Schweitzer Fachinformationen
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94,5 Prozent der Fachkräfte, die auf deutschen Bauernhöfen beschäftigt sind, sehen in ihrer Arbeit eine sinnvolle Aufgabe. Damit rangieren sie gleich nach den Akademikern.
Eine Frau braucht keine abgeschnittenen Katzenschwänze. Und eine Frau, die im Paradies lebt, erst recht nicht. Die Auguste lebt im Paradies. Der schöne alte Hof mit den grünen Fensterläden liegt leicht erhöht über Wolkendorf. Mehrere Gebäude, größtenteils jahrhundertealt. Ringsum grüne Wiesen und ganz hinten das Zugspitzmassiv. Die Sonne geht gerade auf. Die Sommerblumen im Bauerngarten öffnen ihre Blütenkelche. Margerite, Mohn und Sonnenblume. Gladiole, Glockenblume, Lilie. Ihr pudrig süßer Duft mischt sich mit den Gerüchen des Bauernhofs. Es könnte alles so schön sein, denkt sich die Auguste. Aber da ist die Sache mit dem abgeschnittenen Schwanz von der Mimi. Da ist der Mahnbrief von der Bank. Und dann ist da noch das unverschämte Angebot vom Leichenbacher-Bauern. Da mag die Sonne scheinen, als hätte sie gerade irgendein Jemand erfunden (geniale Erfindung wäre das), aber dieser Tag ist nicht der Tag der Auguste Bernreiter. Sie betrachtet den Schwanz, das rot glänzende Blut, es ist traurig.
»Den muss jemand abgeschnitten haben«, murmelt die Auguste. Wenn du lange allein lebst, redest du zwangsläufig mit dem einzigen Gesprächspartner, der greifbar ist - mit dir selbst.
Die Auguste ist eine feste und dabei attraktive Person. Der Katzenschwanz liegt auf dem kleinen Weg zwischen dem alten Stall und der schweren Eichentür zum Wohnhaus. Eine kleine Blutlache hat sich ringsum gebildet, von der einige Tropfen zur Haustür führen. Dort wird das Blut dann wieder mehr. Die Größe des Schmerzes steht in keinem Verhältnis zur geringen Menge des Bluts.
Die Auguste kniet sich zur Mimi hinunter. Die weiß-schwarz gescheckte Katze hat sie aufgeweckt, noch ehe der Wecker um 5:30 Uhr geläutet hat. Ein furchtbares Schreien war das. Das magst du nicht hören. Warum eigentlich gibt es eine Speise, die Katzengeschrei heißt?, schießt der Auguste ein völlig abwegiger Gedanke durch den Kopf. Doch Gedanken sind wie Kaulquappen - sie sind unreif; manche werden gefressen, aber einige wenige werden Frösche und lernen das Springen. Katzengeschrei: Rindfleisch in Streifen schneiden, Zwiebeln in Ringe hobeln, Kräuter und Eier . Auguste weiß nicht, warum ihr Kopf das jetzt gerade denkt.
Behutsam nimmt sie die Mimi auf den Arm und geht ins Haus. Die Katze tropft. Aber wegen dem Blut auf dem weißen Leinenstoff des Nachthemds ist es nicht. Als Bäuerin kennst du die Körper und ihre Flüssigkeiten. Alles lässt sich abwaschen, rauswaschen oder mit einem Flicken übernähen. Im Leben geht das auch. Aber nur manchmal. Grundsätzlich hat die Auguste schon ein Vertrauen in das Dasein, doch jetzt sieht es gerade nicht rosig aus. Da kann die Sonne scheinen, wie sie mag, und die Zugspitze stolz herüberschauen wie eine Königin.
