Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Du liegst nachts wach und grübelst, was du am Tag zuvor mit deinem Kind alles falsch gemacht hast. Du scannst jede Stunde auf genervte Reaktionen und Grenzüberschreitungen. Du machst dir Sorgen, was du damit angerichtet hast, und hast ein schlechtes Gewissen. Am nächsten Morgen rastest du trotzdem schon wenige Minuten nach dem Aufstehen wieder aus, weil dein Kind dir zu nah ist oder zu weit weg, dein*e Partner*in zu lethargisch, dein ganzes Lebensgefühl zu eng.
Du rennst durch den Tag, als ginge es um dein Leben, und merkst gleichzeitig: Du kommst nicht weiter, denn du drehst dich im Kreis. Du hältst im Alltag die vielen Bälle mit Präzision und Geschick in der Luft, während du dich immer wieder fragst: »Wofür? Wofür das alles? Was mache ich hier eigentlich?«
Doch ab und zu blitzen sie trotzdem immer wieder auf: diese kurzen Momente von Leichtigkeit, Magie und Liebe. Wenn du vor Stolz platzen möchtest über die ersten Schritte deines Kindes, das erste Bild, das erste Zeugnis. Wenn du dich verbunden fühlst, mit dir selbst, deiner Familie, dem Hier und Jetzt und der ganzen Schönheit dieser Welt. Das sind die Momente, in denen es dir gelingt, der Elternteil zu sein, der du sein möchtest. Phasenweise wärst du sogar gern Kind mit dir als Elternteil.
Doch so richtig viel Einfluss hast du nicht darauf, wie oft es diese Momente gibt. Sie wirken wie willkürliche Geschenke des Schicksals. Denn immer wieder tappst du in die Fallen alter Verhaltensweisen, die du doch eigentlich so dringend vermeiden möchtest: Dir reißt der Geduldsfaden und du beschämst dein Kind, weil es sich nicht allein anzieht. Dir fallen Sätze aus dem Mund, die du sofort bereust.
»Du bist doch kein Baby mehr!«
»Wenn du dich nicht sofort fertig machst, ist der Besuch bei Oma gestrichen!«
Deine Wut, wenn dein Kind nicht hört, treibt dich in eine Spirale aus Schimpfen und Dramatisieren.
Den Vorsatz, deinem Kind eine glücklichere und unbeschwertere Kindheit zu schenken, als du sie selbst erlebt hast, brichst du regelmäßig mit großer Sicherheit. Du denkst eigentlich auch, dass du alles dafür tust. Doch die gewünschten Ergebnisse bleiben aus. Dann fühlst du dich noch schuldiger.
Damit bist du nicht allein. Die meisten Eltern wollen ihren Kindern liebevoll, achtsam und feinfühlig begegnen. Die bedürfnisorientierte Erziehung ist mit einer Flut an Ratgebern, Blogartikeln, Instagram-Profilen und Onlineangeboten auf offene Ohren und Herzen gestoßen. Doch genau diese Eltern, die hohe Standards verfolgen, es wirklich gut mit ihren Kindern meinen und bereits einiges an Wissen gesammelt haben, scheitern permanent an ihren eigenen Ansprüchen, brennen aus oder wissen einfach nicht mehr weiter.
Eigentlich ist diesen Eltern klar, dass sie ihren Kindern auf Augenhöhe begegnen, freundlich mit ihnen sprechen und gute Lösungen für Konflikte im Familienleben finden wollen. Doch sie schaffen es einfach nicht.
Vielleicht geht es dir ähnlich. Du merkst: Es reicht nicht.
Es reicht nicht, gute Vorsätze zu haben.
Was ist das für ein scheinbarer Magnetismus, der dich immer wieder zu Verhaltensweisen und Aussagen hinzieht, die doch eigentlich deinen Werten und Ansprüchen widersprechen?
Wenn du dieses Buch in der Hand hältst, hast du wahrscheinlich schon eine Ahnung, woher dein Leidensdruck kommen könnte. Du spürst, dass du nicht die*der Erste bist, die*der schimpft, schreit und ignoriert, sondern dass dir in der Vergangenheit ein schweres Gepäck aufgeladen wurde.
Vermutlich hast auch du schon ähnliche Momente wie den oben beschriebenen mit deinem Kind erlebt, in denen du dich plötzlich angehört hast wie deine früheren Bezugspersonen aus deiner eigenen Kindheit, obwohl du doch genau das verhindern wolltest. Oder du hast dir gewünscht, emotional für dein Kind in einer schwierigen Situation verfügbar zu sein - konntest es aber einfach nicht. Es war wie verhext.
Als du mit der Geburt deines Kindes als Elternteil geboren wurdest, hat das wie bei den meisten Menschen etwas mit dir gemacht, tief innen. Es holt etwas hervor, was lange verborgen war. Dein Kind bringt dich in Berührung mit Gefühlen, die du vielleicht noch nie oder zumindest schon sehr lange nicht mehr gefühlt hast. Elternteil zu werden, bringt Erinnerungen nach oben, die lange verschüttet waren.
