Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Ich wurde auf dem Land geboren. Der Stallgeruch ist mit den Jahren verschwunden, aber ich bin ein waschechter Hofhund. Sechs Welpen auf einen Schlag. Im späten Frühling. Meinen Vater habe ich nie gekannt, aber darauf sollten wir jetzt wirklich nicht zu viel Gewicht legen, finde ich. Ich bin nämlich etwas skeptisch gegenüber Psychologie. Jedenfalls der für Hunde.
Die Geschwister, zu denen ich gehörte, verschwanden nach und nach, und das wäre sicher auch mit mir passiert, wenn ich nicht so geboren worden wäre, wie ich bin.
Falsche Farbe.
Mein Leben ist so geworden, wie es ist, weil mein Gesicht eine andere Farbe aufweist als diejenige, die als »richtig« gilt. Und dafür braucht es nicht viel. In meinem Fall geht es darum, dass der obere Teil meiner Schnauze der einzige Teil meines Körpers ist, der nicht mit schwarzem, sondern mit weißem Fell bedeckt ist. Ein weißer Fleck auf der Nase, und schon war ich ein Hund zweiten Ranges, unbrauchbar als Ausstellungsobjekt, minderwertig. Der Übriggebliebene, wenn alle anderen aus dem Wurf verkauft sind.
Ein Restposten.
Damals habe ich natürlich nichts davon begriffen. Wie die meisten Welpen war ich nur froh über jeden Konkurrenten, der nicht länger am Futtertrog auftauchte. Es waren gute Tage, die im Lauf eines langen Sommers voller Sinneseindrücke nur umso besser wurden, bis ich schließlich zum ersten Mal im Leben Schnee sah.
Mit dem Schnee kam ein anderes Leben, oder präziser ausgedrückt mehrere neue Leben, in Form neuer Geschwister. Fragt mich erst gar nicht, wer der Vater dieser Herde war, die seit dem Tag ihrer Geburt mein Dasein unerträglich machte. Meine Mutter, die im Lauf der letzten Monate zunehmend distanziert gewirkt hatte, verhielt sich plötzlich geradezu feindselig mir gegenüber. Nur wer je erlebt hat, von der eigenen Mutter angeknurrt und weggebissen zu werden, weiß, wie sich das anfühlt.
Von einem Augenblick auf den anderen verwandelte sich meine gesegnete Existenz als Einzelkind in ein Paria-Dasein. Wobei Paria noch mild ausgedrückt ist. Ich war nicht einmal mehr ein Teil des Rudels. Mein Bruder und meine Schwestern waren eigentlich ganz okay und rochen auch gut, aber das Verhältnis zu meiner Mutter wurde nie wieder wie zuvor. Ich glaube, das hat mich sehr geprägt, aber wie gesagt, wir lassen Freud außen vor. Pawlow ebenfalls, wo wir gerade dabei sind.
Von morgens bis abends kamen Menschen in allen Altersstufen und in jeder erdenklichen Form ins Haus gestapft, und alle hatten die gleiche Absicht: die Welpen anzusehen! Es war also wieder an der Zeit, und das gab mir die Hoffnung, dass sich die Ruhe und Stabilität des Daseins vielleicht einfach wieder dadurch herstellen ließen, dass wir die Gören loswurden. Mutters Knurren und Fauchen könnte ich immer verzeihen, im schlimmsten Fall ignorieren.
Trotz ihrer Alters- und Gattungsunterschiede reagierten die Menschen, die ins Haus kamen, fast ausnahmslos auf die gleiche Weise. Die Stimmen wurden weich, der Pulsschlag beruhigte sich, das Blut roch süßlicher. Alle sangen Variationen derselben Melodie, und alle waren gekommen, um einen Favoriten zu finden. Einen Hund auszuwählen. Eigentlich lässt sich das nur damit vergleichen, in ein Waisenhaus zu gehen und sich das Kind zu kaufen, das einem zusagt.
Menschen, die Hundehaltung mit Kinderhaltung vergleichen, verstehen da etwas völlig falsch. Sozusagen um 360 Grad. Mindestens! Die wenigsten Menschen sehen, wie ihre Hunde geboren werden (leider!), und noch weniger lassen ihre Nachkommen nach einem langen Zusammenleben in Liebe und Vertrautheit einschläfern. Und während dir deine Kinder hoffentlich irgendwann entwachsen und dir und deinem persönlichen Irrsinn entgehen können, gehört ein Hund mit seinem ganzen Leben zu dir, einem Leben, in dem du am Ende zu Gott dem Allmächtigen wirst:
Soll ich meinen Hund leben oder sterben lassen?
Es war übrigens während dieses zweiten geschmacklosen Schönheitswettbewerbs, dass ich mir meines eigenen Makels bewusst wurde. Denn erst, als sich alle an dem Welpenknäuel sattgesehen hatten, richteten sie den Blick auf mich, und nachdem sie mich gemustert hatten, stellten alle die gleiche Frage:
Warum ist der denn so groß?, wollten sie wissen, und dann bekamen sie die bigotte Antwort über den weißen Fleck an meiner Nase. Das Rennen war gelaufen, und selbst ohne weißen Fleck an der Schnauze hätte ich keine Chance gehabt im Wettbewerb mit den vier possierlichen Gesellen, die noch nicht wussten, dass der Arsch hinten ist und das Leben voller Schrecken und Geheimnisse.
sagten die Menschen meist, wenn sie die Welpen zu Gesicht bekamen. Ich habe nie so richtig kapiert, was sie eigentlich damit meinten. Sie hoben sie hoch und streichelten sie und kraulten sie, bis man gar nicht mehr sagen konnte, wem jetzt schwindeliger geworden war, ihnen oder den Welpen. Kinder und Erwachsene, Männer und Frauen, sie alle ließen sich hypnotisieren. Sogar ich bekam ein paar Streicheleinheiten ab, nicht zu fassen. Ein blindes Huhn findet auch mal ein Korn, wie es so schön heißt, aber ich, ein Hund in der Blüte seiner Jugend, fühlte mich dennoch wie ein alter Elefant.
