I. Buch.
1.
Wenn wir früher etwas gegen Marcion unternommen haben, so kümmert uns das jetzt weiter nicht mehr. Wir fangen nun aufgrund des alten ein neues Unternehmen an. Mein erstes Schriftchen hatte ich als übereilt später durch eine vollständigere Bearbeitung ersetzt. Bevor letztere noch durch Abschriften vervielfältigt war, ging auch sie mir, durch den Diebstahl eines Mitbruders, der nachher Apostat wurde, verloren; derselbe hatte einiges nur höchst fehlerhaft abgeschrieben und brachte es so in die Öffentlichkeit. Es ergab sich die Notwendigkeit einer verbesserten Bearbeitung, und die dargebotene Gelegenheit zur Umarbeitung ließ Zusätze rätlich erscheinen. So befindet sich denn meine Feder jetzt in der Lage, beim zweiten Ausgehen ihres Büchleins zum dritten Male und beim dritten hier nun eigentlich zum ersten Male die Vorrede schreiben zu müssen, damit niemand, wenn er hin und wieder Abweichungen daran entdeckt, stutzig wird.
Der sogenannte Pontus Euxinus, das gastliche Meer, ist eine Negation seiner Natur und ein Hohn auf seinen Namen. Schon infolge seiner Lage wird niemand den Pontus für gastlich halten, er ist zu weit von unseren milden menschlicheren Gestaden entfernt, fast aus einem gewissen Schamgefühl über seine Barbarei. Ganz wilde Völkerschaften umwohnen ihn; wofern man auf einem Wagen hausen überhaupt wohnen nennen kann. Ihre Wohnsitze sind nicht ständig, ihre Lebensweise roh, die Befriedigung des Geschlechtstriebes ohne Schranken und geschieht meistens ohne alle Scham. Auch wenn sie sich dabei der Öffentlichkeit entziehen, hängen sie zum Anzeichen an einem Joche ihre Köcher auf, damit sich nicht unversehens jemand nähere. Die Leichname ihrer Eltern fressen sie mit Tierfleisch zusammengehackt bei ihren Gastmählern. Ist jemand einer Todesart erlegen, die ihn ungenießbar macht, so gilt dies als ein Fluch. Selbst die Weiber sind nicht etwa entsprechend der Eigenart ihres Geschlechts milder und gesitteter; Kinder stillen ist ihre Sache nicht, statt Wolle zu spinnen, hantieren sie mit Äxten, sie wollen lieber Kriegsdienste tun als heiraten. Der Himmelsstrich ist rauh, das Tageslicht ist niemals vollkräftig, die Sonne niemals ganz frei, die ganze Atmosphäre ein Nebel, das ganze Jahr Winter, alle Winde, die wehen, kommen von Norden. Die Getränke müssen durch Feuer erst wieder flüssig gemacht werden, die Ströme sind durch eine Eisdecke gefesselt und auf den Gebirgen lagern mächtige Schneemassen. Alles ist träge, alles starr; nichts ist dort feurig als die Wildheit, jene Wildheit nämlich, welche die Opfer der Taurier, die Liebeshändel der Kolchier und die Kreuze der Kaukasier als Bühnenstoffe geliefert hat.
Allein nichts ist so befremdlich für uns und so traurig für Pontus, als daß dort Marcion geboren wurde, der abschreckender ist als ein Skythe, unsteter als ein Hamaxobier, unmenschlicher als ein Massagete, verwegener als eine Amazone, dunkler als der Nebel, kälter als der Winter, spröder als das Eis, trügerischer als die Donau, gefahrvoller als der Kaukasus. Oder etwa nicht? Bei ihm wird ja der allmächtige Gott wie ein wahrer Prometheus zerfleischt. Marcion ist sogar reißender als die wilden Tiere jenes Barbarenlandes. Denn wäre wohl ein Biber1 in dem Grade darauf versessen, das Fleisch zu kastrieren, als er, der das Heiraten abgeschafft hat? Die pontischen Ratten sind nicht so gefräßig, wie er, der die Evangelien angenagt hat! Fürwahr, o Pontus, das Tier, das du hervorgebracht hast, ist für den Philosophen noch erträglicher als für den Christen. Diogenes, der bekannte Kläffer, wünschte einen Menschen zu finden, als er mit der Laterne am Mittag umherging? Marcion dagegen hat seinen Gott, den er gefunden hatte, verloren und sein Glaubenslicht ausgelöscht. Seine Schüler werden wohl nicht leugnen, daß sein anfänglicher erster Glaube mit dem unsrigen übereinstimmte, wie seine eigenen Briefe bezeugen, und man kann ihn aufgrund dessen allein, daß er das Frühere im Stich gelassen und sich angeeignet hat, was vorher nicht war, schon für einen Häretiker erklären. Denn alles nachträglich Eingeführte wird ebenso sicher für Häresie angesehen werden müssen, als das Frühere und von Anfang an Überlieferte für Wahrheit gehalten wird. Allein ein anderes Schriftchen von uns2 dürfte wohl gegen die Häretiker diese Position behaupten, daß man sie sogar schon ohne Prüfung der Lehren zurückweisen müsse, weil sie das sind, aufgrund der Prozeßeinrede der Neuheit. Diesmal aber will ich, insoweit ein Kampf statthaft ist, um nicht, wenn das abgekürzte Verfahren mit den Prozeßeinreden bei jeder Gelegenheit angerufen wird, dadurch Mißtrauen zu erregen, erst die Glaubensregel des Gegners voranschicken, damit für jedermann ersichtlich sei, um was die Hauptfrage sich dreht.
