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Als Damon nachts in die Gemächer des Tyrannen Dionys von Syrakus schleicht, hat er den Dolch im Gewande, denn er will die Stadt vom Tyrannen befreien. Doch Damon wird von den Häschern1 des Tyrannen gefasst und auf der Stelle zum Tode verurteilt. Widerstand ist zwecklos, und so ergibt sich Damon in seine gerechte Strafe, bittet sich aber noch drei Tage Zeit aus, um seine Schwester zu verheiraten. Zur Sicherheit bietet er dem Tyrannen als Pfand seinen Freund Phintias an. So berichtet es Friedrich Schiller in Die Bürgschaft, der berühmten Ballade der Freundschaft. Der Tyrann nimmt dieses Angebot nicht aus Gnade an, sondern aus Arglist. Denn eine Hinrichtung wird es geben, aber vielleicht kann er darüber hinaus noch die Ideale von Freundschaft und Treue beschmutzen, wenn Damon sein Versprechen zur Rückkehr nicht einhält.
Damon geht also zu seinem Freund Phintias, erzählt von dem unglücklichen Verlauf der Ereignisse und unterrichtet ihn, dass er sich an seiner Stelle ausliefern solle: »So bleib du dem König zum Pfande / Bis ich komme, zu lösen die Bande.«2 Das ist keine Bitte, auch keine Frage, Phintias wird eher darüber informiert, was nun getan wird. Und genauso selbstverständlich reagiert Phintias: »Und schweigend umarmt ihn der treue Freund / Und liefert sich aus dem Tyrannen«. Hier wird nicht gebeten und nicht gedankt, hier wird nichts erklärt und gerechtfertigt. Phintias muss auch nicht davon überzeugt werden, noch muss Damon versichern, dass er sein Wort halte. Es muss überhaupt nicht miteinander geredet werden; die Umarmung erfolgt schweigend. Diese Großtat der Freundschaft - das absolute Vertrauen und die Bereitschaft sich selbst zu opfern - ist in der Bürgschaft eine kurze, vierzeilige Selbstverständlichkeit.
Damon zieht los, und während auf dem Hinweg alles gelingt und die Schwester verheiratet wird, scheint sich auf dem Rückweg die ganze Welt gegen ihn verschworen zu haben: das Schicksal, die Natur und die Mitmenschen. So stürzt die Brücke über den reißenden Fluss ein, Räuber trachten ihm nach dem Leben und erbarmungslose Hitze droht ihn zu verdursten. Doch alle Hindernisse werden überwindbar durch die Erinnerung an den Freund in Lebensgefahr. Das ist die Kraft der Freundschaft, gegen alle Widrigkeiten der Welt zu bestehen. Damon kommt zurück nach Syrakus und muss davon ausgehen, dass sein Freund schon ans Kreuz geschlagen ist und trotzdem will er zurück in die Fänge des Tyrannen, damit er zumindest im Tode wieder mit seinem Freund vereint wird und sich der Tyrann nicht rühmen könne, dass der Freund dem Freunde die Pflicht gebrochen habe. Aber der Freund lebt noch und im letzten Moment kommt Damon auf den Hinrichtungsplatz gestürmt: »Und sieht das Kreuz schon erhöhet, / Das die Menge gaffend umstehet; / An dem Seile schon zieht man den Freund empor, / Da zertrennt er gewaltig den dichten Chor: / Mich, Henker, ruft er, erwürget! / Da bin ich, für den er gebürget!« Dieses Exempel von freundschaftlicher Treue schaffte dann, was der Dolch nicht vermochte: es bezwingt den Tyrannen und dieser spricht die berühmten Worte: »Ich sei, gewährt mir die Bitte, / In Eurem Bunde der Dritte.«
Diese Ballade ist nicht nur wunderschön und kraftvoll, sondern zeichnet auch eindrucksvoll das klassische Ideal von Freundschaft, dessen Motive auch unserem modernen, alltäglichen Freundschaftsverständnis sehr vertraut sind. Man spürt den freundschaftlichen Wert des sprachlosen Einvernehmens, der selbstverständlichen Hilfe in der Not und die Kraft, die einem die Freundschaft schenkt und mit der man auch die großen Herausforderungen meistern kann, die einem das Leben und die Welt entgegenwerfen. Bei Montaigne heißt es zur Freundschaft »er ist ich« und diese Identität der Freunde zeigt sich am Beispiel von Damon und Phintias, die man sogar gegeneinander austauschen kann. Diese Selbstlosigkeit wird von Schiller zu einer gewaltigen Kraft stilisiert, die das Herz des Tyrannen bezwingt und ihm wieder Vertrauen in die Treue der Menschen gibt.
