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Anmerkung der englischen Übersetzerin: Der Kommentar besteht aus einer Reihe von Dharma-Vorträgen, die Zen-Meister Thich Nhat Hanh in den Frühlings- und Winterretreats von 2010 in Plum Village in Frankreich über das Nirva?a-Kapitel des chinesischen Dharmapada gehalten hat.12 Er schloss die Belehrungen über dieses Sutra im Dezember desselben Jahres ab. Die siebzehn Vorträge wurden auf Vietnamesisch gehalten.
Das Sutra, dem wir den Titel »Das Letztendliche genießen« gegeben haben, ist ein Kapitel des Dharmapada, genannt das Nirva?a-Kapitel oder Kapitel über Nirva?a. In der englischen Übersetzung verwenden wir das Wort »ultimate« [Deutsch: »letztendlich«] zur Übersetzung des vietnamesischen Ausdrucks »Raum außerhalb des Raums«. Gemeint ist damit der Raum, der über unsere Vorstellungen von Zeit und Raum hinausgeht. Obwohl der Raum um uns herum, der Raum, in dem wir leben, unermesslich groß ist, fühlen wir uns dennoch eingeengt, denn in dieser Art von Raum sind Zeit und Raum relativ. Unser Raum ist der Raum von Geburt und Tod, Fortbestehen und Aufhören, oben und unten, vorher und nachher. In diesem Raum können wir uns nicht wirklich wohlfühlen.
Der Buddhismus lehrt, dass der Raum und die Zeit, in denen wir leben, nicht notwendigerweise objektive Realitäten außerhalb unseres Geistes sind, sondern Schöpfungen unseres Bewusstseins. Der Raum außerhalb des Raums ist anders und transzendiert den von unserem Geist geschaffenen Raum. In diesem Raum gibt es keine Geburt und keinen Tod, kein Kommen und kein Gehen, kein Fortdauern und kein Aufhören. An diesem Ort fühlen wir uns viel wohler. Wenn wir den konzeptuellen Raum loslassen, haben wir eine andere Art von Raum, den wir den Raum außerhalb des Raums nennen. »Das Letztendliche genießen« bedeutet, dass wir es genießen können, in diesem Raum außerhalb des Raums zu sein. An diesem Ort gibt es kein »uns« und »sie«, keine Diskriminierung anderer. Dieser Raum ist unendlich weit, und er wird auch Nirva?a genannt.
Nirva?a kann nicht in Worten und Begriffen beschrieben werden. Es gibt nichts, was wir über Nirva?a aussagen oder uns vorstellen könnten, denn es liegt außerhalb unserer Begriffe und Konzepte. Über Nirva?a zu sprechen ist wie ein Spiel mit Worten, denn Nirva?a kann sprachlich und begrifflich nicht beschrieben werden. Trotzdem haben der Buddha und die Dharma-Vorfahren über Nirva?a gesprochen. Sie haben etwas getan, was nicht getan werden kann. Aus Mitgefühl haben sie ihr Äußerstes getan, um ein wenig darüber zu sprechen. Sie wussten sehr wohl, dass sie beim Sprechen die größte Sorgfalt walten lassen mussten, damit die Zuhörenden sich nicht in den Worten und Begriffen verfangen würden. Jemand, der über Nirva?a lehrt, muss in der Lage sein, geschickt zu sprechen, damit die Menschen nicht in dem Gehörten stecken bleiben. Die Dharma-Vorfahren haben ihr Bestes getan, um in geschickter Weise über Nirva?a zu sprechen, und wir als Schülerinnen und Schüler müssen unser Möglichstes tun, um geschickt zuzuhören, damit wir uns nicht in dem verfangen, was sie gesagt haben. Beide Seiten müssen ihr Bestes tun. Beim Studium dieser Verse über Nirva?a ist es wichtig, sich daran zu erinnern.
Wir können sagen: »Genieße deine Zeit im Letztendlichen« oder »Genieße den Raum des Letztendlichen«. Wir können den Raum des Letztendlichen auf eine sehr tiefe Weise genießen, denn darin gibt es keine Geburt und keinen Tod, keine Sorgen, keinen Kummer, kein Sein und kein Nichtsein. Es genießen oder sich daran erfreuen bedeutet hier, dass es nichts gibt, was wir tun müssten, wir müssen nirgendwohin gehen, nur unser Gehen genießen. Das einzige Problem mit dem Wort »genießen« ist, dass es nicht die Idee von Weite impliziert. Im Französischen gibt es das Wort flâner (»flanieren«), das bedeutet, sich daran zu erfreuen, ohne Ziel umherzustreifen. Im Sutra finden sich die Bilder von frei am Himmel fliegenden Vögeln und von Wild, das sich wohlfühlt, in der Natur umherzustreifen. Nirva?a bedeutet, dass du dir die Zeit nimmst, um zu genießen, wo du bist.
