Kapitel 2
Ich habe ein weißes knielanges Kleid mit Fledermausärmeln angezogen, meine Haare habe ich zu einem unordentlichen Dutt gebunden, und ich trage weiße Ballerinas um mein Outfit abzurunden, von denen ich ganz vergessen hatte, dass sie in meinem Koffer waren. Geschminkt habe ich mich nicht, da meine Augen immer noch ein wenig brennen, nachdem ich heute Mittag mit dem Staub in Berührung gekommen bin. Zu Hause hat Onkel Moe mein Zimmer gereinigt, damit ich dort keine Probleme mehr habe, wofür ich ihm sehr dankbar bin. »Wie weit ist es noch zu den McBannons?«, erkundige ich mich, als wir schon eine Weile unterwegs sind. Wir haben uns vor zwanzig Minuten auf den Weg gemacht, aber bisher sehe ich kein weiteres Grundstück. Warum musste er auch den Vorschlag machen, zu Fuß zu gehen? Schlimmer noch, warum habe ich mich darauf eingelassen? Ach ja, weil er sagte, dass es nicht weit sei.
»Wir brauchen noch ein wenig.«
»Das heißt?« Ich bin froh, dass ich flache Schuhe angezogen habe, aber mir tun noch die Füße von den Louboutins weh, weshalb ich etwas wehleidig bin.
»Noch mal die gleiche Strecke.«
»Oh Mann«, stoße ich aus, gehe aber nicht näher darauf ein.
Auf dem Weg zu den McBannons fragt Onkel Moe mich ein wenig über mein Leben aus. Aber allzu viel kann ich ihm nicht dazu sagen, wenn ich ihm nicht offenbaren will, wie unglaublich einsam ich mich fühle. Ich habe zwar Eltern, aber weiß nicht wie es ist, eine intakte Familie zu haben. Sicher sind die gemeinsamen Tage mit ihnen wunderschön, aber so selten, dass sie bisher nicht zur Gewohnheit geworden sind. Meistens sind meine Eltern abwechselnd zu Hause, seltenst gemeinsam. »Ich gehe viel auf Partys, gebe Interviews und zuletzt habe ich ein Angebot für eine Reality-Show bekommen, aber ich will mein Leben nicht im Fernsehen sehen«, erzähle ich ihm.
»Das klingt aber interessant. Warum willst du es nicht machen?«
»Weil es keine richtigen Reality-Shows mehr gibt, das meiste wird trotzdem nach Drehbuch gedreht. Darauf lege ich keinen Wert. Außerdem waren Mom und Dad dagegen, weil ich noch bei ihnen wohne und sie keine Kamerateams im Haus wollen.«
»Sie legen sehr viel Wert auf ihre Privatsphäre, hm?«
»Ja, aber ich kann es ihnen nicht verdenken, Dad und Mom werden oft genug von Papparazzi verfolgt.«
»Ist er immer noch so erfolgreich?«, möchte Onkel Moe wissen.
Ich nicke. »Er bekommt immer noch sehr viele Rollen angeboten, aber nicht mehr so oft als Actionheld. Ich glaube, der nächste Film, den sie hier in Texas drehen, ist eine Komödie.«
»Dein Vater kommt nach Texas?«
»Ja, aber nicht nach Austin, sie drehen irgendwo im tiefsten Nirgendwo.«
»Willst du ihn besuchen?«
»Ich denke, ich werde ihn an einem Tag besuchen fahren, aber das muss ich vorher mit ihm klären.«
Wir unterhalten uns noch ein wenig über meine Eltern, weniger über mich, wofür ich sehr dankbar bin. Ich spreche nicht gern über mich, was auch ein Grund dafür ist, dass ich das Angebot für die Reality-Show ausgeschlagen habe. Ich will niemandem zeigen wie ich lebe, das ist allein meine Angelegenheit. Es reicht, dass die Menschen mich auf Partys, Filmpremieren oder anderen Events sehen.
Während unserer Unterhaltung vergeht die Zeit wie im Flug und plötzlich stehen wir vor einem großen weißen Holztor. »Komm, Bailey.« Onkel Moe öffnet es und winkt mich zu sich.
Ich folge ihm und schaue über das weite Grundstück, grüne Wiesen und ein großer Brunnen, der wirkt, als wäre er aus einer anderen Zeit, sind zu sehen, außerdem das Farmhaus mit einem Hitch Rack davor. Dahinter verbergen sich weitere Gebäude und etwas abseits steht eine Scheune. »Oh mein . Wow«, stoße ich aus, als mein Blick über das weite Grundstück schweift.
»Ja, die McBannon Ranch ist sehr beeindruckend.« Er lächelt mich an, als ich mich wieder auf ihn konzentriere. »Komm, wir werden erwartet.«
»Ich bin frei!«, ruft jemand und Hufgetrappel ist zu hören, es kommt näher.
Ich halte mich an Onkel Moe und hoffe, nicht gleich von einer Herde von Pferden niedergetrampelt zu werden.
»Das klang verdächtig nach Liev«, stellt Onkel Moe fest.
»Okay.« Für mich hat er sich genauso wie Liam angehört, aber das wird daran liegen, dass die Stimme nicht allzu nah klang und sie zu einer Familie gehören. Mein Vater und sein Bruder klingen genau gleich, auch wenn sie einander nicht ähnlich sehen.
