Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Schwerer als jemals zuvor spürte Emma Lou die Bürde ihrer tiefschwarz glänzenden Haut, spürte wieder den Fluch dieser Farbvariante, die sie so deutlich von den Menschen ihrer Umgebung unterschied. Nicht dass es ihr grundsätzlich etwas ausmachte, eine Schwarze zu sein, was natürlicherweise eine dunkle Hautfarbe mit sich brachte, aber es machte ihr etwas aus, viel zu schwarz zu sein.
Sie konnte nicht einsehen, warum ausgerechnet ihr das passieren musste. Warum nur hatten ihre Erzeuger sie in dieses grausame Indigoschwarz getaucht, wo die Natur doch eine reiche Palette an weitaus erfreulicheren Tönen bereithielt? Rein genetisch hatte durchaus keine zwingende Notwendigkeit bestanden; ihre Mutter war sehr hellhäutig, so wie auch ihre Großmutter, ihr Onkel und dessen Sohn - aber keiner von ihnen hatte einen derart dunklen Vater. Warum nur hatte ihre Mutter einen tiefschwarzen Mann heiraten müssen? Es hätten doch sicher einige Kandidaten mit brauner Hautfarbe zur Auswahl gestanden! Emma Lou wünschte sich nicht gerade einen Vater mit hellgelbem Teint, aber um ihretwillen hätte sich doch sicherlich ein annehmbarer Kompromiss finden lassen!
Sie war bei Weitem nicht die Einzige, die über ihre Dunkelhäutigkeit klagte. Dieses Lamentieren und Jammern über ihre Hautfarbe gehörte zum endlosen Drama in ihrer Familie. Alles nur Erdenkliche war schon veranstaltet, jedes Mittel angewandt worden, um diesen unglücklichen Umstand zu verbessern, aber ihre Haut trotzte jeder Marterung: ob Bleichsalbe oder Schälkur, sie blieb schwarz - tiefschwarz -, wie die Natur es vorgesehen und eingerichtet hatte. Wäre sie ein Junge gewesen, dann würde die Hautfarbe nicht so sehr ins Gewicht fallen. Sagte ihre Mutter nicht immer, dass ein tiefschwarzer Junge im Leben noch recht gut zurechtkommen konnte, dass es für ein solches Mädchen jedoch nichts als Kummer und Enttäuschung gab?
Aber sie war nun einmal kein Junge, sie war ein Mädchen, und somit spielte ihre Hautfarbe eine wichtige Rolle, eine so große Rolle, dass sie lieber darauf verzichtet hätte, ihr Abschlusszeugnis persönlich entgegenzunehmen, als jetzt hier auf der Bühne der Boise Highschool zu sitzen - eine Person, die unübersehbar aus dem Rahmen fiel!
Warum bloß hatte sie nicht protestiert, als sie in die Mitte der ersten Reihe gesetzt wurde, und warum bloß musste die Abschlussklasse immer weiß gekleidet erscheinen! Inmitten ihrer bleichhäutigen Mitschüler fühlte sie sich wie die Figur in der Karikatur, die bei ihrem Onkel Joe im Schlafzimmer hing, eine schwarze Wäscherin mit krausem Haar und roten Lippen, die zwischen ihren strahlend weißen Bettlaken aussah wie eine Fliege auf der Milch.
Natürlich hätte sie nichts Blaues oder Schwarzes anziehen dürfen, wenn weiß vorgeschrieben war, obwohl es ihr gar nicht stand. Es war ohnehin gleichgültig, was sie trug - sie stach ins Auge, nicht nur weil sie in diesem Moment als einzige Schwarze auf der Bühne saß, sondern weil sie schon während der gesamten letzten vier Jahre die einzige schwarze Schülerin auf der ganzen Schule gewesen war. Gott sei Dank, der Direktor war gleich fertig mit seiner eintönigen Abschiedsrede, dann würden sie und ihre Klassenkameraden aufgerufen werden, würden einzeln zur Mitte der Bühne vortreten und ihre Zeugnisse in Empfang nehmen, und dann war die feierliche Entlassung aus dem öffentlichen Schulwesen überstanden.
Während sie über all das nachsann, ließ Emma Lou ihren Blick nach links und rechts schweifen. Einerseits beneidete sie ihre Mitschüler und Mitschülerinnen um deren offensichtliche Hochstimmung. Und zugleich fühlte sie sich seltsam distanziert und dieser Menge mit ihrer flüchtigen Ergriffenheit fast ein wenig überlegen. Das Abschlusszeugnis - wie großartig! Aber was bedeutete es schon? College? Vielleicht. Eine Anstellung? Vielleicht auch das. Ja, sie würde einen Schulabschluss in den Händen halten, aber für sie hatte er keinerlei maßgebliche Auswirkung. Er half nicht gegen die Tragik ihres Lebens, zu schwarz zu sein. Ihr künftiges Erkennungsmerkmal in der Gesellschaft bestand in ihrem Aussehen, nicht in einer dünnen Pergamentrolle mit Band. Das Abschlusszeugnis - wie wunderbar! Was sie brauchte, war ein wirksames Bleichmittel, eine magische Creme, die ihr die unerwünschte schwarze Maske vom Gesicht nahm und es den anderen anglich.
