Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Manchmal genügt ein einziger Moment, um zu zeigen, wie tief ein System verinnerlicht wurde und wie wenig es bereit ist, sich selbst in Frage zu stellen. Solche Momente wirken manchmal beiläufig, weil sie gewohnt sind, beinahe unscheinbar. Und manchmal irritieren sie.
Ob so oder so, sie offenbaren nicht das Spektakuläre, sondern das Selbstverständliche: das, was so tief im Gewebe der Organisation liegt, dass es niemand mehr bemerkt. Was dann geschieht, ist selten laut. Es sind keine dramatischen Wendungen, sondern eher leise Signale, kleine Szenen, in denen sich das große Ganze spiegelt. Eine beiläufige Entscheidung, ein unausgesprochener Konsens, ein Nicken zur richtigen Zeit. Und plötzlich steht es da, das System, in all seiner Selbstgewissheit.
Die erste Irritation
In einem Unternehmen war ein sogenannter Innovationsbereich eingerichtet worden. Der Leiter war neu in der Rolle, ohne ein "wirklich eigenes" Team, ohne Mandat, aber mit dem Auftrag, etwas "Neues" zu entwickeln. Ihm zur Seite gestellt: ein paar Kolleginnen und Kollegen aus einer anderen Abteilung, offiziell zur Unterstützung, inoffiziell ohne erkennbare Verantwortung.
Ich hatte eine einfache Übung vorbereitet: drei Gruppen, jeweils mit der Aufgabe, ein Minimum Viable Product zu entwickeln. Als Szenario diente ein fiktives Nudelrestaurant. Die Aufgabe war bewusst niedrigschwellig angelegt, nicht um ein realistisches Geschäftsmodell zu entwerfen, sondern um das Prinzip erfahrbar zu machen, mit möglichst einfachen Mitteln eine Idee zu entwickeln und auf ihre Umsetzbarkeit hin zu testen. Es ging um Denkbewegung, nicht um Marktreife. Und es ging darum zu verstehen, dass Innovation nicht mit Perfektion beginnt, sondern mit einem ersten, machbaren Schritt.
Zwei der Gruppen machten sich an die Arbeit, improvisierten, experimentierten, stellten Annahmen auf, verwarfen sie wieder, suchten die Nähe zu einem fiktiven Markt, tasteten sich an Möglichkeiten heran.
Das dritte Team jedoch, jenes unter Leitung des neuen Innovationsverantwortlichen, verlor sich von Anfang an in Strukturen. Zuständigkeiten wurden diskutiert, Berichtslinien definiert, Rollen aufgeteilt, bevor überhaupt klar war, was genau man eigentlich wollte. Ich erinnerte an die Aufgabenstellung, stellte eine Frage, versuchte zu spiegeln, dass vielleicht weniger mehr wäre. Der Leiter bat mich höflich, aber eindeutig, den Raum zu verlassen. Ich tat es.
Als die Gruppen später ihre Ergebnisse präsentierten, zeigte sich, wie verschieden die Zugänge waren. Zwei Gruppen hatten Konzepte erarbeitet, die man mit ein wenig Mut hätte erproben können. Nicht ausgereift, aber konkret. Die dritte Gruppe zeigte ein Organigramm. Geschäftsführung, Strategieabteilung, Marketing, Controlling. Dutzende Abteilungen. Keine Nudel. Kein Prototyp. Keine einzige Annahme, die auf Wirklichkeit zielte. Es war alles da, außer dem, worum es ging.
Was mich bis heute an diesem Erlebnis beschäftigt, ist nicht der Mangel an Kreativität. Nicht das Missverstehen der Aufgabe. Sondern die Tatsache, dass dieses Verhalten nicht zufällig war. Es war folgerichtig aus Sicht des Systems. Gerade die erfahrenen Mitarbeitenden, die über Jahre gelernt hatten, wie Organisation funktioniert, schlossen sich dem Manager an. Nicht aus Trägheit, sondern aus Vertrautheit mit dem, was in solchen Kontexten als professionell gilt. Die Bereitschaft, auf das Unkonventionelle einzusteigen, fand sich vor allem in den anderen Gruppen: bei den Jüngeren, den weniger Eingebundenen, denjenigen, die noch nicht so sehr Teil der Logik geworden waren, die sie nun reproduzieren sollten.
Die Art zu denken, die dort sichtbar wurde, war keine individuelle Schwäche. Sie war Ausdruck kollektiver Prägung: ein Denken in Ordnung, bevor etwas überhaupt Form annehmen konnte. Innovation wurde organisiert, bevor sie gedacht wurde. Sie wurde geplant, bevor sie erfahren wurde. Sie wurde simuliert, bevor sie etwas riskieren konnte. Und damit war sie schon vorbei, bevor sie beginnen konnte.
Was uns fehlt
Es wäre naheliegend, von einem Mindset-Problem zu sprechen. Viele tun das. Sie glauben, man müsse nur an der inneren Haltung der Menschen arbeiten, ein bisschen Offenheit hier, etwas mehr Veränderungswille da, und schon ließe sich der Wandel gestalten. Doch diese Vorstellung verkennt nicht nur die Tiefe individueller Prägung. Sie verkennt auch die Grenze dessen, was einer Organisation zusteht.
