Schweitzer Fachinformationen
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1. Kapitel
Das Licht der Oktobersonne fiel durch die Fenster hinter dem Waschbecken, der Wechsel der Jahreszeiten lag ganz unverkennbar in der Luft. Er stand in seiner schönen Küche und dachte sich: Es ist okay. So kann ich ziemlich glücklich für immer leben. Das Haus war auf eine verzweifelte Art still, aber Sam bemerkte diese Verzweiflung nie.
Zwei Scheiben handgeschnittenen Vollkorntoast mit Rühreiern, übergossen mit Baked Beans. Bohnen musste man beim Kochen Zeit lassen. Wenn er eine Mahlzeit zubereitete, tat er die Bohnen immer als Erstes in den Topf, ließ sie aufwallen und dann bei geringer Hitze köcheln, während er den Rest kochte. Auf die Art wurden die Bohnen schön weich und die Tomatensauce dick. Die Leute kochten ihre Bohnen immer so eilig, machten sie nur heiß und aßen sie dann. Aber aus allem im Leben kann man eine Kunst machen, so auch aus Bohnen.
Am ersten Morgen eines einwöchigen Urlaubs tat Sam gerne nichts, außer eine Weile sein Zuhause zu genießen. Es war ein wunderschönes Haus, und er fand es außergewöhnlich gemütlich. Während die Bohnen allmählich weich wurden, betrachtete er die Sauberkeit seiner Küche: die freien Arbeitsplatten, die Frühstücksbar und der Eichentisch mit Stühlen, der Toaster und der Wasserkocher aus derselben Reihe, die glänzende Chrommikrowelle, die versenkten Strahler in der Decke. Alles war schön und schlicht. Schlichtheit ist wie Brennstoff für die Seele, hatte sein Vater einmal gesagt.
Sam wohnte allein in einem Reihenhaus in einer Siedlung, die noch keine zehn Jahre alt war. Sein Vorgarten bestand aus einem kleinen gepflegten Rasenviereck, begrenzt von Sträuchern, daneben eine makellose schwarze Auffahrt. Es sah nicht aus wie das Haus eines sechsundzwanzigjährigen Mannes.
Im Wohnzimmer hatte er seine ordentlich sortierte CD- und DVD-Sammlung sowie ein Entertainment-Center, bestehend aus HD-Fernseher, Blu-Ray-Player, Xbox, Chromecast, Hi-Fi und sogar einen Videorecorder. Die Kabel waren alle säuberlich hinter den Geräten versteckt.
Er hatte einen Job, in dem er nicht viel Verantwortung tragen musste, sodass er ihn am Ende des Arbeitstages vergessen und jeden Monat ein bisschen Geld beiseitelegen konnte. Er hatte zwei Extrazimmer als Arbeitszimmer und Bibliothek, einen Wintergarten zum Lesen und Entspannen und einen großen Garten hinterm Haus, mit einem Teich ganz am Ende. Im Grunde waren ihm diese Dinge nicht so wichtig, aber sie befriedigten ihn, weil sie den verheerenden Strudel von Einsamkeit verdeckten, der ihn in den dunkelsten Momenten der Nacht zu zerreißen drohte.
Er starrte auf seine Bohnen und lauschte der einzigartigen Stille eines Hauses an einem durchschnittlichen Montagmorgen, wenn der Rest der Welt schon zur Arbeit gegangen ist.
Die See. Das offene Meer, sein Branden und Wogen. Sam liebte den Ozean, und am ersten Tag seines Urlaubs fuhr er immer an die Küste. Dort gab es ein kleines Café, das er sehr mochte, es kauerte sich an die Klippe und hatte große Fenster, an denen er ein, zwei Stunden vor einer dampfenden Teekanne und einer Cremeschnitte sitzen, aufs Wasser starren und seinen Geist komplett leer machen konnte.
Doch davor musste er Proviant besorgen, also machte er in der Hauptstraße seiner kleinen Heimatstadt kurz Halt, um ein wenig Schokolade und Cherry Cola zu kaufen. Sein Handy summte in der Tasche. Ein heftiger Schreck durchfuhr ihn, denn ihm graute davor, es könnte jemand aus der Arbeit sein, der ihn bat, doch noch einmal reinzukommen. Aber es war niemand aus der Arbeit. Es war eine Nachricht von seinem Freund Tango.
Morgen Pub?
Sam steckte das Handy wieder ein und ärgerte sich über die Störung seines festen Tagesablaufs. Er wollte nicht in den Pub. Einen Augenblick blieb er auf dem Gehweg stehen und ließ sich die kalte Luft ins Gesicht wehen.
»Gib mir mal ein bisschen Geld.«
Vor ihm stand auf einmal eine Obdachlose. Sie war klein und ein bisschen pummelig, ihre Schultern waren nach vorn gesackt. Sie mochte Ende vierzig sein und hatte dickes, strohiges schwarzes Haar.
»Wie bitte?«, fragte Sam.
Sie schaute ihm in die Augen mit einem außergewöhnlich kraftvollen Blick.
»Gib mir mal ein bisschen Geld.« Die aggressive Forderung wurde abgemildert von der Sanftheit ihrer Stimme, der Ruhe, die darin lag, dem sanften Singsang eines irischen Akzents.
»Ähm«, sagte er, wühlte in seiner Tasche und bekam ein 50-Pence-Stück zu fassen. »Hier, bitte.«
Die Obdachlose starrte die Münze an, nahm sie und schob sie in ihren Mantel, dessen Saum schmutzverkrustet war.
»Kauf mir ein Sandwich«, sagte sie.
