Schweitzer Fachinformationen
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Pflaumenregen entfaltet ein historisches Panorama, in dessen Zentrum eine familiäre Tragödie steht. Stephan Thomes berührender Roman ist eine Liebeserklärung an seine Wahlheimat Taiwan und den zähen Überlebenswillen ihrer Bewohner.
Taiwan in den 1940er Jahren, am Ende der japanischen Kolonialzeit. Während der Pazifische Krieg unaufhaltsam näher rückt, wächst die achtjährige Umeko behütet in einer Kleinstadt im Norden der Insel auf. Sie ist stolz auf ihr gutes Japanisch und himmelt ihren älteren Bruder an, den Star des örtlichen Baseballteams. Als die Armee jedoch am Ortsrand ein Lager für ausländische Kriegsgefangene einrichtet, gerät ihr Leben in einen Strudel aus Schuld und Verbrechen, der die Familie siebzig Jahre später immer noch gefangen hält.
Sie rannte so schnell, dass die Welt vor ihren Augen verschwamm. Den Hügel hinab, die schmale Gasse zwischen den Wohnheimen entlang und vorbei an Menschen, die ihr nachriefen, sie solle vorsichtig sein. »Umeko-chan, du wirst hinfallen, wenn du so rennst!« Ihre Zöpfe lösten sich von den Schultern und flatterten hinter ihr her, klack-klack-klack machten die Holzsandalen auf dem festgetretenen Boden. Weder ihr Schuhwerk noch das Kleid eigneten sich zum Rennen, aber unten bei der Schule hörte sie bereits das gespannte Raunen der Zuschauer, die dem Spielbeginn entgegenfieberten. Warum war sie nicht früher aufgebrochen? In letzter Minute hatte sie beschlossen, oben beim Schrein für den Sieg zu beten, jetzt erreichte sie den planierten Weg vor der Mine und bog nach links ab. Neben dem Grundstück von Direktor Yamashita führte eine Treppe hinab in den Ort.
Kurz verlangsamte sie den Schritt. Hoher Bambus versperrte den Blick auf das Haus, das größte und schönste in ganz Kinkaseki - wenn man vom Chalet des Kronprinzen absah, das aber nicht zählte, weil niemand darin wohnte. Einmal hatte ihr Vater sie mitgenommen, als er dem Direktor nach Feierabend ein wichtiges Schriftstück bringen musste. Drinnen duftete es nach Hinoki, auf der Talseite erstreckte sich ein gepflegter Garten mit weißen Kieswegen und einem Teich voller Goldfische. Mit dem Automobil, das wie immer vor dem Haupteingang parkte, wurden Herr Yamashita und seine Frau zum Bahnhof von Zuiho gefahren, wenn sie übers Wochenende verreisten, oder die Frau ließ sich nach Kyufun bringen, um einzukaufen. Nie sah man den schweigsamen Chauffeur ohne seine Uniform und die weißen Handschuhe.
»Umeko-chan!«
Vorsichtig, um in der Eile nicht zu stolpern oder auf eine Schnecke zu treten, hatte sie die ersten Treppenstufen genommen. Hier und da war der Boden noch feucht vom letzten Regen. Jetzt blieb sie stehen, hob den Blick und erkannte hinter dem Zaun die elegante Erscheinung von Frau Yamashita. In der linken Hand hielt sie einen Sonnenschirm aus hellem Papier und deutete mit der rechten ein Winken an.
»Frau Direktorin Yamashita . Guten Tag!« Als Umeko sich verbeugte, spürte sie, wie sehr sie außer Atem geraten war. Für einen Moment wurde ihr schwindlig.
»So schnell unterwegs, du wirst noch hinfallen«, sagte die Frau des Direktors lächelnd. In ihrem pflaumenblauen Kimono und dem mit Kamelienblüten bestickten Obi wirkte sie so graziös und vornehm wie immer. Wie eine Hofdame im alten Kyoto, dachte Umeko.
»Es ist wegen . des Spiels«, brachte sie mit Mühe hervor. »Wir gegen die Mittelschule aus Kirun. Wenn wir gewinnen .« Je ruhiger sie zu sprechen versuchte, desto atemloser wurde sie, außerdem fiel ihr ein, dass es unhöflich war, so draufloszuplappern wie zu Hause. »Oniisan ist der erste Pitcher«, fügte sie nur noch hinzu, um ihre Aufregung zu erklären.
Vom Schulgelände drang eine neue Runde Applaus den Hang herauf. Entweder wurde die Aufstellung angesagt, oder es ging bereits los.
Falls sie verstimmt war, ließ sich die Frau des Direktors nichts anmerken. Das weiche Licht des Frühlings, das durch die Bambusblätter fiel, betonte ihre blasse Haut und die feinen Gesichtszüge. Ihre Familie stammte tatsächlich aus Kyoto, wurde im Ort erzählt, und hatte einen Stammbaum, der viele Jahrhunderte zurückreichte. »Sein Fastball soll kaum zu treffen sein, habe ich gehört«, antwortete sie zu Umekos Überraschung. Dass sich Frau Yamashita für Baseball interessierte, hätte sie nicht gedacht. Wurde im Haus des Direktors etwa über die Schulmannschaft und die Wurfkünste ihres Bruders gesprochen?
