Schweitzer Fachinformationen
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«Wo warst du denn?»
Ich sah auf die Uhr, die auf dem Ofen stand. Halb acht. Draußen war es dunkel, und drinnen im Haus roch es nach Kälte. Christopher hatte wieder mal die Heizung ausgeschaltet. Kein Essen stand auf dem Herd, keine Wäsche trocknete auf der Leine, und meine Friedenslilie verkümmerte langsam, aber sicher auf der sonnenlosen Fensterbank. Wenn das Sägemehl und Christopher nicht gewesen wären, hätte man meinen können, dass hier schon lange kein Mensch mehr wohnte und die früheren Bewohner verstorben waren.
«Spazieren, mit Bess», erwiderte ich. «Das habe ich dir doch gesagt.»
«Eine Stunde lang?» Er schüttelte den Kopf. «Und das, nachdem du mit so einer Saulaune rausgestürmt bist. Ich kapier wirklich nicht, warum du nicht einfach dableiben und drüber reden kannst, wenn es ein Problem gibt. Ich bin doch kein Ungeheuer. Wir haben übrigens nichts zum Essen im Haus, ich habe schon in alle Schränke geschaut. Und deine Mutter hat angerufen.»
«Ich weiß gar nicht, wovon du redest. Ich bin doch nicht rausgestürmt.»
«Sprich nicht in diesem Ton mit mir. Das bringt uns auch nicht weiter.»
«Was denn für ein Ton?»
«Genau der.»
«Oh, in Gottes Namen!»
Ich durchstöberte noch einmal die Schränke und fand eine Packung Vollkorn-Penne und ein Glas mit leicht eingetrübter Tomatensoße. Unsere wenigen Küchenschränke waren ständig voll mit Sachen, die man noch nicht wegschmeißen, aber auch nicht mehr essen konnte. Eigentlich hatte ich gar nicht vorgehabt, die Schranktür zu- und das Soßenglas auf den Tisch zu knallen. Ich tat es aber trotzdem.
«Also doch eine Saulaune», stellte Christopher fest. «Ich merke das doch immer .»
«Falls du damit meinst, dass ich wütend bin, dann kann ich nur sagen: Ja, das bin ich. Jetzt. Ich habe das Haus völlig normal verlassen und bin innerhalb einer völlig normalen Zeitspanne zurückgekommen, und du brüllst mich an.» Ich füllte einen Topf mit Wasser und drehte Christopher dabei den Rücken zu. Er antwortete nicht, bis ich mich wieder zu ihm umdrehte.
«Ich brülle doch gar nicht», sagte er.
«Nein. Aber du weißt, was ich meine.»
Er schaute zu Boden. «Immer sagst du, ich würde brüllen.»
Ich schaute ebenfalls zu Boden, aber auf eine andere Stelle als er.
«Stimmt. Das mache ich. Tut mir leid.»
Mein Kopf war wie ein Fischernetz, in dem zu viele Gedanken herumzappelten. Mein hirnrissiger Vorschlag. Platsch. Die Tränen in Rowans Augen. Platsch. Libbys Schultertuch. Platsch. Die Unsterblichkeit in einem künstlich erzeugten Himmel. Mir traten wieder Tränen in die Augen, und ich spürte, dass ich Kopfschmerzen bekam. Ich stellte mir die Ewigkeit mit Christopher vor. Seit sieben Jahren wartete ich jetzt schon darauf, dass ich ihn endlich begriff, dass er irgendeinen Sinn für mich ergab - vielleicht klappte das ja irgendwann in der Ewigkeit. Vielleicht bekam in der Ewigkeit alles einen Sinn. Doch es würde kaum so bleiben, dafür war die Ewigkeit schließlich nicht da. Selbst in einem endlichen Universum bleibt ein Stein nicht immer nur ein Stein. Jedes einzelne Ding löst sich immerzu auf und verwandelt sich in etwas anderes. Und eigentlich freute ich mich sogar darauf, irgendwann, wenn ich schon lange tot und verwest war, ein Stein zu sein oder vielleicht eine Handvoll Sand. Das wäre so viel leichter, als aufzuerstehen und diesen ganzen Mist noch einmal durchzumachen. Immerhin bekäme ich in der Ewigkeit aber auch eine Nacht mit Rowan, was mir in diesem Leben ganz sicher nicht vergönnt sein würde. Aber wie alles in der Ewigkeit hätte natürlich auch das dann nichts mehr zu bedeuten.
