Heilmittel Knospe - Das sollten Sie wissen
Nachdem wir uns nun der botanischen Seite der Knospen zugewendet haben, lassen Sie in diesem Kapitel einmal betrachten, was es mit deren Heilmitteln auf sich hat und wie sich diese von der klassischen Phytotherapie unterscheiden.
Wie bereits eingangs erwähnt, weisen die zarten, frischen Knospen von Bäumen und anderen Pflanzen eine hohe Wirkung auf. Sie entfalten eine enorme Heilkraft und spenden viel Lebensenergie. Es stellt sich die Frage, warum die Gemmotherapie erst in den letzten Jahren ihren Platz auch in Deutschland gefunden hat, da doch die klassische Pflanzenheilkunde - die Phytotherapie - spätestens zu Lebzeiten von Hildegard von Bingen in ganz Europa großes Ansehen erlangte.
Hildegard von Bingen (*1098 - ┼1179) lebte im frühen 12. Jahrhundert und gilt noch heute als eine der ersten Vertreter der deutschen Mystik sowie als Heilerin, Naturforscherin und Philosophin des deutschen Mittelalters. Sie erkannte schon früh, dass der Mensch, sein Körper und die Seele mit der Umwelt (Fauna und Flora) stets miteinander verbunden sind und behandelte nicht nur die Symptome ihrer Patienten, sondern erforschte auch die Ursachen der jeweiligen Leiden. Hier spielte der seelische Gemütszustand eine besonders große Rolle. Sie widmete sich Zeit ihres Lebens vor allem den Heilpflanzen und entwickelte hier zu immenses Wissen.
Was verstehen wir unter Phytotherapie?
Die Phytotherapie, im Volksmund auch als "Kräutermedizin" bezeichnet, ist die Lehre der Anwendung von heilenden Pflanzen, wobei Erfahrungswerte, Traditionen und überliefertes Wissen eine bedeutende Rolle spielen. Die pflanzlichen Heilmittel unterliegen dem Arzneimittelrecht. Die Pflanzenheilkunde gehört weltweit zu den ältesten medizinischen Anwendungen. Ihr Ziel ist die Erforschung der Heilpflanzen hinsichtlich ihrer therapeutischen Wirkung.
Wie bereits im ersten Kapitel erwähnt, erfand Henri Leclerc für diese Heilmethode den Begriff Phytotherapie. Erst geraume Zeit später, im Jahr 1931, begründete der deutsche Facharzt für Innere Medizin Rudolf Fritz Weiss (* 1895 - ┼ 1991) die wissenschaftliche Pflanzenheilkunde und erlang den Titel "Professor für Phytotherapie".
Während in der Gemmotherapie lediglich die jungen Knospen, Sprosse und Triebe zum Einsatz kommen, werden in der Phytotherapie grundsätzlich Pflanzenteile wie Blätter, Blüten, Rinden, Samen und Wurzeln aber auch ganze Pflanzen verwendet (das komplette Kraut, Algen, Pilze) oder Teile davon (Blätter, Blüten und Wurzeln) verwendet, entweder im frischen Zustand oder getrocknet. Die dort enthaltenen Wirkstoffe werden extrahiert und teilweise konzentriert. Zur Anwendung kommen diese entweder als Aufguss (Infus), Auskochung (Dekokt), in flüssiger Form (durch Destillation oder Mazeration, sprich einem Kaltwasserauszug) als Saft, Tee oder Tinktur, als ätherische Öle, in pulverisierter oder in frischer Form. Im letzteren Fall werden die Bestandteile entweder zu Tabletten gepresst oder in Kapseln abgefüllt. Für Extrakte ist hier lediglich die Verwendung von Ethanol in geeigneter Konzentration zugelassen.
In der Regel wirken die Inhaltstoffe der Heilpflanzen als Stoffgemische und können auch natürlichen Schwankungen unterliegen, sei es durch den Erntezeitpunkt der Pflanze, dem wechselnden Klima oder unterschiedlichen Standorten. Auch der Herstellungsprozess und die Lagerungen können bei der Zubereitung der Heilpflanzen den Gehalt der Inhaltsstoffe beeinflussen Aus diesem Grund wird ein besonderes Augenmerk auf die Standardisierung der Ausgangsstoffe und der jeweiligen Herstellungsmethoden gelegt, damit die Phytopharmaka (die pflanzlichen Arzneimittel) eine gleichbleibende Qualität und Wirksamkeit aufweisen. Im Übrigen dürfen Arzneimittel nur dann "pflanzlich" genannt werden, wenn sie zum einen ausschließlich Pflanzen oder Pflanzenteile jedoch keine chemischen oder tierischen Zusatzstoffe enthalten. Weiterhin schreibt das Arzneimittelgesetz (AMG) vor, dass diese Mittel dafür vorgesehen sein müssen, bestimmte Beschwerden im Körper, Krankheiten oder Schäden vorzubeugen, zu lindern oder bestenfalls zu heilen.
Hinweis:
Auch wenn Phytopharmaka als milde, natürlich wirkende Medizin gelten und in der Regel nicht verschreibungspflichtig sind, ist anzumerken, dass die Einnahme von pflanzlichen Arzneimitteln auch Nebenwirkungen hervorrufen kann. Aus diesem Grunde ist es sinnvoll, die Nutzung solcher Mittel vorher mit einem Arzt, Apotheker oder Heilpraktiker zu besprechen, um unerwünschte Reaktionen zu vermeiden.