In der christlichen Theologie haben die Menschen viel über Gott debattiert. Gott lässt sich nicht in Worten beschreiben und vom Geist begrifflich und konzeptuell erfassen. Alles, was wir über Gott sagen oder denken, verfehlt ihn, denn Gott ist vollkommen jenseits von Denken und Sprache. Wenn wir das Christentum mit offenem Geist studieren, werden wir sehen, dass es auch im Christentum Nirva?a gibt, und das wird Gott genannt. Gott ist nicht so sehr der Schöpfer, der alles, was ist, erschaffen hat, sondern er ist der Grund, der alle Phänomene möglich macht, der Seinsgrund. Im Christentum verwendet man den Ausdruck »in Gott ruhen«, was bedeutet, zu Gott zurückzukehren und Zuflucht bei Gott zu suchen. Wenn wir dieses Sutra in die christliche Terminologie übersetzen wollten, würden wir es »Sutra über das Ruhen in Gott« nennen. Gott ist das Äquivalent der buddhistischen letztendlichen Dimension. Wir kommen zur letztendlichen Dimension zurück und ruhen dort.
Wir können dieses Sutra als Wissenschaftler oder als Buddhistin studieren. Ein Wissenschaftler würde sagen, wenn wir Sutras als Gläubige studieren, wären wir nie objektiv genug, um die Wahrheit zu entdecken, denn wir müssten unhinterfragt an alles glauben, was Buddha oder Jesus gesagt haben. Das widerspricht dem Geist der Wissenschaft. Auf den ersten Blick scheint es also, dass wir bei einem Sutra-Studium als Gläubige oder Schüler nicht streng und gründlich genug wären. Aber wenn wir noch einmal hinschauen, sehen wir, dass diese Herangehensweise auch ihre starken Seiten hat. Erstens: Wir haben Vertrauen in unseren Lehrer. Vertrauen in unsere Lehrerin haben bedeutet, dass wir nicht sofort etwas ablehnen, was wir nicht verstanden haben. Wenn wir ständig abwägen, zweifeln und hinterfragen, kann das eine gute Beziehung zu unserem Lehrer schwierig machen, und wenn wir dann eine Lehre hören, nehmen wir nicht viel davon auf. Eine Lehrer-Schüler-Beziehung kann sehr förderlich sein. Verstehen ist nicht nur eine intellektuelle Angelegenheit. Es gibt Zeiten, in denen wir mit unserem Herzen verstehen müssen. Unser Geist ist mehr als unser Gehirn. Er umfasst auch unser Herz. Oft hat unser Herz seine eigene Einsicht und zieht seine eigenen Schlussfolgerungen.
Der Buddhismus nennt die Fähigkeit, etwas zu untersuchen und eine Sache mit einer anderen zu vergleichen, anumana, was sowohl Deduktion als auch Induktion beinhaltet. Auch als Wissenschaftlerin verwenden wir Induktion und Deduktion. Wir sagen zum Beispiel: »Alle Lebewesen sterben. Der Mensch ist ein Lebewesen. Deshalb sterben die Menschen.« Das ist deduktives Denken. Abgesehen davon haben wir noch eine andere Fähigkeit, die kein logisches Denken voraussetzt. Sie heißt pratyak?a prama?a, direkte Wahrnehmung. Es handelt sich um eine ganz besondere Fähigkeit. Zuweilen erkennen wir plötzlich die Wahrheit, ohne dass wir analysieren, denken oder schlussfolgern müssten. Für die Erleuchtung ist die direkte Wahrnehmung sehr wichtig. Da sie des Denkens nicht bedarf, ist sie eine Art Intuition.
Im Buddhismus spricht man auch vom logischen Denken und Schlussfolgern der edlen Lehrerinnen und Lehrer. Die Buddhas und die Erleuchteten haben Erfahrungen gemacht, sie haben die Wahrheit gesehen und versucht, Mittel zu finden, um uns ihr Verständnis weiterzugeben. Wir können uns auf ihre Lehren verlassen, um schnell zur Einsicht zu gelangen, ohne auf uns allein gestellt im Dunkeln tappen zu müssen. Das ist mit der Empfehlung gemeint, uns auf die Gedankengänge der edlen Lehrerinnen und Lehrer zu verlassen. Diese finden sich in den Sutras. Sie beinhalten das, was Erleuchtete erfahren und erkannt haben und nun versuchen, uns zu vermitteln. Wenn wir geschickt genug sind, können wir uns für unsere eigene Erkenntnis und Verwirklichung auf diese Lehren stützen. Die Erleuchteten verwirklichen nicht die Wahrheit für uns. Sie leiten uns nur an, dem Weg müssen wir selbst folgen und ihn verwirklichen. Angenommen, wir haben noch nie eine Kiwi gegessen. Jemand, der bereits eine solche Frucht gegessen hat, wird uns sagen, dass eine Kiwi anders als eine Orange oder eine Mandarine sei. Sie habe in etwa die Größe eines Gänseeis, verfüge über eine haarige Schale und habe einen süß-sauren Geschmack. Den ganzen Tag könnte jemand damit verbringen, uns den Geschmack einer Kiwi zu beschreiben, und wir hätten immer noch keine Vorstellung von ihrem Geschmack. Trotzdem wissen wir dann ziemlich genau, was eine Kiwi nicht ist. Wenn wir mit einer Kiwi in Berührung kommen, müssen wir unseren Verstand nicht mehr einsetzen. Wir nehmen ein Messer, schälen sie, essen sie, und wir erfahren die Kiwi direkt und unmittelbar.
Auch in der Wissenschaft spielen die Schlussfolgerungen...
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