Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Erzählen wir vom Augenblick, der aus der Zukunft ins Licht des Tages sprießt und in die Vergangenheit sinkt.
Zukunft? Für einen Einundsechzigjährigen ist das nichts weiter als heute Morgen, heute Mittag, heute Abend, heute Nacht. Und Traum, in dem alle Zeiten wachsen, blühen und welken.
Nach der verheißungsvollen Osterankunft und einer langen Wanderung durch brandneues Erleben und im neuen Glanz leuchtendes Erinnern bin ich endlich im Alltag meines neuen Lebens angelangt. Es kommt mir jetzt so vor, als wäre ich danach ein zweites Mal von Berlin in einem Luftschiff oder bescheidener: einem Fesselballon in die neue alte Heimat eingeschwebt und hätte erst dann herabsteigen und aus dem Korb klettern können, nachdem unten am Boden hilfreiche Hände die eigenhändig über Bord geworfenen Stricke an in der Erde steckenden Pflöcken notdürftig festgezurrt hätten. Und als ich dann die Füße auf die neue Erde setzte, hätte man mir als erstes einen betagten, halblahmen Klepper, eine Rosinante, aufgenötigt, um wie ein alter, nicht sattelfester und reitunkundiger Don Quixote gegen mehr Windmühlen anzurennen als in der gesamten Mancha der Ritter von der traurigen Gestalt, der immerhin einen wackeren Knappen in Gestalt des Sancho Pansa an seiner Seite hatte.
Was ist ein Umzug doch für ein aufwendiges, abzuratendes Unterfangen für einen älteren herzkranken Mann. Umzug? Was für ein idyllisches Wort für einen Aufstieg aus einem Schattenreich glühenden Schmerzes und lähmender Trauer. Gut nur, dass die Karenz der vier Ostertage einen leidlich wehrhaften Schild schuf, mit dem ich die nun auf mich einprasselnden Schocks abfangen kann. Wie alle leibschwachen Geistesarbeiter neige ich dazu, die materielle, mit körperlicher Arbeit verbundene Seite eines Umzugs zu überschätzen und den Aufwand der verwaltungstechnischen Prozeduren zu unterschätzen. Es ist gar nicht so einfach, einen in drei Jahrzehnten geschaffenen, noch so bescheidenen Zivilstand von einem Ort zum andern zu verlagern.
Aber alles der Reihe nach.
Kaum einen Schritt habe ich getan in den neuen Alltag, da meldet sich Berlin zurück mit mehr oder weniger eindringlichen Mahnungen, die weniger sichtbaren Restbestände meines dortigen Lebens hinweg zu räumen, reinen Tisch zu machen.
Erfreulich ist die erste Mahnung: Herr Yildiz, der wackere türkische Sancho Pansa, möchte ich ihn nun fast nennen, schickt mir einen Brief mit einer CD, die zeigt, wie wortgetreu redlich er die Berliner Wohnung renoviert hat. Wie da das Aschenputtel, das ich verließ, auf den von Herrn Yildiz gemachten Fotos in unbeflecktem Weiß erstrahlt, bereit, einen anderen Mieter aufzunehmen! Noch erfreulicher ist wenige Tage später ein Schreiben der am Ende etwas zickig gewordenen Hausverwaltung, die mir die »Abnahme« der renovierten Wohnung bestätigt. Weniger erfreulich ist der Hinweis, meine zu Beginn des Mietverhältnisses gezahlte Kaution erst nach etlichen, mir ganz undurchsichtigen Verwaltungsprozeduren zurückzahlen und überweisen zu können. Ja, liebe Leute, mit dieser Überweisung habe ich aber fest gerechnet! Wie soll ich denn meine Schmutzwäsche ohne Waschmaschine waschen, die ich mir von genau dieser Rückzahlung kaufen wollte? Soll ich etwa Linda und Jan damit behelligen, sie zu den Schwestern nach Grüneiche schleppen oder sie gar im Elsterbach waschen? Nun, das sind Fragen, über die ich mir am besten selbst den Kopf zerbreche.
Unnötig, denn schon wenige Tage später kommt die erfreulichste Nachricht vom Campingplatzbesitzer, dem ich nach Solvejgs Tod und vor meiner Abreise aus Berlin unseren Wohnwagen zu einem redlichen Preis verkaufte, der meine Not nicht ausnutzte, um ein Schnäppchen zu machen, und der mir nun das Geld überwiesen hat. Jetzt ist Geld genug da für alle Eventualitäten und nicht allzu ernste Notfälle.
Und dann geht es los: Besuch von Herrn Hornbläser, des sympathischen rotblonden örtlichen Elektrofachmanns, der sich das defekte Fernsehgerät anschaut und es, wenig überraschend für mich, für unreparierbaren Schrott erklärt. Gegenbesuch in seinem Geschäft, in der seine Mutter, eine freundliche Dame in meinem Alter, die vor einigen Jahren ihren Mann an den Krebs verlor, mir nicht nur einen neuen Fernseher, sondern gleich auch eine Waschmaschine und einen Mikrowellenherd verkauft, die prompt geliefert und angeschlossen werden. Der Fernseher, ein neues, billiges Modell aus China, ist ungefähr so kompliziert zu bedienen wie eine Mondrakete. Doch der Fachmann schafft alles, und nun habe ich einen großen Flachbildschirm und kann, anders als in Berlin mit meiner mickrigen Zimmerantenne, über die Satellitenschüssel des Vormieters genau Siebenhundertfünfzig Programme einfangen. »Ein geniales Gerät«, kommentiert der Fachmann. Na gut, warum nicht ein geniales Fernsehgerät, wenn es schon zu Zeiten von Robert Musil geniale Rennpferde gab? Es wird sich dann aber schon bald herausstellen, dass von den siebenhundertfünfzig Programmen am Ende rund fünfzig übrigbleiben, mit denen ich vielleicht etwas anfangen kann. Wir werden sehen. Ach, was waren das für Zeiten, als man nur ein einziges, schwarzweißes Programm empfangen konnte, und oft auch nur dann, wenn man dem Gerät der Marke Saba mit viel Tätscheln gut zuredete! Ich erinnere mich, dass mein Vater, der die Filme von Charlie Chaplin und Buster Keaton geradezu närrisch liebte, manchmal die ganze Sendung lang mit der kleinen Zimmerantenne in der erhobenen Hand an genau der Stelle stehen bleiben musste, wo der Empfang am besten war. Dann lachte und lachte er, krümmte sich vor Lachen, alles mit der Antenne in der Hand.
