Schweitzer Fachinformationen
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Karl Kühnert saß wie ein bärtiger Yogi im Schneidersitz vor dem deckenhohen Ofen und schaute durch das Sichtfenster ins Feuer. Wörner und seine Leute befanden sich noch zwei Bungalows entfernt - genervt von ihrer Erfolglosigkeit. Ganz in sich versunken war hingegen Kühnert. Er dachte an die schlechten und die legendär schlechten Tage mit seinem Stiefvater Ceylan Yanar - 76 Jahre alt war der, fett, glatzköpfig, untrainiert und endlich tot. Ceylan blutete den weißen Flokati rot. Er mochte die Farbe. Kühnert sprach zu ihm, als wolle er ihn beschwören: »Nur der Ohnmächtige besitzt die Kraft zu fliehen.« Im Klingelpütz hatte er meditiert und beim Bankdrücken Sprüche gelernt. Der Knast hatte ihm Zeit zur Besinnung gegeben. Ganz tief hatte er den Schmerz des Verrats auf sich einwirken lassen, ihn in Hass verwandelt, der ihm die Kraft zur Rache gab. »Meditation zum Hass«, so nannten es die Knastphilosophen Dieter & Mo, die einen Podcast aus der JVA Stammheim heraus betrieben. Der fette türkische Glatzkopf auf dem Flokati war nur der Anfang auf dem Pfad von Kühnerts Gerechtigkeit. Er mochte keine dicken Menschen. Schon gar nicht, wenn sie für Albert arbeiteten und seine Mutter ins Grab gebracht hatten.
»Fleischsaft ist rot, und rot ist der Tod.« Er wiederholte die Worte züngelnd wie die Flammen im Kamin. Dann schrie er den leblosen Körper an: »Du fette Sau!« Er hämmerte ihm mit der Faust auf den aufgequollenen Leib. »Leberfett! Fettleber!« Nie hatte er seinem Stiefvater etwas recht machen können. Ceylan war nur dominant gewesen - und Karl ihm gefügig wie ein Hund seinem Herrn. Jetzt lag Ceylan da, die Augen geweitet, der rote Fleischsaft trocknete im Flokati. Faser für Faser. Das ist der Unterschied von Pflanzen zu Tieren und Menschen. »Pflanzen kannst du teilen, ohne sie zu töten, Menschen sterben, wenn du sie teilst«. Knastphilosophen sprachen oft die Wahrheit.
Im Ofen loderte das Feuer, während die warme, schwüle Nacht den Bungalow umgab. Den gusseisernen Ofen hatte Kühnert damals extra für seinen Stiefvater geklaut. Eigentlich hätte er der Pate von Ehrenfeld werden sollen. Stattdessen war es das Omasöhnchen Marlon geworden. Nach all den Jahren, die Kühnert für Albert das Geld in Nippes eingetrieben und die dreckigsten Jobs erledigt hatte, hatten sie ihn geopfert. »Seht, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt.« Albert, Ceylan, Marcus und Marlon, alle hatten sie ihn geopfert. 15 Jahre sollte er in der JVA Ossendorf absitzen - minus ein paar Jahre wegen guter Führung. Aber bis dahin wäre er vermodert. Keiner von Alberts Leuten hatte ihn besucht. Den Mord an dem miesen Albaner Malush hatten sie ihm angehängt. Dabei war es Marlon gewesen, der den Kerl durchsiebt hatte, und nicht Karl Kühnert. Sein Herz glühte. »Fürchte dich, denn ich habe dich erlöst. Ich habe dich bei meinem Namen gerufen, auf dass du ihn ewig in der Hölle hören mögest.«
Jetzt war Kühnert raus aus der JVA. Ganz unerwartet. Nicht vorzeitig entlassen, sondern vorzeitig geflohen. Seit fast einem Jahr hatten ihn Mauern, Türen und Schließer davon abgehalten, hierher zurückzukehren, um sich zu rächen. Einen Verräter nach dem anderen würde er sich vorknöpfen.