Das arme Tier. Die Katze wehrt sich, aber die Auguste hat einen festen Griff. Im Bad bekommt die Mimi einen Verband um den Stummel und Arnika-Globuli für die Heilung, aufgelöst in Wasser, aufgezogen mit einer kleinen Spritze und dann eingeflößt. Die Auguste ist eine wuchtige Frau, aber ihre Hände haben etwas Mütterliches, obwohl sie keine Mutter ist, also jedenfalls nicht von Menschenkindern. Von Katzen, Kälbern und Küken manchmal schon.
»So, und jetzt begraben wir deinen Schwanz«, sagt die Auguste. Ihre Stimme klingt zärtlich, dabei aber auch zu allem entschlossen.
Wenig später hebt sie auf der Wiese vor dem Haus ein kleines Loch aus. Die Erde riecht braun und gesund. Der Löwenzahn, der bereits zum zweiten oder dritten Mal in diesem Jahr blüht - es ist ein herrlicher Sommer, wenngleich ein wenig trocken -, reckt sich in die Sonne. Sowie die Auguste den Schwanz ins Grab legt, ist die verwundete Mimi auch schon verschwunden. Das ist nur zu verständlich. Wer will schon bei seiner eigenen Beerdigung dabei sein, auch wenn es nur ein Teil des Körpers ist? Katzen sind schlaue und sensible Tiere.
So. Jetzt Erde drauf. Sogar ein Gebet spricht die Auguste noch. Es ist ein schönes Grab. Zugspitzblick für den Katzenschwanz. Aber kaum ist die Auguste mit dem Beten fertig, nehmen die anderen Gedanken wieder Besitz von ihr. Das Schreiben von der Bank.
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Auguste Bernreiter, dreiundsechzig Jahre, einen Meter zweiundsiebzig groß, früher rotblondes Haar, welches jetzt ins Weiß wechselt, sitzt nun am Küchentisch und mag die Bank nicht. Außerdem findet sie das alles ungerecht. Schließlich ist doch nicht sie schuld an der zweihundertfünfzigtausend Euro hohen Hypothek, die auf dem Höllinger-Hof lastet, sondern ihr Mann, der versoffene. Natürlich hätte sie nach Magnus' Tod das Erbe ausschlagen und die fünfundzwanzig Kühe, zwanzig Hühner und fünf Gänse wem anderen überlassen können. Dann wären die Schulden und auch der Kredit jetzt nicht da. Aber macht man das? Einen wunderschönen Hof, seit bald zweihundert Jahren in Familienbesitz, einer Bank in den Hintern schieben? Und dann zum Discounter an die Kasse, Bedienung oder Paketdienst, oder was?
Nein, Leute. Nicht die Auguste.
Na ja, ein bisschen marode ist er schon, der Höllinger-Hof. Aber: »Erstens mag ich die Arbeit. Zweitens mag ich die Tiere. Drittens ist das meine Heimat«, zählt die Auguste auf. Es ist mehr so ein Murmeln, kaum von einem Gebet zu unterscheiden. Jetzt ist die Katze Mimi plötzlich wieder da mit ihrem verbundenen Nichtschwanz und miaut, als wüsste sie, von wem und worüber die Auguste spricht. Vermutlich ist das auch so. Ein Bauernhof ist wie eine Welt im Kleinen. Man lebt voneinander füreinander. Aber manchmal gibt es Tote.
Die Situation ist die: Der Leichenbacher-Bauer, der Geldsack, würde sich den Höllinger-Hof gern unter den Nagel reißen. Angeblich für den zweiten Sohn. Aber gehört dem Leichenbacher nicht eh schon das halbe Dorf? Bei dem Gedanken an den kleinwüchsigen dicken Beutelschneider muss die Auguste ächzen. Beim Melken heute früh hat der Rücken wieder so gezwickt. Du wirst nicht jünger, auch wenn du dir das lange Haar noch jeden Tag so schön flichtst wie als Mädchen schon. Aber der Haarkranz muss sein. Ein Haarkranz macht aus einer normalen Frau eine Bäuerin, findet die Auguste. Deswegen die tägliche Mühe mit der Frisur. Heute ist außerdem Sonntag, in Wolkendorf am Michlsee noch immer ein Festtag. Man gönnt sich ja sonst nicht viel. Der Sonntag ist der Urlaub der Bäuerin.
