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Acht Jahre später
Heimliche Liebe
Es war ein lauer Frühlingsabend, sehr warm für diese Jahreszeit, doch nachdem die Sonne untergegangen war, wurde es empfindlich kalt. Feuchtigkeit lag in der Luft. Die hell erleuchteten Fensterscheiben des Schwarzen Adlers in Lana waren von innen beschlagen. Gedämpft drang Stimmengewirr nach draußen auf die Straße.
Johanna Pocol zog den Mantelkragen etwas enger um den Hals und strich ihr Kopftuch glatt, unter dem sie ihr dunkelblondes Haar verborgen hatte. Müßig, wenn sie es recht bedachte. Wer sie kannte, würde sie erkennen, sobald sie den Buschenschank betrat.
Na und? Sie traf sich mit ein paar jungen Leuten, was war schon dabei?
Sie straffte die Schultern und drückte die Klinke der massiven Holztür. Das Stimmengewirr wurde lauter, Besteckgeklapper und Klirren von Geschirr gesellte sich dazu.
Durch einen dicken Vorhang, der die kalte Luft abhalten sollte, betrat Johanna die Stube. Die Luft war zum Schneiden dick von Zigarettenqualm und dem Geruch nach gebratenem Fett. Jeder Quadratzentimeter war mit Tischen und Stühlen vollgestellt, sodass Hedwig, die Kellnerin, mit den Bierkrügen kaum hindurchkam. Sie war die Tochter des Gastwirts und bediente Abend für Abend die Gäste.
Freundlich nickte Johanna ihr zu und erhielt ein flüchtiges Lächeln als Antwort. Dabei fiel ihr das schlichte schwarze Kleid ins Auge. Bis vor Kurzem waren noch karierte Blusen oder Trachtenkleider üblich, aber das wurde von der italienischen Regierung nicht mehr gern gesehen. Dass dieses Kleid züchtig bis zum Hals geschlossen war, hielt den ein oder anderen Kerl dennoch nicht davon ab, mit seiner Hand einmal schnell zuzulangen und Hedwig in den Hintern zu kneifen, wenn sie den Tisch passierte. Doch tat sie stets, als bemerkte sie die Pranken der Männer nicht.
Johanna schob sich an einem Tisch mit vier Bauern vorbei, die Watten spielten und sie zu ihrer Erleichterung nicht beachteten, da sie gerade um die Wertung eines Blattes stritten. Dann entdeckte sie endlich Gustav Andergasser, der mit Simon Wenger sowie Franzl und Marta Hinteregger an einem Tisch mit einer Eckbank zusammensaß. Johanna stieß erleichtert die Luft aus. Sie alle wussten um ihr Geheimnis, an diesem Abend würde sie sich nicht verstellen müssen.
»Grüß Gott und guten Abend allerseits!«, sagte sie auf Deutsch und nicht allzu laut. Der nächste Tisch stand weit genug weg, sodass die beiden Männer, die dort saßen, nicht mitbekamen, dass sie ihre verbotene Heimatsprache verwendeten.
Gustavs Augen leuchteten verräterisch auf, als Simon Wenger seinen Platz auf der Holzbank an der Wand frei machte und einen Stuhl vom Nebentisch für sich heranzog. Johanna rutschte auf die Bank. Noch bevor sie ihren Mantel abgelegt hatte, spürte sie Gustavs Hand, mit der er unter dem Tisch nach ihr tastete. Sie warf ihm einen verstohlenen Blick zu und hauchte ihm einen winzigen Luftkuss zu.
Mehr war nicht möglich. Es musste genügen, auch wenn sie das Verlangen nach einer Berührung, die mehr war als ein flüchtiges Streifen unter dem Tisch, beinahe überwältigte. Wären die Umstände anders, wäre Gustav Andergasser, Erbe eines kleinen Viehhofs, sicherlich eine gute Partie. Nein, das war so nicht richtig. Er war eine gute Partie. Das Problem lag bei ihr, Johanna, deren Ziehvater Ludwig Bruggmoser sich zur Unperson gemacht hatte und dessen Familie in Sippenhaft genommen wurde. Daran hatte auch sein Tod nach einem kurzen schweren Krebsleiden vor nunmehr acht Jahren nichts geändert.
Gustav beugte sich ein wenig vor. »Wie geht es dir?«, fragte er dicht an Johannas Ohr. Sein Atem kitzelte über ihre Haut und verursachte ihr eine Gänsehaut.
Sie lächelte und erlaubte sich, einen Moment in seine rehbraunen Augen einzutauchen. Sein fast schwarzer Haarschopf hing ihm wie immer in unordentlichen Locken bis in die Stirn.
»Jetzt, da ich hier bin, gut.«
Sie fing einen wissenden Blick von Marta Hinteregger auf, die rasch woanders hinschaute. Sie war die jüngere Schwester von Franzl, dem Sohn des Tischlers, mit dem Johanna und ihre Zwillingsschwester Josepha vor vielen Jahren gemeinsam die verbotene Katakombenschule von Franziska, Ludwig Bruggmosers Tochter, besucht hatte.
So viel Zeit war seitdem vergangen. Franziska hatte den ehemaligen Knecht des Bruggmoser Hofs Wilhelm Leidinger geheiratet. Sie erwartete ihr drittes Kind. Nach zwei Fehlgeburten hofften alle, dass es diesmal wieder gut gehen würde.
Johannas gedanklicher Ausflug wurde von Hedwig unterbrochen, die an ihren Tisch kam und die Bestellungen aufnahm. Auf dem Rückweg langte einer der Wattenspieler wieder einmal zu und gab ihr einen Klaps auf den Po. Hedwig drehte sich nicht einmal um.
