Schweitzer Fachinformationen
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ICH KENNE ihn inzwischen, den Geruch des Todes. Diesen eklig süßen Geruch, der mit dem Wind in die Zimmer des Palastes eindrang. Jetzt habe ich keine Mühe mehr, Frieden und Behagen zu empfinden. Meinen Morgen widme ich dem Himmel und dem wechselnden Licht. Sowie der Vogelgesang erklingt, füllt die Welt sich mit ihren eigenen Freuden, und dann, wenn der Tag abnimmt, nimmt auch sein Schall ab und schwindet. Ich sehe zu, wie die Schatten länger werden. So vieles ist davongeglitten, doch der Geruch des Todes bleibt. Vielleicht ist er in meinen Körper eingedrungen und dort wie ein alter Freund empfangen worden, der zu Besuch kommt. Der Geruch von Furcht und Panik. Der Geruch ist hier, so wie die Luft hier ist; er kehrt auf dieselbe Weise zurück, wie das Licht am Morgen wiederkehrt. Er ist mir ein ständiger Begleiter; er hat die Lebensgeister in meinen Augen geweckt. Augen, die vom Warten stumpf geworden waren, aber jetzt vor Lebendigkeit strahlen.
Ich befahl, dass die Leichen ein, zwei Tage lang offen in der Sonne liegen bleiben sollten, bis die Süße dem Gestank wich. Mir gefielen die heranschwirrenden Fliegen, ihre kleinen Leiber ratlos und tapfer, nach ihrem Festmahl summend und doch verstimmt durch den fortwährenden Hunger; einen Hunger, den auch ich kennen- und schätzen gelernt hatte.
Wir alle sind jetzt hungrig. Speisen wetzen lediglich den Appetit, schärfen unsere Zähne; Fleisch macht uns gierig nach mehr Fleisch, so wie der Tod weitere Tode verlangt. Mord macht uns heißhungrig, füllt die Seele mit einer Genugtuung, die erst heiß und dann saftigsüß genug ist, um ein Gelüst auf weitere Befriedigung zu zeugen.
Ein Messer sticht ins weiche Fleisch unter dem Ohr, sorgsam, intim, und zieht sich dann, so lautlos, wie die Sonne über den Himmel zieht, aber schneller, mit größerem Eifer, über die Kehle, und dann fließt sein dunkles Blut mit dem gleichen unvermeidlichen Schweigen, mit dem die dunkle Nacht Vertrautes einhüllt.
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Sie schnitten ihr das Haar, bevor sie sie zur Opferstätte zerrten. Meiner Tochter waren die Hände fest hinter dem Rücken gebunden, die Haut an den Gelenken wund von den Stricken, und ihre Fußknöchel gefesselt. Ihr Mund war geknebelt, um sie daran zu hindern, ihren Vater weiter zu verfluchen, ihren feigen, doppelzüngigen Vater. Dennoch waren ihre erstickten Schreie zu vernehmen, als sie endlich begriff, dass ihr Vater wirklich vorhatte, sie zu ermorden, dass er ihr Leben wirklich für seine Armee opfern wollte. Sie hatten ihr das Haar hastig und nachlässig geschoren; eine der Frauen brachte es dabei fertig, mit einer rostigen Klinge in die Schädelhaut meiner Tochter zu schneiden, und als Iphigeneia zu fluchen begann, da banden sie ihr einen alten Lappen um den Mund, sodass ihre Worte nicht zu hören wären. Ich bin stolz, dass sie sich bis zum Ende wehrte, dass sie sich trotz ihrer schmeichlerischen Rede nicht ein einziges Mal, nicht einen Augenblick lang ihrem Schicksal fügte. Sie gab den Versuch nicht auf, die Schnur um ihre Fesseln zu lösen, oder das Seil um ihre Handgelenke, damit sie ihnen entfliehen könnte. Sie versuchte weiterhin, ihren Vater zu verwünschen, damit er die Wucht ihrer Verachtung spürte.
Niemand ist jetzt bereit, die Worte zu wiederholen, die sie in diesen Augenblicken sprach, bevor sie ihre Stimme erstickten, aber ich weiß, wie diese Worte lauteten. Ich hatte sie ihr beigebracht. Es waren Worte, die ich erfunden hatte, um ihren Vater und seine Gefolgsleute mit ihren albernen Zielen zunichtewerden zu lassen, es waren Worte, die verkündeten, was ihm und denen um ihn widerfahren würde, sobald sich herumgesprochen hätte, wie sie unsere Tochter, die stolze und schöne Iphigeneia, an diesen Ort zerrten, wie sie sie durch den Staub schleiften, um sie zu opfern, damit sie ihren Krieg gewännen. In jener letzten Sekunde ihres Lebens, sagte man mir, schrie sie so laut, dass ihre Stimme denen, die sie hörten, das Herz zerriss.
Ihren Schreien, als sie sie ermordeten, folgten Schweigen und Ränkeschmieden, als Agamemnon, ihr Vater, zurückkehrte und ich den Dummkopf glauben ließ, ich würde keine Rache üben. Ich wartete und hielt Ausschau nach Zeichen, lächelte, empfing ihn dann mit offenen Armen und hatte eine Tafel mit Speisen gerichtet. Nahrung für den Narren! Ich trug den besonderen Duft, der ihn erregte. Duft für den Dummkopf!
