Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Vorwort
I Herkunft und Aufstieg
Württemberg vor der Industrialisierung
Familienleben und politische Kultur
Lernen und Lebenswelt
Reisen und Reformen
Take off, Firmengründung und «Gewürge»
Erfolge, Expansion und Internationalisierung
Modernisierung und Gesellschaftspolitik
Sozialpolitik bei Bosch
Bürgerstolz und Mäzenatentum
Reformstau, Taylorismus und ein Streik
Keine politische Konversion und eine liberale Enzyklopädie
II Der große Krieg
Mobilmachung und Augusterlebnis
Wut und Mäßigung
Die große Not und das Stiften
Der Sinn und die Ziele des Krieges
Der Deutsche Nationalausschuss
«Mitteleuropa»
Friedensresolution und Kanzlersturz
Eine Denkschrift vor der letzten Offensive
Über den Krieg hinausdenken: Die Deutsche Hochschule für Politik
Das Platzen der «Seifenblase»
III In der Weimarer Republik
Kein Systemwechsel ohne freie Wahlen
Der Demokratische Volksbund
Räte, Sozialisierung und Betriebsverfassung
Das Unternehmen und die Kriegsfolgen
Weichenstellungen für die Unternehmensverfassung
Neuansatz in der Unternehmenskommunikation
Sozialpolitik in der Firma
Auf der Suche nach dem Frieden
Wandel durch Annäherung und europäische Integration
Für ein Ende des «Dauerfranzosen»
Krise, Erneuerung und Zukunftssicherung im Unternehmen
Für die Republik und die Völkerverständigung
IV Diktatur und Widerstand Die Machtübertragung
Ein «Schutzwall» vor dem Unternehmen
«Gleichschaltung» und Illusionen
Rüstungsboom und Vorbehalte
Motive für den Widerstand
Das Ende der freien Erwachsenenbildung und der freien Medien
Das Unternehmen und die «Nazi-Welle», ein Jubiläum und der Bosch-Zünder
Eine neue Klinik
Bosch und die jüdischen Mitbürger
Im Strudel der Kriegsökonomie
Noch immer für Frieden und Zusammenarbeit
Die Verbindung Bosch - Goerdeler
Getarnte Geschäftsreisen, Anläufe und Paradoxien des Widerstandes
Ein Staatsbegräbnis für den Unternehmer
Epilog Zwangsarbeit bei Bosch und späte Entschädigung der Opfer
Verschwörung, Scheitern und späte Ehrung
Entscheidung für die Robert Bosch Stiftung
Anhang
Dank
Anmerkungen
Abkürzungsverzeichnis
Archive
Zeitungen und Zeitschriften
Gedruckte Quellen und Literatur
Bildnachweis Personenregister
Kapitel 2
Der bayerische Militärbevollmächtigte in der Hauptstadt, Karl Ritter von Wenninger, sah «überall strahlende Gesichter», als er sich am 31. Juli 1914 ins preußische Kriegsministerium begab, und notierte weiter: «Händeschütteln auf den Gängen; man gratuliert sich, daß man über den Graben ist.»[1] Was der Generalleutnant hier beobachtete, war die Erleichterung der Militärs über die Generalmobilmachung des Deutschen Reiches, die der Kaiser als Antwort auf die am gleichen Tage in Berlin eingetroffene Nachricht von der russischen Generalmobilmachung verkündet hatte. Damit war die Phase quälenden Wartens für die Offiziere beendet, der Erste Weltkrieg hatte begonnen. Und der Grund für die Erleichterung der Militärs war wohl weniger frivole Vorfreude auf einen Angriffskrieg. Erleichterung machte sich vielmehr breit, weil das Räderwerk der militärischen Planungen für den kommenden Zweifrontenkrieg gerade noch rechtzeitig in Gang gesetzt werden konnte, den die Militärs jetzt ohnehin für unabwendbar hielten.