Haltungen sind keine Schalter, keine Stellgrößen, an denen man einfach drehen kann. Sie wachsen langsam, im Spannungsfeld von Erfahrung, Kontext und Macht. Sie sind persönlich, nicht verfügbar. Deshalb steht es niemandem zu, anderen ihre innere Verfasstheit vorzuschreiben. Wo Organisationen beginnen, Haltungen zu fordern oder zu fördern, betreten sie ein Feld, das nicht mehr Führung, sondern Einflussnahme ist und manchmal Übergriff.
Doch genau das geschieht, wenn von Führung gesprochen wird und dabei meist Steuerung gemeint ist: das gezielte Lenken von Verhalten, Prozessen, Ergebnissen. Und wenn von Innovation die Rede ist, dann oft nicht als offener Suchprozess, sondern als etwas, das sich planen, messen und kontrollieren lassen soll. Der Begriff wird so lange angepasst, bis er ins System passt. Innovation wird dann nicht mehr als Wagnis verstanden, sondern als funktionales Instrument, das bestehende Strukturen nicht gefährdet, sondern stützt.
Das geschieht selten aus bewusster Absicht. Vielmehr ist es Ausdruck einer tieferliegenden Systemlogik: Organisationen erlauben sich nur das, was sie mit ihrer eigenen Stabilität in Einklang bringen können. So entstehen Fassaden. Agilität wird zur Projektstruktur. Innovation zur Präsentation. Transformation zum Schlagwort.
Und niemand wundert sich. Selbst dort, wo der Druck steigt, sei es durch Marktveränderung, Personalengpässe oder Digitalisierung, bleibt das Reaktionsmuster dasselbe. Man macht weiter wie bisher, nur mit moderneren Begriffen. Innovation wird auf das reduziert, was steuerbar bleibt: Prozessoptimierung, Effizienzsteigerung, vielleicht noch inkrementelle Produktanpassungen. Sprunginnovationen, die bestehende Logiken infrage stellen würden, gelten als riskant - nicht, weil sie unsinnig wären, sondern weil sie den Rahmen sprengen, in dem man sich eingerichtet hat.
Externe Expertise wird dann gerne eingeladen, aber mit der unausgesprochenen Erwartung, dass sie Lösungen liefert, ohne Veränderung zu fordern. Wenn es Veränderungen gibt, dann höchstens auf der operativen Ebene: neue Tools, neue Methoden, neue KPI. Das Management bleibt dabei unberührt, steuert lediglich anders. Man führt OKR ein, benennt Abteilungen um, erklärt Agilität zur neuen Struktur und hält das bereits für Innovation.
Doch wo Veränderung auf Austausch von Begriffen beschränkt bleibt, ändert sich nichts. Es wird nur anders bezeichnet, was im Kern gleich bleibt.
Was fehlt, ist kein Werkzeugkasten. Es mangelt nicht an Methoden. Es mangelt an Räumen, in denen das Offensichtliche ausgesprochen werden darf und zugleich ausgehalten wird. Denn es steht längst im Raum. In Meetings, in Workshops, in Strategierunden. Zwischen den Zeilen von PowerPoint-Präsentationen, hinter den Kulissen agiler Projekte, im Nebensatz von Rückmeldungen, die nie ausgesprochen werden.
Manche sehen ihn, viele spüren ihn. Aber kaum jemand spricht ihn an: den Elefanten. Er ist kein Konzept. Er ist eine Erfahrung. Er steht für das, was alle wissen und doch vermeiden. Für das, was längst gesehen wurde, aber nie ernst genommen wird. Und während weiter systematisch an Innovationsfassaden gebaut wird, steht er da, groß, unbeweglich, in seiner ganzen Selbstverständlichkeit. Wer ihn nicht sehen will, wird ihn irgendwann spüren, nicht als Irritation, sondern als Stillstand.
Wer Innovation wirklich will, muss lernen,
Elefanten zu sehen. Nicht als Symbol,
sondern als Realität.
Denn was wir brauchen, ist keine weitere Methode, sondern ein anderes Sehen. Eine andere Form, Verantwortung zu begreifen. Eine neue Perspektive auf das, was Organisationen sind, und auf das, was sie verhindert.
Vielleicht beginnt die Veränderung nicht mit einer Idee, sondern mit dem Mut, den Blick nicht mehr abzuwenden.
Worum es in Wahrheit geht
Dieses Buch will nicht erklären, wie Innovation funktioniert. Es will zeigen, wo sie scheitert und was getan werden kann, um das zu verändern. Denn Scheitern ist nicht das Gegenteil von Innovation, es ist ihre Voraussetzung. Nicht als spektakulärer Misserfolg, sondern als alltägliches Nichtwissen, das zum Ausgangspunkt neuer Erfahrung wird. Als Menschen haben wir genau so gelernt. Die ersten Schritte, das Sprechen, die unzähligen Versuche, etwas zu greifen oder zu begreifen, all das war von Scheitern durchzogen. Wir sind, wenn man so will, zu Erwachsenen geworden, indem wir uns Schritt für Schritt weiter gescheitert haben.
Später wurde das Lernen anders verstanden. In Schule und Studium, teils auch in beruflicher Ausbildung rückte die richtige Antwort in den Mittelpunkt. Lernen wurde zur Reproduktion, zur Wissensabfrage. Doch dieses Verständnis reicht nicht aus, wenn wir uns in unbekanntem Gelände bewegen. Dort helfen keine Regeln, keine Routinen,...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.