Schweitzer Fachinformationen
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1.
Als die Morgendämmerung über die äußerste westliche Prärie von Texas spießte, fiel der letzte schwere Tau. Ich setzte mich schlotternd vor Kälte auf und sah das gewundene Bett eines ausgetrockneten Bachs entlang, in dem wir sechshundert Mann zusammengepfercht hockten und darauf warteten, dass die Arbeit an der Pipeline begann. Die Pipeline sollte eine der größten Baustellen seit Jahren werden - von hier auf diesem gottverlassenen Erdgasfeld bis ganz runter nach Port Arthur am Golf von Mexiko. Das Gerücht hatte schon vor einiger Zeit die Runde gemacht, und in den letzten Wochen waren die Männer hier aufgetaucht - Knackis, Saufbrüder, Landstreicher -, allesamt mit leerem Magen und den zerlumpten Klamotten, die sie am Leib trugen. Eine der wenigen Ausnahmen (wenn auch nicht sehr) war Fruit Jar, der Kerl, mit dem ich umherzog.
Er lag neben mir auf den Polstern seines Ford Model T und döste. Ich stupste ihm mit den Zehen in die Rippen und riss schnell meinen Fuß wieder weg, als er sich aufsetzte, fluchte und wild mit den Armen ruderte.
»Häh? Was? Was'n los?« Mit rot umrandeten Augen starrte er panisch um sich. »Was machste denn, Tommy?«
»Wollte dir nur sagen, ich geh in die Stadt«, antwortete ich. »Mal sehen, ob ich was zu spachteln finde.«
Er starrte mich noch eine Weile an und versuchte herauszufinden, was ich gesagt hatte. Dann wimmerte er plötzlich, stöhnte und setzte sich die verschmierte Sonnenbrille auf. Fruit Jar war auf Canned Heat - aus Brennpaste gewonnener Alkohol -, die Hälfte der Zechbrüder hier draußen soff das Zeug. Davon wurden sie schließlich blind, und bis es so weit war, trieb sie schon das kleinste bisschen Licht in den Wahnsinn.
»Sei ein guter Junge, Tommy«, sagte er schließlich. »Schau doch mal, ob du Heat besorgen kannst, hm?«
Nein, sagte ich, das würde ich nicht. Um Fressalien zu betteln war das Höchste der Gefühle. »Wir beide trampen zusammen mit der Karre rum, aber das macht mich noch lange nicht zu deiner Nutte.«
»Ach, komm schon, Tommy.« Er rieb sich mit zittrigen Händen über die Stoppeln in seinem aufgedunsenen Gesicht. »Kannste wenigstens 'ne Dosenkuh mitbringen, hm? Und vielleicht noch 'nen Liter Benzin? So wie ich mich gerade fühle, würd Milch und Sprit einen wirklich guten Drink abgeben.«
»Nein«, sagte ich.
Als ich ihn zurückließ, jammerte und bettelte er immer noch, und ich beschloss, dass es höchste Zeit war, getrennte Wege zu gehen. Ich würde bald Arbeit haben, und ich schuldete ihm nichts. Ein Fortbewegungsmittel war hier draußen äußerst nützlich, aber ich hatte meine Mitfahrt mehr als genug bezahlt, indem ich die Reifen gewechselt, den Ford T am Laufen gehalten und auch sonst alles andere getan hatte, wofür Fruit Jar zu betrunken oder zu faul gewesen war.
Ich ging das Bachbett entlang zur Siedlung, trat über schlafende Pennbrüder, ging um sie herum, wischte mir Zweige und Staub von Jeans und Hemd. Ich hatte einen guten Hut auf, einen grauen Stetson, wie man ihn in der Stadt trug, die Krempe vorn und hinten nach oben. Und natürlich hatte ich gute, feste Schuhe mit einer zweiten angenagelten Sohle an. Das ist eines der Dinge, die man lernt, wenn man die großen Arbeitscamps abklappert. Trage stets einen guten Hut und anständige Schuhe, und selbst wenn du dazwischen nichts Besonderes anhast, erkennen die Leute gleich, du bist kein Penner. Tippelbruder ja - aber kein Penner. Dazwischen liegt ein himmelweiter Unterschied.
Gleich hinter einer Kehre des Bachbetts kauerten drei Hobos um ein kleines Feuer und wärmten eine Kanne mit dem Kaffeemehl vom Vorabend auf. Ich nickte ihnen zögernd zu, doch sie nickten nicht zurück. Einer von ihnen nahm ein Streichholz und gab es mir. Das ist der Hoboausdruck dafür, dass man nicht willkommen ist - mit anderen Worten, man soll sich anderswo ein eigenes Feuer machen. Also ging ich weiter und kam um die nächste Biegung. Ich blieb wie angewurzelt stehen, und mir klappte der Unterkiefer runter.
Dort an der grasigen Hügelflanke fläzte sich ein großer, gut aussehender Kerl Mitte dreißig. Er trank verzollten Whiskey aus einer kleinen Flasche und rauchte eine Aktive. Er grinste träge und zwinkerte mir zu.