Robert Bosch, zu diesem Zeitpunkt noch nicht im Bilde über die russische Generalmobilmachung, kommentierte das dramatische Geschehen auf der internationalen Bühne in einem Brief an seine Frau: «Ich gebe an und für sich die Hoffnung noch nicht auf, dass es nicht zum Kriege kommt, wenngleich ich auch nicht verstehen kann, dass es nicht möglich gewesen sein soll, innerhalb der verflossenen 8 Tage Klarheit darüber zu schaffen, ob Österreich sich verpflichtet hat, keine Gebietserweiterung vorzunehmen, und Russland dazu zu bringen zu erklären, dass es nicht eingreife, wenn Ö. die Selbständigkeit Serbiens nicht vernichtet. Dass das nicht möglich war, ist gewiss bedenklich, und man kann wohl annehmen, d.h. es ist nicht ausgeschlossen, dass weder Ö. noch R. bestimmte Erklärungen abgeben, was natürlich ein bedenkliches Zeichen ist. Wenn Russland immer weiter mobilisiert, so muss sich Deutschland im eigenen Interesse schliesslich auf den Standpunkt stellen zu sagen, entweder ihr stellt ein oder wir fangen an.»[2]
Das war eine bis heute gültige Analyse der Lage und der verhängnisvollerweise unterlassenen Schritte zu einer Entspannung der explosiven Situation - und sie klang alles andere als kriegsbegeistert. Die vage Hoffnung, Österreich-Ungarn würde nach dem Attentat von Sarajevo allenfalls gegenüber Serbien, wo der Ursprung des Mordplans gesehen wurde, ein militärisches Exempel ohne weitergehende territoriale Ansprüche statuieren und damit ein militärisches Eingreifen Russlands vermeiden, diese Wunschvorstellung von einem «Halt in Belgrad» war bis hinauf zum Kaiser durchaus verbreitet. Selbst der österreichische Botschafter in London durchschaute die Absichten seiner Regierung nicht, die auf erhebliche territoriale Veränderungen auf dem Balkan nach einem Sieg über Serbien hinausliefen - zwar nicht direkt zugunsten der Doppelmonarchie selbst, wohl aber durch die Überlassung serbischer Gebiete an die südosteuropäischen Rivalen, um damit großserbischen Ambitionen den Garaus zu machen.[3] Dieses Kalkül ignorierte, dass Russland als Schutzmacht Serbiens ebenso wenig wie sein französischer Bündnispartner eine wie auch immer geartete «Zermalmung» des Balkanstaates zulassen würde. Damit würde ein großer Krieg unabwendbar, eine Entwicklung, die Robert Bosch sehr klar voraussah, ebenso wie die Möglichkeit, dass England dann in den Konflikt eingreifen und Deutschland sich folglich im Krieg gegen drei Großmächte befinden würde. Ihm blieb allerdings verborgen, dass die Reichsregierung das Vorgehen der Doppelmonarchie von Anfang an begünstigte, ja sogar beflügelte und erst im denkbar spätesten Abschnitt der Julikrise eher halbherzig zu dämpfen versuchte. Dahinter stand das ebenso machiavellistische wie von Fatalismus geprägte Kalkül, die neuerliche Balkankrise gleichsam als regionale Angelegenheit zu behandeln, sie zu «lokalisieren», dabei den letzten verbliebenen Bündnispartner zu stützen, den russischen Kriegswillen zu testen und im optimalen Falle die gegnerische Bündniskonstellation aufzusprengen. Diese Überlegungen der politischen Führung in Berlin, durch ein diplomatisches Spiel mit höchstem Risiko eine Neuformierung der europäischen Mächtekonstellation zu erzwingen - oder aber bei diesem «Sprung ins Dunkle» die militärische Konfrontation in Kauf zu nehmen - ist für die Zeitgenossen weithin hinter einem Schleier aus Desinformation verborgen geblieben.
Auf alle Fälle hätte Robert Bosch eine deutsche «Strategie des kalkulierten Risikos»[4] in der Julikrise 1914 nicht befürwortet, dazu dachte er zu ausgeprägt in Kategorien der grenzüberschreitenden Interessenverflechtung - wenngleich flüchtige Spuren der in den Führungsschichten tief verankerten Bedrohungsängste wegen der ungebremsten russischen Rüstungsanstrengungen auch in seinen Überlegungen nicht zu übersehen sind.