»Wie erträgst du das nur?«, fragte Johanna hinter vorgehaltener Hand, als Hedwig mit Bier und Weinschorle zurückkehrte.
»Was meinst du? Die Grapscher?«
»Ja, genau.«
Hedwig schaute sich um und beugte sich dann zu Johanna. »Mein Vater sagt, das wäre gut fürs Geschäft, wenn die Bauern meinen Anblick mögen. Ich soll mich nicht so haben. Kann aber sein, dass ich dem ein oder anderen schon mal einen Schluck Schweinepisse ins Bier gekippt habe.«
Johanna verkniff sich ein Lachen. »Was, ehrlich?«
»Ist leider nicht so befriedigend, wie es klingt, solange sie es nicht merken. Noch dazu lassen sie das Grapschen nicht bleiben.«
»Das stimmt natürlich. Schade.«
»Aber siehst du da den Bauern am Tisch hinter den Kartenspielern? Der mit der fetten Wampe, wegen der er sein Hemd gar nicht mehr zubekommt? Der hat immer ganz fest zugekniffen. Dabei gebellt wie ein Hund und sich dann kaputtgelacht, wenn ich mich erschreckt habe. Schon seit Jahren, seit ich ein kleines Mädchen war! Jetzt pass auf.« Sie beugte sich noch etwas näher. »Vor gut einem Jahr habe ich mich erschreckt, als er das gemacht hat. Sehr erschreckt, verstehst du? So sehr, dass ich ihm ein komplettes Tablett mit Bierkrügen über den Kopf geschüttet habe. Dazu ein voller Aschenbecher, der ihm in den Nacken gekippt ist.« Sie legte mit einer Unschuldsmiene eine Hand auf die Brust und blickte zur Decke. »Kann ich was dafür, dass alte Asche und Bier eine ziemlich eklige Mischung ergeben? Dem ist die Brühe bis in die Unterhose gelaufen, und Beulen von den schweren Krügen hatte er auch.« Sie fuhr in nüchternerem Tonfall fort. »Tja, es war heilsam. Von dem habe ich seither nichts mehr zu befürchten. Kann ich nur leider nicht jedes Mal machen, denn sonst fällt es schnell auf.«
Johanna schlug sich die Hand vor den Mund und kicherte. Marta grinste wissend, sie kannte die Geschichte offenbar auch. Franzl nickte nur und zündete sich seine Pfeife an. Er war ein ruhiger Genosse und hatte mit solchen Belästigungen nichts zu schaffen. In diesem Jahr würde er die Tischlerei seines Vaters übernehmen.
»Wo ist Liesl?«, fragte Johanna, nachdem Hedwig gegangen war.
Franzl wurde rot, während seine Schwester ihm beruhigend die Hand drückte. »Mama hat ihn rausgeworfen«, erklärte sie anstelle ihres Bruders. »Bei Liesl haben die Wehen eingesetzt. Aber die Alten meinen, das würde noch die ganze Nacht dauern, deshalb sollte er herkommen und sich beruhigen. Ich bin nur mitgekommen, um auf ihn aufzupassen.«
»Jetzt schwätz doch nicht so einen Blödsinn!«, schimpfte Franzl, und seine Wangen färbten sich noch dunkler.
»Wenn es doch stimmt.«
Statt einer Antwort kaute er nervös auf dem Mundstück seiner Pfeife.
Johanna blickte ihn aufmerksam an. »Es wird schon gut gehen. Deine Mutter und die Hebamme wissen genau, was zu tun ist.«
»Ja, schon klar.« Er wandte sich ab.
Gustav verstärkte unter dem Tisch den Druck auf Johannas Oberschenkel. Als sie ihn ansah, schüttelte er leicht den Kopf. Sie nickte. Schließlich wollte sie Franzl nicht quälen. Er schien sich wirklich große Sorgen zu machen. Es hatte lange gedauert, bis Liesl nach der Hochzeit schwanger geworden war, aber das hieß ja nicht, dass es bei der Geburt Komplikationen geben würde.
Sie stießen alle am Tisch miteinander an und tranken. Dann wagte Johanna es endlich, ihr Kopftuch abzunehmen, und erntete prompt erstaunte Blicke.
»Du hast ja die Haare abgeschnitten!«, sprach Marta das Offensichtliche aus.
»Nicht so laut!«, fuhr Simon sie an. »Oder wenn du schon herumschreien musst, dann wenigstens auf Italienisch. Du weißt doch, wie das ist!«
Marta senkte beschämt den Kopf.
Simon nickte grimmig. Normalerweise war er nicht so leicht aus der Ruhe zu bringen. Der Sohn des Fleischhauers arbeitete regelmäßig auf dem Apfelhof der Leidingers, und obwohl er gerade mal zwei Fingerbreit größer als Johanna war, konnte er zupacken. Und genau deshalb hatte er bereits schlechte Erfahrungen mit der Obrigkeit gemacht. Er war eines Nachts auf dem Weg von Meran nach Marling von zwei Carabinieri angegriffen worden. Warum, wusste er bis heute nicht. Vermutlich war den beiden, zwei blutjungen Burschen im untersten Rang der Einheit, einfach langweilig gewesen. Simon hatte den Fehler gemacht, sich zu wehren und kräftig auszuteilen. Das hatte ihm eine Nacht in der Kaserne eingebracht.
Unsicher strich sich Johanna über die kinnlangen Haare. »Gefällt es dir, Gustl?«
Er zögerte, musterte ihr Gesicht mit forschendem Blick, als läge dort die Antwort, die er am besten geben sollte.
»Es gefällt dir...
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