»Tommy, mein Junge«, sagte er gedehnt, »steig ab und schau dir mal deinen Sattel an, mein Freund.«
Eine Minute lang bekam ich kein Wort heraus und war wie vom Donner gerührt, so überrascht und froh war ich, ihn zu sehen. Als ich meine Stimme wiederfand, brüllte ich: »Four Trey! Four Trey Whitey!«
»Bitte, Tommy«, er stöhnte und hielt sich den Kopf. »Nicht so früh am Morgen.«
Ich kauerte mich vor ihm hin und musste breit grinsen. »Mann, was freue ich mich, dich zu sehen!«, sagte ich. »Wo ich doch gehört hab, man hätte dich erschossen.«
»Nur ein paarmal angeschossen und ein wenig zerschnippelt. Aber der andere ist tot.«
»Hast du vor, hier einzusteigen?«
»Das habe ich schon, Tommy. Und weil ich mir ziemlich sicher war, dass du auch hier bist, hab ich dich gleich mit einsteigen lassen.«
»He, das ist toll«, sagte ich. »Das sind ja mal gute Nachrichten, Four Trey.«
»Dann benimm dich auch so«, kicherte er. »Trink und rauch.«
Er warf mir die Flasche und eine angebrochene Schachtel Zigaretten zu. Ich zündete mir eine an und nahm einen langen, gierigen Schluck. Er zog eine zweite Flasche und eine frische Schachtel Zigaretten aus der Tasche. Wir tranken, rauchten und sagten eine Weile kein Wort. Wir grinsten nur und sahen uns an, wie alte Freunde, die sich wieder mal treffen.
»Ja, Tommy«, sagte er schließlich. »Die Tage der Dürre sind vorüber, und die Vögel reißen sich beim Zwitschern fast den Arsch auf. Kurz gesagt, ab morgen nimmt die Pipeline neue Leute an, und du und ich werden mitmachen. Und in zwei Wochen, wenn der erste Zahltag kommt - schätz mal, was wir dann machen, Tommy.«
»Also, da komm ich überhaupt nicht drauf«, erwiderte ich lachend.
Four Trey hockte auf einem Bündel Arbeitsklamotten. Er trug einen teuren Anzug, Schuhe vom Feinsten und ein schneeweißes Hemd - ein weißes, um alles in der Welt! Ich war mir sicher, dass er eine ziemliche Rolle Scheine dabeihaben musste, genug, um derart erster Klasse zu reisen. Doch ihm gefiel das hier, also saß er jetzt mit sechshundert anderen Hobos rum.
»Du hast also den Zugriff aufs Spiel«, sagte ich und nahm einen kleinen Schluck.
Er nickte. »Das Exklusivrecht, Tommy. Wie es der Zufall will, kenne ich jemanden beim Hochdruck, von einem Drainagejob in East Texas. Higby, erinnerst du dich noch an den? Also, wir beide sind von hier bis zum Golf allein. Du mit Blackjack, ich mit den Würfeln. Dein Anteil .«
»Scheiß drauf«, sagte ich. »Ich vertrau dir, Four Trey.«
Das sei sehr nett, meinte Four Trey trocken. Aber noch netter sei es doch, alles durchzusprechen. »Also, wir bleiben beim Üblichen. Ich mache die Bank, und du kriegst zwanzig Prozent vom Schnitt. In Ordnung?«
»In Ordnung«, sagte ich.
Vielleicht sollte ich erwähnen, dass die Bauunternehmer beim Verlegen einer Pipeline ganz gern ein, zwei gute Spieler dabeihatten. Sie hatten auch nichts dagegen, wenn ein paar Frauen dem Camp folgten, solange sie sauber waren und sich nicht im Camp aufhielten. Es kam zwar nicht oft vor, dass eine Frau das tat; es war einfach nicht sonderlich praktikabel, sich bis zu hundert Meilen von der nächsten Ortschaft entfernt allein durchzuschlagen. Aber Spieler gab es immer. Pipelines verlegen ist grobe, anstrengende Arbeit, sieben Tage die Woche, und Spielen hielt die Männer davon ab, unruhig zu werden. Außerdem blieben sie pleite genug, um sich nicht andauernd neue Arbeit zu suchen.
»Und welchen Job kriegen wir, Four Trey?«, fragte ich, denn natürlich würden wir im Camp leben müssen, und wenn man im Camp lebte, musste man arbeiten. »Kümmern wir uns wieder um die Arbeitszeiterfassung?«
Er schüttelte den Kopf und wirkte zum ersten Mal ein wenig unglücklich. »Ich fürchte nein, Tommy. Die Banken oder wer auch immer den Kram finanziert, haben ihre eigenen Zeitleute dabei.«
»Hm . du meinst also, wir werden schuften müssen?«
»Oh nein. So weit werden wir uns nicht herablassen. Von den langstieligen Löffeln kriegen wir doch nur Schwielen an den Händen.«
Ich meinte, ich könne das schon, die Spitzhacke schwingen und schaufeln wie jeder andere auch. Aber eine andere Arbeit wäre mir genauso recht. Four Trey meinte, der Job, den wir machen würden, würde mir allerdings nicht gefallen.
»Das war die einzig halbwegs anständige noch freie Stelle, Tommy. Der einzige Job, den wir schaffen und bei dem wir auch noch zocken können.«
»Ist mir gleich, was es ist«, sagte ich, »solange wir nicht als Sprengaffen arbeiten müssen. Mit Dynamit will ich nichts zu tun haben.«
»Dyna ist doch 'n braves Mädchen, Tommy. Du kannst 'n Stück abbeißen und ausspucken, und sie sagt trotzdem kein Wort.«
»Du .« Ich starrte ihn an. »Das ist also unser Job, meinst du? Sprengen? Du . du .« Ich hielt inne. »Glaubst du wirklich, ich mach den Sprengaffen, nach allem, was passiert ist mit .?«
»Ein wirklich braves Mädchen, diese Dyna«, schmeichelte er. »Sie trägt zwar 'n lausiges Parfüm, und man kriegt bei Gott höllische Kopfschmerzen davon. Aber es ist die sicherste Sache der Welt.«
»Na klar! Deshalb ist der Job ja auch noch frei, und deshalb kriegen die Sprengleute auch anderthalbfachen...
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