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Der Schneefall hatte in der zweiten Dezemberwoche eingesetzt. Er wurde mit Freude von allen Kindern im Land begrüßt; auch von der Presse, die bereits die abgedroschenen Artikel ausgeschöpft hatte, die sich aus dem Novembernebel gewinnen ließen, und nicht recht wusste, wie sie die Lücke zwischen »Kollision im Kanal« und »Weihnachtseinkäufe« füllen sollte, und von jenen eingefleischten Sentimentalisten, denen es gleichgültig ist, wie bitterkalt das Wetter ist, solange es »der Jahreszeit entspricht«.
Vorhergesagt war eine weiße Weihnacht. Wintersport-Enthusiasten kramten ihre Skier aus den Dachkammern, wo sie zwölf Monate im Verborgenen gelagert hatten, und weniger glückliche Leute, die nie eines Schweizer Bergs ansichtig geworden waren, verbrachten fröhliche Stunden damit, Kufen an Seifenkisten zu montieren, wobei ihnen pessimistisch bewusst war, dass der Schnee sich womöglich jeden Augenblick in Schneeregen verwandelte und die schönen, noch unberührten Flächen aus jungfräulichem Weiß zu schwarzem Matsch werden könnten. Doch zur Abwechslung sah es ganz danach aus, als würden sie auf angenehme Weise enttäuscht. Denn Tag um Tag erwachten sie, um festzustellen, dass die Schneeflocken langsam an den Fenstern vorbeiwirbelten; und Tag um Tag türmten sich die Schneewehen höher und höher an den Landstraßen auf, bis selbst die Kinder des Schneeballwerfens überdrüssig wurden und ihre Frostbeulen einer genaueren Betrachtung unterzogen, und die erwachsene Bevölkerung des Landes das »der Jahreszeit entsprechende Wetter« inzwischen eher als einen schlechten Scherz auffasste.
Und dann ging es über einen Scherz hinaus. Die Bedingungen erreichten einen Punkt, an dem es nicht länger lustig war, sondern nur noch lästig und ärgerlich. Die Post kam verspätet an; morgens war keine Milch da; Rinnsteine und Abflüsse waren abends verstopft, wenn es zu dunkel war, um dafür zu sorgen, dass sie gereinigt wurden; und selbst die Eingefleischtesten unter den Sentimentalisten fingen zu grummeln an.
Und nach wie vor fiel der Schnee. Doch unweigerlich behauptete sich der träge, aber ununterdrückbare Sinn der Engländer für Humor, die Absurdität der Situation beflügelte ihre Phantasie, und die ganze Sache wurde erneut ein Scherz. Fünf Tage vor Weihnachten sah es danach aus, als wären die Straßen derart unpassierbar, dass es ungewiss blieb, ob die Urlauber ihre Reiseziele erreichen würden, während die Stechpalmenzweige und Truthähne, zur Ergötzung derjenigen bestimmt, die sich klugerweise dafür entschieden hatten zu Hause zu bleiben, London offenbar überhaupt nicht mehr erreichen würden. Dennoch war der Transport, auch wenn er sich als schwierig gestaltete, noch nicht ganz unmöglich geworden, und das »über Weihnachten nicht zu Hause sein« hatte lediglich das Ausmaß eines gigantischen Spiels angenommen, bei dem es der Möchtegern-Urlauber frohgemut mit der Natur aufnahm und letzten Endes meist den Sieg davontrug.
Es war in dieser Geisteshaltung, dass Angus Stuart sich auf den Weg machte, Weihnachten in Redsands zu verbringen. Tatsächlich hätte es mehr als eines Schneefalls bedurft, um ihn in Verlegenheit zu bringen, denn er hatte seit Kurzem einen Zustand heiterer Zufriedenheit erlangt, der ihm in diesem Leben wahrscheinlich nie wieder vergönnt sein würde. Die Liebe wurde ihm womöglich noch zuteil, vielleicht auch Ruhm, aber nur einmal vermag ein Mann in der vollen Flut seiner Jugend und Kraft vom Erfolg zu kosten; nur einmal, nach einer Zeitspanne schmählicher Armut, vermag er zu verfolgen, wie sein Kontostand in nur wenigen Monaten in einem Maße anschwillt, von dem er nie zu träumen gewagt hätte; nur einmal - und ist man erst dreiundzwanzig, dürfte das wohl die größte Freude überhaupt sein - vermag er sich gegenüber missbilligenden Älteren zu beweisen.
Kein Wunder also, dass Stuart an jenem Morgen ein wenig entrückt war, als er trotz der unheilvollen Auflistung der unpassierbaren Straßen, die am Abend zuvor aus seinem (brandneuen) Lautsprecher gekommen war, ins Auto stieg, das erst seit einem Monat ihm gehörte, und sich auf den Weg zu dem teuersten Vergnügungs-Resort auf der Landkarte Englands machte. Ob es ihm gelingen sollte, es zu erreichen, oder nicht, war für ihn insgesamt nicht von Bedeutung. Vor weniger als einem Jahr hätte er seine Ausgaben bis auf den letzten Heller einteilen müssen, und jede Hürde auf seiner Fahrt, sofern dadurch zusätzliche Kosten einer Übernachtung anfielen, hätte seinen Weihnachtsurlaub entsprechend verkürzt. Jetzt indes machte er sich zum ersten Mal die Macht des Geldes bewusst. Er könnte absteigen, wo er nur wollte, ganz gleich, wie teuer das Hotel war, und selbst wenn er das Auto unterwegs zu Schrott fahren sollte, wäre er, finanziell gesehen, diesem Desaster gewachsen. Denn mit einer Plötzlichkeit, die ihm selbst jetzt noch den Atem verschlug, war er der Glücklichste aller Sterblichen geworden - der Autor eines Bestsellers.
