Schweitzer Fachinformationen
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Seufzend drehte Werner seinem Spiegelbild den Rücken zu. Drei Wochen intensives Hanteltraining lagen hinter ihm und alles für die Katz. Seine dünnen Oberarme ließen nicht einmal die kleinste Beule erkennen. Was hast du erwartet? Seit fünf Jahren fährst du täglich mit dem Rad zur Arbeit, und sieh dir deine Beine an! Dein Körper ist nun einmal gegen jegliches Muskelwachstum immun. Dafür hast du andere Qualitäten.
Als Ausgleich zu Werners Defiziten, zu denen er auch seine eher geringe Körpergröße von 1,56 Metern zählte, hatte Mutter Natur ihn mit einem Gesicht ausgestattet, das gut und gern als Paradebeispiel für männliche Attraktivität herhalten konnte - gut proportioniert, mit einer geradezu klassischen Nase, vollen, sinnlichen Lippen und, sozusagen als Krönung des Ganzen, mit den blauesten Augen von ganz Drosselburg. Auf diesen Joker hatte Werner gesetzt, als er den beiden jungen Frauen im Vorbeigehen zugezwinkert und sie dabei mit einem flotten Spruch auf den Lippen angesprochen hatte.
Wieder kochte die Wut in ihm hoch, als er daran zurückdachte. Dieser schmachvolle Ausdruck, den sie ihm gehässig hinterhergerufen hatten. Hänfling! Was will denn dieser Hänfling .
All die demütigenden Schimpfnamen, die er im Laufe seines nun schon 38 Jahre währenden Lebens bereits über sich hatte ergehen und tief im Keller der Erinnerung verschlossen hatte, waren mit einem mal wieder aufgestiegen. Spargeltarzan, Mickerling, Schmachtlappen .
Vergiss es! Andere Männer sind auch nicht vollkommen und haben trotzdem Erfolg bei den Frauen. Und warum? Die einen, weil sie Macht haben, andere, weil sie die Frauen mit coolen Sprüchen und schwülstigen Liebesbezeugungen weich kochen, und wieder andere, weil sie erst gar kein großes Tamtam machen, sondern den Frauen einfach ihren Willen aufzwingen. Bad Boys bekamen doch schon immer die besten Mädchen.
Werner ging im Geiste noch einmal seine Strategie durch. Das mit der Macht konnte er schon mal knicken. Als kleiner Standesbeamter war sein Einfluss im Weltgeschehen doch eher untergeordnet. Zuletzt hatte er es mehrfach mit coolen Sprüchen versucht, doch die Erfolgsquote war äußerst dürftig geblieben - lediglich ein paar One-Night-Stands nach reichlichem Alkoholgenuss in der Bar und das kurze Intermezzo mit Ingeborg. Werner dachte mit Grimm daran zurück. Beim letzten Osterfeuer hatte er Ingeborg kennengelernt. Eine ganze Woche lang hatte sie sich von ihm aushalten lassen. Restaurantbesuche, Kino, Disco . Er hatte einen Haufen Geld investiert, und das alles völlig umsonst. Ein bisschen Knutschen, mehr war nicht drin gewesen. Als er dann endlich aufs Ganze gehen wollte, hatte sie ihn entrüstet von sich gestoßen und fortan nicht mehr beachtet.
Was soll´s. Neues Spiel, neues Glück!
Nachdem Werner sich angekleidet hatte, schlurfte er in die winzige Küche, von wo ihm bereits ein belebender Kaffeeduft entgegenströmte.
Die Scheibe Toastbrot war mittlerweile schon wieder kalt geworden. Er hätte nicht so lange vor dem Spiegel vertrödeln sollen. Werner seufzte. Es war die letzte Scheibe. Er bestrich das Brot dick mit Butter und schlug die Zeitung von Samstag noch einmal auf. Der jährliche Hospizlauf sollte um 11 Uhr beginnen. Er hatte also noch Zeit. Am Anfang liefen sowieso die Kinder, da tummelten sich nur Mütter auf dem Markt. Auf die konnte er gerne verzichten. Werner musste an das kleine Ungeheuer mit der Wasserpistole denken. Rotzbengel! Nee, nee, Kinder konnte Werner nicht ausstehen.
Nachdem er die Rätselseite vom Wochenendblatt der Zeitung weitestgehend gelöst hatte, trat er ans Fenster. Sollte er das Rad nehmen? Damit brauchte er etwa eine halbe Stunde bis zur Innenstadt. Mit dem Wagen ging es auch nicht viel schneller. Wenn man die Parkplatzsuche und den anschließenden Fußweg einrechnete, kam es aufs Gleiche raus.
Eigentlich nahm Werner fast immer das Rad, doch ein Blick zum Himmel versprach nichts Gutes. Dunkle Wolken zogen vorüber und die tanzenden Zweige der alten Kastanie ließen keinen Zweifel an den unangenehmen Windverhältnissen aufkommen. Auch noch Ostwind.
Was soll´s. Da konnte er schon gegen an trampeln - auch wenn seine Muskeln eher unsichtbar blieben, die Kondition war auf jeden Fall da. Hauptsache, es blieb lange genug trocken.
