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Elf Tage später, Düsseldorf
Die Welt um ihn herum brach zusammen.
Ganze Städte waren eingehüllt in giftigen Nebel, umschlossen von einer unsichtbaren Hand, die Tod und Verderben brachte. Stahlkolosse warfen Bomben ab und sprengten mit infernalen Explosionen alles weg, was gut und richtig war. Jegliche Menschlichkeit wurde ausgemerzt, bis nichts mehr übrig blieb als Leid und Pein.
Klock! Klock! Klock!
Menschen beklagten den Verlust ihrer Liebsten, in den Händen die toten Körper von Angehörigen. Ein Tuch aus Dunkelheit senkte sich über die Welt. Und hier, inmitten von Hass und Schmerz, wurde er zärtlich liebkost. Claires Finger streichelten sanft sein Gesicht, während Elsa seinen Kopf stützte. Sie sagten etwas, das er nicht verstehen konnte.
Er wollte zuhören, jedes ihrer Worte in sich aufsaugen, doch der Lärm um ihn herum ließ es nicht zu. Die Gesichter der beiden Frauen verschwanden. Ein Gefühl von Schwäche überkam ihn, er wollte aufgeben, wollte zulassen, dass die Finsternis siegte und ihn hinabzog. Seine Lider waren schwer, das Innerste voll von schmerzhaften Gedanken. Als hätte jemand seine Seele herausgerissen und den verbliebenen Hohlraum mit Dunkelheit gefüllt. Über allem thronte die Fratze von Luger, seines Feindes. Seine Stimme hörte er. Tief und durchdringend wie die eines Sängers.
»Dieses Spiel hat bereits lange genug gedauert. Wenn Sie mich fragen, Brandenburg, waren Sie als Kommissar die größte Fehlbesetzung, seit Kaiser Caligula sein Pferd zum Konsul ernannte. Ich werde diesen Fehler nun korrigieren.« Er kam näher, das Grinsen wurde breiter. In seinen Händen hielt er den Kopf von Marie, der Tochter seines Freundes Erik. Die blonden Haare des jungen Mädchens waren durchtränkt von Blut. Luger lächelte, sah es an. »Dieses unschuldige Gesicht, diese kleinen Finger. Die Kleine war völlig geschockt, als man ihr sagte, dass ihr Vater ein Verräter war. Jetzt ist sie in guten Händen.«
Er wollte Marie ergreifen, sein Patenkind, er hatte es Erik doch geschworen. Sich um sie zu kümmern, sie zu beschützen. Nikolas musste sie aus Lugers Klauen befreien. Nein, das war nicht möglich. Marie war seit Jahren tot. Er hatte an ihrem Grab geweint, für sie gebetet und Blumen abgelegt.
Luger wiegte sie in seinen Armen, begann, leise zu summen. Ein Wiegenlied für eine Tote. Es musste eine von Lugers Finten sein, ein Maskenspiel, um ihn zu verwirren. Er schrie so laut er konnte, ergriff Maries dünnes Ärmchen. Luger war übermächtig, keinen Zoll bewegte sich die Kleine. Sie weinte und rief seinen Namen.
». ihr Vater, ein Verräter.«
Nikolas Brandenburg schreckte hoch. Noch immer hämmerte sein Vater mit dem Gehstock gegen das Bett. Kopfschüttelnd sah er ihn an. »Schon wieder ein Albtraum?«
Nikolas atmete aus und ließ sich in das Kissen zurückfallen. Sein Schlafkleid war durchnässt von Schweiß, obwohl es um ihn herum grausig kalt war. »Ja, Vater.«
Eduard hatte Mühe, sich niederzulassen. Er ächzte bei jeder Bewegung und rückte das zugenähte Hosenbein zurecht, das seinen Beinstumpf verbarg. »Hast du oft in letzter Zeit.« Er sah ihn an, wie früher die Verdächtigen, als er noch bei der Polizei war. »Du redest im Schlaf.«
Nikolas fuhr sich über die langen Haare, die mittlerweile über seine Ohren reichten. Bei Gott, er brauchte dringend einen Haarschnitt - und eine Rasur. Zu schade, dass er als gesuchter Verräter nicht einfach in die Innenstadt spazieren und sich das Haupthaar trimmen lassen konnte.
»Etwas Wichtiges?«, wollte Nikolas wissen.
Eduard atmete tief. Nachdenklich trommelte er mit dem Ende seiner Gehhilfe auf den Holzboden. »Sie ist tot, Nikolas. Die Kleine ist auf der Brücke ums Leben gekommen, weil ihr Vater dumm genug war, sich mit dem Regime anzulegen.«
Nikolas wusste, dass sein Vater versuchte, seine Stimme weich und mitfühlend klingend zu lassen. Es misslang ihm völlig.
»Und ihren Namen im Schlaf zu rufen, bringt sie nicht wieder zurück«, fuhr er fort. »Egal, was Luger dir im Todesrausch versucht hat weiszumachen, es war eine Lüge, und das weißt du. Vergangenes ist vergangen.«
Doch wieso um alles in der Welt blieb da dieser Zweifel? Mehr eine Ahnung als ein richtiger Gedanke.
