Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
1
Während die Skyline hinter Theresa immer kleiner wurde, verloren sich der Schmerz und die Verzweiflung langsam. Sie fühlte sich nur noch wie betäubt und wünschte sich, dieser Zustand möge so lange anhalten, bis sie ihr Ziel erreicht hatte. Gamsenau lag etwa fünfeinhalb Fahrstunden von Frankfurt am Main entfernt.
Theresa blickte in den Rückspiegel. Auf der Rückbank lag Stella und kaute höchst zufrieden an einem Knochen. Ihre weiße Schäferhündin schien kein Problem mit dem fluchtartigen Aufbruch zu haben. Leise seufzend richtete Theresa den Blick wieder auf die Straße, die Hände so fest ums Lenkrad geschlossen, dass die Fingerknöchel weiß hervortraten. Es war Freitagmittag, ein Bilderbuchtag. Frühherbstlich warm, ein wolkenloser Himmel. Jenseits der Autobahn lagen kleine Fachwerkdörfer, Wälder und Felder - so friedlich wie in all den Jahren, in denen sie diese Strecke gefahren war. Ein Bild beruhigender Beständigkeit. Doch der Schein trog. An diesem Tag war alles anders. Dirk hatte sie verlassen - kurz vor ihrer Silberhochzeit.
Wie alles im Leben zusammenhängt, dachte Theresa, während sie in stetem Tempo in Richtung Süden fuhr. Hätte Maja ihre Verabredung zum Wandern nicht kurzfristig abgesagt oder hätte Dirk ihr zum Geburtstag statt Stella einen anderen Hund geschenkt, wäre dieser Tag vermutlich ganz anders verlaufen. Und damit möglicherweise auch ihre Zukunft. So aber war sie nach dem Friseurtermin an diesem Vormittag statt zu Maja wieder nach Hause gefahren. Dirk war noch da gewesen. Es kam öfter vor, dass er Verkaufsgespräche von zu Hause aus führte. Erst Stellas Verhalten hatte ihr Misstrauen geweckt. Beim Betreten des Hauses schien ihre Hündin etwas zu wittern, einen ihr fremden Geruch. Die lange Schnauze auf den Boden gerichtet, war sie zuerst schnüffelnd durchs Untergeschoss gelaufen, dann die breite Freitreppe hinauf und geradewegs ins Schlafzimmer. Wie von einer fremden Macht gesteuert, war Theresa der Hündin gefolgt. Als sie das Zimmer betrat, zog Stella ihre Schnauze gerade unter dem seidenen Bettüberwurf hervor. Ganz so, wie sie es in der Suchhundausbildung gelernt hatte, legte sie Theresa ihren Fund vor die Füße: einen nach einem schweren Parfüm duftenden Seidenschal. Ein Accessoire, das definitiv nicht aus ihrem Kleiderschrank stammte.
In Erinnerung an diese Entdeckung schüttelte Theresa den Kopf. Geschmackloser ging es nun wirklich nicht. Niemals zuvor hatte sie Dirk so bleich, so sprachlos erlebt wie in dem Moment, als sie ihm Stellas Fundstück unter die Nase gehalten hatte. In diesem Augenblick musste ihm klar geworden sein, dass seine Geliebte ihr ganz bewusst ein Indiz für Dirks Untreue unter der glatt gezogenen Decke des Ehebetts zurückgelassen hatte.
Theresa spürte, wie sich ihr Herzschlag aufs Neue beschleunigte. In ihrer Kehle bildete sich ein Kloß. Bloß nicht während des Fahrens weinen, befahl sie sich. Obwohl sie gerade ihren Ehemann verloren hatte, wollte sie nicht auch noch ihr Leben verlieren. Das war Dirk nicht wert.
Die Tränen konnte sie zurückdrängen, die Erinnerung jedoch nicht. Nach ein paar Kilometern schon sah sie Dirk wieder vor sich - in dem perfekt sitzenden silbergrauen Anzug, auf der stets gebräunten Stirn diese eine Locke, die sie ihm in all den gemeinsamen Jahren sicher Tausende Male zärtlich zurückgestrichen hatte. Mit der honigfarbenen Hornbrille, die ihm etwas Intellektuelles gab, was ihm eigentlich nicht zu eigen war, seine gepflegten, schönen Hände . Ja, Dirk war attraktiv. Auch noch mit fünfzig. Sein Haar war immer noch voll und mittelblond, mit ein paar Silberfäden an den Schläfen, seine Figur sportlich-schlank. All das hatte sie nach langer Zeit heute Mittag zum ersten Mal wieder ganz bewusst wahrgenommen, während sie das farbenfrohe Seidentuch mit zitternder Hand hochgehalten hatte. Dirk hatte sich dann überraschend schnell gefasst. Dass du es auf diese Art erfahren musst, finde ich auch sehr geschmacklos, hatte er ihr mit bebender Stimme versichert, während er sie fürsorglich zu einem der tiefen Ledersessel in der Bibliothek geführt hatte. Ihre eiskalte Hand fest in seiner ebenso kalten haltend hatte er ihr dann mit seiner wohlklingenden Stimme anvertraut, eine andere Frau zu lieben. Ich hätte es dir schon längst sagen sollen . Dirk hatte geredet und geredet. Sie dürfe nicht glauben, sie sei ihm plötzlich gleichgültig; es gebe halt mehrere Arten zu lieben; er wolle noch einmal von vorn anfangen, aus dem Trott der Ehe raus; er wolle keinen Rosenkrieg; sie könne in der Villa wohnen bleiben; sie würden die Immobilienfirma verkaufen und das gemeinsame Vermögen fair teilen. Während Theresa diese Szene nochmals in ihrer Erinnerung aufleben ließ, brach sich ihre ganze Verzweiflung darüber, mit ihrem Ehemann auch das Gefühl von Beständigkeit und Sicherheit verloren zu haben, erneut Bahn. Sie schnappte nach Luft. Ihr Herz raste. Nein, so konnte sie nicht weiterfahren.
