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Von Moskau nach Berlin - Michael Thumanns melancholische Reise durch Russland, Polen und das BaltikumMichael Thumann legt nach seinem SPIEGEL-Bestseller «Revanche» einen sehr persönlichen Reisebericht vor, in dem er die erneute Teilung Europas mit eigenen Augen erkundet. Er beschreibt in eindringlichen Reportagen und Augenzeugenberichten seinen Weg aus Moskau heraus über die schwer bewachten Außengrenzen Russlands, erst nach Osten Richtung Zentralasien, dann nach Westen über die baltischen Staaten und Polen nach Deutschland: von Moskau nach Berlin, mitten durch den neuen Eisernen Vorhang hindurch.Thumann nimmt uns mit zu endlosen Befragungen an Grenzübergängen, er besucht russische Flüchtlinge in den Nachbarstaaten, er kommt auf seinem Weg von Ost nach West mit Menschen aus ganz Osteuropa zusammen und schildert ihre Ängste vor Russlands Revanchismus und Kriegslust. Oder ihre vorauseilende Unterwerfung angesichts von Putins unaufhörlichem Expansionsdrang. Thumann blickt dabei auch auf die eigene Familiengeschichte, den Mauerfall und seine zerplatzten Träume in der Putin-Ära zurück. Er spürt den Gründen für das prekäre deutsch-russische Verhältnis in der Geschichte und Gegenwart nach. Thumanns Buch ist ein mitreißendes zeitgeschichtliches Zeugnis von der Suche nach einer Sicherheit, die wir alle verloren haben.
"Beleuchtet die Absichten Putins im Krieg gegen die Ukraine"ARD tagesschau24, Ulrich Timm"Kennt das Land seit Jahrzehnten . schildert die Abriegelung der Grenzen, die Rückkehr des Eisernen Vorhangs."ARD ttt, Petra Böhm"Ein wirklich brillantes Buch, in dem er das neue Russland beschreibt ... sogar die Russen selbst, so schreibt er, schweigen sich an. Was macht das mit einer Gesellschaft?"ZDF Markus Lanz, Markus Lanz"mehr als ein außenpolitischer Bericht, mehr als ein Stück Zeitdiagnostik. Es ist ein Abschied, ein persönlicher und politischer zugleich - vom alten Russland, vom Glauben an Verständigung, von einem Europa, das einst zusammenwachsen sollte."Frankfurter Rundschau, Michael Hesse
Anleger am Kurischen Haff nahe der Grenze zwischen Litauen und Russland
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Wie so oft auf dem Weg nach Russland habe ich Gegenwind. Das Leihfahrrad ist einfach gebaut und hat nur zwei Gänge. Ich muss kräftig treten und bin froh, dass die Straße auf der Kurischen Nehrung hier vergleichsweise flach ist. Auf dem Weg vom litauischen Seebad Nidden (litauisch: Nida) zur russischen Grenze spule ich die Kilometer herunter. Diese Strecke durch den dichten Wald war einmal die spektakulärste Art, um nach Russland einzureisen. Entlang der legendären Kurischen Nehrung, die bis ins 20. Jahrhundert preußisch war und die sich heute Litauen und Russland teilen. Die Kiefern links und rechts wachsen schief in den bedeckten Ostseehimmel, vom nie ermüdenden Wind gleichmäßig Richtung Osten gekämmt. In der späten Sowjetzeit war ich hier einmal in einem sehr lauten Reisebus durchgefahren. Jetzt bin ich möglichst still unterwegs, ich fahre nicht ganz gesetzeskonform in einem Sperrgebiet auf litauischer Seite. Ich lasse die Autos hinter mir, die bereits drei Kilometer vor der Grenze umdrehen oder parken müssen. Ich überhole die Fußgänger, die noch ein paar hundert Meter weitertrotten, aber dann ist auch für sie Schluss, und sie müssen durch den Wald nach rechts zum Ostseestrand abbiegen. Nur ich bin den Sicherheitskräften auf meinem schlanken Leihrad durchgerutscht. Ich bremse ab, weil auf der Straße immer mehr Kiefernzapfen liegen. Hier wird nur noch selten gereinigt. Schilder am Straßenrand warnen: «Vorsicht! Sperrgebiet!», «Vorsicht! Lebensgefahr!» und: «Vorsicht, Elche!» Dahinter steigt die gigantische weiße Düne an, deren «Eindruck des Elementarischen» Thomas Mann an die Wüsten Nordafrikas erinnerte. Von seinem Sommerhaus in Nidden machte er Ende der 1920er Jahre gern Spaziergänge zu diesem mächtigen Sandgebirge. Heute markiert die Nehrung die schönste und härteste Außengrenze der Europäischen Union. Hier Litauen, da Russland, die Grenze fest geschlossen: keine Berührung, kein Austausch, kein Winken ist mehr möglich. Ein blaues Schild informiert, dass es nach Karaliaucius nur noch 86 Kilometer sind. Darunter steht der russische Name: Kaliningrad. Von Königsberg spricht hier niemand mehr.