2.
Unser Mann aus Pontus kommt uns mit zwei Göttern an, gleichsam zwei symplegadischen Felsen, woran er seinen Schiffbruch leidet; der eine ist unser Gott, der Schöpfer, den er nicht zu leugnen imstande ist, der andere der seinige, dessen Existenz er nicht zu beweisen vermag. Den Anstoß zu diesem Wahn empfängt der Unglückliche aus der schlichten Stelle eines Ausspruches des Herrn. Dieser hat aber bloß die Menschen, nicht Götter im Auge, wenn er in seiner Parabel vom guten und schlechten Baume sagt, daß der gute Baum keine schlechten und der schlechte Baum keine guten Früchte trage, d. h. eine gute Gesinnung oder ein guter Glaube könne keine schlechten und ein schlechter keine guten Werke hervorbringen.3 Gefoltert nämlich, wie viele Leute, namentlich Häretiker, auch jetzt noch von der Frage über das Böse und seinen Ursprung und betäubt durch die Gewalt seines Grübelgeistes selbst, findet er, daß der Schöpfer den Ausspruch tat: "Ich bin es, der die Übel schafft."4 Je fester er sich nun auch auf andere Gründe hin, die auf alle verdorbenen Menschen diesen Eindruck machen, eingebildet hatte, der dort gemeinte Gott sei der Urheber des Übels, um so zuversichtlicher deutete er den schlechten Baum, der schlechte Früchte, nämlich das Böse, hervorbringt, auf den Demiurgen5 und wähnte nun, daß es noch einen anderen Gott geben müsse für die Rolle des guten Baumes mit den guten Früchten, indem er in Christo so gleichsam eine andere Heilsveranstaltung fand, die der bloßen und reinen Güte, von welcher der Schöpfergott weit entfernt ist, gelangte er mit Leichtigkeit zu dem Schlüsse, eine neue Gottheit gastiere in seinem Christus und habe sich in demselben offenbart. Von der Zeit an verdarb er mit einer geringen Menge Sauerteig die ganze Masse des Glaubens durch seine häretische Säure. Er hatte einen gewissen Cerdo zum Lehrer dieser anstößigen Dinge, damit die Blinden desto eher glauben sollten, zwei Götter erkannt zu haben. Den einen hatten sie nämlich nicht recht gesehen. Denn Leute mit entzündeten Augen sehen mehrere Lichter, wo nur eins ist. Den einen Gott also, dessen Dasein zu bekennen er sich gezwungen sah, hob er auf, indem er Böses an ihm zu tadeln hatte, den anderen, den er zu erklären beflissen war, konstruierte er aufgrund der vorauszusetzenden Güte. Wie er diese beiden Naturen anordnete, geben unsere Erwiderungen selbst zu erkennen.
3.
Die Hauptfrage und somit der ganze Streit dreht sich also um die Zahl, ob man, womöglich mit poetischer, künstlerischer und, was das dritte ist, mit häretischer Lizenz zwei Götter aufstellen dürfe. Allein die christliche Wahrheit hat den bündigen Ausspruch getan: Wenn Gott nicht einer ist, so gibt es gar keinen; denn es ist passender, anzunehmen, es existiere gar nicht, was nicht so ist, wie es sein soll. Um aber einzusehen, daß Gott nur einer sein kann, untersuche man, was Gott sei, und man wird es nicht anders finden. Was die menschliche Schwäche von Gott mit Bestimmtheit auszusagen vermag, das sage ich aus, und das allgemeine Bewußtsein wird dem zustimmen: Gott ist die höchste Größe6, die in der Ewigkeit gegründet, ungeboren, ungeschaffen, ohne Anfang und ohne Ende ist. Denn dieser Zustand gehört sich für die Ewigkeit, welch letztere Gott zum höchsten Gute macht, indem sie, wie auch die übrigen genannten Eigenschaften, eben darum in Gott ist, damit Gott die höchste Größe sei, sowohl hinsichtlich der Form, als auch des Wesens, der Macht und des Könnens.
Darüber sind alle einig; denn es wird wohl niemand in Abrede stellen, Gott sei die höchste Größe, außer wer ihn etwa für das Gegenteil, für die niedrigste Beschränktheit ausgibt und ihn so eigentlich leugnet, indem er ihm die göttlichen Eigenschaften nimmt. Es fragt sich nun, wie wird das höchste Gut beschaffen sein? Offenbar so, daß ihm nichts gleichkommt, d. h. so, daß es kein anderes höchstes Gut mehr gibt; denn wenn das wäre, so würde dieses ihm gleich stehen, und wenn es ihm gleichstände, so wäre er nicht mehr das höchste Gut, indem Bedingung und Gesetz umgestoßen ist, wonach...