Schweitzer Fachinformationen
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1.
Das riesige Cabrio schaukelte gemächlich unter dem texanischen Himmel dahin, der an diesem Nachmittag Ende August hier im äußersten Westen ein blasses, vom Wind leer gefegtes Blau angenommen hatte. Es kroch auf den Horizont zu wie ein großer schwarzer Käfer in einer umgestülpten Glasschüssel, während seine Federung die beiden Insassen - eine Prostituierte und einen Deputy Sheriff - immer wieder kurz aneinanderdrückte.
Der Wind blies beinahe gleichmäßig, was man nur bemerkte, wenn er zwischenzeitlich nachließ. Die spärlichen Halme des sonnenversengten Johnson-Grases neigten sich unter seiner Kraft fast flach auf die Erde, und die hoch aufragenden Kakteen, die baumhohen Palmlilien bogen sich wachsam aus seiner Bahn. Der Wind schien es darauf anzulegen, rastlos alles vor sich herzufegen, bis die Verwüstung komplett war.
In den vergangenen zwei Stunden, seit sie die Stadt Big Sands verlassen hatten, hatte die Frau sich immer wieder in ihrem Sitz umgewandt, um den Mann anzuschauen; voller Hoffnung zuerst, dann mit einer Art enttäuschter Verwirrung und schließlich mit vor Zorn lodernden Augen, in verblüffter, schmallippiger Wut. Auch jetzt drehte sie sich wieder abrupt zu ihm, starrte ihn an und zog ihren Rock die Schenkel hoch, während ihre Brüste aufgebracht gegen ihre Bluse pochten.
Der Mann schien nichts davon zu bemerken. Tatsächlich spähte er mit zusammengekniffenen Augen nach links, wo er unter einer Ansammlung kleinerer Kleckse den turmartigen Fleck auszumachen suchte, der, wären sie fünfzehn Kilometer näher dran gewesen, sich als der von Ausrüstung umgebene Bohrturm einer Probebohrung erwiesen hätte.
»Tom .«, sagte die Frau. »Tom.«
Der Mann entdeckte endlich, wonach er suchte. Die Frau nicht. Sie war relativ neu in der Gegend, auch nach drei Jahren noch fast eine Fremde. Und Fremde waren hier an Hunger und Durst zugrunde gegangen, an Hitze oder Kälte, weil sie die scheinbare Leere als gegeben hinnahmen und nicht sehen konnten, was andere sahen.
So waren sie vor vierhundert Jahren gestorben, und so würden sie auch in tausend Jahren noch sterben. Denn das Land änderte sich nicht, besaß einfach nicht die nötigen Ingredienzien, sich zu verändern. Der Mensch mochte es kurzzeitig formen, doch stets verwandelte es sich wieder in das zurück, was es war.
»Tom. Tom Lord.«
»Ja, Joyce?«
Deputy Sheriff Tom Lord wandte sich vom Anblick der Landschaft ab und lächelte anerkennend, als er den hochgeschobenen Rock bemerkte und das, was sich darunter abzeichnete.
»Willst du ein Foto von mir machen? Soll ich schön lächeln?«
»Hör auf! Du weißt, was ich will!«
»Hmmm, mal sehen«, sinnierte Lord und setzte dann ein übertriebenes Grinsen auf. »Aber klar doch. Hätte ich gleich draufkommen müssen. Na, dann hüpf schon mal auf den Rücksitz und mach dich bereit .«
Er brach abrupt ab, weil Joyce Lakewood nach ihm schlug. Sie schlug einmal, zweimal, hämmerte dann auf ihn ein, kratzte und ohrfeigte ihn. Sein Hut, ein Sechzig-Dollar-Stetson, fiel hinter den Sitz. Fast riss seine adrett gebundene schwarze Schleife ab. Ohne vom Gas zu gehen, duckte er sich und versuchte, ihren Schlägen auszuweichen, blockte sie mit erhobenem Arm und lachte so schallend, so ansteckend, dass die Frau neben ihm schließlich einfiel. Allerdings eher unfreiwillig und nicht ohne eine Spur Bitterkeit.
»Ach, Tom«, sagte sie. »Was soll ich nur mit dir anstellen.«
»Na, komm schon, bis jetzt hast du doch alles ganz gut gemacht«, sagte Lord. »Ich wüsste wirklich nicht, worüber ich mich beklagen sollte. Und das ist eine Tatsache.«
»Aber was ist mit mir? Warum schleppst du mich heute hier raus?«
»Du hast doch immer gesagt, wir müssten uns mal gründlich unterhalten«, erinnerte sie der Deputy. »Ich weiß schon gar nicht mehr, wie oft du das gesagt hast. Da dachte ich, wir suchen uns ein ruhiges Plätzchen, wo uns keiner stört.«
»Bei mir hätte uns auch keiner gestört.«
»Tjaaa, vielleicht«, erwiderte Lord und zog die Vokale seines ohnehin schon gedehnten Westtexas-Singsangs noch mehr in die Länge. »Aber ich schätz mal, da hätten wir nicht viel geredet. Da scheint's immer interessantere Dinge zu geben, als sich zu unterhalten.«
Er zwinkerte ihr durchtrieben zu, langte hinter den Sitz und schnappte sich seinen Hut. Joyce wurde rot, eine Mischung aus Wut und Scham stieg in ihr auf.
