gefallen - es war die Frage, ob die Traurigkeit der Londoner die Ursache des Nebels sei oder der Nebel die Ursache ihrer Traurigkeit. Seine Traurigkeit, dachte er, als das karge Licht des Wintermorgens durch das Fenster hereinlugte, war wie der Londoner Nebel. Bloß daß sie sich nie verflüchtigte und von einer Mattigkeit begleitet wurde, die ihm gänzlich neu war, von einer Lethargie, die ihn erschütterte und deprimierte.
Er fragte sich, ob er irgendwann in der Zukunft noch weiter aus der Mode kommen würde und ob, falls die Dividenden aus dem väterlichen Nachlaß irgendwann versiegen sollten, seine beschränkten Verhältnisse eine öffentliche Demütigung darstellen würden. Es war eine Frage des Geldes, der Anmut, die es der Seele verlieh. Geld war eine Form der Gnade. Wo immer er gewesen war, hatte der Besitz von Geld die Menschen von der breiten Masse unterschieden. Es schenkte Männern eine angenehme, distanzierte Macht über die Welt, und es verlieh Frauen ein gelassenes Selbstgefühl, ein inneres Licht, das selbst das Alter nicht zu tilgen vermochte.
Es war klar, daß es ihm bestimmt war, für die wenigen zu schreiben, vielleicht für die Zukunft, doch niemals den Lohn zu ernten, über den er sich jetzt gefreut hätte: ein eigenes Haus und einen schönen Garten und einen sorglosen Ausblick auf die Zukunft. Er war weiterhin stolz auf seine bisherigen Entscheidungen, auf die Tatsache, daß er niemals Kompromisse geschlossen hatte, daß ihm der Rücken weh tat und die Augen brannten, lediglich weil er weiterhin von früh bis spät im Dienst einer Kunst arbeitete, die rein und unbeeinflußt war von finanziellen Erwägungen.
Für seinen Vater und seinen Bruder - wie für so viele in London - war ein wirtschaftlicher Mißerfolg etwas wie ein Erfolg und ein wirtschaftlicher Erfolg etwas, worüber man kein Wort verlor. Kein einziges Mal hatte er bewußt das harte Los der Popularität erstrebt. Nichtsdestoweniger wünschte er sich, daß sich seine Bücher verkauften, daß er auf dem Markt glänzen und die Erträge seines Schaffens einstreichen könnte, ohne seine geheiligte Kunst in irgendeiner Weise zu kompromittieren.
Es war ihm nicht gleichgültig, wie er angesehen wurde; und es gefiel ihm, für einen Schriftsteller gehalten zu werden, der keinen Finger krumm machte, um seinen Werken Geltung zu verschaffen; und wenn man erkannte, daß er sich in Abgeschiedenheit und selbstloser Hingabe einer edlen Kunst widmete, bereitete es ihm Genugtuung. Er wußte allerdings durchaus, daß Mangel an Erfolg eine Sache war, ein kläglicher Mißerfolg jedoch eine ganz andere. So bewirkte sein - so öffentlicher, so berüchtigter und so offensichtlicher - Mißerfolg am Theater, daß er sich in Gesellschaft unbehaglich fühlte und eine Scheu davor verspürte, sich in die Welt der Londoner Society hinauszuwagen. Er fühlte sich wie ein General, der, vom Odeur der Niederlage umweht, vom Schlachtfeld zurückgekehrt war und dessen Anwesenheit in den warmen hellen Salons Londons unpassend und bedrückend gewirkt hätte.
Er kannte Militärs in London. Er hatte sich achtsam und unbefangen zwischen den Mächtigen bewegt, und er hatte mit großer Aufmerksamkeit den Engländern zugehört, wie sie über politische Intrigen und militärische Tapferkeit sprachen. Wenn er in Lord Wolseleys Haus am Portman Square inmitten der üblichen Versammlung von reichen Mittätern und alten Haudegen saß, fragte er sich oft, was seine Schwester Alice oder sein Bruder William gesagt hätten, wenn sie die stumpfsinnigen imperialistischen Kriegsgespräche, die tiefschürfenden und kernigen Diskussionen über Truppen und Attacken und Metzeleien gehört hätten, die nach dem Dinner geführt wurden. Alice war in der Familie die erbittertste Gegnerin des Empire; sie hatte sogar Parnell verehrt und war wie er für die Selbstverwaltung Irlands eingetreten. William sympathisierte ebenfalls mit der irischen Sache und machte kein Hehl aus seiner antibritischen Gesinnung.
Lord Wolseley war kultiviert, wie sie es alle waren, wohlerzogen und faszinierend mit seinen rosigen Grübchen und stechenden Augen. Henry verkehrte mit diesen Männern, weil ihre Frauen es so wünschten. Die Frauen schätzten seine Umgangsformen, seine grauen Augen und seine amerikanische Herkunft, aber mehr als alles andere gefiel ihnen, wie er zuhörte, jedes Wort in sich aufsog, ausschließlich zur Sache gehörende Fragen stellte und durch seine Gesten und Erwiderungen der Intelligenz seines Gegenübers Anerkennung zollte.
