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»La guerre n'est pas le plus court chemin vers la paix.«
Dominique Villepin
Im Jahre 1963 publizierte der hoch angesehene Wiener Physikprofessor und Friedensaktivist Dr. Hans Thirring das Memorandum Mehr Sicherheit ohne Waffen, den sogenannten Thirring-Plan zur einseitigen Abrüstung des neutralen Österreich. Dieser sah die durch internationale Abmachungen gestützte Auflösung des Bundesheeres vor. An Österreichs Grenzen sollten UNO-Soldaten Beobachtungsposten beziehen. Damit sollte - in einer Zeit, die für Entspannung und Abrüstung ein günstiges politisches Klima bot - das neutrale Österreich einen Anstoß für weltweite Abrüstung und Ächtung der Kriege geben. Erklärtes Ziel Thirrings war es, eine globale Abrüstungsdynamik in Gang zu setzen. Der umstrittene Plan sorgte für einige Turbulenzen und wurde vom politischen Establishment abgelehnt, brachte seinem Autor aber zwei Nominierungen für den Friedensnobelpreis ein. Mit seinem Vorschlag zur einseitigen Abrüstung als explizit friedenspolitische Intervention hat der Wissenschaftler ein Tabu gebrochen, eine Debatte angestoßen und eine Denkmöglichkeit eröffnet. Es war sozusagen eine »Schubumkehr« des Diskurses: Sicherheit nicht mehr durch permanente Drohgebärden und weitere Aufrüstung, sondern eben Mehr Sicherheit ohne Waffen.
Das war damals eine Provokation, und das ist heute erst recht eine. Jedoch eine notwendige Provokation. Heute vielleicht noch notwendiger als damals. Denn heute erleben wir nicht bloß einen neuen Kalten Krieg, sondern auch in Europa einen »heißen Krieg« mit globalen Auswirkungen. In der sogenannten »Zeitenwende« dominiert immer stärker eine Kriegslogik, der zufolge massiv aufgerüstet wird, aber diese Aufrüstung nicht hinterfragt werden darf: In den Debatten wird »Kriegstauglichkeit« zur Normalität und der Diskurs um Friedensbemühungen zum Tabu.
Wir brauchen daher eine Diskursumkehr. Es geht nicht länger an, dass Aufrüstung als Normalfall gilt und Abrüstung sich legitimieren muss. Es sollte vielmehr umgekehrt sein. Denn es ist so, wie auch der durchaus zum konservativen Lager gezählte französische Politiker, Diplomat und Schriftsteller Dominique Villepin sagt: »Der Krieg ist nicht der kürzeste Weg zum Frieden.«1 Wir müssen daher den Diskurs über Abrüstung als Teil von umfassenden Friedensstrategien wiederbeleben.
Diese Debatte zu befördern und einen Beitrag zu ihr zu leisten, ist das Anliegen dieses Buches. Da eine Debatte von kontroversen Positionen lebt, wurden Expert*innen verschiedener Arbeitsfelder, politischer Lager und unterschiedlicher Generationen gebeten, den Thirring-Plan aus heutiger Sicht zu kommentieren und/oder derzeitige Herausforderungen der Friedenssicherung zu diskutieren. Dabei geht es auch um die besonderen Möglichkeiten neutraler Staaten wie Österreich.
Im ersten Abschnitt, DER THIRRING-PLAN, wird das Originaldokument erstmals seit 1963 wieder integral veröffentlicht. Dem folgt eine Darstellung der Geschichte und des Schicksals dieser Initiative von Werner Wintersteiner. In seinem Beitrag »Ein weltpolitischer Paradigmenwechsel. Über das Potential von Hans Thirrings Abrüstungsvorschlag« interpretiert er dessen Konzept als aktuelles diskursives Gegengewicht gegen jedes militaristische Denken und Handeln.
Im zweiten Abschnitt, DER THIRRING-PLAN IM HISTORISCHEN KONTEXT, folgen Kommentare, die Thirrings Vorschlag historisch situieren und einschätzen. Hier finden sich unterschiedliche und teilweise kontroverse Positionen, vor allem bezüglich der Frage der bewaffneten Neutralität. Was allerdings alle Autor*innen eint, ist ihre Skepsis gegenüber Hochrüstung und Militarismus und ihre Wertschätzung der Neutralität.
Heinz Gärtner, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Wien, schildert in »Hans Thirring: Brillante Analyse und eine ungeeignete Schlussfolgerung« die geopolitische Konstellation und die Abrüstungs- und Neutralitätsdiskurse, die den Rahmen für Thirrings Idee bildeten. Er folgt dem Wiener Physiker in vielen seiner Überlegungen, hält aber die Kernidee der einseitigen Abrüstung für unbrauchbar und kontraproduktiv.
Erik Gornik, Mitarbeiter des Heeresgeschichtlichen Museums Wien, zielt mit dem Titel seines Beitrags, »Ein >Testobjekt der Möglichkeit friedlicher Koexistenz<. Österreich und der Thirring-Plan«, auf Thirrings Hauptargument. In seiner Skizze der Beweggründe Thirrings geht er besonders auf den Schriftverkehr ein, den dieser mit den Staatschefs der USA und der UdSSR geführt hat. Darüber hinaus referiert er die Kritik an dem Plan in der Österreichischen Militärischen Zeitschrift (ÖMZ) sowie Thirrings Replik.
