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Man vereinfacht die Dinge tatsächlich nur ein kleines bisschen, wenn man sie so zusammenfasst: Alles hängt an Taiwan.
Es ist ein Konflikt, der die Welt in Atem hält: Die kommunistische Führung in Peking betrachtet Taiwan als »abtrünnige Provinz«, die mit dem Mutterland vereinigt werden muss. Taipeh wiederum will seine faktische Unabhängigkeit und die hart erkämpfte Demokratie bewahren. Als führender Chip-Hersteller und aufgrund seiner Lage im westlichen Pazifik besitzt der Inselstaat zudem eine enorme Bedeutung für die Rivalität zwischen der Volksrepublik China und den USA. Nirgendwo ist eine direkte Konfrontation der beiden Supermächte wahrscheinlicher als in der Taiwanstraße.
Stephan Thome, einer der besten deutschen Taiwan-Kenner, beleuchtet in seinem hochaktuellen Buch die Hintergründe dieses Konflikts, die in der medialen Berichterstattung meist zu kurz kommen. Er zeigt, warum Taiwans Geografie so wichtig ist und was aus ihr für eine mögliche militärische Auseinandersetzung folgt. In großen historischen Bögen erläutert er, wie Chinas Selbstverständnis als alte und neue Weltmacht, aber auch die amerikanische Bündnispolitik im Pazifik zur heutigen Situation beigetragen haben. Der Kampf um Taiwan hat längst begonnen und betrifft uns in Europa viel stärker, als wir glauben.
»Ich will Leserinnen und Lesern helfen, den Konflikt in der Taiwanstraße besser zu verstehen ... Die aktuellen Spannungen resultieren aus historischen Entwicklungen, politischen Interessen und nationalen Pathologien, die in Deutschland nur zum Teil als bekannt gelten dürfen. Sie offenzulegen, ist das Hauptanliegen meines Buches.«
»Eines der wichtigsten politischen Bücher unserer Tage.« Jürgen Osterhammel, Historiker
Nominiert für den NDR Sachbuchpreis 2024
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Das Verhängnis der Taiwaner war, dass ihre Insel nicht weit genug vom Festland entfernt lag, um die Trennung dauerhaft und ihr Leben in der Grenzregion sicher vor Einmischung zu machen. Die Insel war zu klein, um unabhängig zu sein, aber zu groß und zu reich, um sie zu ignorieren.
George Kerr, Formosa Betrayed
Kaum hatte Nancy Pelosi die Insel wieder verlassen, sprachen die Waffen. Zwar war es lediglich eine militärische Sprechübung, mit der Peking im August 2022 sein Missfallen über den Taiwanbesuch der amerikanischen Politikerin kundtat, aber die Botschaft kam international an. Mehrere Tage lang beherrschte das Thema die Nachrichten, und zu großen Teilen ging es um die Frage, wie akut die Kriegsgefahr in der Taiwanstraße sei bzw. ob dort »nur« eine chinesische Invasion drohe oder womöglich der große Showdown zwischen der Volksrepublik und den USA. Hinweise darauf, dass in jenem Sommer beides gleichermaßen unwahrscheinlich war, drohten im allgemeinen Alarmismus unterzugehen.1
Vieles an den damaligen Ereignissen ist für die gegenwärtige Situation in der Taiwanstraße bezeichnend; nicht zuletzt die Tatsache, dass die Konfliktparteien weiterhin kaum direkt miteinander sprechen. Nach der Wahl von Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen 2016 hat China alle offiziellen bilateralen Kontakte abgebrochen, und auch zwischen Peking und Washington bestehen derzeit zu wenige offene Kommunikationskanäle. »Intensive Rivalität verlangt nach intensiver Diplomatie«, weiß Joe Bidens Sicherheitsberater Jake Sullivan, doch statt Letztere zu praktizieren, stellen beide Regierungen ihre Standpunkte entweder deklarativ in den Raum, oder sie kommunizieren durch symbolische Demonstrationen der Stärke, etwa die Verletzung der taiwanischen Luftraumüberwachungszone durch chinesische Kampfjets oder den Transitverkehr amerikanischer Kriegsschiffe in 23der Taiwanstraße.2 Oft werden öffentliche Statements und symbolische Akte kombiniert, so wie wenige Wochen nach Pelosis Besuch, als zwei amerikanische Kreuzer die Taiwanstraße durchfuhren und ein Sprecher des Weißen Hauses erklärte, das amerikanische Militär werde weiterhin überall dort segeln, fliegen und operieren, wo internationales Recht es erlaube. Im Juni zuvor hatte Chinas Außenministerium nämlich erklärt, die Taiwanstraße unterstehe der Jurisdiktion der Volksrepublik. Wenn »gewisse Länder« die Meerenge ein internationales Gewässer nennten, täten sie das, »um einen Vorwand zu finden, unter dem sie Taiwan betreffende Angelegenheiten manipulieren und die Souveränität und Sicherheit Chinas bedrohen können«.3
Die eine Seite beruft sich auf Grundprinzipien der regelbasierten internationalen Ordnung, die andere sieht ihre staatliche Souveränität und Sicherheit gefährdet. Offenbar steht in der Taiwanstraße viel auf dem Spiel, und so waren die chinesischen Manöver im August 2022 nicht nur ein Ausdruck von Missfallen. Sie ließen auch erkennen, dass das chinesische Militär eine Blockade Taiwans übte, was eines Tages ein alternativer oder ein vorbereitender Schritt zur Invasion der Insel sein könnte. Egal von welchem Szenario man ausgeht: dass Taiwan eine Insel ist, die an der schmalsten Stelle der Taiwanstraße nur 130 Kilometer vor Chinas Küste liegt, ist das geographische Faktum, an dem jede Betrachtung des heutigen Konflikts ansetzen muss. Aus ihm folgt viel mehr, als es auf den ersten Blick den Anschein hat.