Eduard deutete mit einem Nicken in Richtung seines fehlenden Beins, dann stützte er sich auf der Krücke ab. Sein Blick ging ins Leere. Nikolas wusste sofort, dass er nicht sein fehlendes Bein meinte, sondern den Verlust von etwas anderem. Einer Person, die ihm immer Halt gegeben hatte. Wäre Mutter noch am Leben, wäre vieles anders gelaufen, versuchte er, sich einzureden. Doch sie war tot, lange Zeit schon. Ihr Tod hatte aus seinem Vater einen verbitterten Mann gemacht, der nur noch darauf aus gewesen war, Verbrecher zu jagen. Was wäre, wenn der Pelzhändler nicht die Kontrolle über seinen Wagen verloren hätte und sie noch am Leben wäre? Hätte sein Vater sich dann nicht in die Arbeit gestürzt und versucht, die Kriminalität im Alleingang zu zerstören? Es war die einzige Sache gewesen, die ihm noch etwas bedeutet hatte. Doch seit er sein Bein verloren hatte und somit seine Anstellung, hatte er nicht einmal mehr das.
Nikolas konnte seinen Vater mittlerweile besser verstehen. Schon immer war Eduard streng gewesen und hatte keine Schwäche zugelassen. Jetzt, da Nikolas selbst zwei Finger verloren hatte, bekam das Wort »Verlust« für ihn eine neue Bedeutung. Sein Beruf, seine Geliebte, die fehlenden Körperteile. Etwas, was vorher da gewesen war, würde nie wiederkommen. Der Krieg näherte sich seinem grausigen Ende, und es zeigte sich das ganze Ausmaß, was passierte, wenn man einem Mann alles nahm, das er liebte. Eduard Brandenburg war nicht mehr der allmächtige Kriminalrat, der Sturmbannführer und beste Kriminalist, den Düsseldorf je gesehen hatte, sondern nur ein alter Mann, dessen Überzeugungen nach und nach starben. Verstärkt durch den Tag einige Wochen zuvor, als er Nikolas das Leben gerettet hatte, vor einem Felsbunker in Haigerloch. Nun waren sie beide Verräter.
»Was der Herr nimmt, gibt er nie wieder zurück. Das solltest du am besten wissen«, murmelte sein alter Herr, fing sich wieder und fuhr mit dem Finger über Nikolas' Verband. »Wie fühlst du dich?«
Nikolas drehte die linke Hand vor seinen Augen hin und her. Ein seltsamer Anblick war das. Ein Scharfschütze hatte ihm den kleinen Finger und den Ringfinger abgeschossen. Dort wo sie eigentlich sein sollten, presste sich rötlich gefärbter Stoff um die Stumpfe. »Um ganz ehrlich zu sein, schmerzt es.«
»Nun ja, es ist noch nicht lange her, seitdem .«
»Nein, du verstehst nicht, Vater. Die Kuppen der beiden Finger tun mir weh.«
Eduard schwieg einen Augenblick. »Das geht vorbei«, flüsterte er schließlich. »Und deine Bauchwunde?«
Nikolas tastete die Stelle ab. Elsa hatte gute Arbeit geleistet. Wie lange war das nun her? Tage? Wochen? Wo zum Teufel steckte sie nur?
Die Medizinstudentin hatte ihm Trost gespendet in den vergangen, dunklen Monaten. Doch auch sie war verschwunden, genau wie das kalte Gefühl in seinem Körper, als eine Kugel ihn am Bauch traf. Er blickte an sich herab. Lediglich eine rötlich schimmernde Verkrustung war noch zu sehen. Ein Streifschuss als Andenken an Sturmbannführer Luger. Nur wenige Zentimeter weiter in die Mitte seines Torsos und es wäre um ihn geschehen gewesen. Im Krieg lief vieles sehr schnell, etliches aber auch zu langsam ab. Die unendlich dauernden Schlachten waren nur ein trauriges Beispiel.
»Es geht schon, ich komme wieder auf die Beine.«
Eduard erhob sich schnaufend. »Damit solltest du dich beeilen, wir haben nämlich Besuch.« Abschätzend musterte er seinen Sohn. »Vorher solltest du dich aber ein wenig frisch machen. Es gehört sich nicht, seine Gäste im Nachthemd zu empfangen.«
Sofort schlug Nikolas' Herz schneller. Nach den Ereignissen in der Versuchsanlage in Haigerloch hatten sie ihn und seinen Vater im Versteck der Résistance, der französischen Widerstandsbewegung, untergebracht. Ein altes, heruntergekommenes Landhaus am See, irgendwo zwischen Ratingen und Düsseldorf. Bald schon würde die Frontlinie hier verlaufen. Niemand konnte mehr übersehen, wie schnell sich die Tommys und Amis von Westen, der Russe von Osten her näherten. Die ursprüngliche Reichsgrenze war gefallen und die Schlacht um Aachen im Hürtgenwald dauerte nun bereits mehrere Monate. Laut den Reden des Propagandaministers und den Berichten der Wochenschau kämpfte die Wehrmacht einen verzweifelten, aber ruhmreichen Krieg im verschneiten Dickicht gegen die Zerstörung der deutschen Rasse. Nikolas wusste es besser. Ab und zu kam jemand vom Widerstand vorbei, brachte Essen, redete ein paar Takte über den Kriegsverlauf und sah nach seinen Verletzungen. Das kleine Radio mit Empfang der British Broadcasting Corporation tat ein Übriges. Aber um diese Zeit hatte ihnen noch niemand einen Besuch abgestattet. Wenn sich jemand hierher verirrte, konnte das nur eins bedeuten - Claire oder Elsa wollte ihn endlich sehen.
Allein dieser Gedanke ließ die Lebenskraft zurück in seine Glieder fließen. Hastig riss er die Decke zur Seite und erhob sich. »Ich warte unten«, sagte Eduard amüsiert und nahm schwerfällig die Treppe.
Die beiden Frauen hatten ihm...
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