»Du Wichser!« Ceylan hatte ihn lange genug gedemütigt, jetzt hatte er zurückgestochen, direkt in die Halsschlagader. »Du Wichser, ich zieh dir die Lunge raus! Ich häng dich an deinen eigenen Därmen auf.« Kühnerts wirklicher Vater war Installateur gewesen und kein Arschloch wie dieser: »Wichser!«
Karl würde ab heute in Ceylans Bungalow an der Rochusstraße leben - direkt gegenüber der Haftanstalt, den die Leute im Volksmund »Klingelpütz« nannten. Niemand würde hier einen flüchtigen Häftling vermuten. Die Hitze im Zimmer wurde unerträglich. Kühnert zog sich das Hemd aus, damit er gleich kein Blut darauf haben würde. Ja früher, als kleines Kind, da hatte ihn seine Mutter Sommer wie Winter stets nackt auf dem Tripptrappstuhl essen lassen, damit er nicht seine Kleidung bekleckerte, sondern nur sich selbst. Bis heute aß er am liebsten mit bloßem Oberkörper. Er holte die Axt und eine Plane aus dem Schuppen hinter dem Haus. Letztere schob er unter den Toten. Dann begann er mit seiner Arbeit. Erst schlug er ihm die Gliedmaßen ab, Stück für Stück, Hand für Hand, Fuß für Fuß, und übergab sie dem Feuer. Die Öffnung war sogar groß genug für den Kopf. Es war ein Wunder, wie schnell Fleisch und Knochen brannten, wenn sie nicht über dem Grill, sondern direkt in der Flamme brannten. Kühnert hasste den Geruch verbrannten Fleisches. Er war Vegetarier. Niemals würde er Tiere essen. Das war Mord. Im Gefängnis war er der einzige Vegetarier im Trakt gewesen.
Nach getaner Arbeit rollte Kühnert den Flokati samt Plane zusammen, wickelte zur Sicherheit noch eine Plastikfolie darum, ging ins Bad und duschte und putzte sich mit Ceylans Bürste die Zähne. Nackt wie er war, schritt er durch den Flur. Wo mochte Ceylan seine Waffe versteckt haben? Er ging zurück ins Bad und schaute die Fliesen an. Eine wie die andere. Er hockte sich hin und zog den Schrank unter dem Waschbecken vor, ruckelte ihn hin und her, bis endlich eine Handlänge Platz dahinter war. Direkt neben dem Abflussrohr fehlte eine Fliese, nur eine Plastikkappe war auf die Wand montiert. Wie erhofft war dahinter ein Loch, und hineingestopft lag in einer Plastiktüte eine PPK samt Schalldämpfer und drei Magazinen. Er schob das Schränkchen wieder ruckelnd an die Wand und wischte kurz mit dem nassen Duschhandtuch die Schlieren vom Ruckeln auf dem Boden weg. Am Ende wollte er die Wohnung sauber hinterlassen. Sauberkeit war eine Charaktereigenschaft, die er penibel pflegte. Karl Kühnert zog sich wieder an, lief erneut den Flur entlang zum Wohnzimmer und zog die breite Glasscheibe auf. Draußen war es kühler als drinnen, und die Nacht war tief.
Jetzt erst schulterte er den Flokati und warf ihn zwischen die Büsche im Garten. Da würde so schnell keiner hinschauen, auch nicht der Nachbar. Eigentlich hätte er ihn auch verbrennen können, aber er war sich nicht sicher, wie sehr das Plastik und der Teppich stinken würden.
Kühnert wollte schon wieder durch die offene Schiebetür zurück ins Haus, da hörte er Fußgetrappel. Gummi auf Platten. Er schlich sich zur Sichthecke nach vorn: »Scheiße, Cops!« Die waren so dunkel gekleidet, dass nur das Mondlicht und die nahe Straßenlaterne sie verrieten.