Sich ein Leben in den Händen eines dieser abscheulichen Kinder vorzustellen, ließ es mir kalt den Rücken herunterlaufen. Man kann einem undressierten Kind doch keinen Hund anvertrauen. Es gab sogar Mädchen, die wollten gar keinen Hund, die wollten ein Kaninchen (!), aber Mutter und Vater hatten entschieden, dass es ein Hund werden sollte. Eine kluge Wahl, aber was macht das mit so einem armen Hund, wenn er als Kaninchenersatz aufwachsen soll? Was, wenn der Hund, vielleicht erst in fortgeschrittenem Alter herausfindet, was damals geschehen ist?
Ungeachtet dessen bin ich froh, dass ich diesen Fleisch- und Pelzmarkt miterleben durfte, und noch viel froher, dass ich aufgrund meines weißen Flecks und meines in die Jahre gekommenen Zustands kein Teil davon war. Ich hatte keine Ahnung, was eine »Hundeausstellung« war, aber allein das Wort regte mich jedes Mal auf. Für mich war es natürlich nicht nur in Ordnung, sondern geradezu eine Befreiung, zu wissen, dass ich für eine Hundeausstellung nicht geschaffen war, wenngleich ich neugierig darauf war, zu erfahren, worum es dabei eigentlich ging. Offen gestanden habe ich in dieser Hinsicht sogar ein paar ziemliche ungesunde Fantasien entwickelt.
Als meine Brut damals zur Auktion vorgeführt wurde, war ich zu jung und zu dumm, um zu begreifen, wie zynisch der Auswahlvorgang und der Verkauf von Welpen organisiert ist.
Im Nachhinein musste ich wirklich - sarkastisch - in mich hineingrinsen, angesichts meines Glücks im Unglück. Wie sich zeigen sollte, hatte ich nämlich ein ausgezeichnetes Hundeleben, und zwar aufgrund der Tatsache, dass die Menschen trotz über zehntausendjähriger Erfahrung im Zusammenleben mit Hunden immer noch nicht die Bedeutung des ersten Gebots, Punkt 1.1. im Benutzerhandbuch verstanden haben:
Wähle deinen Hund nicht nach dem Äußeren.
Will heißen: Der Schein trügt.
Er unterschied sich gleich im ersten Augenblick von allen, die gekommen waren und sich über die Fellknäuel freuten. Er war der Einzige, der allein kam. Und er war auch der Älteste. Und der Größte. Sobald er die Türschwelle überschritten hatte, gehörte der Raum ihm allein, und es waren seine Regeln, die jetzt galten. Ein alter Alpha, der allein umherstreifte. Schwer zu sagen, wie das gedeutet werden sollte, aber in meiner Situation fühlten sich alle Neuigkeiten zunächst wie schlechte Neuigkeiten an.
Er war der Einzige, der keinerlei Sentimentalität gegenüber unserem kleinen Rudel erkennen ließ. Ohne auch nur ein einziges
von sich zu geben, zeigte er direkt auf mich und fragte:
»Was stimmt mit dem nicht?«
Einmal mehr war ich gezwungen, die Erläuterung meiner Minderwertigkeit mit anzuhören. Ich hatte überhaupt keine Lust, wegzugehen, aber ich hatte auch keine Lust, noch länger gedemütigt zu werden. Der große Alpha hörte sich die Antwort nicht mal zu Ende an und sagte bloß:
»Halber Preis. In bar.« So wurde der Major der Besitzer in meinem Leben.
Das Ganze passierte so schnell, dass ich überhaupt nicht wusste, was vor sich ging, bis ich mich plötzlich zum ersten Mal im Leben in einem Auto wiederfand. Zu Beginn kam es mir so vor, als bewege sich nicht der Wagen, sondern die Landschaft um uns herum, was die Fahrt zu einem schieren Albtraum werden ließ. Egal, wo und wie ich mich hinsetzte, wurde ich von unsichtbaren Kräften hin und her geworfen, bis ich nicht mal mehr wusste, wo oben und wo unten war. Auch mein Magen wusste es nicht mehr. Es kam alles hoch. Für gewöhnlich hätte ich so eine Delikatesse in mich hineingeschlürft, aber mir war derart übel, dass ich in meinem Erbrochenen liegen blieb, bis wir das Ziel erreicht hatten und ich, ohne mir dessen bewusst zu sein, nach Hause kam.
Krank und mitgenommen, wie ich war, bekam ich vom ersten Abend nicht viel mit, oder vielleicht hat das Gewohnte später auch die Erinnerungen an das Ungewohnte ausgelöscht. Danach habe ich jedenfalls viele Male die Geschichte gehört, wie der Major ohne Absprache oder Vorwarnung eines Tages mit einem stinkenden Hundewelpen nach Hause kam, zu einer Frau Thorkildsen, die sich schon lange, bevor der Major krank wurde, davor fürchtete, dass er sterben könnte. Wie ich in der Badewanne abgespült, danach in einen alten Morgenrock gewickelt und dann fotografiert wurde. Frau Thorkildsen liebt es, das peinliche Foto herumzuzeigen, sie zeigt es sogar völlig Fremden.
Was mich...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.