Es gibt allerdings noch einen weiteren Grund, warum ich diese beeindruckende Ballade ausgewählt habe. Denn sie steht nahezu diametral dem entgegen, worauf Arendts Begriff von Freundschaft abzielt. All die hier aufgeführten Motive, alles was an dieser Ballade schön und gut anmutet, wird Arendts Freundschaftsbegriff in sein Gegenteil verkehren. Aus Arendts Perspektive taugt diese Freundschaft, die sich in Sprachlosigkeit, in Individualitätsauslöschung und in selbstloser Opferbereitschaft bis in den Tod beweist, keineswegs als Ideal einer guten Beziehung, sondern vielmehr als typisch moderne Einheitsfantasie, die ein fundamentales Problem der weltvergessenen und weltfeindlichen Neuzeit auf den Punkt trifft. Dass ein Tyrann um Anteil an dieser Freundschaft bittet, überrascht in Anbetracht ihrer Qualitäten nicht, denn es könnte zu einer Tyrannis kaum etwas besser passen als identitäre Einheit bis in den Tod.
Diese Lesart ist freilich überspitzt und übersieht bewusst den eigentlichen Sinn und die Schönheit der Ballade, aber tatsächlich könnten die Ideale, die dort der Freundschaft zugeschriebenen werden, kaum weiter von dem entfernt sein, was in dieser Arbeit als Arendts Freundschaftskonzept herausgearbeitet wird. Bei Hannah Arendt fand ich ein von der Antike inspiriertes Konzept der Freundschaft, das die Pluralität gegen die Einheit und streitlustige Kommunikation gegen das Schweigen tauscht. Es handelt sich um ein Konzept, bei dem die Tugend Ehrlichkeit und nicht Opferbereitschaft ist und um eines, das in der Welt keine Bedrohung sieht, gegen die man sich freundschaftlich wappnen muss, sondern den eigentlichen Heimatort der Freunde. Freundschaft heißt nicht >Wir gegen den Rest der Welt<, sondern >Wir in Beziehung zur Welt<. Das stellt eine Vorstellung von Freundschaft dar, die womöglich weniger vertraut erscheint und in deren Bunde sicherlich kein Tyrann der Dritte sein möchte.
Es handelt sich um eine das Alltagsverständnis verwirrende Begriffsdeutung, die ganz typisch für Arendt ist: Wie viele ihrer Begriffe gewinnt sie auch Freundschaft aus einem eigenständigen Rückgriff auf die Antike und überspringt dabei die neuzeitliche Tradition, die sie für gescheitert erachtet. Sie bricht Begriffsperlen aus ihrem antiken Kontext, übersetzt sie in ihr Denken und schafft damit Begriffe, die eine merkwürdig unzeitgemäße Gültigkeit besitzen. Das führt zu kontraintuitiven Begriffen, die sich weder unmittelbar annehmen noch abweisen lassen und die im Idealfall auf den zweiten Blick überzeugen oder zumindest ihr kritisches Potential entfalten. Arendt sucht Begriffe, die von der neuzeitlichen Tradition vernachlässigt oder vergessen wurden, weil sie den politisch-gesellschaftlichen Anforderungen nicht genügten und deswegen in den Hintergrund geraten sind. Solche unbescholtenen Begriffsperlen, die kein Teil einer gescheiterten, modernen Tradition geworden sind, erwecken Arendts Interesse, denn sie können Teil ihres Projektes werden, das Politische mit Begriffen neu zu beschreiben, die sich der Gewaltsemantik widersetzen.
Freundschaft ist ein solcher Begriff. Obwohl Arendt in ihrer persönlichen Beziehungspraxis als »Genie«3 oder »Meisterin«4 der Freundschaft gerühmt wird, stehen eine Durchdringung der theoretischen Verwendung des Begriffs wie auch eine fokussierte Konzeptionalisierung ihres Freundschaftsbegriffs noch aus. Zwar werden bisher einzelne, konkrete Freundschaften Arendts phänomenologisch ausgeleuchtet, interpretiert und erzählt, aber das Interesse gilt in der Regel eher den beeindruckenden, intellektuellen Persönlichkeiten und weniger dem theoretischen Verständnis von Freundschaft.5 Auch wenn dieses Vorgehen durchaus auch für die Idee der Freundschaft gewinnbringend sein kann, wie jüngst Andree Michaelis-König in seiner Studie Das Versprechen der Freundschaft6 gezeigt hat, neigt dieser induktive Zugang ausgehend von der arendtschen Praxis zu eher assoziativen Verknüpfungen mit arendtschen Theoremen. Daraus folgt zum einen, dass Aspekte, die nicht im Verhältnis zwischen Arendt und Jaspers, Scholem, McCarthy etc. angelegt sind, unbeachtet bleiben und zum anderen, tendieren solche Behandlungen zu einer >Positiv-Kultur<, die die Widerständigkeiten des Begriffs ausblenden. Freundschaft droht dann ein weicher Horizontbegriff zu werden, der das Nachdenken ins Unendliche ausweitet und dabei diffundiert. Im...
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