Schweitzer Fachinformationen
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Das Haus, in dem Zwingli für seine Schöne einen »Piso« gemietet hatte, befand sich in einem Block, einer »manzana«. Manzana heißt Apfel. Warum man solche Komplexe so bezeichnet, weiß niemand mehr. Der Block hatte seine Fenster nach drei Straßen und dem schon erwähnten Platz hinaus. Von den Straßen war die der Einsamkeit die schäbigste. Die vornehme Hausfläche war dem Borne zugewandt. Die Bewohner, Mieter wie Eigentümer, sahen auf Palmen hinab und nicht zum Beispiel in die verdreckten Zimmer und Sortiergemächer des Hauptpostamtes. Der Besitzer der Liegenschaft war ein Graf, über den allerlei ergötzlich-ehrenrührige Geschichten im Umlauf waren. Die Miete wurde von einem Makler eingetrieben, der auch bald schon Beatricens Bekanntschaft machen kam, was uns sehr schmeichelte. Er zog mit einem fetten Betrag an rückständigem Zins wieder ab. Den Grafen ließ ich grüßen. Ich liebe den Verfall, nicht nur in den Gedichten von Quental oder Trakl.
Zola hätte seine Freude haben können an der gemischten Menschenwelt, die im gräflichen »Apfel« ein- und ausging und dort ihr Wesen trieb, das zuweilen das wahre Unwesen war. Eine so anrüchige Partei wie den eidgenössischen Don Helvecio mit seinem erregenden Verhältnis habe der Conde allerdings noch nie unter seinem demokratischen Dache gehabt, meinte Herr Emmerich, als ich bei ihm im Laden saß, zu bekanntem Zwecke.
Dieser Laden ist für das Verständnis der weiteren Entwicklung meiner Aufzeichnungen sehr wichtig, weshalb ich hier eine Beschreibung folgen lasse. Er nahm die vornehme Ecke des Häuserblocks ein. Rechts vom Eingang stieg die Calle del Conquistador an, links bog man in eine kurze Straße, die auf den Platz mündete, wo Julietta ihre aufkeimenden Reize an den Gassenjungen zu erproben pflegte. Schräg gegenüber befand sich die offene Terrasse eines feudalen Klubs, auf der immer Herren saßen und Domino spielten, Kaffee tranken oder einfach schliefen. Das schmale, sehr in die Länge gezogene Geschäftslokal wies an seinem linken Ende eine Tür auf. Wenn ich sage »aufweisen«, so ist das keineswegs Sprachschwulst, denn die Tür wies selbst auf sich als eine solche hin mit dem Wort Puerta, was Tür heißt. Der Inhaber hatte es mit roter Farbe aufgepinselt. Dahinter befand sich ein Raum, dem durch Unterteilung noch eine Toilette abgewonnen worden war. Sie hatte kein Fenster, war also auf künstliche Beleuchtung angewiesen. Man sieht, ein sehr anspruchsloser Laden. Herr Emmerich hatte eine Theke hineingestellt, ein paar Stühle waren vorhanden, an den Wänden Büchergestelle und Zeitungsständer, das war die ganze Einrichtung. Das Geschäft war noch sehr jung, aber das einzige in der Stadt, wo die immer zahlreicher werdenden Fremden ausländische Zeitungen und Reiselektüre kaufen konnten. Der Besitzer war mit dem Betrieb zufrieden; er würde ihn noch ausbauen und auch eine Annoncenexpedition angliedern, eventuell selbst eine englische Wochenschrift für Touristen gründen. An Unternehmungslust fehlte es ihm nicht. Gerne hätte er auch die Etage, die zum Laden gehörte, hinzugemietet, aber diese werde noch vom früheren Inhaber bewohnt. Der Graf könne den Kerl nicht so ohne weiteres vor die Tür setzen. Gekündigt sei ihm schon lange, und die Miete zahle er auch nicht mehr, aber - Don Helvecio sei eine bekannte und auch angesehene Gestalt in der Mallorquiner Geschäftswelt, ob er zwar -