Unmittelbar vor dem Grenzübergang sind rechts vor einem grauen Metallzaun grüne Mülleimer angebracht, davor stehen zwei Müllcontainer. Offenbar gibt es hier viel wegzuwerfen. Ein Schild fordert die Autofahrer auf, die Kennzeichen ihrer Autos zu reinigen. Sonst kann die automatische Erkennungsanlage sie nicht erfassen. Der Grenzübergang ist sehr modern. Auf fünf Fahrspuren verbreitert, mit Glasdach und viel Verkehrsleittechnik ausgestattet für die schnelle Durchfahrt. Ein Relikt aus einer verschütteten Zeit des grenzenlosen Optimismus, als Europa dachte, es wüchse zusammen und Russland könne wie selbstverständlich dazugehören. Als viele Europäer hofften, dass Russland und vielleicht sogar die Welt wie Europa allmählich frei und demokratisch werden würden. Die Schlagbäume vor mir sind fest geschlossen, die Ampelanlage steht auf Dauerrot. Ich kann keinen Menschen entdecken, der Übergang wirkt wie verwaist. Eine menschenleere Grenze, denke ich mir, sagt alles über die Sprachlosigkeit, die zwischen Europa und Russland wie eine unüberwindliche Mauer steht. Aber man nimmt mich wahr, denn Kameras gibt es genug. Ganz still werde ich von allen Seiten gefilmt. Hier an dieser Grenzstation ist auch für mich Schluss. Ich kehre um und sehe vor mir das Straßenschild: «Nida - vier Kilometer». Jetzt habe ich Rückenwind.
Als Eisernen Vorhang bezeichneten die Europäer die Grenze zwischen Ost und West im Kalten Krieg von 1946 bis 1989. Den Begriff hatte Winston Churchill geprägt. Der britische Premierminister hatte im März 1946 die radikale Teilung Europas in einer Rede in Fulton im US-Bundesstaat Missouri vorausgesagt. «Von Stettin an der Ostsee bis hinunter nach Triest an der Adria zieht sich ein über den Kontinent.» Mit Russlands vollumfänglichem Überfall auf die Ukraine 2022 und Putins hybridem Krieg gegen die EU hat sich ein neuer Vorhang über Europa gesenkt. Nur dass er diesmal weiter östlich fällt, vom Polarkreis in Norwegen entlang der Ostgrenzen von Finnland, der baltischen Staaten, Polens, mitten durch die Ukraine und weiter bis an die Küsten Rumäniens und Bulgariens. Die Ukraine ist von der russischen Armee in Stücke zerrissen. Die Länder der Europäischen Union haben seit 2022 Visabeschränkungen und Reisesanktionen gegen die russischen Eliten verhängt, die den Krieg gegen die Ukraine, Verbrechen, Vertreibungen, Morde, Kindesentführungen und Besetzung organisieren. Die russische Regierung nimmt vielen ihrer eigenen Bürger Pässe und Ausreiseerlaubnisse weg, verrammelt die Grenzen und erteilt nur noch sehr selektiv Visa für EU-Bürger. Russland, das lange Zeit Teil von Europa sein wollte, schottet sich von Europa ab.