Es war leichter für ihn, wenn keine anderen Schriftsteller anwesend waren, niemand, der sein Werk kannte. Die Männer, die sich nach dem Dinner zum Austausch von Anekdoten und politischem Klatsch zusammenfanden, interessierten ihn nie so sehr wie das, was sie sagten; die Frauen hingegen interessierten ihn immer, unabhängig davon, was sie sagten. Lady Wolseley interessierte ihn ganz besonders, denn sie war die Personifizierung der Klugheit, des Einfühlungsvermögens und des Charmes und hatte die Art und die Manieren und den Geschmack einer Amerikanerin. Sie pflegte den Blick mit einem Ausdruck des Erstaunens und der unverhohlenen Bewunderung über ihre Gäste schweifen zu lassen, um dann ihr Lächeln der ihr am nächsten stehenden Person zuzuwenden und leise auf sie einzureden, als verriete sie ein Geheimnis.
Er mußte London verlassen, aber er glaubte nicht, daß er es ertragen würde, wo auch immer allein zu sein. Er wollte nicht über sein Theaterstück reden, und er fürchtete, nicht schreiben zu können. Er entschied, daß, wenn er abreiste, bei seiner Rückkehr alles anders sein müßte. Sein Kopf war voller Visionen und Ideen. Er hoffte inständig, daß die Vorstellungen, die ihm vorschwebten, sich in geschriebene Seiten würden übertragen lassen. Mehr - davon war er jetzt überzeugt - wollte er nicht.
Er reiste nach Irland, denn das Land war leicht zu erreichen, und er ging davon aus, daß der Aufenthalt seine Nerven nicht beanspruchen würde. Weder Lord Houghton, der neue Vizekönig von Irland, dessen Vater er ebenfalls gekannt hatte, noch Lord Wolseley, der zum Oberbefehlshaber der Streitkräfte Ihrer Majestät in Irland ernannt worden war, hatten sein Stück gesehen; er willigte ein, bei beiden jeweils eine Woche zu verbringen. Es hatte ihn überrascht, mit welchem Nachdruck die Einladungen vorgebracht worden waren und welche Bedeutung der Frage, wieviel Zeit er bei jedem von ihnen zu verbringen gedachte, beigemessen wurde. Erst als er seine Zimmer im Dublin Castle bezogen hatte, verstand er das Problem.
In Irland herrschten Unruhen, und der Regierung Ihrer Majestät war es nicht nur nicht gelungen, diese niederzuschlagen, sondern sie hatte sich sogar zu Konzessionen bereit gefunden. Es war vergleichsweise einfach gewesen, diese dem Parlament zu erklären, jedoch unmöglich, sie den irischen Gutsherren und Garnisonschefs einsichtig zu machen, weswegen diese nun sämtliche gesellschaftlichen Ereignisse der Saison im Dublin Castle boykottierten. Lord Houghton war auf importierte Gäste angewiesen, und so war der Enthusiasmus zu erklären, mit dem er seine Einladung vorgebracht hatte.
Während der alte Lord Houghton ebenso zwanglos in seinen Umgangsformen wie anspruchslos in seinen persönlichen Angewohnheiten gewesen war und insbesondere im fortgeschrittenen Alter eine Schwäche dafür gehabt hatte, sich und andere zu amüsieren, war sein Sohn ernst und sich seiner Bedeutung bewußt. In seinem Amt als Vizekönig hatte der neue Lord Houghton seine wahre Erfüllung gefunden. Er stolzierte wie ein Pfau einher und war offenbar der einzige, der nicht begriff, daß er es zwar gut meinte, aber keinerlei Bedeutung besaß. Er repräsentierte die Königin inIrland, und er tat dies mit inbrünstiger Feierlichkeit und Detailversessenheit, wobei er seine Tage mit Inspektionen und Empfängen und Paraden und seine Abende mit Bällen und Banketten füllte. Er überwachte seinen Haushalt, als weilte die Monarchin im Schloß und könnte jeden Augenblick in all ihrer imperialen Herrlichkeit erscheinen.
Mit seiner Pomphaftigkeit erschöpfte der kleine vizekönigliche Hof Henry an Leib und Seele. Es gab in sechs Tagen vier Bälle und jeden Abend ein Bankett. Besucht wurden die Veranstaltungen lediglich von Angehörigen der Beamtenschaft und des Militärs, unterstützt von einer sehr langweiligen und zweitklassigen, wenngleich umfangreichen Schar von Hausgästen. Zum Glück hatte kaum einer der Gäste je von ihm gehört; er unternahm keinen Versuch, etwas daran zu ändern.
»Hoffentlich hat Ihnen jemand rechtzeitig geraten«, sagte eine der englischen Damen zu ihm, »sich die Nase zuzuhalten und die Augen zu schließen und sich, wenn Sie es irgendwie schaffen, auch noch die Ohren zu verstopfen. Man muß damit in dem Augenblick anfangen, in dem man in Irland ankommt, und darf nicht eher aufhören, als bis man im Schloß angelangt ist oder in der vizeköniglichen Residenz, oder wo immer man sonst wohnt.«
Die Dame strahlte vor Selbstzufriedenheit. Er...
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