»Wenn er heute gut spielt«, platzte sie heraus, »kann er im nächsten Jahr vielleicht auf die japanische Handelsschule in Taihoku gehen und eines Tages am Koshien Cup teilnehmen.«
»Tatsächlich, ja? Du musst sehr stolz auf ihn sein.« Im Umgang mit Kindern war Frau Yamashita ebenso höflich wie zu ihresgleichen - wobei es ihresgleichen in Kinkaseki natürlich nicht gab. Die örtliche Goldmine gehörte der Nippon Bergbau GmbH und war die größte in ganz Asien. Ohne die Japaner, sagte ihr Vater, würden hier ein paar Abenteurer mit bloßen Händen nach Gold graben, so wie früher, stattdessen hatte der Ort ein eigenes Krankenhaus, ein Kino und zwei Schulen. Im Übrigen war kürzlich ein Zeitungsartikel über Keiji erschienen, weil er ein komplettes Match absolviert hatte, ohne einen Punkt abzugeben, vielleicht wusste Frau Yamashita deshalb Bescheid. Sein Fastball kommt schnell wie der Blitz, hatte dort gestanden, und trifft den Handschuh des Catchers wie der Frühjahrsdonner. Einen Moment lang spürte Umeko den wohlwollenden Blick, der auf ihr ruhte, und vergaß darüber, dass sie es eilig hatte. Im Garten blühten bereits Blauregen und Orchideen, große schwarze Schmetterlinge flatterten umher. Noch einmal hob die Frau des Direktors die Hand: »Dann wollen wir hoffen, dass wir heute gewinnen, nicht wahr? Sei du trotzdem vorsichtig, der Boden ist immer noch rutschig. Was für ein schönes Kleid du trägst, pass gut darauf auf.«
»Vielen Dank, Frau Direktorin Yamashita!«, rief Umeko und verbeugte sich. »Einen schönen Tag noch!« Bis zur Mitte der Treppe schaffte sie es, so damenhaft zu gehen, wie ihr Aufzug es verlangte - das Kleid hatte ihre Mutter selbst genäht -, dann ballte sie die Hände zur Faust und rannte erneut los. Hinter dem Kino kam ein kleiner Ausschnitt des Meeres in Sicht, das sich glatt wie Glas bis zum Horizont erstreckte. Weit draußen ging ein Schauer nieder, aber über den Hügeln waren die Wolken schneeweiß und standen ungewöhnlich still am Himmel, so als wollten auch sie das Spektakel verfolgen, das sich auf dem Sportplatz neben dem Goldglück-Tempel abspielte. Das Endspiel um die Meisterschaft der nördlichen Schulbezirke.
Nie zuvor war die Mittelschule von Kinkaseki so weit gekommen.
Normalerweise machten japanische Teams aus Kirun und Taihoku den Sieg im Norden unter sich aus. Schulen mit großen Einzugsgebieten, wo die Söhne hoher Beamter und reicher Geschäftsleute daran gewöhnt waren, unter besten Bedingungen zu trainieren. In den letzten Jahren hatte meistens die Handelsschule Taihoku gewonnen, aber vor dieser Saison waren zwei wichtige Spieler zurück nach Japan gezogen, hatte Keiji erzählt und hinzugefügt: Das ist unsere Chance. Kinkaseki verfügte nicht einmal über ein richtiges Baseballfeld, das Team der Minengesellschaft absolvierte seine Spiele in Zuiho, und die heutige Partie hätte eigentlich auf dem Hof der Mittelschule stattfinden sollen, aber der stand nach dem Frühjahrsregen noch unter Wasser. Der Sportplatz beim Goldglück-Tempel, den Umeko in diesem Moment erreichte, gehörte zur Grundschule, die sie besuchte, und auch hier gab es tiefe Pfützen. Von weitem sah es aus, als lägen überall Spiegel auf dem Boden.
Mit klopfendem Herzen drängte sie sich durch die Menge. Sämtliche Schüler und Lehrer waren erschienen, auch einige Eltern und sogar Anwohner, die mit der Schule nichts zu tun hatten. Alle wollten dabei sein, wenn ihr Bruder den Gegner mit seinen Würfen zur Verzweiflung brachte. »Sumimasen«, rief sie und kämpfte sich voran, so gut es ging. Wäre sie unterwegs nicht aufgehalten worden, hätte sie rechtzeitig zum ersten Pitch die Stelle erreicht, wo sie mit Reiko verabredet war. Schon hörte sie das satte Klatschen, mit dem der Ball im Handschuh des Fängers landete, und hätte allen, die ihr die Sicht versperrten, am liebsten in den Hintern getreten. Applaus kam auf, jemand rief Keijis Namen. Noch ein paar Meter. Sie musste aufpassen, dass ihr Kleid nicht schmutzig wurde, und Ausschau nach ihrer Freundin halten, und falls sie einem Lehrer begegnete, durfte sie nicht vergessen, zu grüßen. Über den Köpfen erhoben sich die grün bewachsenen Hügel, die den Ort nach drei Seiten umgaben wie die Tribünen eines Stadions. Auf halber Höhe, wo bereits der nackte Fels durchbrach, thronte das rot bemalte Torii des Schreins - dort war sie vor wenigen Minuten losgelaufen; kein Wunder, dass sie jetzt nach Luft schnappte wie ein Fisch auf dem Trockenen.
»Umeko-chan!« Diesmal war es Reiko, die aus der Menge heraus nach ihr rief. Erleichtert hob sie die Hand und winkte, wenig später stand sie neben ihrer Freundin und konnte endlich das Spielfeld überblicken. Einigermaßen jedenfalls. So viele Leute...
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