»Wir müssen aufhören, Leute, Maurice und seine Nichte sind da!«, ruft eine andere Stimme. Vier Männer und eine Frau reiten auf das Hitch Rack vor dem Haus zu, als wir dort ankommen.
»Jungs, Charlie, bringt die Pferde sofort in den Stall.« Rick McBannon tritt auf die Veranda und zeigt in eine Richtung.
Ich drehe mich um, doch ich sehe nur noch ihre Rückansichten.
»Guten Abend, ihr zwei«, wendet er sich dann an uns.
»Guten Abend, Mr. MacBannon«, sage ich freundlich und lächle ihn an.
»Bailey.« Er schenkt mir ebenfalls ein Lächeln, meinen Onkel umarmt er brüderlich. »Kommt rein, Emily erwartet euch schon.« Er führt uns ins Haus, geradewegs in ein Esszimmer.
Darin steht eine blonde Frau und lächelt uns an. »Hallo, Moe, wir haben uns ja ewig nicht gesehen.« Sie begrüßt meinen Onkel ebenfalls mit einer Umarmung und drückt ihm einen Kuss auf die Wange.
Ich sehe es mit großen Augen mit an.
»Und du musst Bailey sein. Ich würde ja sagen, dass Moe schon eine Menge Gutes von dir erzählt hat, aber bis vor zwei Wochen wussten wir nichts von deiner Existenz.« Sie schenkt mir ebenfalls ein breites Lächeln, das irgendwie beängstigend wirkt, aber vielleicht nur, weil es ein echtes und kein aufgesetztes ist.
»Guten Abend, Mrs. McBannon«, grüße ich und reiche ihr meine Hand, doch sie zieht mich in eine Umarmung.
»Schön, endlich mal jemanden aus Moes Familie kennenzulernen, nachdem Rose und .«
Räuspernd unterbricht mein Onkel sie. »Ich wusste nicht, dass es wichtig ist, dass ich Familie in Kalifornien habe, sonst hätte ich sie sicher mal erwähnt.«
»Wie dem auch sei«, sagt Rick. »Setzt euch doch.«
Etwas irritiert von der Unterbrechung meines Onkels stelle ich mir die Frage, wer Rose sein könnte. Laut meinen Eltern war Moe nie verheiratet, weshalb ich nun einen Blick auf seine Hand werfe. Er trägt einen Ring an der linken Hand. Ob es doch ein Ehering ist? »Danke«, erwidere ich schließlich, als mich alle ansehen, als sei ich von einem fremden Planeten. »Darf ich mich irgendwo hinsetzen?«
»Sicher, wo es dir gefällt.«
Ich nicke knapp, dann setze ich mich auf den Stuhl vor mir. Links und rechts von mir sind zwei Stühle frei.
Mein Onkel lässt sich bei Rick nieder, die beiden unterhalten sich sofort.
»Ich bin dann mal wieder in der Küche«, sagt Mrs. McBannon.
»Mrs. McBannon, kann ich Ihnen vielleicht helfen?«
»Das ist ja nett. Gern«, antwortet sie und bedeutet mir, ihr zu folgen.
Daraufhin erhebe ich mich wieder.
»Du kommst aus Hollywood, richtig?«, erkundigt sie sich, als sie zurück an den Herd geht.
»Ja, das stimmt.«
»Wie ist es dort?«
»Städtisch, nicht ganz so provinziell wie in dieser Gegend«, antworte ich vorsichtig, da ich nicht weiß, ob sie genauso schnell urteilt wie ihr Sohn.
Mrs. McBannon lacht leise. »Es muss ein ziemlicher Kulturschock gewesen sein, als du hier angekommen bist, oder?«
»Das kann man wohl sagen.« Ich kichere, versuche, gelassen zu wirken, aber sicher merkt sie, dass ich mich zwinge.
»Fühlst du dich nicht wohl?«
»Es ist mein erster Tag und es ist ungewohnt.«
»Also nicht.«
»Na ja, Onkel Moe wirkt ziemlich mürrisch«, sage ich kleinlaut.
»Wenn man ihn erst einmal kennt, weiß man, dass er ein herzensguter Mensch ist.«
Ich nicke, bin von ihrer Aussage aber wenig überzeugt. »Womit kann ich Ihnen helfen?«
»Oh richtig, du könntest mir eine Zwiebel schälen und schneiden.« Sie reicht mir Messer, Schneidbrett und Zwiebel.
»Okay.«
Nachdem ich die Zwiebel geschnitten und mir selbst gedankt habe, dass ich mich vorher abgeschminkt hatte, habe ich nun das Gefühl, dass mir jeden Moment die Augen aus dem Kopf fallen, so angeschwollen sind sie. Das alles habe ich nur dem blöden Scherz meines Onkels zu verdanken, denn ohne diese Putzarie wären meine Augen nun nicht so empfindlich.
»Danke, Bailey.«
»Gern geschehen.« Ich lasse meinen Blick durch die Küche im Landhausstil schweifen. »Kann ich Ihnen noch irgendwie helfen?«
»Nein, jetzt ist alles erledigt.«
Vor der Tür wird es lauter und Mrs. McBannon schaut ins Wohnzimmer. »Scheinbar sind Charlie und die Jungs reingekommen. Geh doch zu ihnen und lerne sie kennen, ihr versteht euch bestimmt.«
Ich räuspere mich. »Liam und ich haben uns nicht besonders gut...