Schweitzer Fachinformationen
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Sal
Februar, jetzt
Juniper, Kalifornien
Es ist 6:37 morgens und mein Vater will nicht, dass ich mitkriege, wie betrunken er ist.
»Sal? Hörst du mir zu?«
Er nennt mich Sal statt Salahudin, um sein Lallen zu überspielen. Umklammert das Lenkrad unseres Civic, als könne das Auto ihm die Brieftasche klauen und damit abhauen.
Im tintenschwarzen Morgen erkenne ich von Abus Augen nur die dicken viereckigen Brillengläser, in denen sich die Rücklichter des auf die Schule zusteuernden Verkehrs spiegeln. Er trägt diese Brille schon so ewig, dass sie mittlerweile wieder modern ist. Ein Heuler aus der Mojave-Wüste rüttelt den Wagen durch - einer dieser Wüstenwinde, die einem drei Tage lang durch die Haut toben und sämtliche Hohlräume im Hirn besiedeln. Ich verkrieche mich in meinen Fleecepulli, vor meinem Mund bilden sich Atemwolken.
»Ich werde da sein«, verspricht Abu. »Mach dir keine Sorgen. Okay, Sal?«
Aus seinem Mund klingt die Kurzform meines Namens voll daneben. Als wolle er mir damit das Gefühl geben, er sei mein Freund und nicht das Wrack, das sich als mein Vater ausgibt.
Wäre Ama hier, würde sie sich räuspern und deutlich »Sa-lah-ud-din« sagen, die präzise Betonung eine dezente Erinnerung daran, dass sie mich nach einem berühmten muslimischen General benannt hat, was ich besser nicht vergessen sollte.
»Das hast du beim letzten Termin auch behauptet«, erkläre ich Abu.
»Dr. Rothman hat gestern Abend angerufen und mich noch einmal daran erinnert«, sagt Abu. »Du brauchst nicht dabei zu sein, falls du - Schreibclub hast oder Fußball.«
»Die Fußballsaison ist vorbei. Und bei der Zeitung hab ich schon letztes Halbjahr aufgehört. Und ich werde bei dem Termin dabei sein. Jemand muss Dr. Rothman sagen, dass Ama nicht auf sich aufpasst - und zwar möglichst in einem zusammenhängenden Satz.« Ich beobachte, wie ihn die Worte wie spitze kleine Steine treffen.
Abu lenkt den Wagen zur Bordsteinkante der Juniper High. Aus dem Schatten von Block C taucht ein in einem Parka vergrabener blondierter Kopf auf. Ashlee. Sie schlendert um den Fahnenmast und durch die Schülergruppen auf den Civic zu. Der blasse Streifen Bein ist angesichts der minus sechs Grad mutig.
Und lenkt mich ab.
Ashlee ist nun nahe genug am Wagen, dass mir ihr lila Nagellack auffällt. Abu hat sie noch nicht entdeckt. Er und Ama haben mir nie verboten, eine Freundin zu haben. Aber so wie Giraffen von Geburt an wissen, wie sie rennen müssen, kam ich mit dem angeborenen Wissen auf die Welt, dass es VERBOTEN ist, eine Freundin zu haben, solange ich bei meinen Eltern lebe.
Abu presst sich die Finger auf die Augen. Die Brille hat eine glänzende rote Druckstelle auf seiner Nase hinterlassen. Er hat die letzte Nacht damit im Fernsehsessel geschlafen. Ama hat es vor Müdigkeit nicht mitbekommen.
Oder wollte es nicht mitbekommen.
»Putar -« Sohn.
Ashlee klopft an die Scheibe. Der Reißverschluss ihres Parkas ist weit genug heruntergezogen, dass man das knappe WELCOME-TO-TATOOINE-Shirt darunter sieht. Ihr muss so was von kalt sein.
Vor zwei Jahren wären Abus Augenbrauen in seinen Haaren gewesen. Er hätte gefragt: »Wer ist das, Putar?« Dass er schweigt, ist brutaler; es fühlt sich an, als würde Glas in meinem Kopf zerbrechen.
»Wie willst du ins Krankenhaus kommen?«, erkundigt sich Abu. »Soll ich dich abholen?«
»Bring einfach Ama hin«, antworte ich. »Ich finde jemanden, der mich hinfährt.«
»Okay, aber schreib mir, falls -«
»Mein Handy funktioniert nicht.« Weil man die Telefongesellschaft bezahlen muss, Abu. Die eine Sache, für die er verantwortlich ist, und nicht mal die kriegt er auf die Reihe. Normalerweise brütet Ama über dem Rechnungsstapel und bittet den Stromversorger, das Krankenhaus und die Kabelgesellschaft um Ratenzahlung. Und brummt »Ullu de Pathay« - Eulensöhne -, wenn sie ablehnen.
Als ich mich zu ihm hinüberbeuge und schnuppere, kommt es mir fast hoch. Er riecht, als habe er in Old-Crow-Whiskey gebadet und dann noch was davon als Aftershave aufgetragen.
