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Fünf Stunden zuvor
»Maaaax, wo gehst du hin? Wieder fliegen?«
Lächelnd nahm Max seine jüngste Schwester auf den Arm und ging mit ihr in die Küche. Dabei breitete Marie ihre Arme aus und tat so, als wäre sie ein Flugzeug. Kurz knickte sein linkes Bein ein, was ihn erneut schmerzvoll daran erinnerte, dass er diese Frage verneinen müsste. Für immer.
»Bald wieder«, log er und setzte Marie auf den Küchentisch ab. »Oder vielleicht fliegst du bald selbst? Wie Hanna Reitsch. Sie hat das Eiserne Kreuz von Hitler persönlich bekommen.« Max imitierte, wie er seiner Schwester einen Orden verlieh, und breitete nun seinerseits die Arme aus. »Als erste Frau hat sie seine Messerschmitt Me 163 geflogen, das ist ein Raketenflugzeug und schneller als der Wind.«
»Sie ist auf einer Rakete geflogen?«, vergewisserte sich Marie lachend und mit einem ungläubigen Ausdruck in ihren Augen.
Das Lächeln seiner Schwester war schon immer ansteckend gewesen. Vielleicht war es die Unbekümmertheit der Fünfjährigen, die mit ihren strahlend blonden Haaren und dem einnehmenden Ausdruck jeden Gedanken einfach fortwischen konnte - mochte er noch so grausig sein. Wie sie das in diesen Tagen oft genug waren . Nur die wachen, dunklen Augen, fast schwarz, wie die seiner gesamten Familie, die keine Ruhe zu finden schienen, ließen vermuten, dass sie mehr mitbekam, als sie zugeben wollte.
»Die Füße vom Tisch.« Mutter Hilde ermahnte die beiden, ohne ihren Worten allzu viel Nachdruck zu verleihen. Sie hatte andere Sorgen.
Nickend hob Maximilian Marie vom Tisch und überreichte sie seinen Schwestern. Die Zwillinge Johanna und Annelise konnte außerhalb der Familie kaum jemand voneinander unterscheiden und nicht wenige sagten, dass ein unsichtbares Band zwischen ihnen geknüpft worden war. Obwohl sie nur wenige Jahre trennte, wurde Max aus den beiden nie wirklich schlau. Sie waren oft unter sich, tuschelten und machten alles gemeinsam, während er sich besser mit Marie verstand. Doch in diesen Tagen waren sie alle vereint im gemeinsamen Schmerz. Seine drei Schwestern gingen wortlos auf ihr Zimmer, während er sich zu seiner Mutter setzte.
»Noch immer keine Nachricht?«, wollte Maximilian wissen und knöpfte sich den Waffenrock zu.
Mutter schüttelte den Kopf, während sie die Wäsche zusammenlegte und tapfer lächelte. Doch er erkannte, wie tief die Höllenqualen der letzten Wochen sich in ihre Seele gefressen hatten.
»Um Punkt 9 Uhr stehe ich am Amt und warte auf Auskunft. Aber es gibt keine Veränderung.« Sie imitierte den gleichgültigen Tonfall, welcher ihr jeden Morgen entgegenschlug: »Der Herr Major Anton Engel wird immer noch vermisst, wir können Ihnen nicht mehr dazu sagen, bitte warten Sie auf Post.«
Maximilians Hände formten sich zu Fäusten, der Blick ging ins Leere. Seit zwei Monaten wurde sein Vater an der Ostfront vermisst. Man sollte meinen, dass er als Major der Infanterie nicht mehr mit einem Bajonett den Russen hinterherjagen sollte. Doch Vater hatte stets seinen eigenen Kopf. Vielleicht begründete dies auch seinen Ruf als Draufgänger. In diesem Moment wünschte sich Max schmerzlich, dass sein Vater nicht der Ordensammler wäre, der er nun einmal war.
Langsam erhob er sich, richtete sich und setzte seine Schirmmütze auf. Seine Mutter folgte ihm bis in den Empfangsraum. »Wo gehst du hin?«
»Ein paar Bier trinken.«
Sie wartete etwas, bis sie mit einem Kopfnicken auf sein linkes Bein deutete. Sie durchschaute ihn schon immer viel zu gut. »Werden die Schmerzen schlimmer?«
Max hatte die Klinke, die ihn aus der Stadtvilla führte, bereits in der Hand. Er schüttelte verbissen den Kopf und zündete sich eine Zigarette an. »Es ist erträglich.«
War es nicht, aber manchmal ersparte eine Lüge weiteren Schmerz. Und Schmerz war etwas, das Mutter in diesen Tagen sicher nicht gebrauchen konnte.
Mit gesenktem Kopf und einer Lüge verließ er das Haus.
*
Max trank.
Nach dem siebten Bier wurde es langsam besser.
Die Pein, die in Wellen durch seinen Körper zog, immer wenn er das Bein zu viel belastete, ließ langsam nach. Oder sie erreichte zumindest sein Gehirn nicht mehr, und das war ihm mehr als recht.
»Herr Oberleutnant, trinken Sie noch einen mit?«
Der Wirt der Eckkneipe Zum Wimmer, kurz vor dem Neumarkt, war ein stämmiger Mann mit dichtem Vollbart und gütlichen blauen Augen. Er hatte sich als Hans Wimmer vorgestellt und war offensichtlich überzeugter Nationalsozialist. Zumindest konnte man das meinen, wenn man die unzähligen Hakenkreuzbanner sah oder den Porträts von Kriegshelden und dem Reichskanzler Glauben schenken wollte. Soldaten in Uniform hatten es hier leicht, eine kostenlose Runde zu ergattern, da Hans Wimmer offensichtlich sehr darauf achtete, dass keiner der so hoch geschätzten Uniformierten auf Heimaturlaub eine trockene Kehle bekam.
