Schweitzer Fachinformationen
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Der Mann, der das Grün betrat und den kleinen weißen Ball aufhob, hatte in seinem Leben noch nie Golf gespielt.
Er trug eine randlose Brille und Handschuhe aus dünnem Latex, wie es sich für einen Polizeibeamten von der Spurensicherung gehörte. Es war das erste Mal, dass er einen Golfball in den Händen hielt. Nachdem er den Fundort mit einem spitzen Holzstück markiert hatte, steckte er den Ball in einen Plastikbeutel.
Es war der einzige Fund an diesem Nachmittag, abgesehen von dem Toten, der hundertfünfzig Meter weiter oben lag.
Der Anruf wegen des toten Golfers erreichte Kommissar Eschenbach kurz nach seiner Mittagspause. Er saß vor einem Berg Akten, den er schon seit Tagen unerledigt vor sich herschob; daneben stand ein Becher mit Espresso. Er hatte ihn vom neu eröffneten Starbucks Café mitgenommen.
»Einfach erschossen, am fünfzehnten Loch«, war die kurze Zusammenfassung von Elisabeth Kobler, der Polizeichefin des Kantons Zürich. »Fahren Sie hin, und schauen Sie sich den Tatort mal an. Ich bin gerade bei Regierungsrätin Sacher, wegen dieser Prügelei am Limmatplatz. Komme vielleicht später noch dazu.«
»Schon gut«, brummte er. »Ich kümmere mich darum.«
Der Espresso schmeckte scheußlich, zu süß, fand er, und der viel zu große Styroporbecher passte dazu wie die Faust aufs Auge.
»Und denken Sie dran, Eschenbach. Es sind alles piekfeine Leute dort. Nobler Club. Vielleicht binden Sie besser eine Krawatte um . und halten Sie es low key.«
»Selbstverständlich.«
»Also, bis später.«
»Bis später«, murmelte er und legte auf.
Low key! In den letzten Wochen war das der Lieblingsausdruck von Kobler gewesen. Seit die Presse wegen ein paar mutmaßlicher Verfehlungen der Polizei Dampf gegen seine Chefin machte, musste alles low key sein.
Es wird schwierig, einen erschossenen Golfer in einem Nobel-Golfclub am Zürichsee low key aussehen zu lassen, dachte er. Und überhaupt gingen ihm diese Anglizismen langsam auf den Geist.
Er öffnete seinen Schrank und nahm die orangefarbene Hermès-Krawatte heraus, die ihm seine Tochter letzten Monat zum Fünfzigsten geschenkt hatte. Er band sie um. »Nobler Club«, dachte er. Als das eine Ende zu lang geriet und über seinen Hosenbund reichte, löste er den Knoten und band sie erneut. Er sah in den Rasierspiegel in der Schranktür und fragte sich, ob ab fünfzig alles anders würde. Schlechter, älter oder grauer - oder alles zusammen.
Als er damals mit achtunddreißig die Leitung der Kripo übernommen hatte, war er der jüngste Chef in der Geschichte der Zürcher Kriminalpolizei gewesen. Inzwischen war sein dunkelbraunes Haar lichter geworden; zumindest in den Ecken, fand er. Dafür hatte er kaum graue. Umgekehrt wäre es ihm lieber gewesen. Eschenbach zog eine Grimasse - dann schloss er die Schranktür.
Seine Dienstwaffe würde er nicht brauchen; wenigstens das nicht. Dann fiel ihm ein, dass sie noch beim Büchsenmacher war, und er gelegentlich dort anrufen sollte. Er hasste das Ding, er überlegte lieber, als dass er schoss. Vielleicht auch deshalb, weil er das eine besser beherrschte als das andere.
Er nahm sein Jackett vom Stuhl, streifte es im Gehen über und verließ sein Büro. Im Gang begegnete er Claudio Jagmetti, dem Praktikanten aus der Polizeischule, der ihm für den Sommer zugeteilt worden war. Er wies ihn an, den korrigierten Bericht auf seinem Schreibtisch neu zu verfassen. Dann ging er die Treppe hinunter in die Tiefgarage und stieg in sein Auto.
Eschenbach fuhr über das Bellevue in Richtung Bürkliplatz. Links lag das Seebecken. Die weißen Segel der Boote reflektierten das Sonnenlicht, und im Hintergrund protzten die Alpen mit ewigem Schnee. Zusammen mit dem tiefblauen Sommerhimmel eine Komposition in Blau und Weiß. Blau-weiß, die Farben von Zürich, dachte er.
Es war Anfang Juli, und schon seit Wochen herrschten Temperaturen wie sonst nur südlich der Alpen. Er lockerte seine Krawatte und nahm sie kurz darauf ganz ab. Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn. An der nächsten Ampel drehte er sich nach hinten und suchte im Jackett auf der Rückbank seine Brissagos. Eschenbach liebte diese knorrigen Zigarillos aus dem Tessin. Sie halfen ihm beim Denken. Er zündete eine an und dachte an Corina. Sie war mit Kathrin ins Engadin gefahren, in die Wohnung der Schwiegereltern - drei Tage früher als geplant, weil man die Sommerferien vorverlegt und die Schule frühzeitig geschlossen hatte. Und das alles wegen läppischer achtunddreißig Grad im Schatten. Weicheier, allesamt.
Er hatte versprochen, übers Wochenende hochzufahren und sie zu besuchen.
Es war kaum Verkehr auf der Seestraße. Eschenbach kam gut voran und erreichte die Einfahrt zum Golfplatz in zwanzig Minuten.
