Schweitzer Fachinformationen
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»Ich hab einfach das Gefühl, es wäre gut, es jetzt hinter sich zu bringen. Solange meine Kurse noch leicht sind«, sagte Sophia. Zoe saß mit zwei von ihren drei Mitbewohnerinnen im Gemeinschaftsraum ihrer Erstsemester-Wohnung. Gabby war freitagnachmittags immer bei ihrer Arbeitsgruppe.
»Aber du hast noch nicht Organik zwei belegt«, sagte Hanna und blickte von den Hausaufgaben auf, die sie auf ihrem Schoß balancierte.
»Ich mach das einfach im Selbststudium.«
»Das . ist Wahnsinn«, erwiderte Hanna. »Du musst masochistisch veranlagt sein.«
Zoe trank lächelnd aus ihrer Wasserflasche.
»Wie lange dauert das noch mal?«
»Fünf Jahre.« Sophia lehnte sich zurück und brachte ihren Schreibtischstuhl in eine halb liegende Position.
»Was, wenn du dir eine Auszeit nehmen willst?«
Sophia machte ein empörtes Gesicht. »Eine Auszeit vor einem Medizinstudium von vielleicht neun Jahren? Ich meine, hoffentlich neun Jahre.«
»Oder«, bot Zoe an, »du könntest dir das ganze Medizinstudium schenken.« Sie lachte schon, bevor Sophia die Arme hochreißen konnte. »Ich mein ja nur, es ist eine Option.«
»Selbststudium Organik zwei«, murmelte Hanna wieder, »ich kann nicht mal regulär Organik eins studieren.«
»Ich bin tatsächlich gerade mit meinen Übungsaufgaben für Organik fertig.«
»Toll, machst du das dann für mich?« Sie warf Zoe ein paar zerknitterte Papiere zu, die Heftklammer oben links war herausgerissen. Zoe nahm den Kugelschreiber, mit dem sie herumgespielt hatte, und löste die Aufgabe. Dann warf sie Hanna die Papiere wieder hin.
»Du bist so nervig.«
»Gern geschehen.«
Zoe zögerte. »Apropos Organik, kennt ihr jemanden namens Jack?«, fragte sie dann.
Hanna streckte sich auf dem kleinen Sofa aus und ließ den Kopf über die Armlehne hängen, wobei ihr hellblondes Haar fast den Boden berührte. »Nope.«
Zoe wandte sich an Sophia.
»Hm.« Sophia sah sie neugierig an. »Stehst du auf ihn?«
Wie hatte sie das nur aus zehn Worten heraushören können? »Nein«, antwortete Zoe zu schnell und ärgerte sich, weil sie unaufrichtig klang, obwohl es der Wahrheit entsprach. Jack war nicht ihr Typ. »Ganz und gar nicht. Er war nur in meinem Kurs für Organik und ist nicht mehr aufgekreuzt.«
»Vielleicht hat er den Kurs aufgegeben?«
»Ja, hattest du schon Zwischenprüfung?«, fragte Hanna.
»Gerade erst, aber die hat er auf keinen Fall vergeigt. Er konnte .« Mit mir mithalten, wollte sie sagen, aber sie wollte nicht eingebildet klingen. »Wahrscheinlich war er der Klügste im Kurs.«
»Du stehst also doch auf ihn«, stellte Sophia triumphierend fest.
»Nein, echt nicht, Leute.« Zoe schloss für einen Moment die Augen, ärgerte sich, weil sie rot wurde. »Wir hatten nur einen . freundschaftlichen Wettbewerb laufen. Nach dem Motto, wer ist der größere Nerd? Für alle anderen war es ziemlich nervig, glaube ich. Aber deshalb hab ich mich gefragt, warum er nicht mehr in die Vorlesung kommt. Das ist alles.«
»Oder er hat die Zwischenprüfung mit Bravour bestanden und beschlossen, dass er für den Rest des Kurses nicht mehr erscheinen muss«, überlegte Sophia.
Zoe nickte und lehnte den Kopf an die Wand. Daran hatte sie nicht gedacht.
Sophia räusperte sich leise. »Ich weiß, wer er ist.«
»Ach?« Zoe versuchte, locker zu klingen. Denn, verdammt, das war sie schließlich auch.
»Jack Leahy. Er war letztes Jahr mit mir in LS50.« Das hieß, er war im zweiten Studienjahr.
»Wusstest du, dass er mit David Li zusammenarbeitet?«
»Interessant.« Sophia strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr. Sie hatte braunes, mittellanges Haar, das sie immer fest hinter beide Ohren steckte. »Ich dachte, der legendäre Student in Lis Labor wäre einer aus dem Abschlussjahrgang.«
»Offenbar nicht.«
»Er ist klug, aber so beeindruckend fand ich ihn nun auch wieder nicht. Er wirkte, als hätte er seine eigenen Dinge im Kopf, weißt du? War nicht sonderlich interessiert.« Sophia sah Zoe mit zusammengekniffenen Augen an. »Ich hätte nicht gedacht, dass er dein Typ ist.«
Zoe lachte. »Was genau ist mein Typ?«
Sophia schüttelte mit einem schwachen Lächeln den Kopf. »Ach, keine Ahnung. Er jedenfalls nicht.«
Seit sie aufs College ging, hatte Zoe keinen Freund mehr gehabt. Und, wenn sie ehrlich war, auch davor nicht. Beides war nicht sonderlich ungewöhnlich: Viele Harvard-Studentinnen waren bei Studienbeginn noch Jungfrau, und die meisten begannen erst im zweiten oder dritten Jahr ernsthaft zu daten.
