1. Kapitel
Doch unbehelligt erreichte er Wien. Kaum eingetroffen, zog es ihn in seinen Zeremonienkeller. Zwei Tage und zwei Nächte verblieb er dort. Erschütterungen ließen die Villa erbeben, Verwünschungen und Flüche drangen aus der Kammer hervor, schrille Schreie wehten durchs Haus. Grollendes Lachen mischte sich darunter.
Thekla wagte es nicht, ihren Gemahl zu stören. Sie kannte diese Zeiträume, in denen er ungestört sein wollte, sich ganz auf sich selbst und seine Beschwörungen konzentrierend. So wie es sich anhörte, beschwor er die verschiedensten Dämonen, vollzog mit ihnen Experiment um Experiment. Sie hoffte nur - wie jedes Mal -, dass er wusste, was er tat. Dass er am Ende mit einem Ergebnis herauskam. Und das Ergebnis nicht war, dass seine Körperteile zerquetscht an den Wänden klebten.
Am Morgen des dritten Tages verließ Michael die Kammer. Er war splitternackt, sein Körper von Dutzenden von Wunden übersät, die allesamt verschiedene Ursachen zu haben schienen: Manche sahen aus wie Brandverletzungen, andere, als hätten sich scharfe Zähne oder Krallen in sein Fleisch geschlagen. Wieder andere schienen von Messern zu stammen ...
Michael konnte nur noch kriechen. Thekla war sofort zur Stelle. Sie half ihm hoch und führte ihn ins Bett, wo er sofort in einen tiefen Schlaf fiel. Drei Tage und Nächte fieberte er. Selbst im Schlaf schrie er die Namen mächtiger Dämonen, rezitierte Zauber- und Bannflüche.
Thekla hatte sehr wohl den Ring bemerkt, den er seit seiner Ankunft trug. Sie vermutete, dass das seltsame Verhalten und auch das Fieber vielleicht damit zusammenhing. Doch als sie versuchte, ihm den Ring vom Finger zu ziehen, ließ er sich nicht einen Millimeter bewegen.
Am Nachmittag des vierten Tages schlug Michael Zamis die Augen auf. Das Fieber war verschwunden. Er fühlte sich wie neugeboren.
»Gut, dass du endlich erwachst«, stellte Thekla sachlich fest. »Skarabäus Toth verlangt dich zu sprechen.«
»So? Dann soll er gefälligst herkommen!«
»Es ist offiziell. Ich kann mir denken, um was es geht.«
»Warum bist du dann nicht seiner Einladung gefolgt, wenn du schon alles weißt? Ich habe Wichtigeres zu tun, als mit dem Schiedsrichter der Schwarzen Familie ein Plauderstündchen abzuhalten ...!«
»Hängt dein wichtiges Gehabe mit dem Ring zusammen?«
Unwillkürlich zuckte die Hand, die den Ring trug, und instinktiv versuchte er ihn zu verbergen. Doch Thekla hatte ihn durchschaut: »Deswegen warst du also in Temeschburg.«
»Wenn du es genau wissen willst: ja! Der Ring versetzt mich in die Lage, endlich dieses Starys-Geschmeiß loszuwerden! Sie haben sich schon viel zu viel erlaubt!«
Er redete sich in Zorn.
»Genau um die Starys wird es gehen«, sagte Thekla unbeeindruckt. »Eine offizielle Einladung in diesen Zeiten kann nur eines bedeuten ...«
»Eine Kriegserklärung! Wir erklären hiermit den Zamis offiziell den Krieg!«, bekräftigte Vladimír Stary.
Er wirkte mit seinen fein gemeißelten Gesichtszügen, den pechschwarzen, nach hinten gegelten Haaren und dem beeindruckenden Schnauzbart wie ein Aristokrat alter Schule. Zudem bevorzugte er bei offiziellen Anlässen wie der Unterredung mit dem Schiedsrichter eine weiße ordengeschmückte Fantasie-Uniform zu tragen. Die Quasten zu beiden Seiten der Jacke ließen seine Schultern noch breiter erscheinen. Die glänzenden Lackstiefel reichten bis zu den Knien und trugen Sporen, obwohl er mit dem Automobil gekommen war und man ihn noch nie auf einem Pferd gesehen hatte.
Michael Zamis betrachte seinen Kontrahenten spöttisch: »Wollen Sie den Dragoner spielen und mit der Kavallerie in die Villa Zamis einreiten?«
»Bitte! Keinen Streit, meine Herren!«, unterbrach Skarabäus Toth das sich anbahnende Geplänkel. »Ich bin Oberst Starys Bitte gefolgt und habe einen entsprechenden Vertrag aufgesetzt. Als Oberhaupt ist er berechtigt, seine Familie in allen Angelegenheiten zu vertreten ...«
»Oberst!«, ätzte Michael. »Dass ich nicht lache! Der Krieg ist längst vorbei!«
»Im Gegensatz zu Ihnen habe ich in der Wehrmacht die Interessen der Schwarzen Familie mit allen meinen Kräften vertreten!«
»Unter den Folgen leiden wir noch heute! Auch wir Dämonen!«
»Bitte, meine Herren!«
Skarabäus, der ihnen gegenüber auf einem hohen Stuhl thronte und auf sie hinabblickte, schob jedem ein Dokument hin.