Sie war Geschmacklosigkeiten gewöhnt, auch Anzüglichkeiten bis hin zu den dreckigsten Sprüchen. Schon mit vierzehn hatte sie sich damit anfreunden müssen, und inzwischen war sie dreißig. Dennoch war sie bei diesem Mann des Öfteren - und in letzter Zeit sogar sehr, sehr oft - bei der kleinsten Anspielung rot geworden, hatte sich von einer Ausdrucksweise beschmutzt und beleidigt gefühlt, die ihr, wäre sie von einem anderen Mann gekommen - von irgendeinem der unzähligen Männer vor ihm -, fast schon gesittet erschienen wäre.
Aber sie wusste nicht, wie sie sich dagegen verwahren sollte, wie sie ihm erklären sollte, dass sie sich, auch wenn sie war, was sie war, dagegen verwahrte. Deshalb blieb ihr für den Moment nichts anderes übrig, als ihre Gefühle auszublenden und zurückzuschlagen. Auch wenn ihr das keine Befriedigung verschaffte, sondern nur noch schmerzhafter auf sie zurückfiel. Sie musste es einfach tun.
»Warum redest du so einen schlüpfrigen Scheiß?«, bellte sie. »Du bist doch kein Trottel! Du bist der wahrscheinlich bestgebildete Mann im County, praktisch ein Absolvent der medizinischen Fakultät, aber klingen tust du wie ein Idiot in einem drittklassigen Film!«
Lord zog seine sanft geschwungenen Augenbrauen in die Höhe.
»Du meinst also, das passt nicht zu mir?«
»Natürlich passt es nicht zu dir! Ein Mann, der deine Privilegien hatte .«
»Nun mach aber mal halblang, Schätzchen«, unterbrach Lord sie und zog dabei wieder die Vokale in die Länge. »Umgekehrt wird 'n Schuh draus.«
»Was . was meinst du damit?«
»Ich meine, ich bin 'ne große Nummer und rede wie ein Niemand, dabei bist du ein Niemand und redest, als seist du 'ne große Nummer, verstehst du?«
Er lächelte sie an, lächelte mit den Lippen, entblößte sogar seine strahlend weißen Zähne, seine dunklen Augen aber blieben kalt und humorlos. »Ich meine, solange du dich im Griff hast, kannst du fast jeden aufs Kreuz legen. Selbst ich muss mir immer wieder ins Gedächtnis rufen, dass du keine ach so unberührbare Lady bist.«
Wie immer, wenn sie versuchte, seine Oberfläche zu durchbohren, stellte er sie umgehend in den Senkel, doch bisher noch nie so grausam wie eben.
Fast hätte sie vor Schmerz aufgestöhnt, zu verletzt, zu gedemütigt, um wütend zu werden.
»M-musst du unbedingt .« Sie vermied es, ihn anzusehen, blinzelte die aufsteigenden Tränen weg. »Musst du das ständig hochkochen, Tom? Kannst du nicht einfach .«
»Tja, ich schätze, ich müsste das nicht machen«, lenkte Lord ein. »Schon weil du mich ja ständig daran erinnerst.«
»Ich . Ich liebe dich so sehr, Tom, ich . ich will doch nur .«
»Und ich halte durchaus ziemlich große Stücke auf dich, Joyce. Und das habe ich dir bestimmt schon tausendmal gesagt.«
»Aber heiraten willst du mich nicht.«
»Nein, Ma'am, ganz sicher nicht.«
»Zum Heiraten bin ich dir nicht gut genug, aber zum Vögeln schon. Mit mir zu vögeln macht dir doch nichts aus, Tom?«
Lord meinte, es machte ihm überhaupt nichts aus. Ja, er könnte sich nichts vorstellen, was ihm weniger ausmachte, und das war nun mal eine Tatsache. Doch als dann ihr Gesicht entgleiste und sie wie ein hilfloses Kind zu schluchzen begann, ließ er für einen Moment seine Maske fallen.
»Du würdest doch nicht glücklich werden, wenn du mit mir verheiratet wärst, Joyce. Meine Familie ist in dieser Gegend tief verwurzelt. Ich wurde nach bestimmten Grundsätzen erzogen, nach bestimmten Traditionen. Die könnte ich nicht vergessen - Gott weiß, dass ich es oft genug versucht habe -, und dich würde ich ständig daran erinnern.«
Hoffnung schöpfend hob Joyce den Kopf, aller Schmerz löste sich angesichts dieser nie da gewesenen Sanftmut auf.
»Vielleicht hast du es bloß nicht ernsthaft genug versucht, Tom! Du hast doch nicht wirklich einen Grund, zu vergessen, darum .«
»Meinst du nicht, meine Mutter war Grund genug?«
»Was? Das versteh ich nicht.«
»Als ich sieben war«, sagte Lord, »hat sie meinen Vater verlassen. Hat sich mit einem anderen Mann davongemacht. Weder Dad noch ich haben je wieder auch nur ein Wort über sie verloren. Für uns und unsere Freunde existierte sie nicht mehr.«
Joyce sah ihn stirnrunzelnd an, dabei lief es ihr eisig über den Rücken. »Aber das ist ja schrecklich. Hast du nie wieder was von ihr gehört?«
»Wir bekamen immer wieder Briefe von ihr«, Lord zog eine dünne schwarze Zigarre aus seiner Tasche und zündete sie an. »Wir haben sie verbrannt. Ohne sie zu öffnen.«
»Aber .«, die Frau hob gestikulierend die Hände, »sie hätte doch krank sein können, sterben. Deine eigene Mutter hätte im Sterben liegen können . und . wie konntest du nur so was Schreckliches tun?«
»Es war nicht einfach«, sagte Lord. Dann klappte er seine Maske wieder herunter und verfiel in seinen lang gezogenen Singsang. »Nein, Sir, es war ganz gewiss nicht einfach, so viel ist mal sicher.«
Er trat das Gaspedal...
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