Schweitzer Fachinformationen
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Der Römerturm
Eine Nacht mag noch so trostlos und finster sein, am nächsten Morgen geht doch die Sonne wieder auf.
Franziska zog das gehäkelte Tuch um ihre Schultern fester und schlang die Arme um ihren schlanken Körper. Es war zwar frühlingshaft warm, und die Sonne hatte durchaus Kraft, doch sie stand mitten im Wind, der energisch von Norden aus dem Passeier Tal über die Bergflanken des weitläufigen Etschtals wehte. Franziska war den ruppigen Böen dort mitten auf dem Platz vor dem Haupthaus komplett ausgeliefert. Es störte sie nicht. Vielmehr ließ sie ihren Blick unablässig die weiß getünchten Wände entlangschweifen. Sie würde eine Lösung für ihr Problem finden. Fragte sich nur, wie und wo.
Das Geräusch dumpfer Schritte riss sie aus ihrer Grübelei. Sie wandte sich um und sah ihren Vater aus dem vorderen Teil des Anbaus kommen, wo sich die Hofkapelle befand. Sie vermutete, dass ihre Mutter dort auf der harten Holzbank vor dem Altar kniete und ihren allmorgendlichen Rosenkranz betete.
Als Ludwig Bruggmoser seine Tochter erblickte, beschleunigte er seinen Gang. Franziska riss sich vom Anblick der Hausmauern los und ging ihm entgegen.
»Franni, kannst du . ich meine, hast du Zeit? Die Rosemarie hilft dem Anderl beim Gemüse, und deine Mutter .«, er brach ab, machte eine unbestimmte Handbewegung, griff sich dann an den Hut und rückte ihn gerade. Franziska fiel auf, wie müde er aussah. Er arbeitete viel zu viel. Vielleicht sollten sie einen zweiten Knecht einstellen. Einer der Söhne des Fleischhauers im Dorf, Simon, kam zwar regelmäßig nach der Schule und packte gegen ein Taschengeld mit an, doch das reichte nicht.
Ludwig Bruggmoser ließ die Schultern sinken. »Was frag ich? Du solltest das nicht tun. Wären es andere Umstände, wärst du gar nicht hier.«
»Aber ich bin hier, und ich muss nicht tatenlos herumstehen. Was gibt's?« Franziska reckte das Kinn.
»Komm mit. Nur ein wenig Heu von der Diele holen, mehr ist es gar nicht. Worüber denkst du nach?«
»Darüber, dass ich unterrichten möchte.« Sie hatte ihm am Morgen beim Frühstück von dem Brief erzählt, der ihr das Berufsverbot eingebracht hatte.
Und genau wie am Küchentisch zuckte er auch jetzt nur gleichmütig mit den Schultern. »Finde dich besser damit ab, mein Mädchen. Alles andere gibt nur Ärger.«
Franziska schluckte eine bissige Erwiderung hinunter. Es machte sie wahnsinnig, dass ihr Vater sich so anpasste. Stets bemüht, allen Schwierigkeiten aus dem Weg zu gehen, leistete er immer allem Folge, was von ihm verlangt wurde. Nannte sich gehorsam Ponte. Heute Morgen hatte er sogar stolz verkündet, dass er nun Italienisch lernte, um besser mit den Behörden sprechen zu können.
»Ich will keinen Ärger machen, natürlich nicht«, erklärte sie verhalten, während sie ihm den Weg seitlich am Hofgebäude vorbei den Hang hinauf folgte. Ihr Vater wollte über den äußeren Eingang rauf ins Obergeschoss, wo in den Dielen die letzten Heuvorräte aus dem Winter lagerten. Es wurde Zeit, dass das Vieh nach draußen auf die Weiden gebracht werden konnte.
»Aber ich möchte unterrichten«, fuhr sie fort. »Und es kann doch nicht wahr sein, dass meine jahrelange Ausbildung nun nichts wert sein soll.« Den letzten Satz stieß sie empörter hervor, als sie beabsichtigt hatte.
Ihr Vater lächelte traurig. »Manchmal sind die Dinge nicht so, wie wir es gerne hätten. Schau deine Mutter an. Sie hätte gern alle ihre vier Söhne zurück.«
»Aber das ist doch nicht das Gleiche! Manchmal müssen die Männer in den Krieg, dagegen lässt sich einfach nichts ausrichten.«
»Ach, ja?« Ludwig Bruggmoser war stehen geblieben und runzelte seine zerfurchte Stirn. Franziska beobachtete, dass er angespannt mit dem Kiefer mahlte, doch sie schob es darauf, dass er nicht wusste, wie er die ganze Arbeit bewältigen sollte.
»Liebe Tochter, dieser Hof hier existiert seit fast drei Jahrhunderten.« Er wies mit der Hand auf das Gebäude. »Immer schon haben die Landesfürsten uns kleinen Leuten gesagt, was wir zu tun und zu lassen haben. Tiroler, Bayern und Franzosen, die österreichischen Habsburger und jetzt eben die Italiener. Sie alle gieren nach Steuern und wollen, dass wir gute Untertanen sind. Das ist alles. Ich sage dir, wenn wir den Kopf unten halten, dann passiert uns am wenigsten.«
»Und nennen uns ab sofort brav Ponte.« Franziska hatte es mehr zu sich gesagt, doch unwillkürlich zu laut, als dass ihr Vater es überhören könnte. Sie biss sich erschrocken auf die Unterlippe. »Tut mir leid, ich wollte nicht respektlos sein.«
»Ach, was ist schon ein Name?« Ihr Vater lächelte versöhnlich. »Er sagt doch nichts darüber aus, wer du bist.«
Jetzt schüttelte Franziska den Kopf. »Wie können Sie das sagen, Tata? Der Name gehört zu uns, er ist doch, was unsere Familie ausmacht!«
»Wirklich?«
»Ja, natürlich!«
»Und dabei zögerst du nicht, ihn abzulegen, weil du eines Tages einen Mann heiratest?«
»Aber das . ich .« Verdattert starrte Franziska ihren Vater an. In dessen Augen war ein listiger Ausdruck getreten. Er legte ihr die Hand auf die Schulter und schob sie sanft in Richtung Stadeltür, die zum Obergeschoss und zur Heudiele führte. Mit Schwung riss er den Torflügel auf. Staubkörner wirbelten, von der plötzlichen Luftbewegung aufgeschreckt, umher und tanzten im Sonnenlicht.