Gerhard Oberkofler, emeritierter Professor an der Universität Innsbruck, beschreibt in seinem Beitrag »Zur Vorgeschichte des Thirring-Plans«, das pazifistische Umfeld Thirrings - die Aktivitäten kriegskritischer Naturwissenschaftler*innen und die Tätigkeit des Bundes demokratischer Frauen, also die pazifistischen Basisbewegungen, die es nicht leicht hatten in Zeiten des Kalten Krieges.
Erwin Bader, emeritierter Professor der Universität Wien, stellt Thirrings Wirken in eine Traditionslinie des österreichischen Pazifismus von den Anfängen bis zur Gegenwart: »Das Kreuz des Pazifismus - von Bertha von Suttner bis heute. Hans Thirring im Kontext der österreichischen Friedensbewegungen«. Im Atomzeitalter seien die Staaten zum Frieden gezwungen - und die Religionen sollten daran wirken, alle Feindbilder im Dialog abzubauen.
Ein weiteres Kapitel thematisiert FRIEDEN, NEUTRALITÄT UND ABRÜSTUNG HEUTE. Auch hier finden sich, wieder in Bezug auf die Frage, ob die Neutralität bewaffnet sein müsse, kontroverse Positionen, vor allem aber zahlreiche, teils sehr konkrete Vorschläge für staatliche und gesellschaftliche Neutralitäts- und Friedenspolitik, gewaltfreien Widerstand und Soziale Verteidigung.
In einer ausführlichen Prüfung des Thirring-Plans kommt Christoph Matznetter, NR-Abgeordneter der SPÖ, zu dem Schluss, dass der Vorschlag einen viel höheren Realitätsgehalt hat als zumeist angenommen. Denn das Argument »Schutz vor kriegerischer Invasion durch Aufrüstung« ist für Matznetter (wie für Thirring) nichts als eine Illusion. Er beantwortet somit die Frage »Hat der Thirring-Plan 60 Jahre später noch eine Bedeutung?« mit einem eindeutigen Ja und plädiert für Abrüstung als Instrument aktiver Außenpolitik.
Günther Greindl, General des österreichischen Bundesheeres i. R., der den Thirring-Plan als junger Offizier kaum beachtet, aber jedenfalls eindeutig abgelehnt hatte, ist nun voller Respekt für ihn. Zwar spricht er sich in seinem Aufsatz »Neutralität darf nicht wehrlos sein« eindeutig für die bewaffnete Neutralität aus, die er neben Diplomatie und Demokratie als die dritte Säule des Staates betrachtet. Doch er würdigt zugleich Thirrings unerschütterlichen Glauben an den Willen der Völker zum Frieden. Als leidenschaftlicher Verfechter der Neutralität stellt sich Greindl gegen jede Kriegspolitik und somit auch gegen die Einbeziehung Österreichs in das Sky Shield-Projekt. Er warnt: »Das Friedensprojekt EU ist im Kielwasser der NATO-neu auf einem geopolitischen Irrweg.«
Auch Karin Liebhart, Politologin an der Universität Wien, stellt das Thema Neutralität in den Mittelpunkt ihrer Ausführungen. In »Ende der Diskussion? Ambivalenzen der österreichischen Neutralitätsdiskurse« verweist sie auf den Widerspruch zwischen Wertschätzung der Neutralität und mangelnder Verteidigungsbereitschaft in der Bevölkerung. Sie erklärt dies damit, dass derzeit - im Gegensatz zu Thirrings kosmopolitischen Intentionen - Neutralität für viele nur den Wunsch bedeute, in keinen Konflikt hineingezogen zu werden.
Ewa Dziedzic, NR-Abgeordnete der Grünen, skizziert praxisnahe eine österreichische Friedenspolitik. Unter dem Titel »Frieden - nicht nur eine Frage der Sicherheit« stellt sie zunächst ein Spektrum friedenspolitischer (staatlicher und nichtstaatlicher) Handlungsmöglichkeiten vor, um dann die bisherigen österreichischen Aktivitäten zu bewerten. Dabei geht sie nicht zuletzt auf das Projekt des Zivilen Friedensdienstes ein, das von der Koalitionsregierung der ÖVP und Grünen erstmals angegangen wurde.
»Kriege abschaffen heißt das Patriarchat abschaffen - Ein Beitrag zur feministischen Friedenspolitik« ist Thema und Titel von Rosa Logars Beitrag. Die Vorsitzende der österreichischen Sektion der Women's international League for Peace and Freedom (WILPF) geht wie Thirring davon aus, dass Waffen keinen Frieden schaffen können. Sie vertritt eine konsequent feministische Friedenspolitik und erläutert diese anhand von internationalen Beispielen und vor allem der Tätigkeit von WILPF-Österreich. Im Interesse des Überlebens der Menschen und des Planeten sei eine große gesellschaftliche Transformation erforderlich, die patriarchale, kapitalistische...
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