Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Trans* Personen zu begleiten und zu behandeln ist einfacher als Sie denken - und zugleich viel schwieriger.
Um in den Genuss des einfachen Parts zu gelangen, braucht es im Wesentlichen drei Dinge: Akzeptanz, Fachwissen und Empathie. Punkte also, für die Sie, liebe Kolleg*innen, berufsbedingt bereits hervorragende Voraussetzungen mitbringen. Zu akzeptieren gilt es die Tatsache, dass Trans*geschlechtlichkeit genauso wenig eine psychische Störung, genauso wenig eine Wahl und genauso wenig eine moralische Verfehlung darstellt wie Homosexualität: Nach Streichung letzterer aus dem Kapitel für Psychische Störungen in der 1990 verabschiedeten ICD-10 vergingen weitere 29 Jahre, bis selbiges endlich auch für Normvarianten der Geschlechtsidentität umgesetzt wurde. Der Part mit dem Fachwissen meint, dass sich Gesundheitsdienstleistende, die mit trans* Menschen arbeiten, genau wie in jedem anderen medizinischen Handlungsfeld auch an evidenz- und konsensbasierten Behandlungsleitlinien orientieren, die in strukturierten und transparenten Prozessen durch wissenschaftliche Fachgesellschaften bzw. deren mandatierte Expert*innen erstellt wurden. Bleibt zum Schluss noch Empathie - aber die versteht sich von selbst, richtig?
Nicht ganz.
Mit Geschlechtsinkongruenz verhält es sich wie mit Emotionen, Vorlieben, Ge-danken, sexueller Orientierung, Schmerz und zahlreichen weiteren inneren Zuständen und Eigenschaften: Sie ist nicht "objektiv" von außen messbar und kann höchstens vom Individuum berichtet werden. Halten wir unser Innenleben geheim, bleibt es anderen verborgen. Entscheiden wir uns, es in Worte zu fassen, produzieren wir Übersetzungsungenauigkeiten.
Zum eingangs erwähnten "Einfacher als Sie denken"-Part gelangt daher, wer sich von der Annahme löst, beweisen oder bestätigen zu müssen, dass jemand "wirklich" trans* ist. Dies zu bestimmen, liegt weder in unserer Macht, noch ist es unsere Aufgabe. Auch ist es nicht an uns, Verantwortung für die Lebensentscheidungen unserer Klient*innen zu übernehmen - egal, ob es sich um deren Freizeitgestaltung, Familienplanung, oder eben medizinische Transitionsmaßnahmen handelt. Allerdings sind auch Psychotherapeut*innen nur Menschen, und Menschen tendieren manchmal dazu, auf das, was dem eigenen Erleben fremd erscheint, mit Aversion anstatt mit Lernbereitschaft zu reagieren. Empathie bleibt auf der Strecke, wenn Unterschiede so sehr in den Fokus geraten, dass kein Blick mehr für Gemeinsamkeiten bleibt. Schnell gesellen sich insbesondere cis Kolleg*innen dabei Angst, Verunsicherung und Unbehagen an die Seite. Manchmal ist gar Abneigung mit von der Partie. Wie aber soll echtes zwischenmenschliches Verständnis zustande kommen, wenn therapeut*innenseitige Ablehnung vom trans* Gegenüber bemerkt, und - aus Selbstschutz - mit Reserviertheit, Ärger und Rückzug beantwortet wird, was dann als Anlass dienen kann, das trans* Gegenüber als "fassadenhaft" und "nötigend" abzustempeln?
Empathie versteht sich eben leider auch im Gesundheitswesen nicht von selbst - eine Krux, die den "Und zugleich viel schwieriger"-Part in der Begleitung von trans* Personen ausmacht.
"Übertreibt er nicht ein bisschen .," denken Sie jetzt vielleicht. "Ich bin mir meiner Rolle doch bewusst und würde so etwas nie ausagieren!"
Dies mag auf Sie zutreffen - leider aber nicht auf sämtliche ärztliche und psychotherapeutische Kolleg*innen: Haben Sie schon einmal vom "American College of Pediatricians" (ACP) gehört? Dabei handelt sich um eine kleine Gruppe Pa¨diater*innen, die sich 2002 von der 67.000 Mitglieder umfassenden American Academy of Pediatrics (AAP) abspaltete, nachdem sich die AAP fu¨r das Ermo¨glichen von Adoptionen durch homosexuelle Paare ausgesprochen hatte. Seither propagiert das ACP Konversionsversuche (The Southern Poverty Law Center (SPLC), o. D.-a), was ihm eine Einstufung als Anti-LSBTIA*-Hassgruppierung einbrachte. Diese "Ehre" wurde auch der sogenannten "Society for Evidence-based Gender Medicine" (SEGM) zuteil (The SPLC, o. D.-b), einer 2021 von verschiedenen A¨rzt*innen und Psychotherapeut*innen gegründeten Interessengemeinschaft, die geltende Standards zur Versorgung transgeschlechtlicher Menschen ablehnt und offensiv Fehlinformationen über ihre Behandlung verbreitet (The SPLC, 2023). Auch in Deutschland werden beide Organisationen öffentlichkeitswirksam zur Rechtfertigung unwissenschaftlicher Ansichten herangezogen - vornehmlich durch Kolleg*innen in Machtpositionen, die jedoch fast ausnahmslos keine oder kaum Erfahrung in der Behandlung der Zielgruppe vorweisen können (Trans-Gesundheit, 2024).