»Entschuldigen Sie, Herr Emmerich, aber kommt der Name Helvecio in Spanien häufig vor? Sie sagten doch Don Helvecio, oder habe ich falsch gehört? Ich kenne nämlich hier jemanden, der so heißt, einen Schweizer.«
»Und ob Sie den kennen, Herr Vigoleis! Komischer Name übrigens, bei uns am Rhein so gar nicht üblich.«
»An der Niers noch viel weniger. Ich bin in Münster, der historischen Stadt der Wiedertäufer, auf diesen minnesängerischen Namen getauft worden, aber das ist Nebensache. Sie kennen also den betreffenden Herrn?«
»Natürlich, es ist der, den wir beide im Auge haben, nein alle drei, wenn Sie erlauben, denn Ihre Frau kennt ihn auch. Sie sind ja sein Schwager.«
»Eigentümlich! Wieso war denn mein Schwager der frühere Ladeninhaber? Haben Sie das Geschäft von Don Helvecio übernommen? Der ist doch Leiter oder so etwas im Hotel >Principe Alfonso<, bis vor kurzem war er es bestimmt noch, freilich sind mir die Zusammenhänge nicht sehr deutlich.«
»Da sind Sie nicht der einzige, der nicht deutlich sieht. Aber die meisten sehen doch klar genug, daß die Frau, mit der er zusammenlebt, den Kerl noch unter den Rasen bringt mit ihren Liebespatronen. Die knallen da Tag und Nacht. Pilar, lieber Herr, da kommen unsere Kölsche Mädcher nicht mehr mit, was ich Ihnen aus Erfahrung flüstern kann! Und die wissen doch auch, daß sie das Ding nicht für die Maiandacht haben!«
Ich hatte wiederholt Zeitungen bei Emmerich gekauft, doch waren nie persönliche Dinge zur Sprache gekommen. Jetzt packte er aus:
»Und was Ihre Gattin betrifft, darf ich wohl als eine Art Doyen der hier lebenden Fremden mit einem diskreten Hinweis dienen. Ich kenne Ihre Pläne nicht. Wollen Sie lange auf der Insel bleiben? Helvecio sagte mir neulich, Sie seien Schriftsteller und Professor für Literatur, und er wolle Sie engagieren für seine im Aufbau begriffene Kunstakademie. Ich bin als Buchhändler Ihrem Namen nie begegnet, auch in den Zeitungen nicht. Sie schreiben vermutlich unter einem Pseudonym, das tun viele. Wie dem auch sei, hier sind wir alle Professor und Doktor und Conde oder Principe, jeder nach Geschmack und verkrachter Existenz. Aber wer Sie auch sein mögen, wenn Sie länger in Palma bleiben wollen, nehmen Sie Rücksicht auf Ihre Frau. Man klatscht nämlich schon, müssen Sie wissen!«
Ich bat Herrn Emmerich, sich deutlicher auszudrücken. Das könne er nicht, er habe keine Zeit, ein Dampfer im Hafen, es gebe Hochbetrieb. Ich solle doch abends gegen sieben kommen, er lade mich ein zu einem Trunk ins Café Alhambra, gegenüber, und ich könne meine Frau mitbringen, falls sie starke Nerven habe.
