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7. März 1944, Paris, Frankreich
Was für ein beschissener Tag für eine Verhaftung.
Nikolas Brandenburg zog seinen Hut tiefer ins Gesicht, schlug den Kragen seines Mantels hoch und rückte ein wenig enger an den kleinen Zeitungsstand, der ihm nur unzureichenden Schutz vor dem prasselnden Regen bot. Die Kälte hatte sich tief in ihn hineingefressen und dort eingenistet, trotz seiner dicken Kleidung und der schwarzen Handschuhe. Wenige Laternen warfen ihr spärliches Licht auf das Kopfsteinpflaster und ließen die Pfützen gelblich schimmern. Zum wiederholten Male zog Nikolas ein Streichholz über die Reibfläche, steckte sich eine Salem an und ließ seinen Blick über die Kreuzung vor der Place d’Italie im 13. Arrondissement schweifen.
Paris hatte unendlich schöne Seiten. Diese war keine davon. Die mehrstöckigen Gebäude waren grau und die Fassaden lieblos gestaltet. Während einige Geschäfte im Erdgeschoss für ihre Konsumgüter warben, standen die meisten leer und waren mit Holzbrettern zugenagelt. Hastig hingeschmierte Wörter in roter Farbe verlangten den Tod des derzeitigen Staatschefs des gerade neu gebildeten französischen Staates, Philippe Pétain, und ließen den Widerständler des freien Frankreichs, de Gaulle, hochleben. Nikolas inhalierte einen Zug, ließ den Rauch durch die Nase entweichen und beobachtete, wie er vom Wind fortgetragen wurde, bis er sich komplett auflöste. Dann atmete er tief und fixierte das Backsteingebäude etwas abseits. Sein Französisch war gut genug, um den Betrieb als Holzfertigungsfirma zu identifizieren. Allerdings war diese längst geschlossen, zumindest für den ursprünglichen Zweck, wenn er seinen Informanten Glauben schenken konnte.
Der frische Duft, den die Seine am Tag in die Stadt hineintrug, war hier einem modrigen Geruch gewichen, der ihn an eine Jauchegrube erinnerte. Aber auch das war Paris. Nicht nur die schlichte Schönheit des Eiffelturms, kleine romantische Bistros und fein gekleidete Damen, sondern auch das Hafenviertel, in dem es zum Himmel stank, und das noch trostloser und verlorener wirkte in einer Nacht wie dieser.
Endlich kündeten leise Motorgeräusche das Eintreffen der Einsatzgruppen an. Automatisch sah Nikolas hinüber. Die Lichter der vier Wagen und zwei Mannschaftstransporter erloschen gut 50 Meter vor der Kreuzung. Die Männer der SS waren gut trainiert. Leise aber energisch stiegen sie aus und kamen im Laufschritt auf Nikolas zu. Ihre Maschinenpistolen hielten sie eng am Körper. Gut drei Dutzend schwarze Männer, in einer noch düstereren Nacht. Nur an ihren hellen Gesichtern konnte man erkennen, dass sie keine Schatten waren, die einem Albtraum entsprungen und in die Wirklichkeit gelangt waren. Sein Chef, Hauptsturmführer Luger, eilte mit weit ausholenden Schritten vorneweg. Die mitternächtliche Störung hatte seine chronisch schlechte Laune nicht gerade verbessert.
»Hoffe, dass Sie diesmal richtigliegen, Herr Kriminalkommissar«, zischte Luger leise. Mit einer Geste wies er die Männer an, stillzustehen, und stemmte die Hände in die Hüften. Dann sah er sich um, wie ein Feldherr, der den Boden inspiziert, auf dem die Schlacht stattfinden soll. »Immerhin schon ihr dritter todsicherer Tipp, diese Résistancezelle endlich zu vernichten.«
Luger trat näher an Nikolas heran. Es schien ihm nichts auszumachen, dass der Regen auf der schwarzen Uniform aufschlug, sich auf seiner Mütze sammelte und schließlich an seinem akkurat geschnittenen Spitzbart heruntertropfte.
»Gnade Ihnen Gott, wenn es auch dieses Mal ein Fehlschlag ist. Dann kann Ihnen selbst Ihr Vater nicht mehr helfen.«
Seine dunklen Augen glühten. Nikolas musste sich zwingen, seinem Blick standzuhalten. Wie ein Bulle atmete Luger gepresst aus, bereit, jeden Feind in der Luft zu zerfetzen.
»Marsch!«, brüllte er schließlich den Männern zu und ging voran. Noch im Gehen zog er seine Dienstwaffe aus dem Halfter und stieß Nikolas dabei kräftig gegen die Schulter. Nikolas hatte Mühe, sich auf den Beinen zu halten.
Die Männer hatten das Gebäude schnell umstellt. Kurze Zeit war nur das Prasseln des Regens zu hören. Dann pfiff Luger, und das Donnergrollen begann. Sie drangen in den Komplex ein, feuerten und brüllten Befehle in die Räume. Hell leuchteten die Mündungsfeuer der MP 40, dumpfe Trommelschläge begleiteten die todbringenden Schüsse. Immer noch an den Zeitungsstand gelehnt, rauchte Nikolas weiter. Sein Blick wanderte. Hinter einigen Fenstern der umstehenden Häuser konnte er Silhouetten ausmachen, die schnell verschwanden und sich vor dem schwarzen Schatten versteckten. Niemand traute sich, Licht in seiner Wohnung zu machen. Ein kurzer Blick musste genügen, um sicherzustellen, dass die SS nicht vor der eigenen Tür stand. Ein Kind begann zu schreien, doch nach wenigen Sekunden erstarben die schrillen Töne.
