Schweitzer Fachinformationen
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»Jingle Bells ring - der Countdown läuft. An alle Überlebenden des Black Friday Weekend da draußen: Nur noch dreißig Tage bis Weihnachten, dem Fest der Liebe, an dem bekanntlich immer wieder kleine und große Wunder geschehen«, drang die Stimme des Moderators blechern aus dem Radiowecker an mein Ohr. Parallel dazu startete der Alarm meines Smartphones - nicht schön, dafür effektiv.
Gähnend schaltete ich den nervigen Signalton aus und lauschte den deutlich angenehmeren Tönen des oldschool Geräts, das mich bereits seit meiner Kindheit relativ sanft aus dem Schlaf holte.
Normalerweise hätte ich auf die Schlummertaste gedrückt und wäre noch mindestens zehn Minuten liegen geblieben. Aber nicht heute. Ob ich überhaupt richtig geschlafen hatte, war mir nicht ganz klar. Irgendwie ja und nein. Unglaublich, was ein wichtiger Vorstellungstermin alles auslösen konnte.
Während ich aus meinem Boxspringbett kletterte, forderte der Moderator die Frühaufsteher unter seinen Zuhörern auf, beim Sender anzurufen, wenn sie zu den Glücklichen zählten, die bereits ein Weihnachtswunder erlebt hätten. Danach spielte er die instrumentale Version von Sleigh Ride ab.
Auf dem kurzen Weg zur Küchenzeile durch den recht überschaubaren Raum meines Einzimmerapartments knipste ich das Licht an und schaltete die am Vorabend bereits von mir befüllte Kaffeemaschine ein. Anschließend widmete ich mich ausgiebig meiner Morgenhygiene, obwohl ich mangels Schlafbereitschaft meines Körpers schon nachts um zwei heiß geduscht hatte.
In frischer Unterwäsche unter meinem flauschig-weichen Plüschbademantel schlappte ich über die hellen Holzdielen durch mein Wohn-Schlaf-Arbeits-Koch-Zimmer zur schlichten Küchenzeile mit den kunterbunten Türgriffen und -knöpfen. Ich schenkte mir eine Tasse frisch aufgebrühten Kaffee ein und lehnte mich an die Arbeitsplatte.
Derweil meldeten sich die ersten Radiohörer beim Sender WANR. Begleitet von begeisterten Zwischenfragen des Moderators gaben sie ihre persönlichen Weihnachtswunder zum Besten. Alison aus Trenton, New Jersey machte den Anfang. Überemotional berichtete sie davon, wie sie an Weihnachten vor fünf Jahren auf dem Weg zu ihrer Familie von der Straße abgekommen und mit ihrem Wagen in einem Flussbett gelandet war. Dort hatte sie geschlagene zwei Stunden festgehangen, da sich ihr Sicherheitsgurt verkantet hatte und sie mangels Mobilfunkempfang nicht in der Lage gewesen war, Hilfe herbeizurufen. Dann aber - oh, Weihnachtswunder - ausgerechnet von ihrer ersten großen Liebe entdeckt und gerettet worden war.
»Na klar, Alison«, murmelte ich vor mich hin, während ich augenrollend an meinem Kaffee nippte. »Mittlerweile seid ihr wahrscheinlich sogar glücklich verheiratet und lebt mit zwei entzückenden Kindern in einem idyllischen Vorort, der durch seine baugleichen Häuser und identisch gestalteten Gärten besticht .«
Mit dem idyllischen Vorort lag ich falsch. Mit allem anderen nicht. Das kitschtriefende Gerede von der einzig wahren, wundersamen und vor allem schicksalhaften Liebe am frühen Morgen war definitiv zu viel für mich. Alison musste eine überaus blühende Fantasie haben. Womöglich war sie sogar Liebesroman- oder Drehbuchautorin. Ich war es nicht und zählte eindeutig zu den entromantisierten Realistikerinnen.
Seufzend nahm ich einen weiteren Schluck aus der Tasse. Dabei schweifte mein Blick rüber zum Kleiderschrank, an dem ein komplettes Business-Outfit hing. Der neue hellgraue Hosenanzug mit der cremefarbenen Bluse und den farblich dazu passenden hohen Schuhen hatte mich trotz des Sonderangebots ein kleines Vermögen gekostet. Für den New Yorker-Durchschnittbürger wäre es sicherlich ein Megaschnäppchen gewesen. Meinen eher bescheidenen finanziellen Möglichkeiten hingegen hatte die Investition richtig, richtig wehgetan. Und das war nur einer von vielen Gründen, warum ich dringend einen vernünftig bezahlten Job brauchte.
Ich hoffte inständig, der Winter möge sich auch an diesem Tag weiterhin von seiner zwar klirrend kalten, jedoch trockenen Seite zeigen, damit ich die eigens für mein Vorstellungsgespräch gekauften Sachen tragen konnte, um den bestmöglichen Eindruck zu hinterlassen. Nach 92 Bewerbungen, 14 Direktabsagen, 78 Online-Erstgesprächen mit diversen Human-Resources-Abteilungen, nochmaligen 53 Absagen, 25 Zweitgesprächen sowie den darauffolgenden weiteren 24 Absagen mangels Berufserfahrung musste ich unbedingt diese bisher einzige reelle Chance auf eine Stelle als Assistentin der Geschäftsleitung nutzen und die Personalabteilung der Waters Corporation restlos von mir überzeugen. Denn gerade gab es keinen Plan B. Dafür aber Aufstiegsmöglichkeiten, die mich über Umwege vielleicht zu meinem eigentlichen Traumjob führten. Womöglich sogar direkt ins Event-Management.