Max nickte, und Wimmer schenkte eine klare Flüssigkeit ein. Beißender Geruch drang ihm in die Nase.
»Nicht dran riechen«, vernahm er vom Wirt und erkannte ein Augenzwinkern.
Das hier war Selbstgebrannter der übelsten Sorte. Schnell kippte er ihn hinunter und schob sein Glas zurück.
»Noch mal das Herrengedeck.«
Alles war ihm recht, um diese beschissenen Monate zu vergessen. Anstandslos stellte Wimmer ihm ein neues Bier hin und goss den Klaren nach. Max trank in großen Schlucken und belastete sein Bein vorsichtig.
Was zum Teufel war nur passiert?
Noch vor einem Jahr war er ein aufstrebendes Fliegerass gewesen, die Mädchen hatten sich um ihn gerissen, seine beiden Schwestern, die Zwillinge, waren kurz davor gewesen, sich gut zu verheiraten und Vater hatte einen Erfolg nach dem anderen eingeheimst. Der Völkische Beobachter titelte in jeder Ausgabe vom großen Endsieg und in der Wochenschau prasselte es Erfolgsmeldungen.
Zumindest einen kleinen, verschwindend geringen Anteil daran konnte Maximilian sich selbst zusprechen. Nach seiner Ausbildung als Flugzeugführer in Zerbst war er direkt in die II. Gruppe berufen worden, welche sich eigentlich aus erfahrenen Piloten zusammensetzte. Als Neuling im Jagdgeschwader 2 hatte er dort eigentlich nichts zu suchen, viele Sprüche und noch mehr Handgreiflichkeiten musste er über sich ergehen lassen, jedoch erkannten auch die alten Recken, dass er ein gewisses Talent am Steuerknüppel der Arado besaß.
Ein hauchzartes Lächeln huschte über seine Lippen, als er sich daran erinnerte, wie er den Doppeldecker durch die Wolken gejagt hatte. Während des Flugs hatte er die Augen geschlossen, um den pfeifenden Wind um seine Ohren zu genießen. Endlich hatten sich die unzähligen Stunden auf der A/B-Schule und am Steuer des Trainingsgerätes, Focke-Wulf Fw 44, gelohnt. Obschon er es immer hasste, wenn der Lehrer eingriff und seinen Flug korrigierte. Dies war nicht die Freiheit, wie er sie sich als kleiner Junge erträumt hatte, als er Bücher über die Heldentaten des Baron von Richthofen gelesen hatte, sondern nur ein kurzer Blick ins Paradies, bevor jemand die Tür wieder verschloss.
Nach einer Stationierung in Nordholz wurde es endlich ernst. Wie kleine Kinder, die das Weihnachtsfest nicht mehr abwarten konnten, wünschte sich die II. Gruppe den Tag herbei, auf dass sie ihre ersten Abschüsse ihr eigen nennen konnte. Während des Westfeldzugs war es so weit.
Max erinnerte sich noch genau, dass er das Gefühl hatte, er würde die Morane-Saulnier 406 ewig beharken müssen, bis endlich dicker Qualm das Unvermeidbare ankündigte.
Anschließend schloss er die Augen und spielte mit flachen Händen das Manöver immer und immer wieder durch. Er kam leicht aus der Überhöhung, schoss und nutzte die überschüssige Energie zu einem kantigen Steigflug, um wieder in der Überhöhung anzusetzen und zu feuern. Ein ewiges Katz-und-Maus-Spiel, bis er den Piloten der Armée de l'air zum Absturz brachte. Sein erster bestätigter Abschuss, auf den 77 weitere folgen sollten. Zumindest bis zu dem Tag, als .
Egal. Alles verblasster Ruhm. Er würde nie wieder fliegen. Alles war vergebens.
Er sah sich um. Die Mannschaftsdienstgrade bezahlten ohne Murren ihre viel zu niedrigen Zechen, während sich auch die Unteroffiziere so langsam in Richtung Heimat aufmachten. Er bestellte erneut und der Wirt Wimmer schenkte mit einem Lächeln nach.
Jedes Mal wenn die Tür aufging und sich ein Soldat mit einem Mädchen verabschiedete, umspielte die warme Sommerluft seinen Nacken. Der Dunst seiner Salem No. 6 Zigarette wurde dabei aufgewirbelt und für einen Moment konnte er frische Luft in seine Lungen ziehen. Er wartete, bis die Tür wieder geschlossen war und er weiter mit der grünen Zigarettenpackung spielen konnte. Seinen Blick zog es nach draußen.
Die Stadt hatte sich verändert in den letzten Monaten. Oder waren es die Menschen? Die Erfolgsmeldungen ließen immer länger auf sich warten. Durchhalteparolen statt Endsieg. Von seinem alten Geschwader waren die meisten verschwunden oder wahlweise zu Krüppel geschossen worden. Es grenzte an ein Wunder, dass ihn nur eine Kugel im Oberschenkel plagte. Sie erinnerte ihn schmerzlich daran, dass selbst Fliegerasse nicht unverwundbar waren.
Irgendetwas rollte auf sie zu, eine Lawine, die man nicht mehr aufhalten konnte, und sie standen im Tal, tranken Bier und Schnaps und vermieden es um jeden Preis, ihre...
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