Erst als die Geräusche der Männer leiser wurden und der Regen wieder monoton sein rauschendes Lied erklingen ließ, traute sich Nikolas an das Gebäude heran. Vor der Tür ließ er die Zigarette auf den Boden fallen und trat dann ein, sodass er den letzten Qualm in den Komplex blies. Der beißende Geruch von Schwarzpulver drang ihm in die Nase. Im kleinen Vorraum scherzten zwei SS-Soldaten, ruhig an die Wand gelehnt, als wären solche Aktionen für sie alltäglich.
»Kriminalkommissar Brandenburg!«, hallte es laut. Der tiefe Ton von Lugers Stimme glich dem einer Tuba.
Nikolas räusperte sich und ging langsam durch den Eingang zur großen Halle. Mehrere wuchtige Maschinen säumten den Gang und wurden lediglich von Fließbändern unterbrochen, die ihren Dienst längere Zeit nicht mehr getan zu haben schienen. Eine dünne Staubschicht hatte alles bedeckt. Nur schwerlich konnte er die Treppe erkennen, welche zu dem Fertigungsboden hinunterführte. Zuckende Blitze erhellten den Raum für wenige Herzschläge und gaben ihm etwas Gespenstisches. In der Mitte der Halle thronte Luger breitbeinig und mit verschränkten Armen.
»Was fehlt?«, schrie er.
»Herr Hauptsturmführer?«
»Was fehlt, Brandenburg?«
Aus seinen Augen sprach Hass. Nikolas kam sich auf einmal unheimlich klein vor zwischen all den groß gewachsenen Männern in den bedrohlichen Uniformen. Er war nass bis auf die Haut, und seine Krawatte saß sicherlich schief, doch er widerstand der Versuchung, sie gerade zu rücken.
»Die Leichen!«, zischte Luger schließlich. »Sie sind weg! Alle ausgeflogen wie die Vöglein.«
Mit dem Kopf deutete er dabei auf einen Schreibtisch, der unnatürlich angeordnet in der Mitte eines Ganges stand. Nikolas wusste, was jetzt kam, und schloss die Augen, während er sich umdrehte. Seit Monaten verfolgte er diesen Widerständler. Doch der schien ihm immer einen Schritt voraus, immer schneller als er selbst zu sein, immer ein wenig raffinierter. Es waren dessen Résistancekämpfer gewesen, die zwei brillante deutsche und einen französischen Wissenschaftler umgebracht hatten und hier in Paris untergetaucht waren wie Fische im weiten Meer. Unerkannt, anonym, spurlos. Unzählige Anschläge gingen auf sein Konto. Nach Monaten der Ermittlungsarbeit hatte Nikolas nichts zu vermelden außer Fehlschlägen. Dieses Mal war er sich so sicher gewesen. Sein Informant hatte noch nie falsch gelegen. Und jetzt hatte er eine Eingreiftruppe und seinen Chef aus den Betten klingeln lassen, um eine leere Halle zu stürmen.
Erst als er direkt vor dem Tisch stand, öffnete er seine Augen. In einer viel zu großen Vase steckte ein Strauß getrockneter Gänseblümchen. Daneben ein Bild, das das Konterfei Adolf Hitlers zeigte. Nikolas griff den Rahmen und hielt ihn hoch, sodass die Blitze das Porträt erhellten. Die Augen des Führers waren ausgehöhlt worden und aus seiner Stirn stachen Teufelshörner hervor.
Es war definitiv die richtige Résistancezelle. Leider war sie ihnen auch dieses Mal einen Schritt voraus.
›La Pâquerette‹ – das Gänseblümchen.
Der Boss dieser Zelle war jetzt schon eine Legende unter allen französischen Widerstandskämpfern. Ein Mythos, über den nichts bekannt war, was man auch nur ansatzweise verwenden konnte. Keine Vergangenheit, keine Aufnahmen, rein gar nichts. Er war vor einigen Jahren aus dem Nichts aufgetaucht und hatte sein Netz gespannt, das mittlerweile nicht mehr nur Paris überzog. Nikolas hatte oft überlegt, warum er diesen Namen gewählt hatte. Irgendwann hatte er der Versuchung nicht mehr widerstehen können und im Lexikon die Bedeutung dieser Blume nachgeschlagen.
Unscheinbar, widerstandsfähig, kaum auszumerzen und überall zu finden.
»Wie lange meinen Sie, Herr Kriminalkommissar Brandenburg, dass wir Ihre Inkompetenz noch erdulden müssen?«
Tief in seine Gedanken vergraben, zuckte Nikolas zusammen. Luger stand direkt neben ihm und wisperte die Worte gepresst in sein Ohr. Nikolas hob den Strauß Gänseblümchen in die Höhe.
»Es war wieder Pâquerette.«
Lugers Faust donnerte auf den Tisch. »Jetzt hören Sie auf mit diesem Untergrundboss. Ein Hirngespinst, Brandenburg!« Er tippte sich aggressiv mit dem...
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