Entschlossen fuhr sie auf einen Parkplatz, ließ Stella laufen und trank ein paar Schlucke. Erstaunt stellte sie fest, dass sie bereits zwei Stunden unterwegs war. Nachdem sie ein paar tiefe Atemzüge getan hatte, wurde sie ruhiger. Obwohl sie sich verbot, während der Weiterfahrt an Dirk zu denken, ließen sich ihre Gedanken einfach nicht bändigen. Wie wilde Affen sprangen sie ihr durch den Kopf. Meine nordische Göttin, meine wunderschöne Verstandesfrau . Im Geiste hörte sie wieder Dirks Stimme, spürte seine Hände auf ihrem Körper, roch sein Aftershave, das ihr zwar immer einen Hauch zu süßlich gewesen war, aber so herrlich vertraut und behaglich. All seine Zärtlichkeiten hatten schon längst auch einer anderen gehört. Und sie hatte nichts bemerkt!
Nach weiteren zwei Stunden erreichte Theresa München. Ein blauweißer Himmel hing über den Gipfeln der Alpenkette am Horizont. Rechts und links der Fahrbahn lagen wie hingestreut kleine Gehöfte mit den für Bayern so typischen weißen Kapellen, deren goldene Zwiebeltürme in der Nachmittagssonne glänzten. Kurz vor dem österreichischen Grenzübergang klingelte ihr Handy. Dirk, schoss es ihr durch den Kopf. Ein Blick auf das Display im Armaturenbrett jedoch ließ sie erleichtert durchatmen.
»Ich wollte dir nur schnell sagen, dass meine Mutter doch keinen Herzanfall hatte«, teilte Maja ihr mit ihrer tiefen Raucherstimme mit. »Es geht ihr wieder ganz gut, aber sie muss noch drei Tage zur Beobachtung im Krankenhaus bleiben.«
»Das freut mich«, erwiderte Theresa. Sie hörte selbst, wie steif das klang.
»Du klingst merkwürdig. Wo bist du?«, fragte Maja überrascht.
»Bei Kiefersfelden.«
»Wie bitte?«
Theresa konnte sich genau vorstellen, wie ihrer Freundin gerade die großen, mit schwarzem Kajal geschminkten Augen aus dem Kopf fielen.
»Ich bin auf dem Weg nach Gamsenau.«
»Ich glaub's nicht! Wie das denn so plötzlich?«
»Dirk will sich scheiden lassen.«
Stille. Dann hörte Theresa, wie Majas Feuerzeug aufschnappte. Ihre Freundin stieß den Rauch zischend aus. »Das musst du mir erklären.«
»Ich ruf dich gleich zurück.« Theresa fuhr auf die nächste Raststätte und erzählte, was passiert war.
»Unglaublich! Und dann ist er einfach gegangen?«, fragte Maja fassungslos.
»Ich habe ihm gesagt, dass ich ihn erst mal nicht mehr sehen will. Als er weg und ich in dem riesigen Haus allein war, wurde mir schlagartig klar, dass ich es keine Minute länger dort aushalten würde, wo sich die beiden in unserem Ehebett vergnügt haben. Ich habe ein paar Sachen in die Tasche geworfen und bin gefahren.«
Wieder herrschte ein paar Atemzüge lang Schweigen. Theresa hörte, wie Maja an ihrer Zigarette zog.
»Die wollte, dass du es weißt«, meldete sich ihre Freundin wieder zu Wort.
»Ja.«
»Die hatte die Heimlichkeiten satt. Die will ihn für sich allein.«
»Vermutlich.«
»Ich sage dir, wer es ist.«
Theresa zog die Stirn zusammen. »Wer?«
»Jessica.«
Sie zuckte innerlich zusammen. Jessica? Wie kam Maja denn zuallererst auf die? Ihr Blick verlor sich auf den mit tiefgrünen Bergkiefern bewachsenen Hügeln des Zahmen Kaisers zu ihrer Linken. Jessica war dreißig, bildhübsch, lebensfroh, unkompliziert und Dirks Sekretärin. Und das seit drei Jahren.
»Hallo? Bist du noch dran?«, weckte Majas Stimme sie aus ihren Gedanken auf.
»Ich weiß nicht .«, sagte Theresa gedehnt.
»Wer könnte es denn sonst sein?«, fragte Maja im Brustton der Überzeugung.
»Eine Kundin zum Beispiel. Ich glaube eigentlich nicht, dass Jessica mich derart hintergehen würde. Außerdem hat sie ein Kind.«
»Stimmt. Es wäre absurd, wenn er sich jetzt plötzlich der Verantwortung gewachsen fühlen würde«, sagte Maja sarkastisch.
»Maja, bitte .«, erwiderte Theresa mit Nachdruck.
Doch Maja ließ sich nicht bremsen. »Oder vielleicht ist es gerade das. Vielleicht will er etwas nachholen. Ich erinnere mich noch an...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.