Aber der Rücken. Sie schiebt die leere Kaffeetasse von sich weg - keine Sorge, es besteht keine Absturzgefahr für die Tasse, der Tisch ist groß genug. Hier saßen vor achtzig Jahren noch vierzehn Menschen. Kinder, Eltern, Großeltern, Urgroßmutter, eine Magd, ein Knecht. Dann kamen die Maschinen.
Die Auguste steht auf, strafft den Körper. »Ich muss wieder lustig werden.« Aber das ist leichter gesagt als getan, wenn der Rücken keine Ruhe gibt. Die Spritzen vom Arzt könntest du genauso gut in einen Sack Heu stechen. Ihre feste Hand legt sich auf den unteren Teil der Wirbelsäule. »Ah, das zwickt!« Die Mimi miaut gleich mit.
Der Weg in die Stube ist nicht weit. Sie grenzt an die Küche mit dem großen, schweren Holztisch. Der gute alte Kachelofen war schon immer da und nimmt seither am Geschehen in beiden Räumen teil. Aber es ist ja Sommer und der Ofen von daher aus. Hoffentlich nicht bald ganz. Wer nur tut einem Tier solche Qualen an?
Der Computer steht neben dem Klavier. Die Auguste hat es schon lange nicht mehr angefasst. Obwohl sie stolz darauf ist, dass sie des Pianospiels mächtig ist. Sonst kann das im Dorf nur noch der alte Kirchenorganist und ein paar Kinder. Chopin, Bartók, Bach - das kann die Auguste alles rauf und runter. Ihre Klavierlehrerin war eine echte Frau von Zeppelin. Ja, ja, die Welt denkt, Bauern hätten es nur in den Händen. Die Welt hat keine Ahnung. Aber von den Bauern leben wollen!
Der Computer macht ein komisch surrendes Geräusch beim Hochfahren. Es ist nicht einer von der Firma, welche dieser Steve Jobs gegründet hat, weil der ist an Krebs gestorben. Auguste hat die Biografie gelesen. Krebs ist gleich schlechtes Karma. Nein, nein, Augustes Computer ist von diesem Bill Gates, der mit seiner Stiftung die Landwirtschaft unterstützt. Vor allem auch Frauen in der Landwirtschaft. Leider hauptsächlich in Afrika. Und nicht in Bayern. Aber was nicht ist, kann vielleicht noch werden. Des Weiteren hat seine Frau einen schönen Namen: Melinda. Hätte die Auguste eine Tochter bekommen, Melinda wäre ein schöner Name für das Kind gewesen. Aber die Auguste hat nicht. Es ist ein Nichthaben, mit dem du umgehen musst.
Jetzt ist sie schon drin im Internet. Sie sucht. Es muss doch etwas geben, das gegen Rückenschmerzen hilft. Wer das wohl war mit dem Katzenschwanz? Die Auguste hätte da so eine Vermutung. Und wenn die sich bewahrheiten sollte, dann würde sie demjenigen gern . alles Mögliche. Sie hat ja einen Jagdschein. Eigentlich wegen der Wildschweine, die die Weiden aufwühlen und das Heu versauen. Eine Kuh, die mit dem Heu Erde frisst, kann krank werden. Kranke Tiere sind schlecht, weil der Tierarzt kommen muss. Der Tierarzt kostet Geld, aber das ist momentan Mangelware auf dem Höllinger-Hof.
Die Auguste surft auf der Suche nach Mitteln gegen Rückenschmerzen im Internet herum. Surfen! Ein lustiges Wort dafür, dass man mit ein paar Fingern auf Plastiktasten klopft. Die Auguste kann zehn Finger. Surfen . wo sollen denn da die Wellen sein im Internet?...
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