Der Umgang mit dieser ernüchternden Realität sowie der Frustration darüber, dass unsere Klient*innen beständig durch Dritte fehlcharakterisiert sowie politisch instrumentalisiert werden, gehört leider auch zum Alltag der Arbeit mit trans* Menschen.
Die gute Nachricht: Das Buch, das Sie gerade in den Händen halten, rüstet Sie auch dafür: Es steht Ihnen fundiert zur Seite, wenn es darum geht, etablierte Leitlinienstandards mit Leben zu füllen und von unsachlichen Narrativen abzugrenzen. Wie im Vorgängerband gelingt es den Autor*innen hervorragend, den Lesenden näherzubringen, was es heißen kann, trans* zu sein. So finden sich in den Schilderungen und Fallbeispielen Einblicke in die vielfältige Lebensrealität geschlechtsinkongruenter Menschen - von immensem Ressourcenreichtum, innerer Stärke und Selbstbestimmung, Wahlfamilien und Geschlechtseuphorie, einem ganzen Spektrum geschlechtlichen Erlebens jenseits zweier binärer Pole, Vielfalt und Kreativität bis hin zu Dysphorie, alltäglichen Verletzungen durch Mikroaggressionen, diskriminierungsbedingt schwierigen Lebensumständen, Coping durch Skills, die langfristig Schaden zufügen können, Anfeindungen und Trauer um verlorene Zeit.
Besonders wertvoll ist gerade die Schwerpunktsetzung auf ausgewählte komplexe Behandlungsbedarfe, denen in einführender Literatur naturgemäß kein angemessener Platz eingeräumt werden kann. Neben der unersetzlichen Intervision und Supervision durch erfahrene Kolleg*innen bietet daher nun auch dieser Band wertvolle Orientierung und Handlungsoptionen bei Fragen wie: Welche Bedarfe haben Menschen, die von Mehrfachmarginalisierung betroffen sind? Wie können nichtbinäre trans* Personen optimal unterstützt werden? Wie kann psychotherapeutische Hilfe bei Diskriminierungs- und Gewalterfahrungen aussehen? Was tun bei post-OP-Komplikationen? Wie gestaltet sich leitliniengerechte Arbeit mit de-transitionierenden Menschen in der Praxis?
Bei all diesen Themen kommen die Würdigung der Anstrengungen des Individuums, seine Resilienz sowie die zahlreichen schönen Momente einer Transition nie zu kurz. Zusätzlich werden Behandler*innen dort abgeholt, wo die Psychotherapeut*innenausbildung sie allzu oft ratlos sitzen ließ: An vielen Aus- bzw. Weiterbildungsinstituten wird das Thema leider immer noch ausgespart - oder von Personen vermittelt, deren mehrere Jahrzehnte veralteter Wissenstand den Geist von Mythen und Vorurteilen atmet.
Je häufiger Gesundheitsdienstleistende verstehen, was viele trans* Personen beschäftigt; je öfter sie sich darauf einlassen, Parallelen zu eigenem Erleben oder Umständen wahrzunehmen, die ihnen vertrauter sind ("Kann ich bei Überlebenden von Krebsleiden nachvollziehen, dass eine cis Frau nach Mastektomie oder ein cis Mann unter Androgensuppression leidet, weil sich Körperregionen nicht mehr ihrem geschlechtlichen Erleben entsprechend anfühlen?"), desto klarer und empathischer wird ihr Blick auf den individuellen, einzigartigen trans*geschlechtlichen Mit-Menschen vor ihnen. Je besser wir eigene Ängste mittels Fachwissen bewältigen und hinter uns lassen können, desto besser vermögen wir unser trans* Gegenüber zu unterstützen. Daher möchte ich Ihnen, liebe Kolleg*innen, ganz herzlich für Ihr Engagement danken: Vielen Dank, dass Sie sich vertiefend in die Materie einarbeiten möchten! Sie reichen damit Personen die Hand, deren Zugang zu leitlinienkonformer Behandlung in dieser von Krisen gebeutelten Zeit durch rechtspopulistische, -extreme und fundamentalistische Bestrebungen nicht nur in Ländern wie den USA und Russland, sondern auch in Europa unterwandert zu werden droht (McNamara et al., 2024; Trans Europe and Central Asia, 2024; European Parliament, Directorate General for External Policies of the Union, Strand, Sanz, Blomeyer, 2021).
Dass Bücher wie dieses veröffentlicht und gelesen werden, dass sich führende medizinische Fachverbände für leitliniengerechte Behandlung und gegen Fehlinformationen positionieren (siehe https://trans-gesundheit.de für eine Übersicht), dass wir Tag für Tag unser Wissen erweitern, teilen und zum Wohle unserer trans* Klient*innen einsetzen zeigt, dass Menschenfreundlichkeit, seriöse Wissenschaft und Vernunft letzten Endes nicht nur deutlich mehr Unterstützung erfahren, sondern auch den längeren Atem haben werden.
Marburg im März 2025 M. Sc. Psych. Jean Thierschmidt,...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.