Europas Teilung - das ist das Thema dieses Buches. Für einen Boomer wie mich, der mit der scharfen Trennung des Kontinents in zwei Teile aufgewachsen ist, der sich 1989 als Student an der Sprengung der Mauer und der Fusion der Einzelteile Europas erfreute, der dreißig Jahre lang lächelnd diesem Urknall des Optimismus und Humanismus nachhorchte, der von der Vereinigung ganz Europas als Mensch und als Journalist profitierte, der nicht mehr aufhörte, zwischen dem Westen und Osten zu reisen und hier wie dort zu wohnen - für mich ist diese neue Teilung eine Niederlage, ein Bruch, eine unerträgliche Regression Europas und meines beruflichen wie persönlichen Lebens zurück in einen Zustand, den ich für unwiderruflich überwunden hielt.
Die Teilung hat viele Gründe, aber der Hauptschuldige an dieser Spaltung heißt Wladimir Putin. Der russische Herrscher versucht schon lange, sein Land gegen den Westen zu verriegeln. Im Jahr 2012 ließ er das Gesetz gegen die sogenannten «ausländischen Agenten» einführen. Über ein Jahrzehnt ließ er dieses Gesetz mit immer neuen Zusätzen zu einem scharfen Schwert gegen Journalisten, Stiftungen und die ganze Zivilgesellschaft schärfen. In einem weiteren Gesetz über «unerwünschte Organisationen» ließ er 2015 nichtstaatliche Verbände und Vereine verfolgen. Mit diesem Instrument konnten seine Vollstrecker vor allem europäische, westliche Organisationen bekämpfen, die in Russland arbeiteten. Wladimir Putin und seine Propagandisten hetzen gegen Europa, sie haben den Kontinent zu Russlands größtem Feind stilisiert. Doch ist es genau umgekehrt. Mit den Überfällen auf die Ukraine 2014 und 2022 ist Wladimir Putin zu Europas größtem Feind geworden. Russlands Kriege bedrohen die Existenz der Ukraine und den Frieden in ganz Europa. Für ihn ist der Krieg ein willkommener Anlass, Russland zu verbarrikadieren: als abgeschlossener Informationsraum, als abgeriegelter Halbkontinent, als Raum frei von westlichen Gedanken und Entwicklungen. Dem dienen das Verbot von nicht autorisierten Publikationen und die Blockade nichtrussischer Apps und Netzseiten. Russland soll keinen Einflüssen unterliegen als dem Einfluss des Herrschers höchstselbst. Der erste Leitgedanke dieses Buches ist: Der neue Eiserne Vorhang passt perfekt in Putins Weltbild, er vollendet einen Zustand, an dem er schon lange gearbeitet hat.
Putin hat Russland von Europa entfernt wie kein russischer Führer vor ihm, das ist mein zweiter Kerngedanke. Putin bringt sein Land in Abhängigkeit von China, er schmiedet Militärbündnisse mit Nordkorea und Iran, er forciert Russlands Orientierung nach Osten. Damit betritt er historisches Neuland. In der Vergangenheit lag Russland oft mit anderen europäischen Staaten im Clinch oder im Krieg. Aber es hatte immer Verbündete in Europa, es wollte stets Teil des Kontinents sein. Zar Peter I. kämpfte gegen Schweden, aber zog im Nordischen Krieg von 1700 bis 1721 Dänemark mit Norwegen und Sachsen samt Polen auf seine Seite. Alexander I. kämpfte bis 1815 gegen Napoleon und hatte sich zeitweise mit England, Österreich und Preußen gegen Frankreich verbündet. Nikolaus II. führte 1914 Krieg gegen Deutschland, Seite an Seite mit Frankreich und England. Stalin verteidigte sich in der Anti-Hitler-Koalition mit Großbritannien und den USA gegen Deutschlands Angriff. Und die Sowjetunion...
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