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Rudolf Wacker war ein genauer, ein ausführlicher Dokumentarist seines Lebens und ein leidenschaftlicher Briefeschreiber. Von diesen Passionen zeugen die vielen Briefe und penibel geführten Tagebücher, die sich erhalten haben. Die Verschriftlichung seiner selbst in den Tagebüchern, die Inhalte und Empfänger seiner Briefe, geben Auskunft und Einblick nicht nur in ein rastloses Künstlerleben, sondern skizzieren auf vielfache Weise die Person Rudolf Wacker und geben entscheidende Hinweise zum Verstehen seines bildnerischen Werks. Darüber hinaus zeigen sie Wackers Hingabe ans Schreiben und Aufzeichnen.
Während die Tagebücher seit 1990 in einer zweibändigen Edition vorliegen, verhält es sich mit den Briefen anders. Sie wurden und werden für Ausstellungen, Katalogbeiträge und andere Formen der wissenschaftlichen Forschung verwendet. Publiziert sind sie nur in Ausschnitten, eine etwaige Gesamtedition im Rahmen einer Drucklegung der "Sämtlichen Briefe" ist zwar wünschenswert, momentan aber nicht in Sicht. Einen ersten Schritt, Wackers Briefschaften einer größeren Öffentlichkeit bekannt zu machen, stellte die Veröffentlichung der Korrespondenz Rudolf Wackers mit Max Haller dar.1 Als weiterer Schritt ist der nun hier edierte Briefwechsel mit dem Kunsthistoriker und Museumsmann Anton Reichel zu verstehen.
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Rudolf Wacker notiert im Tagebuch einen Auszug aus dem heute als verschollen geltenden, gesondert geführten Tagebuch seiner Wiener Zeit, während der er, in den Jahren 1923/24, zusammen mit seiner frisch angetrauten Frau Ilse, in Wien Fuß zu fassen versuchte. Man kann in dieser kurzen Zusammenstellung erfahren, welche Ausstellungen er besucht, wo er selbst ausgestellt hat und welche Kritiken über seine Ausstellungen erschienen sind. Unter der Kategorie "Verkehr" erfährt man, mit wem er sich während seines Aufenthaltes in Wien getroffen hat: mit den ehemaligen Tomsker Kriegsgefangenen, mit Malern und mit Kunsthistorikern. Unter den zehn genannten Kunsthistorikern findet sich auch der Name "Dr. Reichel (Albertina)". Unklar ist, wie ein erstes Treffen zustande gekommen ist. Am 14. Jänner 1924 schreibt Rudolf Wacker nach Bregenz: "Zufällig traf ich selben Tags Dr. Reichel (Custos a.d. Albertina) der mich, als er hörte daß ich dringend Geld brauche, gleich mitnahm und mir 1 Million K übergab für die ich mich verpflichtete der Albertina im Laufe dieses Jahres 5 Zeichnungen (worunter auch graph. Blätter sein können) zu liefern."2
ABB. 30: Porträt Anton Reichel, Albertina.
ABB. 31: Porträt Rudolf Wacker, Franz-Michael-Felder-Archiv.
Wacker berichtet im nächsten Brief nach Bregenz von einer Ausstellungseröffnung in der Wiener Secession, in der er vier Zeichnungen3 zeigte, dass er eine "Menge Bekannter" bei der Eröffnung getroffen habe, eben auch "Dr. Reichel".4 Wackers brieflich annoncierte Bekanntschaft mit Anton Reichel muss sich in den letzten Monaten des Jahres 1923 zugetragen haben, denn Wacker brachte noch im November 1923 Zeichnungen in die Albertina, aus denen Anton Reichel die Blätter "Aachbrücke", "Lindauer Turm" und "Ilse im Bett bei Teetisch" auswählte. Eine neuerliche Akquise ist für den Juni 1924 nachweisbar. Die Albertina übernahm die Blätter "Förstergasse", "Ziganie", "Polikuschka", "Selbstbildnis" (Litho) und "Am Klavier" (Litho).5
ABB. 32: Postkarte von Rudolf Wacker an Anton Reichel, 27. August 1933.
ABB. 33: Ansichtskarte von Anton Reichel an Rudolf Wacker, 22. Jänner 1930.
Die Erwerbung von grafischen Arbeiten durch Anton Reichel für die Albertina ist nur eine Facette der Beziehung, die sich in den nachfolgenden Jahren zwischen ihm und Wacker herausbildete. Wer war nun aber Anton Reichel, der sich durch all die Jahre hinweg immer wieder für Wacker einsetzte?