Bei Sophias Bemerkung fiel ihr allerdings Danny ein. Auch wenn sie schon länger nicht mehr an ihn gedacht hatte, erinnerte sie sich natürlich noch an seinen Nachnamen: Hess. In ihrem Kopf hatte sie immer wieder »Zoe Hess« wiederholt, als wäre es ein Zauberspruch, mit dem sie ihn dazu bringen könnte, über die Tatsache hinwegzusehen, dass sie sechzehn und er Mitte zwanzig war. Er sollte sie über die Schulter werfen und mit ihr durchbrennen. Seltsam, wie jemand, an den man monatelang jeden wachen Moment gedacht hatte, mit einer Sehnsucht, die zum Teil der eigenen Identität geworden war, irgendwann ganz aus dem Gedächtnis verschwinden konnte.
Er war einer von vier jungen Männern gewesen, die während des Sommers mit ihrem Vater zusammengearbeitet hatten. Und da junge Männer dazu neigten, deutlich mehr Platz als nötig einzunehmen, schienen die vier plus ihr Vater plus ihr Bruder das ganze Wohnzimmer auszufüllen. Da war kein Platz für Zoe geblieben.
Abends waren sie mit Zoe und ihrer Mutter dann zu acht, so viele Stühle, wie an den Esstisch passten.
Den größten Teil ihrer Kindheit hatte Zoe beim Abendessen eingequetscht zwischen zwei fremden Männern gesessen. Ihre Mutter glaubte, dass man am Tisch unterschiedliche Menschen zusammenbringen sollte, und ihr Vater, dass man Kinder wie Erwachsene behandeln sollte. Seit seiner ersten Stelle am MIT, als Zoe noch ein Baby war, hatte er seine Studierenden abends zum Essen eingeladen. Und wenn er nur Forschungsgelder für einen hatte, lud er auch noch die seiner Kollegen ein. Im Sommer war es ruhig auf dem Campus, und die Doktoranden kümmerten sich nur um ihre Forschung. »Wie in alten Zeiten«, schwärmte Zoes Vater dann immer, »vor diesem ganzen Lehr- und Vorlesungsunsinn, als die Wissenschaftler sich noch selbst beim Denken zuhören konnten und sich Zeit zum Reden nahmen«, und die Männer lachten. Vielleicht würde sie sie jetzt auch eher als Jungen bezeichnen, dachte Zoe amüsiert.
Als sie noch klein war, sechs oder sieben Jahre alt, und sich zum Essen über den Tisch beugen musste, unterhielten sie sich buchstäblich über ihren Kopf hinweg. Manchmal antwortete sie mit hoher Kinderstimme auf eine der rhetorischen Fragen oder Vorschläge ihres Vaters. »Deine Argumentation klingt nicht schlüssig« oder »Hast du das nachgerechnet, Daddy?« Alle fanden das ganz bezaubernd. Die Männer klatschten mit ihr ab, und sie grinste über beide Ohren, bis ihre griechische Nase und die griechischen Augenbrauen das einzig Gerade in ihrem Gesicht waren, beides eigentlich zu groß für ihren kleinen Kopf.
Mit elf oder zwölf waren die Sommer von einem vagen Gefühl ständiger Verlegenheit geprägt: dem Unbehagen, nicht zu wissen, wer man eigentlich war. Doch an den Wohnzimmerseminaren ihres Vaters nahm sie immer teil und begann in der Schule Physik zu lernen. Die Ideen, die durch den Raum schwirrten, als hätten sie ein Eigenleben, faszinierten sie. Als sie alt genug war, um zu verstehen, woran er forschte, arbeitete er an der Quantenfeldtheorie. Dann folgte eine Phase der Rebellion, ein paar Sommer, in denen sie Physik blöd und ihren Vater überbewertet fand und weder mit ihm noch mit seinen Studierenden etwas zu tun haben wollte. Die meisten Abende verbrachte sie damals bei den anderen Kindern, übte »Ja, Ma'am« und »Nein, Ma'am« und »Kann ich Ihnen helfen, Sir?«, und der südländische Charme ihrer Mutter aus dem Mund eines schlaksigen Mädchens mit olivenfarbener Haut und wirrem schwarzen Haar wirkte entwaffnend. Und dann wurde sie sechzehn, und da war Danny.
In dem Jahr hatte sie ihren ersten richtigen Mathekurs belegt, lineare Algebra, weshalb sie sich sehr erwachsen fühlte. Sie war aber auch durch die Führerscheinprüfung gefallen, weshalb sie sich zugleich wie ein dummes, eingesperrtes Kind vorkam. Sie randalierte im Haus (einem restaurierten, vierstöckigen viktorianischen Haus im Zentrum von Cambridge, Eigentum des MIT, das ihnen so lange zur Verfügung gestellt wurde, wie ihr Vater beeindruckend und begehrt war. Ein Segen nach einer Reihe von Zweizimmerwohnungen, die von Postdoc-Stipendien bezahlt worden waren), knallte Türen und Schränke zu und nervte, bis ihre Mutter sagte: »Schatz, jetzt benehmen wir uns wieder«, und ihr Vater: »Wenn du deinen Führerschein hättest machen wollen, hättest du besser fahren sollen.« Ihr Bruder Alex hatte nichts gesagt, weil er wusste, dass es dafür noch zu früh war. Später bot er ihr Fahrstunden an, weil sie eigentlich Freunde waren, auch wenn er ihr fast immer das Gefühl gab, nur Anhängsel zu sein.
Als Danny eintraf, hatte sie auf der Couch gesessen. Er kam zu früh, ihre Mutter war noch in der Küche mit dem Abendessen beschäftigt, und ihr Vater arbeitete oben in seinem Büro.
»Kannst du aufmachen, Zoe?«, rief ihre Mutter, und Zoe stieß die Luft durch die Nase aus, warf ihr Handy auf die Couch und stakste zur Tür. Sie öffnete sie...
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