Das Wasser kochte, und ich setzte die Penne auf.
«Tut mir leid», sagte ich noch einmal. «Du hast ja recht, ich bin ein bisschen durcheinander heute. Ich glaube, ich kriege Kopfschmerzen.»
Die Nudeln hüpften im Topf herum wie kleine braune Papprollen; so stellte man sich den Inhalt einer Puppenhaus-Toilette vor. Im nächsten Moment ging mir durch den Kopf, dass wahrscheinlich nicht einmal die Bewohner von Puppenhäusern kleine Papprollen in einen Topf füllen und kochen würden. Ich blinzelte kurz und sah zu Christopher hinüber. Er schaute ebenfalls in Richtung Topf.
«Was ist denn?», fragte er. «Ist irgendwas passiert?»
«Nein. Nicht, dass ich wüsste. Das wird schon wieder. Ich nehme gleich eine Schmerztablette. Was hat meine Mutter denn gesagt?»
«Sie meinte, sie ruft morgen wieder an. Dann hat sie einfach aufgelegt, wie immer.»
«Aha.»
Ohne ihn anzusehen, griff ich nach der Zeitung, die auf dem Tisch lag, und schlug das Kreuzworträtsel auf, das ich jeden Sonntag löste. Das von letzter Woche hatte ich fast ganz ausgefüllt, bis auf eine Antwort, die ich nur an den Rand geschrieben hatte, weil ich zwar sicher war, dass sie stimmte, mir das aber nicht erklären konnte. Jetzt sah ich mir die Auflösung an und stellte fest, dass ich recht gehabt hatte. Warum, wusste ich allerdings immer noch nicht. Einmal hatten Rowan und ich das Kreuzworträtsel zusammen gelöst, an einem verregneten Montagmorgen in der Bibliothek, nachdem wir in einem riesigen, staubigen Atlas einen See in Australien und die Hauptstadt von Korsika nachgeschlagen hatten. Mir fiel wieder ein, wie seltsam dieser Vormittag geendet hatte. Wir wollten wie immer zusammen Mittag essen gehen; doch dann hatte Lise Rowan eine SMS geschickt und ihm mitgeteilt, sie habe Migräne, und er war stattdessen nach Hause gegangen. Als er seine Sachen in seinen altersschwachen Baumwollrucksack stopfte, zitterten ihm die Hände, und dann war er verschwunden, ohne sich richtig zu verabschieden. Ich nahm einen Druckbleistift von der Arbeitsfläche und setzte mich mit der Zeitung aufs Sofa. Es fiel mir schwer, mich zu konzentrieren, und Christopher hatte sich nicht vom Fleck gerührt.
«Hast du was von Josh gehört? Ging es ihm noch gut nach gestern?»
Christopher verdrehte die Augen. «Was weiß ich?»
«Und was erzählt dein Vater? Geht's Becca wieder besser?»
«Nein», antwortete Christopher. «Keine Ahnung. Ich wollte ihn nach dem Essen anrufen.»