Wenn du an deine eigene Kindheit zurückdenkst, dann hast du entweder konkrete Erinnerungen an Verletzungen oder schwierige Zeiten oder vielleicht auch nur ein diffuses Gefühl von »Irgendetwas hat da nicht gepasst«. Manche Eltern, mit denen ich zusammenarbeite, erinnern sich sehr gut an belastende Ereignisse oder auch Traumata. Andere haben gar keinen Zugang zu Kindheitserinnerungen. Bei manchen sitzt der autoritäre Erziehungsstil der eigenen Eltern noch tief, der von Verbindungslosigkeit, Leistungsdruck und Schimpfen geprägt war. In unserer Gesellschaft wächst das Bewusstsein dafür, dass uns diese früheren Erziehungsmethoden vielleicht doch geschadet haben könnten oder zumindest Spuren hinterlassen haben, die wir uns so vielleicht nicht freiwillig ausgesucht hätten. Wir lebten lange Zeit in einer Gehorsamsgesellschaft, in der es zum guten Ton gehörte, Kinder abzuwerten, zu bestrafen, zu beschämen und ihre Gefühle zu missachten, »weil sie es ja sonst nicht lernen«.
Werte, mit denen die Generationen vor uns aufwuchsen
Deutsches Kaiserreich (ca. 1870-1918)
In der Zeit der Industrialisierung waren Familienstrukturen stark patriarchalisch. Kinder wurden als »kleine Erwachsene« betrachtet, die auf Gehorsam und Respekt getrimmt wurden. Disziplin und Fleiß galten als wichtige Tugenden.
Weimarer Republik (1918-1933)
Nach dem Ersten Weltkrieg gab es Bemühungen, die Erziehung und das Bild vom Kind zu modernisieren. Erste Stimmen für eine kindgerechtere Erziehung wurden laut, darunter Maria Montessori, die Kinder als eigenständige Persönlichkeiten betrachteten, die von Geburt an kompetent und schützenswert sind.
Nationalsozialismus (1933-1945)
Mit dem Machtantritt Hitlers verherrlichte die staatliche Propaganda die »arische Familie« und setzte auf disziplinierte, soldatische, grausame und strenge Erziehung im Dienst der nationalsozialistischen Ideologie. Kinder sollten gehorsam sein und bereit, sich dem Kollektiv unterzuordnen.
Nachkriegszeit und Wirtschaftswunder (1945 bis 1960er-Jahre)
In der Wiederaufbauzeit blieben alte, autoritäre Strukturen in der Erziehung bestehen. Viele Menschen waren von Gefangenschaft, Hunger, Flucht und Verlust von Angehörigen traumatisiert und emotional nicht in der Lage, ihren Kindern Verbindung und Geborgenheit zu schenken. Die Wirtschaftswunderzeit versprach Statusgewinn durch materielles Eigentum und Leistung - Werte, die Großeltern- und Elterngenerationen bis heute zutiefst prägen.
Erst in den 1970er-Jahren brach der autoritäre Konsens in der Erziehung langsam auf, aber es sollte noch bis weit in die 2000er-Jahre dauern, bis liebevolle Begleitung zum Goldstandard wurde. Und dieser Prozess ist bis heute nicht abgeschlossen.
Warum du das Gefühl hast, wie so viele Eltern an der bedürfnisorientierten Erziehung zu scheitern, liegt damit auch an der transgenerationalen Weitergabe von Interaktionsmustern, also Denkweisen, Überzeugungen, unbewussten Prägungen, Verhaltensweisen und mehr. Diese Übertragung kann gravierenden Einfluss haben. Oft ziehen sich dysfunktionale Verhaltensmuster und Beziehungsdynamiken wie ein roter Faden durch mehrere Generationen einer Familie. Der Erziehungsstil kann hierbei ein Aspekt sein. Ein anderer sind klassische Traumata wie Flucht, Krankheit oder Krieg, Erlebnisse, die unsere Vorfahr*innen zur Genüge erlebt haben. Aber auch so etwas wie häufige Beziehungsabbrüche, berufliche Misserfolge oder wiederkehrende Konflikte können Spuren hinterlassen. Diese Erlebnisse und Erfahrungen deiner Vorfahr*innen können auch bei dir wirken, in der Gegenwart.
Genau diese Tatsache ist es, die häufig mit dem Wunsch vieler Eltern, ihren Kindern ein besseres Leben zu ermöglichen, kollidiert: Sie wollen sich auf die Reise des glücklichen Familienlebens begeben, haben jedoch Übergepäck. Mit diesem Rucksack können sie ihre Reise zu mehr Leichtigkeit, Souveränität und Freiheit nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen antreten. Diese Einsicht nötigt Eltern, sich dem alten Gepäck, das an die Oberfläche kommt, zu stellen und die offenen Themen zu bearbeiten. Denn sie sind jetzt nicht mehr das letzte Glied der Kette.
Plötzlich bist auch du nicht mehr die letzte Generation, nicht mehr nur »Kind von«, »Frau oder Mann von«, sondern auch »Mutter oder Vater von« einem ersten oder weiteren Kindern. Jetzt ist es an dir, ob du dein Gepäck deinem Kind vererben willst - oder ob du den Kreislauf durchbrechen kannst, ein Cyclebreaker bist, der Liebe statt Schmerz weitergibt.
In diesem Buch möchte ich dir zeigen, wie du zum Cyclebreaker werden kannst und neue Wege auf eurer Familienreise findest. Auch dir kann es gelingen, aus der Enge und den scheinbar unüberwindbaren Verhaltensmustern und Beziehungsdynamiken auszubrechen und endlich das Leben zu leben, das du dir erträumst.
Als systemische Familien-, Kinder- und Jugendtherapeutin ist genau das der Kernpunkt meiner Arbeit: Ich habe Tausende Familien begleitet, in ihrem Alltag die...
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