Anton Reichel kam am 20. November 1877 in Graz als Sohn eines Apothekers zur Welt. In Graz besuchte er das Gymnasium, um anschließend eine zweijährige pharmazeutische Praxis zu absolvieren. Gleichwohl bog Reichel nicht in die Berufsspur ein, die sein Vater gelegt hatte und wurde wie er Apotheker, sondern begann ein Studium der klassischen Archäologie und Kunstgeschichte in Graz, das er 1905 mit dem Doktorat abschloss. In den Jahren 1906/1907 erhielt er Stipendien für Aufenthalte in Griechenland und Italien. 1908 trat er als Praktikant in die Albertina ein, wurde 1909 Assistent, 1913 Kustosadjunkt, 1917 Kustos. Mit Beginn der Ersten Republik blieb Reichel Kustos und stieg die Verwendungsklassen hinauf, bis er 1934 Hofrat wurde. Erst unter dem Regime der Nationalsozialisten wurde er 1938 provisorischer, 1942 Direktor der Sammlung. Er starb am 21. Februar 1945. Verheiratet war er mit Paula Reichel, geborene Hirschmann; das Ehepaar hatte drei Kinder: Paula, geboren 1910, Lina, geboren 1912, und Anton, geboren 1919.6
An dieser faktischen Auflistung des beruflichen Werdegangs wird ersichtlich, dass Reichel politisch mit allen Staatsformen mehr oder weniger in Einklang war. Selbst der oftmals schwierige Übergang zwischen "Ständestaat" und "Drittem Reich" gelang ihm wohl auch deshalb reibungslos, weil 1934 nicht er, sondern Josef Bick zum Direktor der Albertina gemacht wurde, dieser dann 1938 nach dem "Anschluss" abgesetzt und Reichel an seine Stelle treten konnte.7
Reichel war neben seiner Tätigkeit für die Albertina noch mit anderem beschäftigt. So wirkte er als Komponist klassischer Musik, dessen Werke regelmäßig aufgeführt und auch im noch jungen Medium Radio ausgestrahlt wurden. Reichel war darüber hinaus als unermüdlicher Vermittler von Kunst im Einsatz. Er unterhielt eine regelmäßige Kolumne im Rundfunk, veröffentlichte eine Vielzahl von wissenschaftlichen Aufsätzen zu spezifischen kunsthistorischen Themen und den Sammlungsgebieten der Albertina, beteiligte sich an öffentlichen Debatten und veröffentlichte Standardwerke über bestimmte Bestände der Albertina.8
Einige dieser Aktivitäten spiegeln sich auch im vorliegenden Briefwechsel. Insgesamt, so der Eindruck, war Anton Reichel ein umtriebiger, unternehmungslustiger Zeitgenosse, der an Wacker und seinem Werk mehr als nur Gefallen gefunden hat. So viel man heute weiß, publizierte Anton Reichel über keinen zeitgenössischen Maler mehr als über Wacker. Einen ähnlich umfassenden Briefwechsel wie mit Rudolf Wacker führte er noch mit Wilhelm Thöny.9
Rudolf Wacker traf auf Anton Reichel am Beginn seiner Karriere als Maler. Nachdem er im September 1920 aus Krieg und Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt war, wollte er jenes Leben wiederaufnehmen, das der Krieg schlagartig beendet hatte. Wacker war an der Kunsthochschule in Weimar - wohin er aus Wien aufgebrochen war, nachdem ihm die Aufnahme in die Wiener Akademie der bildenden Künste nicht geglückt war -, als er sich 1914 zum Kriegsdienst melden musste. Nach einer kurzen Phase der Erholung, Regeneration und Reorganisation nach der Rückkehr brach er 1921 nach Berlin auf, um dort sein Glück als Künstler zu versuchen: vergeblich, doch lernte er in Berlin Ilse Moebius kennen, die ihm Modell stand. Die beiden heirateten an Weihnachten 1922 in Berlin und zogen zusammen zunächst nach Bregenz, um später in Wien ihre Zelte aufzuschlagen. In diesen Jahren begann Wacker nicht nur als Zeichner, sondern auch als Maler zu arbeiten und öffentlich in Erscheinung zu treten.
Schon die ersten Briefe von Anton Reichel an Rudolf Wacker zeugen von seinem ernsthaften Interesse an dessen künstlerischem Werdegang. Reichel fragte Wacker nach frühen Zeichnungen, um sich so und in Kenntnis der aktuellen grafischen Produktion von Wacker ein Bild über dessen zeichnerische Entwicklung zu machen. Wacker sandte postwendend Fotografien früher Zeichnungen. Damit setzte die kontinuierliche Übermittelung von fotografischen Aufnahmen aus neuester Produktion ein, um Reichel auf dem Laufenden zu halten. Im Briefwechsel entwickelten sich einige Themenfelder heraus, die kontinuierlich bearbeitet wurden und die für jede professionelle Künstlerkarriere von eminenter Bedeutung sind. Zu Beginn stand, wie bereits erwähnt, als Zeichen der Wertschätzung von Reichel zu betrachten, der Ankauf von insgesamt sechs Zeichnungen und zwei Lithografien, die die Albertina 1923 und 1924 von Wacker erworben hat. Weitere Ankäufe konnte Reichel nicht mehr so leicht in die Wege leiten. 1935 schenkte Wacker Reichel und damit der Albertina die Zeichnung nach der Mutter seines Freundes Max Haller "Frau Haller" (1924), "Landschaft mit Kähnen (Bilgeribach)"10 erwarb die Albertina letztlich 1935, dieser Ankauf wird im vorliegenden Briefwechsel ausführlich diskutiert (siehe Brief 51).
Es geht in den Briefen nicht nur um Ankäufe für die Albertina, sondern auch um Erwerbungen, die an anderen Stellen in Wien gemacht wurden oder in Aussicht gestellt worden sind. Hier ist der Ankauf des Gemäldes "Stilleben mit zwei Köpfen" (Haller, Abb. 256) für die Österreichische Galerie zu nennen. Reichel diente als...
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