»Die Bedingungen lauten, dass alle Waffen und Mittel erlaubt sind, um dem jeweiligen Gegner zu schaden, ihn zu verletzen und zu eliminieren. Der Zeitraum der Kamphandlungen wird zunächst auf eine Woche angesetzt. Sollte bis dahin kein Sieger feststehen, treffen wir uns an dieser Stelle zu weiteren Verhandlungen. Falls eine der Parteien vorher kapituliert, so hat sie sich mitsamt der gesamten Sippe dem Gegner zu unterwerfen oder Wien innerhalb eines Tages zu verlassen. Das Vermögen, die Besitztümer als auch sämtliche Ämter werden dem Sieger zugesprochen.«
Michael Zamis hatte beide Verträge unterschrieben, ohne einen Blick darauf zu werfen,.
Vladimír Stary ließ sich etwas länger Zeit, indem er zumindest die wichtigsten Paragraphen überflog. Die Selbstsicherheit seines Gegners irritierte ihn sichtlich.
Skarabäus Toth nahm die beiden Verträge entgegen, trocknete das Blut, mit dem beide unterzeichnet hatten, sorgfältig mit einem Löschroller und legte die Papiere in seine Schreibtischschublade, die er anschließend mit einer magischen Geste verschloss.
»Und damit, meine Herren, ist der Krieg zwischen Ihrer beider Sippen besiegelt. Möge der Raffiniertere, Durchtriebenere und Erbarmungsloseste gewinnen!«
Er war im Begriff aufzustehen, um sie beide zu verabschieden, aber Michael Zamis hielt ihn mit einer Geste zurück. »Sollten wir ein solch erfreuliches Ereignis nicht begießen? Ich kann es, muss ich gestehen, kaum erwarten, den Starys die dürren Hälse umzudrehen!«
»Ich trinke nicht mit Ihnen!«, sagte Vladimír Stary mit kalter Stimme.
»Seien Sie kein Spielverderber, Vladimír. Wir werden nie wieder so einträchtig wie jetzt zusammensitzen ...«
»Herr Zamis hat recht«, bekräftigte Toth, der eigentlich als Geizhals und schlechter Gastgeber bekannt war. Aus einer der unteren Schubladen seines gewaltigen Schreibtisches zog er eine bauchige Flasche hervor. »Ich habe hier einen besonderen Blutstropfen, vermengt mit Kadaverschweiß und Opfertränen. Er ist aus dem Blut des Führers gebrannt!«
Vladimír Starys Augen leuchteten auf. »Wenn das so ist, lasse ich mich nicht zweimal bitten!«
Toth holte auch noch drei winzige Schnapsgläser hervor, die eher an Fingerhüte erinnerten.
Mit Bedacht tröpfelte er sein wertvolles Getränk in jedes Glas hinein.
Michael nahm das erste Glas entgegen und reichte es an seinen Herausforderer weiter. Dann erst ergriff er seins. Toth hielt sein Glas in die Höhe und sagte einen Toast: »Möge der Krieg beginnen!«
Der Tropfen war so winzig, dass sie ihn in einem hinunterschluckten.
Michael erhob sich. Weder Toth noch seinen Gegner würdigte er auch nur eines Blickes, als er mit hocherhobenem Kopf zur Tür schritt und grußlos das Büro verließ.
Er hoffte nur, dass sie seinen triumphierenden Blick nicht mitbekamen. Es hatte geklappt! Mit einer blitzschnellen Bewegung, die selbst ein Dämonenauge nicht nachverfolgen konnte, hatte er Starys Trunk mit dem Hauch des Giftatmers benetzt.
Alles andere würde sich ergeben ...
Kaum hatte auch Vladimír Stary Toths Büro verlassen, spürte er eine nie gekannte Übelkeit. Dennoch riss er sich zusammen. Was würde er für eine lächerliche Figur abgeben, wenn er sich im Vorzimmer des Schiedsrichters erbrach! Noch dazu unter den Augen seiner Sekretärin.
Er eilte hinaus auf die Straße. Dort konnte er sich bereits kaum mehr auf den Beinen halten. Schweiß brach ihm aus allen Poren. Er taumelte zu seinem Horch, vorbei an seinem dämonisierten Chauffeur, der ihm die Tür aufhielt, und ließ sich auf den Rücksitz sacken. Die Fahrt zu seinem Domizil überlebte er kaum. Mehrmals erbrach er sich. Als er schließlich die Pforte seines Anwesens öffnete und ihm seine Frau Constanze entgegenkam, fiel er vor ihre Füße.
»Hilf - mir!«, stammelte er, während ein Blutschwall aus seinem Mund hervorquoll. »Du - musst ...«
Der Rest seiner Worte ging in ein Keuchen über, während weitere Blutfontänen aus seinem Rachen spitzten.
Constanze kreischte auf, als sie die schwarzen eitrigen Beulen sah, die vor ihren Augen wie Pilze auf dem Gesicht und den Händen ihres Gatten emporwuchsen, wucherten, sich aufbähten und platzten.
Schreiend lief sie an ihm vorbei und flüchtete aus dem Haus. Ihr war so übel, dass sie sich noch im Laufen erbrach. Dann spürte sie den Juckreiz.
Ihr ganzer Körper war plötzlich von eitrigen Pusteln bedeckt, die rasch an Größe gewannen ...
Insgesamt raffte die magische...