Schweitzer Fachinformationen
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Der Orkan peitschte den Schnee in Wellen über das Eis. Er zersprengte den Atem, machte den Mann stumm und taub. Nadelspitze Kristalle drangen unter die Kapuze und bohrten sich in seine Haut. Das Heulen war ohrenbetäubend. Eine Kakophonie verdammter Seelen, die mit ihren Schreien die Dunkelheit erfüllten.
»Vater unser im Himmel. Geheiligt werde dein Name .«
Der Wind drückte ihm die Stimme zurück in den Hals. Siebzig Stundenkilometer, Tendenz steigend. Seine Lungen schmerzten. Es war, als hätte man der Luft jeglichen Sauerstoff entrissen.
Die Sicht war auf unter zwanzig Meter gefallen. Selbst das zuckende Licht der Lampe vermochte die Finsternis nicht zu durchdringen. Keuchend unterbrach der Mann seinen Lauf, lüftete den Pelzkragen und linste über den Rand des Schals. Wo war nur diese vermaledeite Hütte? Eigentlich hätte sie genau hier sein sollen. Hier, wo er stand. Stattdessen brüllende, zornige Finsternis. Panik überfiel ihn. Erst gestern hatte er noch zur Wetterstation hinübergeblickt, da war die Luft windstill gewesen und der Himmel klar. Ein Traum von einer arktischen Winternacht, mit Sternen, die bis zum Boden reichten. Doch hier auf Spitzbergen konnte das Wetter binnen weniger Stunden umschlagen. Dann ließ es den Menschen spüren, dass er nur geduldet war.
Die Wetterstation Heißsporn befand sich gut einen Kilometer vom Eingang der Forschungseinrichtung entfernt, doch bei diesem Wetter hätte sie genauso gut am anderen Ende der Welt liegen können. Und er hatte in der Eile vergessen, den Kompass einzustecken. Idiot, hirnverbrannter. Es waren schon Männer wegen geringerer Vergehen gestorben - verirrt, verloren, im Eis gefangen und erst zur Schneeschmelze wiederaufgetaucht wie starr gefrorene Rinderhälften. Andererseits, ob der Kompass unter diesen Verhältnissen überhaupt funktioniert hätte? Nadeln konnten einfrieren, magnetische Unregelmäßigkeiten zu Abweichungen führen.
Eine neue Böe fegte über ihn hinweg und riss ihn beinahe von den Füßen.
Der Mann rammte seine Stöcke ins Eis und klammerte sich fest. Unter Aufbietung all seiner Kräfte wartete er den arktischen Wutausbruch ab, dann zog er sich mit den Armen weiter vorwärts. Seine Tränen gefroren zu Eis. Immer ein Schritt nach dem anderen, so hatte es ihnen ihr Ausbilder beigebracht. Nur nicht den Halt verlieren. Zurückgehen war ausgeschlossen, nicht nach dem, was geschehen war. Nicht nach dem, was er gesehen hatte.
Er spürte das Feuer durch seine Adern rauschen. Eine unnatürliche Hitze, die sich tief in seine Eingeweide fraß. Obwohl hier draußen 30 Grad minus herrschten, schien er innerlich zu kochen. Was hatten sie getan? Was hatten sie nur angerichtet?
Zur Beruhigung seiner fiebrigen Nerven und in Ermangelung einer besseren Idee begann er, leise vor sich hin zu summen. Falsch und verstockt erst, dann mit der Zeit sicherer und beherzter. Er spürte, dass die Füße auf seine Stimme reagierten. In dieser lebensfeindlichen Umgebung war jeder menschliche Laut willkommen.
»Ein Jä. Jäger aus Kurpfalz, der reitet durch den grünen Wald, er schießt d. das Wild daher, gleich wie es ihm gefällt. Hur.ra, hurra, gar lustig ist die Jägerei, all.hier auf grüner Heid', allhier auf grüner .«
Er verstummte.
Drüben, am äußeren Rand seines Sichtfeldes, war ein kurzes rotes Blitzen zu sehen gewesen. Er schaltete die Lampe ab, und sofort war die Finsternis wieder da. Laut, brüllend, erstickend. Er hielt den Atem an, versuchte, seine Panik zu bezwingen.
Da. Da war es wieder. Das Positionslicht des Wetterpostens. Viel weiter rechts als erwartet, aber immerhin. Vermutlich hatte der Wind für die Abdrift gesorgt. Und dabei hatte er sich so bemüht, die Richtung zu halten. Er spürte einen Anflug von Hoffnung. Wenigstens für den Moment war er gerettet.
Mit neu erwachtem Mut machte er sich auf den Weg. Jeder Schritt, den er zwischen sich und die Forschungseinrichtung brachte, war eine Erleichterung. Er wollte nur noch weg. Weg von dieser kalten Insel, weg aus der ewigen Finsternis und Einsamkeit, vor allem aber weg von dem Grauen, das hinter ihm unter dem Eis lauerte.