Geistesgegenwärtig lief er ins Wohnzimmer, schaute sich noch einmal um. Alles wie vorher, nur das Feuer im Ofen. Das konnte er jetzt nicht mehr löschen. Zudem sah das dort hinter der Sichtscheibe nicht aus wie Knochen, es war alles nur noch ein Haufen zusammengeschmolzenes Zeugs.
Er stieg hinten im Garten auf die Bank an der Hauswand, zog sich am Dachrand hoch und kroch flach wie ein Leguan im fahlen Mondlicht über das Dach des Bungalows. Er fühlte sich wie in seinen Jahren bei der Bundeswehr, fühlte den jungen Rekruten in sich.
Von hier oben konnte er hinüber zum Klingelpütz schauen. Die Nacht war ruhig, einzig ein Summen hörte er weit über sich. Was war das? Ein kleiner roter Punkt leuchtete. Flog da etwas? Eine Drohne? Arbeitete die Polizei mit Drohnen? Er hob eine der Dachplatten an und sah in die Kuhle unter sich, während das Einsatzkommando der Polizei die Tür einrammte. Sein Stiefvater hatte das Versteck im Flachdach einst angelegt, weil er Angst vor der Polizei gehabt hatte. Mitten in dieser Spießersiedlung hatte er sich den Bungalow gekauft, um nicht aufzufallen. Aber falls die Polizei käme, wäre er bereit gewesen. Karl legte sich zusammengerollt wie ein Shrimp in die Kuhle. Noch einmal schaute er hinauf zu dem kleinen blinkenden Punkt am Himmel. Dann zog er die Platte über sich.
Augenblicklich war es stockfinster um ihn herum. Er kam sich vor wie in einem Grab. Unter sich hörte er die Stimmen Wörners und der übrigen Beamten, die den Bungalow durchsuchten, aber keine Spur von Karl Kühnert fanden. Sie wunderten sich lediglich über den heißen Ofen, doch den Geruch des verbrannten Fleisches bekamen sie dort unten nicht mit. Einer der Polizisten steckte seinen Kopf durch das Dachfenster. Der Lichtkegel seiner Taschenlampe konnte nichts Ungewöhnliches entdecken - Platte an Platte an Platte und alle in einem schmutzigen Rot. Ihm fiel nicht einmal auf, dass eine der Platten viel größer war als alle anderen. So zog der Polizist mit der Sturmhaube die Luke wieder zu, wunderte sich noch über den fleischigen Geruch, den er jedoch nicht zuzuordnen wusste. Schwein auf dem Grill riecht ähnlich wie Mensch im Ofen. Nicht weit entfernt gab es Schrebergärten. Dass Ceylan so stinken würde, damit hätte er jedenfalls nicht gerechnet.
Kühnerts Handy klingelte. Einsatzleiter Wörner stand direkt unter ihm und wunderte sich über das Klingeln. Er konnte es zu Kühnerts Glück nicht räumlich zuordnen. Stattdessen sagte er laut: »Ich hab' euch gesagt, ihr sollt die Handys in der Wache lassen. Wer war das?«
Keiner seiner Leute meldete sich. Wörner wartete.
Dann beließ er es bei der Ermahnung und ließ das Restfeuer im Ofen löschen. Es folgte der Abmarsch, und Kühnert verharrte noch einige Minuten in seiner Shrimpsstellung. Er hielt sein Handy ganz dicht an seinen Körper. Da war in all der Dunkelheit wieder der Hass, der ihm keine Ruhe ließ. Er schob die Platte über sich zur Seite und atmete tief in die Nacht und die Sterne hinein. Noch immer war da der rote Punkt. Hätte die Drohne der Polizei gehört, so wäre Kühnert längst gefasst worden.
Über Loreley drehte sich zur gleichen Zeit keine...
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