Schweitzer Fachinformationen
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2. Juli 2017, 08:47 Uhr
In dem strahlend hellen Vormittagslicht leuchtete der Strand in all seiner Pracht. Feiner weißer Sand schmiegte sich um die Rundung der Insel und verwandelte sich im flachen Brandungsbereich in türkisen Kristall. Eine weit aufgefächerte Schar kleiner bunter Boote, überwiegend aus Fiberglas, und auch einige hölzerne Langheckboote mit ähnlich farbigen Schärpen um den Bug schaukelten sanft im seichten Wasser. Alle waren mit einem dünnen Geflecht aus bunten Kunststofftauen und rostigen Ankern am Strand festgemacht. Am Rand des Türkis funkelte das Licht auf dem Wasser, als würde es Regenbögen bluten. Hinter dem Strand erhob sich die Insel in üppigem Grün. Verwegen spähten mehrere braune Holzbungalows auf höherliegenden Felsen wie neugierige Kinder daraus hervor.
Am Strand verstreut lagen junge Leute, überwiegend gebräunte Europäer oder stille Südostasiaten zwischen zwanzig und vierzig Jahren alt, mal auf Plastikliegen unter bunten Sonnenschirmen und mal in der prallen Sonne auf dem Sand. Um sie herum hatten sich Seegras, Zigarettenkippen, Muscheln, Bierdosen und die verkohlten Überreste des Feuertanzes der letzten Nacht angesammelt.
Auf diesem Strand fielen Shigidi und Nneoma auf, und das war ihm durchaus bewusst. Sie hatten zobelbraune Haut und saßen still nebeneinander im Sand, während die weiße Brandung über ihre Füße spülte, ihre Knie jedoch nicht erreichte. Er hatte eine ganze Weile gebraucht, bis er sich an die Blicke gewöhnt hatte, die sie in diesem Teil der Welt häufig auf sich zogen, aber Nneoma fühlte sich offensichtlich überall wohl. Sie lehnte sich zurück und stützte sich in ihrem roten Bikini auf die Ellbogen. Er saß aufrecht, hatte mit den Armen die Knie umschlungen und an die muskulöse Brust gezogen, während er den Salzgeruch des Wassers einsog und zusah, wie es sich vor- und zurückbewegte, als atme die ganze Korallenbucht ein und aus. Das Rauschen der Brandung überspielte das spröde Schweigen, das sich zwischen ihnen eingestellt hatte, seit sie sich in der Dämmerung hier niedergelassen hatten.
»Sie starrt dich schon seit einer Viertelstunde an«, flüsterte Nneoma, blickte nach links, ohne einen anderen Teil ihres Körpers zu bewegen, und deutete auf die betreffende Person.
Shigidi knurrte, drehte den Kopf und sah durch die Sonnenbrille, die seine Augen verbarg, eine große, straffe und tätowierte Frau Ende dreißig, die auf einem rosa Strandtuch saß und bemüht war, den Eindruck zu vermeiden, sie würde ihn anschauen.
»Vielleicht solltest du ihr einen Drink spendieren. Sag hallo. Wir könnten sie heute Nacht mit in unsere Hütte nehmen und herausfinden, wie ihr Geist schmeckt«, schlug Nneoma mit gesenkter, aber klarer Stimme beiläufig vor, als würde sie ihn fragen, was er zum Frühstück essen möchte.
»Hm. Lass es uns doch mal eine Weile etwas ruhiger angehen«, erwiderte Shigidi und erinnerte sich an den blonden Deutschen, dessen kühnen, abenteuerlustigen Geist sie sich erst vor ein paar Tagen nach einer langwierigen Verführung in Hanoi geteilt hatten, als sie auf dem Rückweg von der Halong-Bucht gewesen waren. »Vielleicht sollten wir die Sterblichen erst mal in Ruhe lassen und uns lieber miteinander beschäftigen.«
Am Anfang ihrer Partnerschaft hatte Nneoma menschliche Geister nur sparsam verzehrt und lieber ihre Spielchen mit potenzieller Beute getrieben, oft tage- oder wochenlang, und sie erst verschlungen, wenn sie es dringend brauchte, oder gelegentlich, wenn sie jemanden entdeckte, der sich schlecht benahm und Dinge sagte, die ihr gegen den Strich gingen. Sie hatte ihren eigenen geheimnisvollen Sinn für Gerechtigkeit und Fairness, den er noch nicht komplett durchschaut hatte. Aber seit sie beide sich bei Olorun, dem Vorstandsvorsitzenden der Geisterfirma der Orishas, verschuldet hatten, weil er ihnen das Leben gerettet hatte, war in Nneoma ein Wandel vorgegangen. Jetzt schien sie unersättlich zu sein. Gnadenlos. Sie brauchte die Geister nicht, aber sie verzehrte sie ständig. Fast schon aggressiv. Als würde sie mit der Jagd und dem High des Geisterkonsums etwas kaschieren, das sie ihm nicht preisgeben wollte.
»Wir sollten uns nicht der Langeweile ergeben«, gab Nneoma zurück.
Shigidi hob den Kopf und wunderte sich über die plötzliche Schärfe. »Langeweile?«
Aus den Augenwinkeln sah er, dass die tätowierte Frau, mit deren Starren alles angefangen hatte, gegangen war. Ihr Strandhandtuch lag zwar noch dort auf dem Sand, das rosa Flamingomuster war aber zerknüllt.