Phytopharmaka müssen, bevor sie in Deutschland verkauft werden dürfen, zunächst einmal vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zugelassen und registriert werden. Dafür sind, wie auch bei herkömmlichen Medikamenten, die Sicherheit und die Wirksamkeit des jeweiligen Heilmittels anhand von klinischen Studien vorab zu bestätigen. Nach diesem Vorgehen erhält das geprüfte Medikament eine Zulassungs- bzw. eine Registrierungsnummer, die dann auf der entsprechenden Verpackung vermerkt ist.
Lediglich bei traditionellen pflanzlichen Medikamenten wird eine Ausnahme gemacht: hier ist es verpflichtend, dass diese bereits seit mindestens 30 Jahren medizinisch eingesetzt worden sind. In diesem Fall haben für die Registrierung keine klinischen Studien bezüglich der Wirksamkeit vorzuliegen. Dennoch wird vor der Registrierung in Deutschland trotzdem überprüft, ob das Mittel sicher und wirksam ist.
Zu den Phytotherapien zählen vor allem die folgend aufgeführten Methoden:
- die rationale Phytotherapie
- die Japanische Phytotherapie (Kampo)
- die Traditionelle Chinesische Medizin (TCM)
- Ayurveda
Rationale Phytotherapie
Die rationale Phytotherapie ist vergleichbar mit der naturwissenschaftlich orientierten, europäischen Phytotherapie. Auch wenn die bereits erwähnte Vorreiterin Hildegard von Bingen bereits im 11. Jahrhundert mit pflanzlichen Heilmitteln arbeitete, so findet der Begriff "rationale Phytotherapie" seine Anfänge jedoch erst im Jahr 1811. In diesem Jahr isolierte der deutsche Apotheker Friedrich Wilhelm Sertürner (*1783 - ┼1843) zum ersten Mal eine Einzelsubstanz aus einer Pflanze: er extrahierte aus Opium das allseits bekannte Morphin. Dieses wird als das erste in Reinform isolierte Alkaloid bezeichnet und ist ein stark wirkendes Opiat, das vorwiegend in der Schmerztherapie eingesetzt wird. Weiterhin zählt es als Rauschmittel und unterliegt demzufolge den betäubungsmittelrechtlichen Vorschriften.
Mittlerweile können pflanzliche Inhaltstoffe auch chemisch verändert und sogar komplett künstlich nachgebaut werden. Hier spricht man von der sogenannten Synthetisierung. Ein bekanntes Beispiel dafür sind Kopfschmerztabletten. Hier wird der darin enthaltene Wirkstoff Salicylsäure künstlich hergestellt. Ursprünglich wird Salicylsäure allerdings aus der Weidenrinde gewonnen. Tatsächlich geht man davon aus, dass mittlerweile die Mehrzahl der in der Allopathie (Schulmedizin) angewendeten Arzneimittel anfänglich von Pflanzenwirkstoffen abstammen, was zeigt, dass der Übergang von der Phytotherapie zur Schulmedizin fließend geworden ist.
Praxistipp für die Herstellung eines natürlichen Schmerzmittels:
Sollten Sie auf die Einnahme von chemischen Schmerzmitteln verzichten wollen, achten Sie bei Ihrem nächsten Spaziergang auf abgefallene Äste oder umgestürzte Weidenbäume und entfernen Sie dort behutsam die Rinde. Trocknen Sie diese über 2 bis 3 Tage und schon können Sie davon einen Tee aufkochen (Ziehzeit: 15 Minuten) und z. B. gegen mittelschwere Kopfschmerzen einnehmen. Dieser Tee ist übrigens sehr bekömmlich und verhilft zu innerer Ruhe.
Die rationalen Phytopharmaka (aus dem Griechischen "Pharmakon" für Arzneimittel) unterscheiden sich also von den meist chemisch definierten Medikamenten der Schulmedizin, da sie vorwiegend normierte und standardisierte Extrakte enthalten, während in der Therapie mit synthetischen Wirkstoffen Einzelsubstanzen verabreicht werden. Selbstverständlich gilt aber auch hier, dass die in den rationalen Phytopharmaka enthaltenen Wirkstoffe (Extrakte) zur klinischen Wirksamkeit und Verbesserung der Befindlichkeiten beitragen. Ein Therapeutikum, dass seine Extrakte aus einem oder auch aus mehreren Teilen der gleichen Pflanze enthält, wird "Monopräparat" genannt. Besitzt es jedoch in extrahierter Form Wirkstoffe aus verschiedenen Pflanzen, so gilt es als pflanzliches "Kombinationspräparat".
Die rationale Phytotherapie verwendet also keine chemischen oder synthetischen Zusätze, nutzt jedoch die gleichen wissenschaftlichen Methoden, wie auch bei synthetischen Mitteln üblich. Darunter fallen u. a. Wirksamkeitsnachweisen, die unter kontrollierten Doppelblindstudien erbracht und nach naturwissenschaftlichen Bewertungsmaßstäben durchgeführt und belegt werden, sowie toxikologische Untersuchungen.
Japanische Phytotherapie (Kampo)
Kampo ist ursprünglich ein Begriff aus Japan und bedeutet übersetzt in etwa "chinesische Verfahren / Rezepte / Richtung" oder eben Pflanzenheilkunde. Entwickelt wurde die japanische Phytotherapie im 19. Jahrhundert und die japanische Kampo-Medizin hat ihre Wurzeln in der "Traditionellen Chinesischen Medizin" (TCM). Doch unterscheidet sie sich grundlegend von der TCM, da Kampo vor allem großen Wert auf die Bauchdeckendiagnose und hier speziell auf die Palpation (das Abtasten) legt. Zusätzlich werden zur Diagnose von Krankheiten bei den körperlichen...