Das Display des Radioweckers sprang auf 7:15 Uhr. Ich atmete tief durch, trank den restlichen Kaffee aus und stellte meine Tasse in die Spüle. Wenn mein Zeitplan entspannt aufgehen sollte, damit ich idealerweise schon eine halbe Stunde vor dem Termin im Waters Tower eintreffen würde, musste ich langsam loslegen und vor allem vorher das Wetter checken.
Die Weihnachtswundergeschichten der Zuhörer bei WANR endeten im Hintergrund mit einem Heiratsantrag, der zwar das Thema verfehlte, den Moderator jedoch in totales Entzücken versetzte und mich abermals die Augen verdrehen ließ. Beim gekreischten »Ja, ich will!« aus dem Off war ich dann gänzlich raus. Warum hatte der Typ das Radio für seinen Antrag gewählt, wenn er sich offenkundig im selben Raum mit seiner Traumfrau befand?
Tzzz .
Kitschüberladen ging ich zur Fensterfront meines Apartments und zog die blickdichten Vorhänge auf. Im selben Moment ertönte, untermalt vom fröhlich-weihnachtlichen Flöten-Intro eines weltbekannten Weihnachtssongs, die Stimme des Moderators. »Let It Snow! Let It Snow! Let It Snow! Zieht euch warm an, wenn ihr rausmüsst. Oder - noch besser - bleibt einfach wie Dean Martin zu Hause am Kaminfeuer«, gab er amüsiert zum Besten.
»Holy Shit!«, stieß ich beim Anblick des dichten Schneetreibens aus und konnte kaum fassen, was ich da vor mir sah. Dächer, Bäume, Autos, Straßen. Alles weiß. Über Nacht und ohne Vorankündigung war Inwood von einer gut zehn Zentimeter dicken Schneeschicht bedeckt worden. Mit zunehmend steigender Tendenz. Ich liebte Schnee. Und er war hübsch anzusehen. Keine Frage. Aber dieses Szenario hatte ich bei meiner akribischen Planung nicht auf dem Schirm gehabt, weil sich sämtliche Meteorologen des Landes einig gewesen waren, New York samt all seiner Stadtbezirke würde wegen der vorherrschenden Polarluft vorerst schneefrei bleiben.
Ich brauchte einen Moment, um mich aus meiner Starre zu lösen. Dann flitzte ich zum Kleiderschrank, warf das daran hängende Outfit achtlos aufs Bett, meinen Bademantel gleich hinterher und suchte hektisch nach einigermaßen schneetauglichen Klamotten, die zumindest ein klitzekleines bisschen nach Business-Look aussahen und zu denen gefütterte Boots oder Stiefel passten. Totale Fehlanzeige.
»Shit! Shit! Shit!«
Aber egal. Mich aufregen und sämtliche Meteorologen des Landes verklagen konnte ich auch noch, nachdem ich den Arbeitsvertrag unterschrieben hatte. Bei meiner bescheidenen Finanzlage war ein Anwalt gerade ohnehin nicht drin.
Notgedrungen zog ich dicke Socken an, zwängte mich in meine am wenigsten verwaschene Jeans und schlüpfte in den nächstbesten blassrosa Rollkragenpullover, den ich auf die Schnelle fand. Ein kurzer Blick in den Spiegel bestätigte meine Vermutung. Zum Schlittschuhlaufen mit Freunden perfekt geeignet. Für ein wichtiges Vorstellungsgespräch bei einem Big Player in Midtown Manhattan absolut nicht. Doch auch für den kleinen Zusammenbruch, der sich in meinem Inneren anbahnte, blieb mir keine Zeit mehr. Der musste wie alles andere warten, bis ich wieder zu Hause war.
Fokus, Elle, Fokus!
Stiefel mit Profilsohlen vs. Fellboots. Um nicht komplett nach unbeschwertem Freizeitspaß auszusehen, entschied ich mich für die kniehohen Winterstiefel. Fertig.
Atemlos flitzte ich ins Miniaturbad. Für die superseriöse Hochsteckfrisur, die ich in einem Reel gesehen und so oft ausprobiert hatte, dass ich die einzelnen Schritte im Schlaf beherrschte, fehlte mir gerade die Ruhe. Jede Sekunde zählte. Denn Schnee in New York wirkte sich grundsätzlich katastrophal auf den ohnehin chaotischen Straßenverkehr und sämtliche öffentliche Verkehrsmittel aus. Meine Haare bei dem Wetter einfach offen zu tragen, war allerdings auch keine Option. Das gäbe nur Frizz, Frizz und noch mehr Frizz, der selbst die besten Anti-Sprays ausknockte. Da half auf die Schnelle bloß ein simpler Zopf. Rasch kämmte ich das hellblonde Wirrwarr auf meinem Kopf streng zurück und band es mit einem Gummi zusammen.
Das mehrfach geprobte dezente Tages-Make-up fiel ebenfalls dem akuten Zeitmangel zum Opfer. Heillos überfordert und extrem ratlos starrten mich meine blauen Augen im Spiegel an, während ich mir wenigstens noch im Rekordtempo die Wimpern tuschte.
Tief ein- und wieder ausatmend, verließ ich das Bad und kehrte zurück in den Wohnraum. Ein flüchtiger Blick aus dem Fenster verriet, dass...
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