Werner wollte sein Glück wieder am Bierstand versuchen. Da kam man leichter ins Gespräch, Frauen waren dort kontaktfreudiger. Aber eine Perle mit Alkohol abfüllen und dabei selbst nur Wasser trinken, das ging gar nicht, also blieb ihm sowieso nur das Rad.
Werner hatte die beiden Straßenecken gerade hinter sich gelassen und befand sich auf der langen Zielgeraden in Richtung Innenstadt, als der Wind es endgültig satt hatte, die schweren Wolken noch länger vor sich her zu treiben. Von einem Moment zum anderen ergossen sich die Wassermassen mit einer solchen Heftigkeit auf Werner herab, dass er sofort jegliche Sicht, und beinahe auch das Gleichgewicht verlor. Verdammter Rotzbengel! Für einen Moment wähnte er sich an jenen Tag im vergangenen Jahr zurückversetzt, als dieser unverschämte Bengel ihm mit seiner Wasserpistole direkt in die Augen gespritzt hatte. Damals war er tatsächlich gestürzt und hatte sich den rechten Arm und den Fuß verstaucht. Verdammter Rotzbengel!
Werner konnte sein Fahrrad gerade noch in der Spur halten. Fluchend quälte er sich vorwärts. Verdammter Ostwind! Kurz bevor er den Marktplatz völlig durchnässt erreicht hatte, hörte der Regen endlich auf.
Schon von weitem hörte Werner enthusiastisches Johlen und Klatschen sowie motivierende Kommentare des Mannes am Lautsprecher. Was labert der da? Sind da etwa immer noch Blagen unterwegs?
Werner verzog das Gesicht. Auf dem Weg zum Fahrradständer erhaschte er einen Blick auf die Rennstrecke, wo gerade ein rotwangiger Junge mit deutlichem Übergewicht vorbeikeuchte. Kurz darauf erscholl Jubelgeschrei. Offenbar hatte der Bengel endlich die Zielgerade erreicht. Werner schickte eine stumme Fürbitte himmelwärts, dass er das Schlusslicht gewesen sein möge. Fröstelnd schaute er sich um. Überall nur Väter, Mütter, Omas und Opas, die ihre verzogenen Kinder und Enkel geradezu in den Himmel lobten. Werner stellte sich vor, wie sie grinsend am Straßenrand standen und plötzlich eine Wasserpistole hinter ihren Rücken hervorzogen. Rotzbengel! Der übergewichtige Junge stand jetzt mit seinen stolzen Eltern am Wurststand. Klar, und jetzt gibt's für den fetten Bengel auch noch eine fette Bratwurst!
Werner musste niesen. Er fror mittlerweile in den nassen Klamotten. Nur gut, dass heute auch verkaufsoffener Sonntag ist.
Neu eingekleidet, in einer dunkelblauen Jeans und einem senffarbenen Blouson, machte er sich eine Stunde später erneut auf den Weg zum Marktplatz, von wo aus ihm nun stimmungsmachende Hits entgegendröhnten. Zum Glück hatten sich mittlerweile nicht nur die letzten Wolkenfetzen, sondern auch ein Großteil der Familien verzogen. Zumindest war der Kinderanteil deutlich geschrumpft. Werner schob sich erwartungsfroh zum Bierstand durch, doch dort standen zurzeit nur Paare und einzelne Männer herum. Er beschloss, ein wenig den Läufern zuzuschauen und drängelt sich bis zur Absperrung vor, die die Laufstrecke sicherte. Verdammt! Die vorderste Reihe war komplett von jungen Männern belagert, die ihn allesamt um wenigstens einen Kopf überragten und so dicht gedrängt standen, dass Werner unmöglich dazwischen passte. Mist! Frustriert wollte er gerade den Rückzug antreten, als mit einem Mal eine seltsame Unruhe und Hektik aufkam. "Da kommt sie wieder! Hey, hey, hey .!" "Schneller, Mädchen, schneller ."
Wer kommt da? Die sich rasch ausbreitende Erregung hatte etwas eindeutig Lüsternes, das konnte Werner deutlich spüren. Neugierig versuchte er einen Blick auf die angefeuerte Läuferin zu erhaschen, doch die Front aus männlichen Rücken wich um keinen einzigen Zoll. Verdammt! Werner war sich sicher, dass es da vorne keineswegs um irgendeinen Rekord ging. Die Häme in den aufpeitschenden Rufen war nicht zu überhören. Das rhythmische Klatschen zahlreicher Hände steigerte sich mehr und mehr. "Hey, hey, hey! Schneller, Mädchen, schneller!" Mit Johlen und spöttischem Gelächter trieben sie die Läuferin weiter vorwärts. Ich will auch was sehen! Die Vorstellung von auf und ab hüpfenden Brüsten brachte Werners Herz zum Rasen. Gerade wollte er sich todesmutig zwischen zwei etwas schwächlich wirkende Typen werfen, als die Formation sich plötzlich auflöste und Werner, das Absperrband mit sich reißend, auf die Laufstrecke und direkt vor die Füße eines Mannes fiel, der jener Läuferin dicht nachfolgte. Ein Ausweichen war nicht mehr möglich. Mit einem kräftigen Tritt auf Werners Hinterteil sprintete der fluchende Läufer einfach über ihn hinweg.
Stöhnend...
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