Schweitzer Fachinformationen
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»Na los, spielen Sie schon den Doppel-Zweier, verehrter Dichter: Ein Mann Ihres Formats wird sich doch nicht lange bitten lassen«, sagte Pioquinto Manterola lächelnd.
Der Dichter sank in seinem Sessel zurück, nahm den Hut ab und trommelte mit den Fingern gegen den Schädel, als wollte er seinem Kopf den Rhythmus eines Liedes einhämmern, das nur er zu hören vermochte. In der anderen Hand drehte er den Doppel-Zweier, um ihn schließlich mit einer sanften Bewegung über den Marmortisch zu schieben.
»Da haben wir den Salat«, bemerkte der Anwalt Verdugo von der anderen Seite des Tisches und kippte - als wollte er unterstreichen, dass es bei dieser Spielrunde nichts mehr zu gewinnen gab - den Rest seines Tequilas in einem Zug hinunter. Er atmete tief durch und mit einem kaum vernehmlichen »Sie erlauben« genehmigte er sich auch den Rest aus dem Glas des Chinesen.
Der Chinese legte den 2-er/3-er an, wodurch Manterola nun im Besitz des letzten Spielsteins mit einer Drei war.
Siegesgewiss zog Manterola zwei Runden vor Ende des Spiels ein schmutziges Taschentuch aus der Jackentasche, schnäuzte sich geräuschvoll und störte damit die Konzentration der anderen.
Pioquinto Manterola, der Journalist, war noch keine 40 Jahre alt, auch wenn er manchmal aussah, als hätte er sie bereits weit überschritten. Die runde Brille auf der gewaltigen Hakennase, die frühzeitige Glatze mit dem Haarkranz, der unter der englischen Schirmmütze hervorkräuselte, und eine feine, verheilte Narbe, die, an den Rändern noch leicht gerötet, hinter dem linken Ohr begann und sich den Hals hinunterzog, verliehen ihm ein lebhaftes und vordergründig respektables Aussehen, das dem Betrachter einen zweiten Blick abnötigte.
»Ich passe«, sagte der Anwalt Verdugo.
»Das war's dann wohl, mein Lieber«, sagte Pioquinto Manterola und legte den 2-er/5-er.
Nach und nach erloschen die Lichter in der Bar des Hotels Majestic, in dieser etwas aufpoliert wirkenden, in Sachen Alkohol und Service aber ausgezeichneten Kneipe, die die Wechselfälle des Lebens in die im Herzen von Mexiko-Stadt gelegene Straße Madero Nr. 16 verschlagen hatte. Das letzte Klacken der Billardkugeln hallte durch den Raum. Bald war nur noch eine von der Decke hängende, von einem schwarzen Metallschirm umrahmte Glühbirne an, die jetzt ein schärfer konturiertes Licht auf den Tisch der vier Spieler zu werfen schien.
Der Dichter spielte den 5-er/1-er. Der Chinese Tomás Wong passte. Der Anwalt Verdugo setzte den Doppel-Einer und Manterola den 3-er/4-er.
»Zählen, ihr Versager«, sagte Pioquinto Manterola.
Tomás, der Chinese, stand auf und ging zum Tresen. Erwartungsvoll fixierte er eine einsame Flasche Habanero, die ihn vom Regal aus anlachte. Der Barmann folgte seinem Blick, nahm die Flasche und goss ihm einen kräftigen Schluck ein. Es war ein altes Spiel. In neun von zehn Fällen hatte Tomás Erfolg, vorausgesetzt ein Profi stand auf der anderen Seite des Tresens.
»26, schreiben Sie auf, Sie Zeilenschinder«, sagte der Dichter.
Die Steine tanzten erneut über die Marmorplatte, während der Barmann in prosaischer Weise mit einem schmutziggelben Tuch über den Tresen wischte, um dann nach hinten zu den jetzt leeren Billardtischen zu gehen und sie mit einem Leinentuch abzudecken. Die etwas lächerlich wirkende Kuckucksuhr mit ihrem Schweizer Häuschen und einem Vogel ohne Schnabel, schlug zwei Uhr.
Zwei Uhr, an einem Aprilmorgen des Jahres 1922 zum Beispiel.
Tomás, der Chinese, summte auf dem Weg zurück zu seinem Platz leise ein Lied vor sich hin:
O wundelschönes Tampico
paladiesischel Tlopenhafen
Glanz unseles Landes
wo immel ich bin, deinel weld' ich mich elinneln.
Und leise wiederholt er: »Deinel weld' ich mich elinneln.« Seit langem schon sang er dieses Lied, summte es leise, so sanft und leise, dass nur eine deutsche Hure (in einen vor dem Hintergrund des Meeres leicht im Wind wehenden rosa Tüllrock gekleidet), mit der er 1919 in Tuxpan ein paar Monate zusammengelebt hatte, es jemals vernommen hatte.
