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Sie brauchte Zeit zum Ankommen, viel Zeit. Körperlich wie seelisch geschwächt sah sie lange kaum den See. Es dauerte Monate, bis sie sich brieflich zum Zauber der Bodenseelandschaft zu äußern im Stande sah. Und auch dann geschah dies eher zögerlich. Ihrer Mutter schrieb sie im Oktober 1841 zurück ins Münsterland: "[.] ich spazire täglich eine Strecke am See hinunter, was, mit dem Weg hinauf, eine ordentliche Tour für mich ist [.]".1 Hier schreibt keine von der Landschaft Überwältigte. Bevor sie diese für sie neue Topographie zu logographieren und zu poetisieren vermochte, versuchte sie zu ermitteln, wo sie mittlerweile geistig stand. Nein, eine Schwärmerin war die Droste nicht; eher befand sich die jetzt 44-jährige Dichterin in einem Dauerzustand des Reflektierens und Hinterfragens; man hat dieses beständige Reflektieren sogar ihr "Lebenselement" genannt.2
Was war ihr der See? Ein zuweilen weniger, dann wieder mehr bewegter Spiegel. Aber wofür? Für das Lebendige in der Reflexion? Es verlangte sie nicht nur nach Natur, sondern nach einem festen Gemäuer, das anders sein sollte als das aus Westfalen Gewohnte, ihr Herkunftsort, das Rüschhaus bei Münster, mit seinem ins Biedermeier versetzten Rokoko-Intérieur, ein Ort, der etwas Perlmuttenhaftes hatte. Die Meersburg dagegen, das war wie ein versehentlich in die Höhe ragendes Verließ, das einen unverhofften Rundblick gewährte, eine mittelalterliche Burgfeste, in der die Zeit eingefriedet schien, zu Legenden vergoren. Seltsam, noch höher als der Burgfried lag das sogenannte Fürstenhäusle, das die Droste mit dem Honorar für ihre Meistererzählung Die Judenbuche erworben hatte, ein in die Weinberge verpflanztes Rüschhaus, wenn auch kein Wasserschlösschen, dafür ein Refugium als wohnlichere Alternative zur Burg, das etwas Musikalisches hatte. Von dort aus wird sie einer Freundin schreiben: "Die Aussicht ist fast zu schön, d.h. mir zu belebt was die Nah- und zu schrankenlos was die Fernsicht betrifft."3
Sie wollte sich verankern, brauchte aber den Orts- und damit Perspektivenwechsel. Zunächst interessierte sie die merowingische, auf das 7. nachchristliche Jahrhundert zurückgehende Burg mehr als der See. Es war ihr darin, als steige sie in ihr eigenes Innerstes hinunter, wobei sie dieses Interesse in einem weiteren Briefabschnitt auf einen berühmten Gast ihres Schwagers und gelehrten Burgbesitzers, Joseph von Laßberg, überträgt, Ludwig Uhland. Sie nimmt eher summarisch "die Gegend, den Bodensee, die Alpen" wahr, dann aber genauer:
"[.] die alte Burg mit ihren Thürmen, Wendelstiegen, ganzen Reihen von unterirdischen Gefängnißgewölben, - wo die Gefangenen ihre Namen und alte Sprüche mit spitzen Steinen in die Felswand gekratzt haben - und nicht weniger als fünf verfallenen Gängen in den Berg, deren Ausgang uns unbekannt ist, haben ihm [Uhland, Anm. d. Verf.] einen unbeschreiblichen Eindruck gemacht."4
Doch kam nicht nur Uhland, sondern vor allem, wie die Droste mit gespielter Überraschtheit vermeldete, Levin Schücking, der als Bibliothekar auf Zeit Ordnung in Laßbergs Bücher- und Manuskriptsamm-lung bringen sollte. Mit ihm, dem um siebzehn Jahre jüngeren, im Aufstieg begriffenen, bis hin zu Cottas Morgenblatt für gebildete Leser und zur einflussreichen Augsburger Allgemeinen Zeitung geschickt vernetzten Schriftsteller, verbindet Droste eine Liebesfreundschaft der seltenen Art.5 Noch lange über den Tod der mütterlichen Geliebten hinaus sollte sich Schücking für ihr Nachwirken einsetzen. Er war es auch, der erkannt hatte, was diese Bodenseelandschaft für die Droste bedeutete, nämlich eine geopsychographische Erfahrung. In seinem vierzehn Jahre nach dem Tod der Droste veröffentlichten "Lebensbild" erinnert er sich: "Ihr Lieblingsspaziergang war am Strande des Sees entlang, wenn dieser rauschend seine Wellen an das kiesige Ufer trieb und allerlei Schneckengehäuse und Muscheln auswarf, welche sie emsig sammelte. Im ganzen lebte sie auch hier einsiedlerisch zurückgezogen."6 Schücking assoziierte mit diesen Wasserwellen die "Tonwellen der Musik", von denen die "Seele" der Droste sich habe "schaukeln lassen", wobei auch er auf den "grauen dämmrigen Spiegel des Bodensees" zu sprechen kommt.7