*
»Beatrice, hast du starke Nerven?«
»Nachrichten aus Basel? Der letzte Brief gab zu Besorgnis Anlaß. So sprich doch, ich bin auf alles gefaßt, das weißt du!«
»Kein Telegramm. Und worauf du gefaßt sein mußt, weiß ich selbst nicht einmal. Heute abend will uns der Kölner aus dem Büchelchen-Shop ein paar Fingerzeige geben, wie wir uns auf der Insel zu benehmen haben für den Fall, daß wir hier bleiben wollen. Er hat einen Reiseführer über Mallorca geschrieben; als einer der alteingesessenen Fremden weiß er hier Bescheid, obwohl ich den Eindruck bekam, daß er uns mehr persönliche Dinge erzählen will. Die Enthüllungen scheinen aber, was dich betrifft, zähe Nerven vorauszusetzen, daher die verfängliche Frage.«
Beatricens Nerven sind eisenstark. Immer schwingen sie und geben bald einen hohen, bald einen gedämpften Ton von sich. Als wir indessen gegen Mitternacht nach Hause gingen, die paar hundert Schritte quer über den palmenbestandenen Platz, da blieb die Musik überhaupt aus. Herr Emmerich hatte nämlich nicht nur die beliebten Krätzchen seiner Vaterstadt zum besten gegeben, worüber er seltsamerweise ebensowenig hinausgekommen war wie über den Reibekuchen und den süßen Wurstreis: er war persönlich geworden, indem er einiges über das Vorleben der unerhört bettfähigen Pilar enthüllt hatte. Heiliger Pantaleon! Heiliger Kunibert! Heilige Maria im Kapitol! Santa Catalina de Tomás! San Antonio de Viana, ihr Heiligen alle der frommen Städte Köln und Palma, deren Kathedralen zu den berühmtesten der Welt gehören, nehmt euch unserer beiden Helden an, die dem Verderb an Leib und Seele entgegenschlittern! Aber die Angerufenen wollten von uns Heiden nichts wissen. Wer sich ihrer anzunehmen wagte, das war meine gute Mutter, deren besorgten, treuen, vergrämten und warnenden Blick ich über das Meer hinweg auf mich gerichtet sah, als ich neben der stummen Beatrice unter den Palmen wandelte. Mutteraugen durchdringen jedes Dunkel. Sie folgen dem verlorenen Sohne über Stock und Stein. In der rauhesten Fremde finden sie sich besser zurecht als der Wandernde, der ungeachtet seiner offenen Augen und des handfesten Steckens noch stolpert. In jener südlichen Sommernacht blickten mich meiner Mutter Augen an; als eines zweiten Gesichtes wurde ich ihrer inne. Wie die sagenhafte Atlantis versank die Insel in den Fluten. Auf einem Floße trieb ich über das Meer meiner Erinnerung.
Emmerichs Bericht, im Kölner Tonfall und mit den Fachausdrükken der dortigen Gassen vorgebracht, warf mich um Jahre zurück, wo er das Gegenteil hätte bewirken sollen. Ich sah meine Mutter vor mir stehen, mit Tränen in den Augen. Warum weinst du, Mutter? Weil ich verloren bin? das schwarze Schaf der Familie, in der Wolle gefärbt? - Ich will das Erlebnis schildern, das der Lieben die Tränen in die Augen getrieben hatte und es vermochte, in jener laurigen Inselnacht meiner mächtig zu werden. Es führt uns von Emmerichs lockerer Geschichte in sein geliebtes Köln. Nachher wird man erkennen, daß der Abstecher notwendig war, um ärgeres Übel und häßlichere Unbill zu verstehen, die Vigoleis und Beatrice die Geniereise so verbittert haben.
Anno Domini . das Jahr tut nichts zur Sache. Deutschland hatte in seinem blinden Vertrauen auf die Blechparole am Bauchgurt des Heeres seinen ersten Weltkrieg verloren und begann sich wieder emporzuschuften. Kunst, Literatur, Wissenschaft, das gedieh wie in einem Schlaraffenlande. Ich hatte, im Vertrauen auf nichts, wieder einen kleinen Krieg meines Daseins verloren und schickte mich an, zum ersten Semester nach Köln zu fahren, wo Gelehrte wie Bertram, Scheler, Nicolai Hartmann den Stubenhocker ein wenig bei der Hand nehmen sollten. Über Nacht hatten...
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