Wir aßen vor dem Fernseher. Ich schielte immer wieder auf mein Kreuzworträtsel, und auch Christopher schaute immer wieder herüber, als wäre das Kreuzworträtsel mein Liebhaber und als hätte er sich wohl oder übel damit arrangiert, uns zusammen zu sehen. Aber die meiste Zeit konzentrierte er sich auf die Sendung über Spukhäuser, die wir schauten. Christopher wusste nur zu gut, dass ich Sendungen über Spukhäuser nicht leiden konnte. Ich aß so schnell, dass ich mich an einer Nudel verschluckte. Als ich mit dem Husten aufhörte, stellte ich meinen Teller in die Spüle und ging zur Treppe, das Kreuzworträtsel immer noch in der Hand.
«Was hast du denn jetzt vor?», fragte Christopher.
«Ich nehme ein Bad. Dann kannst du auch in Ruhe mit deinem Vater telefonieren.»
«Dazu brauche ich keine Ruhe», sagte er, aber ich ging trotzdem weiter nach oben.
«Vielleicht macht das ja meine Bronchien wieder frei», erklärte ich und hustete noch einmal.
Ich blieb eine Stunde in der Wanne liegen, obwohl Christopher das Telefon längst auf die Ladestation zurückgestellt hatte und weitersägte. Jedes Mal fand ich etwas in dem Kreuzworträtsel, das mir vorkam, als wäre es nur für mich geschrieben worden, und jedes Mal wollte ich dann Rowan davon erzählen. Heute lautete das Lösungswort: «Der Kosmos in einem Gedicht (acht Buchstaben)». Nach einiger Zeit legte ich das Kreuzworträtsel auf den feuchten Badezimmerboden, zwang mich, nicht mehr an Rowan zu denken, und fragte mich stattdessen, wie es bloß mit Christopher weitergehen sollte. Konnte ich vielleicht irgendetwas zu ihm sagen? Manchmal träumte ich heute noch von Becca, trotz der vielen Jahre, die seither vergangen waren: von ihrem lachenden, sommersprossigen Gesicht, das ganz starr wurde, als sie mich sah.
Becca war Christophers Schwester. Sie lebte mit Ant, ihrem Mann, in Brighton. Die beiden hatten gerade ihre dritte Tochter bekommen, und es hatte irgendwelche Komplikationen gegeben, sodass Becca den Laden, wo sie ihren selbstgemachten Schmuck verkaufte, vorübergehend schließen musste. Ants Bruder Drew war Schauspieler und mein Verlobter gewesen, als ich Ende der Neunziger Christopher begegnet war. Ein paar Jahre lang hingen wir alle ständig zusammen und hielten in Beccas und Ants großem Haus alberne Teegesellschaften und «Happenings» ab. Kurz nachdem mein erster Zeb-Ross-Roman erschienen war, drehte Drew seine erste große Fernsehserie, in der er den leicht vertrottelten, jungen Assistenten eines literaturbegeisterten Detektivs spielte. Zwei Jahre später gab es eine große Jahrtausendwende-Party, bei der sich alle, bis auf Christopher und mich, als Viren verkleideten. Wenig später wurde das Leben in Brighton jedoch äußerst kompliziert, weshalb ich mit Christopher nach Devon durchbrennen musste, das für ihn Heimat und für mich exotisches Gelände war, zumindest am Anfang. Becca redete kein Wort mehr mit uns, seit wir aus Brighton weggegangen waren, doch immerhin war Christopher an Weihnachten wieder einmal dort gewesen und hatte versucht, sich mit ihr zu versöhnen. Aus irgendeinem Grund hatte Drew damals Becca die Schuld an allem gegeben und war ebenfalls fortgezogen. Angeblich hatten Ant und sie sich darüber «auch fast getrennt».
Ich erinnerte mich noch dunkel an das erste Exposé für meinen literarischen Roman, der damals noch Sandwelt hieß und von einer Gruppe junger, schlanker, langhaariger Menschen handeln sollte, die alle in Brighton lebten. Über etwa dreihundert Seiten hinweg sollten sie coole Drogen nehmen, coole Musik hören und miteinander vögeln; dann war der Roman zu Ende. Er passte genau zu...
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