Drei Jahre zuvor hatte er einen Job hingeworfen, der aller Wahrscheinlichkeit nach in eine geschäftliche Partnerschaft gemündet hätte - und das hatte er trotz der scharfen Missbilligung eines cholerisch veranlagten Vaters getan, trotz der Einwände einer Mutter, deren Fähigkeit, ihre Tränen einzusetzen, eine Waffe gewesen war, die sie bis dahin nie im Stich gelassen hatte, trotz der Einmischung zweier Tanten - die eine bedrückt, die andere beißend - und eines abscheulich ausgeglichenen und fähigen älteren Bruders. Nachdem er als Entschuldigung für diesen Akt schamloser Torheit und Undankbarkeit erklärt hatte, dass sein erster Roman bereits in den Händen eines Verlegers sei und dass er beabsichtige, ein Buchautor zu werden, hatte sich eine Szene abgespielt, die er nach wie vor vergebens zu vergessen suchte.
Sechs Stunden später war er in London, und nur zwanzig Pfund und die fraglichen Tantiemen eines noch nicht veröffentlichten Romans trennten ihn vom Hungertod. Zwei Jahre lang hatte er seinen Lebensunterhalt aus einer blanken Schale gekratzt, die er in seiner Unschuld einstmals unter dem Namen Kunst verherrlicht hatte; aber in den wenigen Stunden, die er eifrig der Routinearbeit abgezwackt hatte, die er nicht abzulehnen wagte, war es ihm gelungen, zwei weitere Romane hervorzubringen, und mit dem zweiten hatte sich sein Schicksal gewendet. Wie in einem Traum hatte er verfolgt, wie sich die Auflagen vervielfachten; er hatte die Filmrechte für eine Summe verkauft, die ihm damals unglaublich vorgekommen war; hatte mit Verlegern verhandelt, die ihm wenige Monate zuvor nur anhand der geringfügigen Abweichungen im Wortlaut ihrer gedruckten Ablehnungsbescheide bekannt gewesen waren; und schließlich, immer noch wie benommen von der Großartigkeit seines eigenen Erfolges, hatte er sich dabei ertappt, wie er bei der Premiere der Bühnenfassung seines Buches über das Rampenlicht hinweg dümmlich blinzelnd ins begeisterte Publikum blickte.
Und jetzt war er unterwegs nach Redsands, eine Unternehmung, bei der es sich, wie er sich bewusst machte, bloß um eine weitere Manifestierung jenes leichten Rauschs handelte, unter dem er seit Kurzem litt. Er hatte mit seinen Leuten nie gebrochen, obwohl er es während der mageren Jahre vermieden hatte, sie zu besuchen, und als seine Mutter ihm geschrieben und es als selbstverständlich betrachtet hatte, er werde das verspätete Angebot seines Vaters akzeptieren, Weihnachten doch zu Hause zu verbringen, vermochte er kaum ein Gefühl des Grolls zu unterbinden. Eitelkeit hatte nie zu seinen Unzulänglichkeiten gehört, aber er war Mensch genug, um zu spüren, dass die Einladung ein wenig zu rasch auf den Fersen seines Erfolges gefolgt war. Zweifellos handelte es sich um eine unbewusste Reaktion, die ihn dazu veranlasst hatte, sich für Redsands zu entscheiden - das neueste, exklusivste und teuerste Resort an der Küste - als Alternative zu dem gemästeten Kalb daheim. In seiner gegenwärtigen Hochstimmung nahm er nicht wahr, dass er von Natur aus schüchtern war und dazu neigte, sich in Gegenwart von Fremden unwohl zu fühlen. Und unter Fremden würde er sich gewiss wiederfinden, denn er hatte dort nicht nur keine Bekannten, sondern hatte sich auch zu keinem Zeitpunkt seines Lebens mit Leuten abgegeben, die solche Orte wie selbstverständlich aufsuchen.
Erst als seine Gedanken sich dem Mittagessen zuwendeten, ging ihm auf, dass er beinahe drei Stunden gebraucht hatte, um weniger als fünfzig Meilen zurückzulegen. Außerdem schneite es heftiger als zu dem Zeitpunkt, als er aufgebrochen war, und die Straßen wurden zunehmend schlechter. Schon eine Weile hatte sich das Fahren nicht nur als schwierig, sondern auch als gefährlich erwiesen, und zweimal hatte er nur knapp verhindert, mit dem Auto im Graben zu landen. Die Anstrengung und die Kälte hinterließen allmählich ihre Spuren bei ihm, und ihm wurde klar, dass die Straßen nahezu unpassierbar würden, falls der Schnee nicht bald aufhörte.
Inzwischen hatte er beschlossen, beim ersten ordentlichen Gasthof abzusteigen, als er zu der Anhöhe gelangte, die im Verlauf der nächsten Tage dazu bestimmt war, manch einem Wagen, der besser war als seiner, zum Verhängnis zu werden.
Seine Aufmerksamkeit wurde zunächst auf die kleine hilflose Gruppe gelenkt, die am Fuße der Anhöhe zum Stehen gekommen war. Drei der Autos hatten den Anstieg offensichtlich gescheut. Ein Lastwagen, der inzwischen im schneegefüllten Graben festsaß, hatte einen Versuch unternommen, und ein großer Rolls-Royce, der nun quer zur Straße stand, war einem ähnlichen Schicksal offenbar nur deshalb entkommen, weil er rückwärts in den Lieferwagen gefahren war. Eine äußerst betagte Person, einen Sack...
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