»Emma Lou Morgan.«
Mit einem Ruck wurde ihr wieder bewusst, wo sie war. Der Direktor hatte ihren Namen aufgerufen, er schaute wohlwollend von seinem Rednerpult auf sie herab. Jemand, es musste ihr Cousin Buddie sein, dieser Dummkopf, applaudierte, provozierend schwach. Jemand anderes kicherte.
Der Direktor rief sie erneut auf, seine Stimme etwas schärfer, sein Lächeln weniger wohlwollend. Das Mädchen zu ihrer Linken stieß sie an. Es half nichts, sie musste den sicheren Platz verlassen, musste nach vorn schreiten und ihr Zeugnis entgegennehmen. Aber warum starrten die Leute aus dem Zuschauerraum sie nur so an? Wussten sie etwa nicht, dass Emma Lou Morgan die einzige schwarze Schülerin der Boise Highschool war? Wussten sie etwa nicht . ach, sei's drum! Sie musste sich jetzt dieses Zeugnis holen. Also begab sie sich, so gelassen sie nur konnte, zur Mitte der Bühne, jeden Muskel ihrer schlanken Glieder angespannt, streckte gemessen ihren schwarz glänzenden Arm aus, um das dargebotene Dokument entgegenzunehmen, machte eine kühle Dankesverbeugung und kehrte mit steif an den Körper gelegten Armen an ihren Platz zurück, indem sie die weiße Linie der ersten Reihe anmaßend unterbrach und deren blasse, reine Einheitlichkeit wieder durch ihre dunkle, fremdländische Andersartigkeit infrage stellte.
Emma Lou wurde hineingeboren in eine halbweiße Welt, die umgeben war von einer ausschließlich weißen; die vereinzelten, dunklen Individuen, die dort eindrangen, wurden entweder verscheucht oder verspottet. Für die Menschen ihres unmittelbaren Umfelds war es selbstverständlich, sich über jede schwarze Person lustig zu machen, jeden schwarzen Gegenstand zu verunglimpfen. Ein schwarzer Kater war der Unglücksbote, der Trauerflor war schwarz, und schwarze Menschen waren bestenfalls die typischen Darkys* in Varieté-Nummern oder eben die bösen Schwarzen mit giftig-dunklem Zahnfleisch. Es schien so, als ob die Leute um sie herum nur ein emotionales Entweder-Oder kannten, wenn es um die Beurteilung von Schwarz ging: Sie reagierten entweder mit schallendem Gelächter oder mit Tränen, Kummer und Gram, aber niemals konnte der, die oder das Schwarze ein bloßes Lächeln oder bloße Melancholie hervorrufen.
Emma Lou war all das mit den Jahren immer deutlicher bewusst geworden, aber ihr jugendlicher Verstand hatte keine einleuchtende Begründung gefunden. Vielleicht lag es an ihrem Vater, »dem alten, schwarzen Jim Morgan«, wie er genannt wurde, und Emma Lou hatte sich oft gefragt, warum er als Einziger bei Familiengesprächen immer so tituliert wurde, gerade so, als reiche allein seine Hautfarbe schon aus, ihm jeglichen Respekt zu versagen. Sie hatte sich mit der Zeit auch gefragt, ob die Tatsache, dass er schwarz war, dazu geführt hatte, dass er nie wieder auftauchte, wenigstens soweit sie wusste. Die Antworten auf ihre Nachfragen verliefen sich stets in einem Dickicht aus unbefriedigenden Andeutungen: »Dein Vater ist ein Tunichtgut«, »Er hat deine Mutter kurz nach deiner Geburt verlassen.« Und diese Auskünfte wurden immer einleitend oder abschließend begleitet von »dieser dreckige, schwarze Nichtsnutz« oder »Verflucht sei dieser dahergelaufene schwarze Typ!« Es gab tatsächlich nur ein Familienmitglied, das ihren Vater nicht verunglimpfte, und das war Onkel Joe; er war es auch, dem sie sich wirklich nahe fühlte, weil er der Einzige war, dem ihre Hautfarbe nichts auszumachen schien, der sie niemals bedauerte, sich darüber lustig machte oder in Klagen ausbrach. Das ganze Lamento ging von ihrer Großmutter aus, das Bedauern von ihrer Mutter und den Spott übernahm stets ihr Cousin Buddie, zusammen mit all den anderen Spielgefährten, egal ob weiß oder schwarz.
Emma Lous Großeltern mütterlicherseits, Samuel und Maria Lightfoot, waren beide hellhäutige Nachkommen von weißen Plantagenbesitzern, die diese mit ihren schwarzen Sklavinnen in außerehelichen Verhältnissen gezeugt hatten. Sie waren beide selbst keine Sklaven gewesen, denn aufgrund ihrer halbweißen Abstammung war bereits ihren Eltern die Freiheit geschenkt worden. Sie waren als Freigelassene nach Kansas ausgewandert, und als ihre Kinder heranwuchsen, waren diese ihrerseits später dem »Westward-ho«-Ruf der Zeit gefolgt und hatten sich schließlich in Boise, Idaho, niedergelassen.
Wie viele andere ihresgleichen und deren Vorfahren waren Samuel und Maria nur von einem einzigen Wunsch und Gedanken beseelt gewesen, der jede ihrer Aktivitäten antrieb: Sie wollten zwischen sich und der alten Heimat ihrer Eltern so viel räumliche und mentale...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.