Und nun beginnt der Reigen der Ämter: Einwohnermeldeamt, Friedhofsverwaltungen, Kfz-Amt, Jobcenter. Mein neuer »Fallmanager« ist kein Saarländer, sondern Pfälzer aus Birkenfeld, sympathisch, intelligent, schreibt Erzählungen in seiner Freizeit, hat ein Buch über die hohe Kunst des Fußballspiels veröffentlicht. Es gibt keine Probleme.
Als ich wegen des Urnengrabs und der Überführung der Urne vorspreche, schaut mich die Gemeindeangestellte in der Friedhofsverwaltung an, schweigend, tief, sie schaut mich Alten an, der ihr Vater sein könnte, wie eine Mutter ihren Sohn. Ein Heimatblick.
In der Liebe geht es um das Unzertrennliche. Hölderlins Satz »Alles Getrennte findet sich wieder« kommt als Spruch auf Solvejgs Grabstein.
Dann zum neuen Hausarzt, der mich begrüßt wie einen lang verschollenen Verwandten. Ja wieso eigentlich? Braucht er so dringend neue Kunden? Sitzen nicht genug hustende und schniefende Patienten mit Leidensmienen in seinem kleinen Wartezimmer? Ist er womöglich gar kein Saarländer und freut sich über einen wie er hochdeutsch redenden Klienten? Wie auch immer, lassen wir es im Geheimnis. Doktor Freimuth, Mitte vierzig, mit blondem, schon fliehendem Haar, ruft seine Frau, etwa gleichaltrig oder gar etwas älter, mit in einem interessanten Karottenrot gefärbtem Haar, und seine hübsche, braunhaarige und etwa zwanzigjährige Tochter herbei, erstere führt mit ihm die Gemeinschaftspraxis, die Tochter studiert Medizin und lernt in der elterlichen Praxis. Die ganze Familie raucht und sieht auch nicht danach aus, als würde sie einen guten Tropfen verschmähen. Der Arzt verschreibt mir anstandslos meine Blutdrucktabletten und misst meinen Blutdruck: 160/80. Er sagt: okay. Ich auch. Ein Arzt, der zu diesem Blutdruckwert okay sagt, kann nur ein guter Arzt sein. Er will aber demnächst aktuellere Blutwerte haben. Muss das sein? Was will er denn mit diesen aktuelleren Blutwerten anfangen? Weiß ich nicht selber am besten, wie es mir geht? Es ist leider auch hier eine Gängelung, wenn nicht Nötigung vorhanden, und alles nur, weil ich, wie meine Berliner Ärzte mit gerunzelter Stirn immer wieder betonten, ohne Blutdruck senkende Medikamente nicht auskommen kann.
Und sollten wir nicht auch demnächst eine kleine Vorsorgeuntersuchung machen?
Vorsorge?, frage ich. Lieber nicht, ich habe schon Sorgen genug, da hat mir eine Vorsorge gerade noch gefehlt.
Doktor Freimuth lässt es mit einem Lachen (vorläufig) bewenden. Wer will denn gleich einen neuen Kunden vergraulen?
Endlich noch zur Sparkassenfiliale im Ort, wo ein neues Girokonto das alte Berliner Konto bald überflüssig machen wird.
An einem der ersten Abende nach Ostern koche ich mir eine gute Erbsensuppe, probiere danach den schicken neuen Fernseher aus, und da auf den vielen Kanälen außer Mord und Totschlag nichts Interessantes läuft, schaue ich mir den netten Schwachsinn »Der Schuh des Manitu - Extra large« an. Ich halte es mit Paul Valéry, der meinte, nach getaner Arbeit habe er das Recht auf Verblödung.
Nach einer Woche ist das Gröbste überstanden, Ruhe und Alltag kehren ein, und das Geld für den Wohnwagen ist fast weg. Ich mache mich an die Arbeit an dem Buch, das ich Solvejg versprochen habe und das eine Hommage an sie sein soll.
Wie sieht mein Arbeitstag jetzt aus?
Nachts um drei stehe ich auf, ohne anderen Wecker als meine innere Uhr, nehme mein erstes Frühstück mit schwarzem Kaffee aus dem lindgrünen Becher mit der historischen Patina meiner Freundschaft mit Martin und einem Brot mit Marmelade oder Nutella, setze mich dann mit der ersten Zigarette an den Schreibtisch, schalte den Computer ein, rufe den Ordner »Dichterleben« auf, denn so soll das Buch heißen, dann die Datei der laufenden Arbeit. Nun arbeite ich bis ungefähr sieben Uhr morgens im nicht augenfreundlichen Kunstlicht der Schreibtischlampe an meinem Text. Dann bin ich meist...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.