Platanen säumten den gepflegten Kiesweg, der hinauf zum Clubhaus führte. Eschenbach parkte seinen Volvo neben zwei dunkelblauen Nobelkarossen, stieg aus und bemerkte, dass sein hellblaues Hemd am Körper klebte und völlig durchgeschwitzt war.
Schräg gegenüber bauten zwei ältere Damen in crème-weißen Karos ihre Caddywagen zusammen. Burberry-Look. Er kannte die Marke. Seine Tochter hatte auch eine solche Bluse, auf die sie mächtig stolz war. Ein Geschenk von Corina. Karos sind mega, hatte man ihn aufgeklärt, total krass. Eschenbach fand das Muster lächerlich, irgendwie spießig und erinnerte sich schwach, dass seine Großmutter dieselben Karos auch schon getragen hatte.
Mit der Hand wischte er die Asche weg, die ihm auf seine sandfarbene Hose gefallen war. Die Damen in Karo musterten ihn argwöhnisch. Er grüßte freundlich und schritt - unbeeindruckt von der Arroganz, die ihm hier bereits auf dem Kiesplatz entgegenschlug - die Treppen hoch zum Clubhaus. Die halb gerauchte Brissago steckte er in den Messingbehälter neben dem Eingang.
»Sind Sie Mitglied?«, säuselte die Dame hinter der Rezeption.
»Eschenbach .« Und mit gedämpfter Stimme: »Kripo Zürich.«
Die junge Dame wich erschrocken zurück, fasste sich aber sofort wieder. Eschenbach beugte sich über die glatt lackierte Theke und flüsterte weiter: »Ich komme wegen des toten Golfers.«
»Ja, ich weiß.« Aus dem nasalen Säuseln war ein verschwörerisches Wispern geworden. »Einfach schrecklich. Ich rufe Herrn Aebischer. Das ist unser Clubmanager.«
»Danke, ich warte draußen.«
Eschenbach nahm die kalte Brissago wieder aus dem Messingbehälter, zündete sie erneut an und trat in die Sonne.
Obwohl es hochsommerlich warm war, fröstelte er. War es der Anflug einer Sommergrippe? Oder nur ein Unbehagen, das in ihm aufstieg? Die Golfbags, die vor dem Clubhaus standen, sahen aus wie stille Wachhunde.
Er wartete.
Die Hecken waren fein säuberlich drapiert, und die Wege so exakt in die Landschaft gesetzt, als hätte ihnen ein Geometer den Marsch geblasen. Die Wiese war ein Rasen in eintönigem Grün. Man hatte einen zottigen Bären auf Pudel getrimmt; so jedenfalls kam es Eschenbach vor.
Er zog an seinem Zigarillo.
»Herr Kommissar?« Ein dürrer Herr in blauem Blazer kam in hastigen, kleinen Schritten auf Eschenbach zu. Er stellte sich als der zuständige Manager der Golfanlage vor. In komplizierten Sätzen schilderte er, was sich ereignet hatte. Dass irgendwo da draußen, zwischen zwei Löchern, ein Toter lag, war das Einzige, was sich Eschenbach merken konnte.
Wilde Vermutungen über Querschläger, Militär, Jungschützen und dergleichen mischten sich mit Befürchtungen über mögliche Imageschäden, die nun dem Club, ja dem Golfsport weltweit bevorstünden.
Eschenbach langweilten die Ausführungen. Er sehnte sich nach einem kühlen Bier.
»Gibt es hier vielleicht etwas zu trinken?«
Der Dürre im Blazer, der in seinem Redeschwall unterbrochen wurde, schaute ihn an, als hätte man ihn gerade geohrfeigt.
»Ich hole Ihnen ein Wasser, und dann fahren wir zu Loch 15, zum Toten. Ihre Kollegen arbeiten schon über eine Stunde und rekonstruieren den Fall.«
Der letzte Satz hatte etwas Vorwurfsvolles.
Als Eschenbach seine Ermittlungen auf dem Golfplatz abschloss, war es kurz vor halb zehn. Er fühlte sich ausgelaugt und müde.
Seine Leute hatten die Zufahrt zum Golfplatz gerade noch rechtzeitig abgesperrt, um den Kleinbus von Tele Zürich aufzuhalten, der mit zwei Filmteams angereist war. Die Leute von der Presse reagierten sauer, was er verstehen konnte. Die Autos der Clubmitglieder, die sich durch das Chaos den Heimweg suchten, wurden aufgehalten, Kameras surrten vor getönten Fensterscheiben.
»Wenn Sie nicht Platz machen, fahr ich Sie über den Haufen!«, fauchte ein älterer Herr mit hochrotem Kopf und Stirnglatze durch das spaltbreit geöffnete Fahrerfenster seines Jaguars. Weiter hinten ertönte die Hupe eines Mercedes der S-Klasse.
Einzig die Kühe weideten friedlich hinter dem Elektrozaun und ließen sich durch das Spektakel nicht aus der Ruhe bringen.
Auf der Terrasse des Clubrestaurants, die einen herrlichen Blick auf den Zürichsee und die Glarner Alpen bot, herrschte noch immer reger Betrieb. Eschenbach setzte sich an einen freien Tisch und bestellte ein Bier.
Einige der Gäste musterten ihn verstohlen. Andere wiederum grüßten freundlich oder winkten ihm sogar zu. Man hatte sie über den Vorfall befragt und ihre Namen aufgenommen. Irgendwie schienen sie erleichtert zu sein, dass alles vorbei war.
Die Sensationslust, die in solchen Fällen oft ungehemmt zutage trat und die Polizeiermittlungen erschwerte, war hier diskret unter dem Deckmantel scheinbar nobler Gleichgültigkeit versteckt.
An den Tischen wurde...
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