Der Dichter hatte aufgehört, die Steine zu mischen, und hob die Hände vom Tisch wie ein Koch, der gerade sein Lieblingsgericht zubereitet hat. Fermín Valencia war etwas über dreißig Jahre alt und ein Meter fünfundfünfzig groß. Er war in der Hafenstadt Gijón, Spanien, geboren. Doch seine Erinnerung an die Küste Asturiens war schattenhaft verschwommen, denn bereits im Alter von sechs Jahren war er mit seinem verwitweten Vater, der sich als Drucker in Chihuahua niederließ, nach Mexiko gekommen. Er war kurzsichtig und benötigte eigentlich eine Brille, die er aber so gut wie nie aufsetzte. Stattdessen trug er einen mächtigen Schnauzer, hohe Lederstiefel und ein rotes Halstuch, in Erinnerung an die Zeit zwischen 1913 und 1916, als er unter Pancho Villa in der Norddivision gekämpft hatte. Schwer zu sagen, woran man sich bei diesem Gesicht halten sollte, das manchmal einen kindlich-sanften Ausdruck annahm, manchmal vor Wut erstarrt schien. Schwer auch, Scherz von Bitterkeit, und noch schwerer, den sanftmütigen Jüngling von dem zornigen und scharfzüngigen erwachsenen Mann zu unterscheiden. Etwas im Inneren des Dichters war zerbrochen. Das einzig Konstante war sein Lächeln. Ein Lächeln, das entsprechend dem Auf und Ab des Lebens und den Launen seines Körpers völlig verschiedene Dinge auszudrücken vermochte.
Pioquinto Manterola streckte die Füße unter dem Tisch aus, lehnte sich, die Hände im Nacken verschränkt, zurück und sagte:
»Sie scheinen heute nicht Ihren besten Tag erwischt zu haben, Anwalt.«
»Warten wir's ab, Zeilenschinder«, entgegnete Verdugo trocken.
Der Chinese setzte sich wieder an den Tisch, sammelte seine Steine ein, baute sie liebevoll in einer Reihe vor sich auf und schob sie mehrmals hin und her, bis er zufrieden war.
Zwei Frauen betraten das Lokal, beide leicht, aber geschmackvoll gekleidet. Doch irgendetwas in ihrer Gestik verriet, dass die zur Schau getragene professionelle Eleganz Blendwerk war.
»Man verlangt nach Ihnen, Anwalt«, bemerkte der Barmann.
Verdugo erhob sich behände von seinem Stuhl und setzte den breitkrempigen Hut auf das rebellische Haar. Er lächelte seinen Mitspielern zu.
»Meine Herren, die Arbeit ruft. Ich muss mein Büro für ein paar Minuten öffnen.«
Seine drei Gefährten beobachteten, wie er sich ein paar Schritte entfernte, die Frauen begrüßte und sie mit galanter Geste zu einem nahe gelegenen Tisch begleitete. Wie von magischer Hand entzündet, leuchtete über dem Tisch die Lampe auf. Die Profis unter den Barmännern wie Eustaquio kannten die Laster und Gewohnheiten ihrer Stammkunden. Drei Tische von den Spielern entfernt, schnippste der Anwalt Verdugo im Kegel des neuen Lichtscheins mit einem leichten, kaum wahrnehmbaren Schlag seines Zeigefingers gegen die Krempe den Hut nach hinten und schickte sich an zuzuhören. Der Barmann nutzte die Unterbrechung und näherte sich dem Spieltisch mit zwei Gläsern und einer Flasche Habanero.
»Herr Ober, wären Sie so liebenswürdig, Ihre Finger nicht in die Gläser zu stecken. Beachten Sie doch bitte die Hygiene«, sagte der Dichter. Eustaquio ignorierte die Bemerkung in olympischem Gleichmut und goss den Likör in die schmutzigen Gläser.
»Womit ist unser Freund denn gerade beschäftigt?«, fragte Manterola die anderen.
»Gestern hörte ich, wie er jemandem erzählte, dass er für die Damen der Nacht eine Petition an den Bezirksgouverneur entwerfe. Stand heute auch in Ihrer Zeitung. Haben Sie den Artikel denn nicht gelesen?«
»Um ehrlich zu sein, nein. In letzter Zeit lese ich nicht mal mehr mein eigenes Zeug.«
»Scheint so, als wollten sie den Rotlichtbezirk nach La Bolsa verlegen. Die Damen und Puffmütter der Straßen Daniel Ruiz, Cuauhtemotzin und Netzahualcóyotl und der Vögelchen-Gasse sind davon wenig begeistert. Unserem Freund Verdugo zufolge behaupten die Damen der Nacht, die Gegend dort sei zu gefährlich. Es gibt dort keine Polizei, keine Kanalisation. Ich glaube, sie werden in Ihren Stadtteil ziehen.«
»Nach Santa María?«
»Genau.«
»Wäre nicht schlecht, sie wären eine bessere Nachbarschaft als so manche Gauner, die jetzt da rumstrolchen«, erwiderte Manterola.
Der Chinese betrachtete seine Mitspieler mit einem abwesenden Gesichtsausdruck. Es war offensichtlich, dass er nicht bei der Sache war, dass er die Pause für eine Reise zu einem anderen Ort genutzt hatte, einem Ort, den er mit seinen...
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