»Der Name«, begann Ludwig Bruggmoser, »deutet auch einen Besitzanspruch an. Du bist meine Tochter, ich trage die Verantwortung für dich. In dem Moment, in dem du einen Mann heiratest, nimmt er dich in Besitz. Du wirst sein Eigentum.«
»So habe ich das noch nie betrachtet«, stammelte Franziska. Was war sie, der Besitz ihrer Eltern? Mehr nicht? Das klang so . minderwertig. Ganz egal, wie die offizielle gesellschaftliche Sichtweise sein mochte, weder ihre Mutter noch ihr Vater hatten sie jemals derart . abfällig behandelt. Sie hatte immer das Gefühl gehabt, dass sie eine Person wäre, mehr noch, eine Persönlichkeit, geachtet und geliebt.
»Ich dagegen bin ein Untertan, ein Staatsbürger, nenn es, wie du möchtest. Es ist immer das Gleiche. Könige oder Regierungen entscheiden über mich und mein angeblich freies Leben. Und sie entscheiden auch, wie ich mich zu nennen und welche Sprache ich zu sprechen habe. Aber am Ende macht das alles keinen großen Unterschied. Ich zahle Steuern, die Obrigen schicken meine Söhne in den Krieg, ganz wie es ihnen beliebt, und ich darf, mehr oder weniger unbehelligt, mein Leben leben.« Er schien genug gesagt zu haben, denn er zupfte den blauen Schurz glatt und wandte sich abrupt ab, um in Richtung der Heudielen zu gehen, die mit einfachen Latten in einzelne Kammern unterteilt waren. Dort ergriff er einen bereitstehenden Rechen und begann, das Heu zu der Luke am anderen Ende der Diele zu schieben. Staubige Wolken erfüllten die Luft.
Franziska musste mehrmals niesen, weil die umherfliegenden Halme ihr in der Nase kitzelten. Dann ergriff sie einen zweiten Rechen und tat es ihrem Vater nach.
Sie verstand die Welt nicht mehr. Diese zynische Betrachtungsweise über seine Rolle als Untertan oder Bürger, das passte überhaupt nicht zu ihm. Sicher, Kopf unten halten, sich so weit wie möglich anzupassen, das war seine Devise. Eigentlich hatte Franziska immer gedacht, er würde das aus reiner Bequemlichkeit tun. Und jetzt, nach dem, was ihr Vater vorhin gesagt hatte, klang es so, als gäbe es einen anderen Grund. Angst? Das Gefühl von Machtlosigkeit? Warum hatte er das gesagt, diese Sache, dass der Name für einen Besitzanspruch stehen würde? Hielt er das etwa für richtig? Für gerecht?
Sie hielt es nicht mehr aus. »Finden Sie das denn richtig? Dass der Name dazu gebraucht wird, um einen Besitzanspruch anzuzeigen?«
»Ich weiß nicht.« Er entfernte mit der Hand einige Halme aus seinem Gesicht. »Wenn ich ehrlich bin, war es auch mehr der Gedanke deiner Mutter. Sie sagte, dass es kein so großer Unterschied wäre. Sie hat schon damals bei unserer Heirat ihren Namen abgeben müssen und jetzt eben noch einmal. Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr glaube ich, dass sie damit recht hat. Sie ist damals wie heute die gleiche Person, ob sie nun Gamper oder Bruggmoser heißt. Oder jetzt eben Ponte.«
»Aber sie hatte doch eine Wahl. Sie wurde doch nicht zur Heirat gezwungen.« Oder? Das würde so gar nicht zu dem Bild passen, das sie von ihrem wohlwollenden Vater hatte. Die Eltern ihrer Mutter waren bereits beide tot, doch auch über sie hatte Franziska nie gehört, dass sie grausam gewesen wären.
Ihr Vater knurrte empört. »Natürlich haben weder ihre Eltern noch ich sie gezwungen! Aber wir haben auch nicht aus so romantischen Motiven geheiratet, wie du dir das heutzutage ausmalst. Es hat gepasst für uns, und gut war's.« Er richtete sich auf, massierte sich mit einer Hand den Rücken und stöhnte verhalten. Dann lächelte er nachsichtig. »Ich werde dir freie Hand bei deiner Entscheidung lassen. Aber solltest du dir Flausen in den Kopf setzen und dir einen unangemessenen Mann aussuchen, werde ich einschreiten, das ist dir bewusst, oder?«
»Selbstverständlich«, murmelte Franziska artig. Natürlich fragte sie sich sofort, was ein unangemessener Mann sein könnte, aber das schien nicht der richtige Zeitpunkt zu sein, um nachzuhaken. Sie hatte ja auch noch niemanden kennengelernt, über den es sich lohnte nachzudenken.
Ihr Vater wandte...
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