Ich war so bereit wie er unvorbereitet - er, mein Ehemann, der ruhmbedeckt-siegreich heimgekehrte Held, an den Händen das Blut seiner Tochter, doch jetzt reingewaschen, seine weißen Hände gleichsam frei von jeglichem Makel, seine Arme ausgebreitet, um seine Freunde zu umarmen, sein Gesicht ein einziges Lächeln, der große Soldat, der schon bald, wie er glaubte, zur Feier einen Becher erheben und sich nahrhafte Speisen in den Mund stecken würde. Sein klaffendes Maul! Erleichtert, wieder zu Hause zu sein!
Ich sah, wie sich seine Hände vor plötzlichem Schmerz verkrampften, wie sich seine Fäuste ballten in der grausigen, erschütterten Erkenntnis, dass es ihn am Ende doch erwischt hatte, und dazu in seinem eigenen Palast, im erschlafften Augenblick der Vorfreude auf die alte Steinwanne und das Behagen, das in ihr zu finden war.
Nur das, sagte er, hatte ihn zum Weitermachen angespornt, nur der Gedanke, was ihn dann erwartete: heilendes Wasser und Spezereien, weiche, reine Kleider und vertraute Luft und Klänge. Er war wie ein Löwe, der seine Schnauze auf die Pranken legte, sein Gebrüll verstummt, sein Körper schlaff, und jeder Gedanke an Gefahr fern und vergessen.
Ich lächelte und sagte, ja, auch ich hätte an den Empfang gedacht, den ich ihm dann bereiten würde. Er hatte mich Tag und Nacht begleitet, sagte ich ihm. Ich hatte von ihm geträumt, wie er sich durch und durch rein aus dem duftenden Wasser des Bades erhob. Ich sagte ihm, dass sein Bad vorbereitet wurde, während das Essen garte, der Tisch gedeckt wurde und seine Freunde sich versammelten. Und dorthin musste er jetzt gehen, sagte ich zu ihm, er musste in das Bad gehen. Er solle baden, im erleichterten Bewusstsein baden, wieder zu Hause zu sein. Ja, zu Hause. Genau dorthin kam der Löwe. Ich wusste, was ich mit dem Löwen machen würde, wenn er erst heimkam.
Ich hatte Späher, die mir melden würden, wenn er zurückkäme. Männer entzündeten ein um das andere Feuer, um die Nachricht von Hügel zu Hügel zu übermitteln und mich zu warnen. Es war das Feuer, das die Nachricht überbrachte - nicht die Götter. Unter den Göttern ist jetzt keiner, der mir Beistand böte, meine Handlungen überwachte oder mein Herz kannte. Es gibt keinen unter den Göttern, an den ich mich wenden würde. Ich lebe allein im schaudernden, einsamen Wissen darum, dass die Zeit der Götter vorbei ist.
Ich bete keine Götter an. Ich bin allein hier, weil ich als Einzige nicht bete und auch nie wieder beten werde. Stattdessen werde ich in gewöhnlichem Flüsterton sprechen. Ich werde in Worten sprechen, die ich der Welt entlehne, sie werden von Kummer erfüllt sein um das, was verloren ging. Ich werde Laute erzeugen, die wie Gebete klingen, aber Gebete, die keinen Ursprung haben und keine Bestimmung, nicht einmal eine menschliche, denn meine Tochter ist tot und kann sie nicht hören.
Ich weiß wie sonst niemand, dass die Götter uns fern sind - sie haben andere Belange. An menschlichen Wünschen und Possen nehmen sie ebenso Anteil wie ich an den Blättern eines Baumes. Ich weiß, dass die Blätter da sind, sie verdorren und wachsen wieder nach und verdorren erneut, ebenso wie Menschen kommen und leben und dann durch andere, Ähnliche ersetzt werden. Es gibt keine Möglichkeit, wie ich ihnen helfen oder sie vor dem Verdorren bewahren könnte. Ich habe nichts mit ihrem Begehren zu schaffen.
Ich wünsche jetzt, hier zu stehen und zu lachen. Mich keckern und dann brüllen zu hören vor Vergnügen über die Vorstellung, die Götter hätten es meinem Ehemann gewährt, seinen Krieg zu gewinnen. Dass sie ihm jeden seiner Pläne und jeden seiner Entschlüsse eingegeben hätten, um seine trüben Launen am Morgen und die seltsame, alberne Hochgestimmtheit, die er nachts verströmen konnte, wussten, seinen flehentlichen Bitten lauschten und sie in ihren göttlichen Behausungen erörterten. Dass sie die Ermordung meiner Tochter beifällig ansähen.
Das Tauschgeschäft war simpel, glaubte er jedenfalls, oder glaubten seine Truppen. Töte das unschuldige Mädchen und erhalte im Gegenzug einen günstigen Wind. Reiße sie aus der Welt, steck ihr ein Messer ins Fleisch und stell dadurch sicher, dass sie nie wieder ein Zimmer betreten oder am Morgen aufwachen wird. Beraube die Welt ihrer Anmut. Und zur Belohnung würden die Götter ihrem Vater einen günstigen Wind senden, an dem Tag, wo er Wind bräuchte für...
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