Wer Meinungsklima und Mentalitäten in Robert Boschs Lebenswelt im Europa der Vorkriegsjahre beschreiben will, stößt auf ein höchst ambivalentes Bild. Viele Militärs, insbesondere in den oberen Rängen der deutschen Streitkräfte, hielten einen kommenden Krieg nicht nur für unvermeidlich, sondern zum Teil auch für wünschenswert im Sinne einer «Reinigung» vermeintlich unübersichtlicher Verhältnisse, sodann zur Konservierung der bestehenden Ordnung, zur Mehrung des eigenen Prestiges und, gestützt auf sozialdarwinistische Ideen, zur moralischen und physischen Ertüchtigung der Nation. Doch diese Sicht war gemischt mit der Angst, dass ein großer europäischer Krieg alle Schrecken bisheriger Konfrontationen in den Schatten stellen und das Ende der monarchischen Ordnung herbeiführen würde. Stimmen aus dem Lager der Militärs erkannten jedoch hellsichtig und auch mit gewisser Enttäuschung, dass Bankiers und Unternehmer aus Vernunftgründen und rationalem Geschäftsgeist sich kaum für einen Krieg würden gewinnen lassen. Damit waren auch weltmarktorientierte Unternehmer wie Robert Bosch gemeint.[5] Außenpolitische Fragen von existentieller Bedeutung, die Frage «Krieg oder Frieden?», hatten ihn bisher nur am Rande berührt. Aber seine Grundhaltung war unzweideutig. Im Dezember 1912, vor dem Hintergrund einer neuerlichen Balkankrise, als Kriegsgerüchte in der Luft lagen, antwortete er einem Freund auf die Frage «Dann sind Sie also nicht für einen Krieg?»: «Ich bezahle lieber 10 Millionen Mark, wenn ich dadurch einen Krieg vermeiden kann.» Im Rückblick ging er noch weiter: «In Wirklichkeit schätze ich das, was ich durch den Krieg verloren, Absatz- und Entwicklungsmöglichkeiten, für mich wertvoller, als mein ganzes Vermögen betrug.»[6]
Das entsprach mentalitätsgeschichtlich den Grundhaltungen, wie sie der exzellent redigierte linksliberale «März» propagierte, eine politisch-literarische Wochenschrift, die der Unternehmer förderte, in deren Haltungen zu Fragen der inneren und äußeren Politik er sich wiedererkennen konnte. Conrad Haußmann, der führende, analytisch und rhetorisch überaus begabte linksliberale Reichstagsabgeordnete aus Stuttgart, hatte den jungen Theodor Heuss zum Redakteur des «März» gemacht. Der «März» war dem für seine Karikaturen bekannten «Simplicissimus» verwandt, sollte aber zurückhaltender, sachlicher auftreten. Ursprünglich sollte das Blatt unter dem Titel «Süddeutschland» herauskommen, eine deutliche Spitze zugunsten einer eigenständigen, nicht preußisch geprägten politischen Kultur. 1906 hatte Ludwig Thoma das Programm des «März» skizziert: «Wir haben keine kleinen Ziele und Absichten. Wir wollen in Politik, Literatur, Kunst und Wissenschaft alles sammeln, was in Süddeutschland etwas weiß und kann. Süddeutschland - nicht so wie man es in Berlin abgrenzt, sondern die alten süddeutschen Kulturländer, also Österreich und Schweiz [.] wieder in Deutschland einbegriffen. Tendenz: Nur Positives bringen und freiheitlich sein. Politisch keiner Partei dienen, aber ungefähr die Stimmung der guten 48er halten [.] Wir wollen alle süddeutschen Kräfte sammeln und zeigen, dass wir Kerle sind.»[7]
Eine Anzeige im «Simplicissimus» warb für den «März», der mit seinem Namen an die Revolution von 1848 erinnern sollte. Die Zeitschrift sollte darlegen, «was Deutschland nottut in dieser Zeit des Übergangs vom persönlichen Regiment zu gesicherten politischen Zuständen»[8]. Der «März» schrieb gegen alles an, was im Innern und nach außen konfliktverschärfend erschien. Als Förderer befand sich Robert Bosch im Schulterschluss mit dem Verband für internationale...
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