»Wie bitte?«
»Kauf mir ein Sandwich da drüben.«
»Ich hab Ihnen gerade fünfzig Pence gegeben.« Sam spendete eine Menge Geld an verschiedene Wohltätigkeitsorganisationen und merkte, dass er diese Forderungen ein klein wenig überzogen fand und dass ihn das ärgerte. »Können Sie nicht jemand anders fragen? Wenn Sie noch mal fünfzig Pence kriegen, können Sie sich ein Sandwich kaufen.«
»Nein.«
»Doch.«
»Bitte.«
»Nein«, sagte er abschließend.
»Ach, jetzt komm. Da drüben.« Sie deutete mit einem Kopfnicken auf eine Bäckerei. Ihre Stimme war so sanft wie eine Brise, die durch die Baumkronen eines tausend Jahre alten Zedernwaldes in einem nepalesischen Tal streicht, und im nächsten Augenblick, bevor Sam wusste, wie ihm geschah, ging er mit ihr die Straße entlang. Na, ich sollte froh sein, dass es mir so viel besser geht, tröstete er sich selbst. Ich bin nicht überfallen worden, ich bin einfach nur nett zu jemand.
»Und, wie heißen Sie?«, fragte er und schaute zu ihr hinüber. Sie ging zielstrebig auf die Bäckerei zu, hatte die Hände in die Hosentaschen geschoben und den Blick fest auf ihr Ziel gerichtet.
»Gloria«, sagte sie. »Du?«
»Sam.«
»Samuel ist ein schöner Name, find ich«, sagte sie geistesabwesend, und ihre Stimme war im Wind mal besser, mal schlechter zu hören.
»In Wirklichkeit heiße ich Samson. So hieß mein Urgroßvater. Woher kommen Sie?«
»Cork.«
»Ich mag Irland«, sagte er.
»Irland ist scheiße«, sagte sie.
Sie hatten jetzt die Bäckerei erreicht, und Sam hielt Gloria die Tür auf. Sie drängte sich hungrig an ihm vorbei. Sie ging nicht zur Sandwichtheke, sondern zu den Getränken und griff nach einer Dose San Pellegrino.
Die sind ziemlich teuer, dachte Sam. Das war wegen dieser Folienstücke obendrauf. Aber dann wanderte Glorias Hand zu den Colas, die im Preis etwas moderater waren. Schon besser, dachte er. Nicht dass er sich bereit erklärt hätte, ihr auch noch ein Getränk zu kaufen, er hatte ja nicht mal explizit eingewilligt, ihr ein Sandwich zu kaufen. In letzter Sekunde wanderte ihre Hand weg von den Colas zum Regal mit den frischen Smoothies, wo sie sich einen mit Orange und Mango aussuchte. Kostenpunkt 2,65 £.
Nachdem sie sich ihr Getränk ausgesucht hatte, ging sie zum nächsten Stand. »Ob die wohl Suppe haben?«, überlegte sie laut.
»Ich glaube nicht, dass die hier Suppe verkaufen.«
»Ah«, sagte sie tonlos. »Dann nehm ich, glaub ich, einfach ein Sandwich.« Woraufhin sie ins Regal griff und sich kein Sandwich herausnahm, sondern ein großes Baguette. Ohne Sam anzusehen, drehte Gloria sich um und ging zur Kasse.
»Vor einem Jahr ist mein Mann gestorben«, sagte sie. »Einfach umgefallen. Herzanfall.«
Die Worte verstärkten das Mitleid, das Sam für sie empfand. »Es tut mir wirklich leid, das zu hören«, sagte er.
Sofort zerrte der Gedanke an seine eigenen Erlebnisse an ihm, doch er schaltete schnell seine Standardreaktion ein und schob die Erinnerungen relativ mühelos beiseite. Die kühle Taubheit drang durch seinen Körper.
Gloria steuerte die Mitte des Ladens an, wo eine kleine Insel mit Minikuchen in Tüten stand. Sie nahm sich eine. Sam versuchte zusammenzurechnen, wie viel das alles kosten würde, während Gloria noch eine Tüte Cheese-and-Onion-Chips obendrauf packte.
Die Verkäuferin lächelte sie an. »Zum Hieressen oder Mitnehmen?«, fragte sie.
Sam bemerkte ein paar Stühle und Tische an der Wand. Sie berechneten zusätzlich für .
»Zum Hieressen«, verkündete Gloria.
Da die Verkäuferin bemerkt hatte, dass die Kundin obdachlos war und Sam zahlte, schaute sie zu ihm.
»Zum Hieressen«, echote er.
»Und ich hätte gern noch einen Kaffee, meine Liebe. Americano. Schwarz«, sagte Gloria.
Wieder schaute die Verkäuferin Sam an. Gloria betrachtete die Donuts in der gläsernen Kuchentheke auf dem Tresen. »Alles, was sie will!«, sagte er. »Geben Sie ihr alles, was sie will!«
»Klein, normal oder groß?«, fragte die Verkäuferin.
Sam verzog das Gesicht, doch Gloria gab plötzlich klein bei. »Ich nehm einfach einen normalen«, sagte sie und ging zu dem kleinen Regal neben der Theke, wo Zucker und Milch standen. Sam ließ sie an der Kasse stehen.
»Sind Sie sicher, dass das für Sie klargeht?«, fragte die Verkäuferin.
Gloria stopfte sich Zuckertütchen in die Taschen.
»Ja. Tun Sie noch ein paar Donuts dazu«, sagte er.
Die Verkäuferin zuckte mit den Schultern, und Sam zahlte. »Okay, dann geh ich jetzt mal«, rief Sam zu Gloria hinüber, die sich gerade eine Unmenge von Zucker in ihren Kaffee schüttete. Sie blickte nicht mal auf.
»Hat mich gefreut«, sagte er. Doch Gloria interessierte sich schon nicht mehr für ihn. Er wandte sich zum Gehen und wäre beinahe mit dem Mädchen...
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