Sie sagte: »Ach, du weißt doch genau, was ich meine. Ich bin ein Sukkubus, du bist ein Albtraumgott im Ruhestand. Wir sind nun mal das Gegenteil von normal. Deshalb müssen wir Sachen machen, damit die Funken in unseren Geisterpartikeln weiter knistern. Aufregende Dinge.«
»Wir sind doch aufregend genug füreinander«, sagte Shigidi, doch innerlich war er davon gar nicht so überzeugt. Er hoffte auf ihre Zustimmung, aber sie blieb einfach im Sand sitzen, drückte den Rücken durch und warf das lange, geflochtene Haar über die Schulter. Also fügte er zögernd hinzu: »Oder nicht?«
»Ich mein ja nur, weil ich das schon viel länger mache als du, Liebling, und schließlich weiß ich, wie schnell man anfängt, sich zu langweilen, wenn man noch den größten Teil der Ewigkeit vor sich hat«, sagte sie. »Außerdem kann Langeweile leicht zu Besessenheit und Bindung und schlechten Entscheidungen führen.«
Er betrachtete den weißen Sand und spürte die sanfte Hitze der aufgehenden Sonne auf der dunklen Oberfläche seines vollkommen glatten Glatzkopfes. Dann antwortete er: »Anhänglichkeit muss nicht unbedingt etwas Schlechtes sein. Außerdem kann keine Langeweile aufkommen, wenn man die Ewigkeit mit jemandem verbringt, den man liebt.«
»Ja«, stimmte sie zu, »sicher. Solange es einigermaßen interessant bleibt. Und damit es interessant bleibt, muss man sich ständig verändern, oder nicht? Ich meine, denk mal an die Sache, die du am meisten in der Welt magst. Das, was du am liebsten tust.«
Unbewusst richtete sich sein Blick auf die Stelle, wo sich ihre Schenkel trafen. Sie erwischte ihn dabei und gab es mit einem Lachen kund.
»Sogar Sex. Stell dir Sex mit der gleichen Person bis in alle Ewigkeit vor. Gleichgültig, wie schön es ist oder wie gut man als Partner zusammenpasst. Aber sogar, wenn keiner von beiden altert oder sich verändert, beginnt es nach einer Weile zu langweilen. Vielleicht dauert es ein Jahr oder zwei oder zehn oder hundert, in manchen Fällen möglicherweise sogar tausend, falls man sehr kreativ ist, aber am Ende setzt dann doch die Ödnis ein. Solange man nicht Wege findet, den Sex zu variieren. Interessant zu gestalten. Jedes Mal wieder neu. Damit man immer etwas hat, auf das man sich freuen kann. Mehr sage ich ja gar nicht. Die Menschen bieten uns endlose Möglichkeiten und Spielarten an, wie wir uns mit ihnen vergnügen und dann ihre Geister gemeinsam verzehren können. Das macht Spaß. Das ist aufregend. Und außerdem interessant, oder?«
Zum dritten Mal präsentierte sie ihm eine Variante des immer gleichen Arguments, aber damit wich sie nur der eigentlichen Frage aus. Obwohl sie es gewesen war, die ihm den Zusammenschluss angeboten und so viel Energie darauf verwendet hatte, ihn zu ihrem Partner zu machen, hielt sie ihn emotional permanent auf Distanz. Zuerst war sie vor allem damit beschäftigt gewesen, ihm die Fähigkeiten beizubringen, die er für eine unabhängige Existenz als freiberuflicher Geist bei ihr brauchte. Und jetzt verwässerte sie ihre gemeinsame Zeit mit Verführung und Konsum. Sie waren freischaffende Geisterwesen und nicht in Zeitpläne und Zielvorgaben und Zwänge eingebunden, denen sich andere Gottheiten in Diensten der großen Geisterfirmen unterwerfen mussten, und trotzdem schien Nneoma wie besessen davon zu sein, jeden Tag ein oder zwei Geister zu verzehren, als wäre sie bei einer Geisterfirma angestellt und müsse ein unangemessen hohes Quartals- oder Jahresplansoll erfüllen.
»Ja klar, das macht Spaß, aber es raubt einem Paar auch die Zeit und den Raum, einfach nur ein Paar zu sein. Wir könnten doch füreinander interessant sein«, wandte er ein.
Sie verdrehte die Augen und winkte mit den langen, schlanken, manikürten Fingern, die wie kunsthandwerkliche Dolche wirkten, ab. »Dieses Gespräch führt zu nichts, Liebling. Wir müssen der Sache nicht mehr Gewicht einräumen, als sie hat. Also, möchtest du den Geist des Mädchens oder nicht?«
Shigidi schob das Kinn vor und kratzte sich am Kopf. Indem er ihr gestanden hatte, wie weit seine Liebe ging, so vermutete er, hatte er den Finger in eine offene Wunde ihrer Beziehung gelegt, auf ein tiefes Bedürfnis oder eine Angst oder etwas, mit dem sie sich nicht auseinandersetzen mochte. Anders konnte er ihr Verhalten nicht deuten. Sie war seinen Versuchen, mehr Zeit allein zu verbringen, ausgewichen und konzentrierte sich stattdessen obsessiv auf die Aufgaben, die sie erledigen mussten, um die Schulden bei Olorun zu begleichen, oder darauf, Geister zu verzehren, als könnte der Vorrat in Kürze zur Neige gehen.
»Liebst du mich, Nneoma?« Die Frage war heraus, ehe er sie sich verkneifen konnte.
Sie presste die Lippen aufeinander und sah ihn böse an, fast so, als sei sie wütend, weil er ihr eine Frage stellte, die sie nicht beantworten wollte. Er hielt ihrem Blick stand, allerdings wuchs in ihm die Angst, dass er sein Blatt überreizt hatte, indem er sie drängte, und dass sie einfach »Nein« sagen könnte, um die Kontrolle über die Situation zu behalten.
Die Wellen leckten weiter an...
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