Bereits seit dem 17. Jahrhundert werden die Geschicke der Insel maßgeblich von ihrer geographischen Lage bestimmt. Neben der Nähe zum chinesischen Festland - wie auch zu Japan - betrifft das vor allem die Tatsache, dass Taiwan im Kreuzungspunkt wichtiger internationaler Schiffsverbindungen liegt. Wer früher von Macau nach Nagasaki segelte, begegnete in taiwanischen Gewässern denen, die von chinesischen Häfen wie Xiamen (Amoy) unterwegs nach Manila waren. Kein Wunder, dass die Spanier 1626 eine kleine Kolonie im Norden 24der Isla Hermosa (Taiwan) errichteten und dies mit der Notwendigkeit begründeten, ihre philippinischen Besitzungen vor möglichen japanischen Angriffen zu schützen. Taiwans strategisch günstige Lage hatten sie allerdings nicht als Einzige erkannt. Im Süden der Insel unterhielt die holländische Ostindien-Kompanie bereits seit 1624 einen Stützpunkt, von dem aus sie Handel mit China und Japan betrieb und gemeinsame Sache mit verschiedenen Piraten- und Schmugglerbanden machte, um die Geschäfte von Portugiesen und Spaniern in der Region zu stören. 1642 gelang es den Holländern, die spanische Konkurrenz aus Taiwan zu vertreiben und die eigene Präsenz auszubauen. Ihren Stützpunkt Fort Zeelandia kann man in der Stadt Tainan heute noch besichtigen.4
Im 17. Jahrhundert begann eine vermehrte Einwanderung vom chinesischen Festland nach Taiwan, was eine direkte Folge der holländischen Aktivitäten war: Für den lukrativen Anbau von Reis und Zuckerrohr wurden Arbeitskräfte gebraucht. Vereinzelt waren chinesische Siedler schon in früheren Jahrhunderten nach Taiwan gekommen, Forscher schätzen ihre Zahl vor der holländischen Kolonisierung des Südwestens auf etwa 1500 bis 2000.5 Die Übersiedlung war mit erheblichen Risiken verbunden, was an den häufigen Stürmen in der Taiwanstraße, den klimabedingten Krankheitsherden auf der Insel (Malaria) und an den indigenen Völkern lag, die regelmäßig Überfälle auf chinesische Siedlungen verübten. In der chinesischen Vorstellung jener Zeit galt Taiwan als Heimat gefährlicher Tiere und menschenfressender Wilder, lokalisiert »hinter dem Meer« (haiwai), also jenseits der Zivilisation.6 Mangels einer staatlichen Autorität waren Neuankömmlinge vom Festland auf sich allein gestellt - aber genau das änderten die Holländer.
Durch ihre administrative und militärische Präsenz wurde zumindest die nähere Umgebung von Fort Zeelandia zum sicheren Ort, sowohl für einfache Arbeiter wie für wohlhabende Unternehmer aus China. Abenteuerlustig musste man immer noch sein, um die Übersiedelung zu wagen, aber nicht mehr verzweifelt oder lebensmüde. Sobald sich das in den chinesischen Küstenregionen herumgesprochen hatte, nahm die Einwanderung zu. Die allmählich entstehende Zu25sammenarbeit zwischen der holländischen Ostindien-Kompanie und chinesischen Partnern hat der US-amerikanische Historiker Tonio Andrade als »Co-Kolonisierung« bezeichnet.7 Tatsächlich fiel die Entstehung eines »chinesischen Taiwans« zusammen mit der Integration der Insel ins globale Wirtschaftssystem der Frühen Neuzeit und also in die Konkurrenzkämpfe verschiedener chinesischer, japanischer und europäischer Akteure. Die geographische Lage der Insel - nah an China und Japan und im Knotenpunkt internationaler Seewege - war dabei ein entscheidendes Moment.
Trotz des erfolgreichen Wirtschaftsmodells dauerte die holländische Präsenz in Südtaiwan nur knapp vierzig Jahre. 1662 geriet die Insel zum ersten Mal unter ein chinesisches Regime, nämlich das des Ming-Loyalisten und Rebellen Zheng Chenggong, der im Westen unter der latinisierten Form seines kaiserlichen Ehrennamens bekannt wurde: Koxinga. In vielen taiwanischen Tempeln wird er bis heute als eine Art Schutzheiliger der Insel verehrt, die chinesische Staatspropaganda (v)erklärt ihn zum Nationalhelden, der Taiwan vom Joch der holländischen Kolonialherrschaft befreien wollte.8 Das ist, wie wir gleich sehen werden, eine sehr zweifelhafte Deutung seiner Absichten.
Koxingas Vater war der Anführer einer jener Schmugglerbanden, die mit den Holländern zusammenarbeiteten. Seine Mutter stammte aus Japan, weshalb Koxinga dort zur Welt kam, ehe er als Kind in...
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