Der Bodensee, der zuweilen eine Aufgewühltheit kennt, die ihn ebenso an das Meer erinnern lässt wie seine von bestimmten Orten aus scheinbar unabsehbare Weite, dieser Meeressee, um den sich Öffnung und alpine Umfriedung vereinen, der ebenso urnatürliche Uferabschnitte kennt wie jahrtausendalte Siedlungsgebiete und Kulturzonen, er erschloss sich der Droste in Etappen. Im Mai 1842 schreibt sie an Schücking, der sich inzwischen entfernt hatte, sie habe einen "ächt romantischen Punkt am Bodensee" ausfindig gemacht, wo der "See dreimal so breit wie bey Meersburg" sei, wobei sie hinzusetzt: "ein ordentliches Meer". Sie war in Langenargen angekommen und berichtet:
"Unter dir, über ein Stückchen flachen Strandes weg, die endlose Wasserfläche, wo du 10 - 12 Kähne und Fahrzeuge zugleich segeln siehst . Die herrliche Ruine Montofort, (auf einer Landzunge), die schönste, die ich je gesehn habe, mit drey Thoren, zackigten Zinnen, und einer dreyfachen Reihe durch ihre Höhe und Tiefe ordentlich imponirender Fensternischen .".8
Wieder ist das Zusammenspiel von Wasserwelt und alter Welt, von Belebendem und Abgelebtem kennzeichnend für die Art, wie die Droste wahrnahm. Damit dürften nun aber ausreichend biographische Aspekte genannt worden sein, die Drostes zunächst latente, dann explizite Faszination mit dem Bodensee in einem größeren thematischen Umfeld, jenem ihrer Lyrik nämlich, deutbar machen. Aufschlussreich ist auch, dass die erste ihrerzeit namhafte Schriftstellerin, die sich Drostes monographisch in der prominenten von Georg Brandes herausgegebenen Reihe Die Literatur annahm, Gabriele Reuter (1859 - 1941), die ihr wahlverwandt erscheinende Dichterin auf der Meersburg ein "Wasserwesen" nannte, eine Undine, die den "jungen Liebling ihres Herzens" ebenso wie ihre Gedichte "hinaus ins Leben" entließ nach einem "kurzen beglückenden Zusammenleben"9 und einer Schaffensphase, in welcher der Droste zuweilen ein bedeutsames Gedicht pro Tag gelang.
So auffallend die aquafinen Zeichen und Motive vor allem im lyrischen Schaffen der Droste auch sind, nicht minder auffällig ist das Fehlen von kritischen Studien zu diesem Themenkomplex, sofern man von eher positivistischen und weniger poetologischen Ansätzen einmal absieht.10 Auch ist bislang der Zusammenhang zwischen dem Spiegelmotiv und dem See als Spiegel gleichsam als symbolische Reflexionsflächen weitgehend unbeachtet geblieben.11 Das dem poetischen Verfahren der Droste Eigentümliche in dieser motivischen Hinsicht ist, dass sie selbst bei thematischen Kontexten, die dem Wasser fern sind, sich häufig einer aquafinen Metaphorik bedient. Das belegt ein Gedicht aus dem Anhang zu ihren Geistlichen Liedern:
Das Morgenrot schwimmt still entlang
Den Wolkenozean;
Den Gliedern zart mit Liebesdrang
Schmiegt sich die Welle an.
Ihm folgt die Sonn' im Sphärenklang,
Ein roter Flammenkahn;
Ein lindes Rauschen grüßt den Tag:
Ist es ihr Ruderschlag?12
Hier spiegelt sich das Meer am Himmel nicht wie naturgemäß umgekehrt; die nautischen Metaphern verbinden sich mit einer transzendierten Sinnlichkeit ("Den Gliedern zart mit Liebesdrang / Schmiegt sich die Welle an.") Hinzu tritt ein buchstäblicher Anklang an das pythagoräische Sphärenmodell, das auf das geradezu Archetypisch-Uranfängliche dieses Himmelsbildes verweist. Die Aussagekraft dieser Sprachbilder findet im Geistlichen Jahr nur an wenigen Stellen eine Entsprechung, etwa das Lied Am Zwei und Zwanzigsten Sonntage nach Pfingsten, das jäh einsetzt: "Der Sonnenstrahl, ein goldner Spieß, / Prallt von des Sees kristallnen Flächen, / Und schwirrend um den Marmorflies / Palastes Mauern will durchstechen." (I, 471) Hier verwandelt die reflektierende Seefläche den Sonnenstrahl in einen Pfeil, ein Beispiel für eine optisch-poetische Transformation, die ja auch dem Morgenrot-Gedicht zugrundeliegt. Mit ihm und seiner Anspielung auf das Pythagoräisch-Uranfängliche befinden wir uns freilich im Umfeld der poetischen Vier-Elemente-Lehre, die für die Droste wesentlicher gewesen ist, als gemeinhin wahrgenommen. Davon zeugt vor allem die Sammlung der Gedichte (1844) und darin der Zyklus Die Elemente ebenso wie das Gedicht Meine Toten, in deren Gruft das poetische Ich erwacht und befindet: "Aus Wasser, Feuer, Erde, Luft, / Hat eure Stimme mir geboten." (I, 91) Die vier Elemente gebären aus sich heraus die eine Stimme der Toten, die das Ich zum Handeln auffordert - eine Vorstellung,...
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