Oberleutnant Karl-Heinz Kaltensporn fiel es schwer, seine Augen von der Karte abzuwenden. Das Wegenetz war ungeheuer. Viel größer als zunächst gedacht. Ein einziges gewaltiges Labyrinth aus Gängen, Stollen und Wegen, das keiner richtigen Logik zu folgen schien. Weder gab es Kanten noch rechte Winkel noch ebene Flächen. Die Anlage hatte mehr Ähnlichkeit mit einer Kinderzeichnung als mit dem Grundriss einer Siedlung. Und doch wohnte der Sache eine tief verborgene Logik inne. Die Menschen, die das erbaut hatten, waren vielleicht keine Architekten gewesen, aber sie waren Künstler. Gesegnet mit der Gabe der Harmonie und Vollkommenheit. Nicht Präzision oder Effizienz waren ihre Kriterien gewesen, sondern Schönheit und Einklang von Mensch und Natur. Ein Ideal, das den heimatlichen Architekten, allen voran Albert Speer mit seinen aberwitzigen Mammutprojekten, ein Dorn im Auge sein musste. Den Bauprojekten von Hitlers Generalbauinspektor und jetzigem Rüstungsminister hatte schon immer eine gewisse Hybris angehaftet, doch mittlerweile schienen die Herren in Berlin nur noch von Größenwahn getrieben zu sein. Alles musste immer gerader, weiter, höher und größer sein. Das Kleine wurde vom Großen erdrückt, das Starke fraß das Schwache - wie in der Architektur, so auch in der Gesellschaft. Waren Bauwerke nicht seit jeher ein Spiegel der Zivilisation? Doch solche Gedanken behielt man besser für sich, wenn einem die eigene Karriere lieb war. Außerdem: Kaltensporn hätte sich nicht zu dieser Mission gemeldet, wenn er nicht wenigstens zum Teil an die Versprechen des Führers geglaubt hätte. Den wortreichen Bekundungen vom schnellen Sieg, vom allumfassenden Triumph. Doch hier oben, im arktischen Norden, weit weg von daheim, fiel es ihm zunehmend schwer, den Traum vom tausendjährigen Reich zu träumen. Nicht, weil die Freunde von der Propaganda sich nicht redlich bemühten, diese Vision aufrechtzuerhalten, sondern weil die Meldungen, die man hier auf Spitzbergen über Funk aus anderen Teilen der Welt empfing, so ganz anders lauteten.
Kaltensporn konzentrierte sich wieder auf den Plan. Die Forschungseinrichtung des Kaiser-Wilhelm-Instituts, kurz KWI, befand sich am Rand dessen, was früher einmal eine Stadt gewesen sein musste. Eine Metropole, die mittlerweile vollständig von Eis überzogen war und damit einen gewissen Rückschluss auf ihr Alter zuließ. Dabei machte der Abschnitt, den man für die Labors in Beschlag genommen hatte, nur einen Bruchteil des ungeheuren Wegenetzes aus, das sich unterhalb des Gletschers in alle Richtungen ausdehnte. Niemand konnte ahnen, wie weit es sich noch ausdehnte. Es war im wahrsten Sinne des Wortes die Spitze des Eisbergs, und noch immer hatte niemand eine Ahnung, was genau sie da eigentlich gefunden hatten. Wer immer die Erbauer waren, sie hatten ihr Wissen bereits vor Hunderten, wenn nicht gar Tausenden von Jahren mit ins Grab genommen. Generation um Generation hatte das Geheimnis unter dem Eis geschlummert, nur um von deutschen Archäologen nach jahrelangem Suchen endlich entdeckt zu werden. Es war, als hätte der liebe Gott Himmlers Gebete erhört und ihm seinen langgehegten Traum erfüllt, den Traum von der Unsterblichkeit und der Nähe zu den Göttern. Aber mal davon abgesehen, hatte die Anlage auch einen praktischen Nutzen. Anstatt den Forschungsbetrieb in eigens konstruierten Baracken unterbringen zu müssen, konnte man nun das vorhandene Stadtgebiet nutzen und es zu höheren Zwecken umfunktionieren. Das bedeutete natürlich, dass die prähistorische Fundstätte und die Berichte darüber ebenfalls der obersten Geheimhaltungsstufe unterlagen. So kam es, dass kaum ein Mensch von diesem Fund wusste.
Die Lage war ideal. Abseits der gängigen Schifffahrtsrouten, geschützt und getarnt von einem mächtigen Gletscher, bot sie alle Voraussetzungen für eine erfolgreiche Arbeit. Als weiterer Vorteil kamen Ruhe, Abgeschiedenheit und vor allem die Entfernung zur nächstgelegenen menschlichen Niederlassung hinzu. Dieser Aspekt war besonders wichtig in Hinblick auf das, was hier erforscht wurde.
Kaltensporn wollte gerade ein paar Notizen machen, als von nebenan plötzlich ein heftiges Rumpeln zu hören war. Zeitgleich ertönte das Kläffen der Hunde.
Die Stimmen der Männer erstarben. Einen Moment lang herrschte Stille, dann entstand plötzlich ein mörderischer Lärm. Rufe ertönten, Stühle fielen um, und Stiefel polterten über den Holzboden. Kaltensporn sprang auf und griff nach seinem Karabiner. Er glaubte das Wort »Eisbär« gehört zu haben. Mit entschlossenem Blick stürmte er aus dem Funkraum hinüber zum Gemeinschaftsraum, wo bereits helle Aufregung herrschte. Bis auf den Funk-Obergefreiten Junghans, der mit blassem Gesicht über seinen Spielkarten hockte, waren alle aufgesprungen und hielten ihre Waffen in den Händen.
Wieder donnerte es gegen die Tür.
Kaltensporn lauschte einen Moment, dann nickte er.
»Scheint, dass wir Besuch bekommen, Männer.« Er blickte in die Runde. »Könnte der Bär sein, der neulich versucht hat, unserem Smut die Rentierschnitzel zu stibitzen. Junghans, schnapp dir die Mauser-Repetierbüchse aus dem Waffendepot und lad sie mit Teilmantelgeschossen. Brenn dem Kerl ordentlich einen auf den Pelz. Bring ihn zur Strecke, wenn er zudringlich wird, mit diesem Burschen ist nicht zu spaßen.«
»Jawohl, Herr Oberleutnant.«
»Und nimm den Notausgang, ich habe keine Lust, eine 250 Kilo schwere Fressmaschine in unserer Unterkunft stehen zu...
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