»Wir sehen uns um drei«, sage ich. »Geh duschen, bevor sie aufwacht. Sonst riecht sie es.«
Keiner von uns spricht aus, dass es auch keinen Unterschied mehr macht. Selbst wenn Ama den Schnaps riecht, würde sie nie ein Wort darüber verlieren. Ich nehme mein zerfleddertes Tagebuch, das mir aus der Hosentasche gerutscht ist, und bin aus dem Wagen, bevor Abu etwas erwidern kann. Ich schlage die Tür zu, die Kälte lässt meine Augen tränen.
Ashlee schiebt sich unter meinen Arm. Atmen. Fünf Sekunden einatmen. Sieben Sekunden ausatmen. Falls sie die Anspannung in meinem Körper spürt, lässt sie sich nichts anmerken.
»Mir ist kalt.« Ashlee zieht mich für einen Kuss an sich, ich habe den Aschegeruch ihrer Morgenzigarette in der Nase. Fünf Sekunden ein. Sieben Sekunden aus. Autos hupen. Ein Stück weiter fällt mit einem dumpfen Schlag eine Autotür zu, und einen Moment lang denke ich, es ist Abu. Ich mache mich auf einen missbilligenden Kommentar gefasst.
Zeig ein bisschen Tamiz, Putar. Ich sehe die Szene in Gedanken vor mir. Ich wünsche sie mir.
Doch als ich mich von Ashlee löse, blinkt der Civic gerade und mein Vater ordnet sich in den Verkehr ein.
Wäre Noor hier und nicht Ashlee, hätte sie mich von der Seite gemustert und mir ihr Handy gegeben. Andere wären froh, wenn sie einen Vater hätten, Idiot. Ruf ihn an und hol dir deinen Anschiss.
Aber sie ist nicht da. Noor und ich haben seit Monaten nicht mehr miteinander geredet.
Ashlee schiebt mich Richtung Schulgelände und fängt an, von ihrer zweijährigen Tochter Kaya zu erzählen. Ihre Worte verschwimmen ineinander, ihr glasiger Blick erinnert mich an Abu am Ende eines langen Tages.
Ich löse mich von ihr. Ich habe Ashlee in der Elften kennengelernt, damals, als es mit Amas Krankheit anfing, und ich fast alle Honor-Kurse gestrichen und nur noch das Pflichtpensum belegt habe. Nach dem Streit mit Noor war ich letzten Herbst viel allein. Ich hätte mit den Jungs von der Fußballmannschaft abhängen können, aber ich habe es gehasst, wie sie mit Wörtern wie »Windelkopf« und »Schlampe« und »Apu« (wie der Typ aus den Simpsons) um sich geworfen haben.
Ashlee hatte sich gerade von ihrer Freundin getrennt und kam zu meinen Spielen, hinterher wartete sie in ihrem alten schwarzen Mustang mit der knallroten Kühlerhaube auf mich. Wir haben gequatscht. Und irgendwann hat sie mich überraschenderweise nach einem Date gefragt.
Ich wusste, dass es eine Katastrophe würde. Aber zumindest eine, die ich mir ausgesucht hatte.
Obwohl wir erst seit zwei Monaten zusammen sind, bezeichnet sie mich als ihren Boyfriend. Ich habe drei Wochen gebraucht, bis ich mich endlich getraut habe, sie zu küssen. Wenn sie nicht high ist, lachen wir und reden über Star Wars oder Saga oder diese Serie Crown of Fates, auf die wir beide stehen. Dann denke ich nicht so viel über Ama nach. Oder das Motel. Oder Noor.
»MRMALIK.« Principal Ernst, ein Bowlingkegel von einem Mann, dessen Nase wie eine zermatschte Aubergine aussieht, taucht zwischen den Schülerschlangen auf, die auf dem Weg zum Unterricht sind.
Hinter ihm steht Security Officer Derek Higgins, aka Darth Derek; so wird er genannt, weil er ein autoritärer Vollidiot ist, der durch die Juniper High stolziert, als wäre sie sein höchstpersönlicher Star Destroyer.
Ashlee kommt mit einem finsteren Blick des Direktors davon, doch ich kriege einen knochigen Finger in den Oberkörper gebohrt, weil es schon das zweite Mal diese Woche ist, dass ich ihn angepisst habe. »Sie sind dem Unterricht ferngeblieben. Das war's. Beim nächsten Zuspätkommen heißt es Nachsitzen. Erste und einzige Warnung.«
Fassen Sie mich nicht an, möchte ich sagen. Aber dann würde sich Darth Derek einmischen und auf einen Schlagstock im Gesicht kann ich echt verzichten.
Als Ernst weitergeht, streckt Ashlee wieder die Hand nach mir aus. Ich schiebe die Hände in die Taschen meines Hoodies. Als ich statt Haut Baumwolle spüre, lässt die Verspanntheit in meinem Oberkörper nach. Ich werde später darüber schreiben. Ich versuche, mir das Knacken vorzustellen, wenn ich mein Tagebuch aufschlage, das gleichmäßige, vorhersehbare Kratzen meines Stifts auf dem Papier.
»Zieh nicht so ein Gesicht«, sagt Ashlee.
»Wie?«
»Als wärst du lieber woanders.«
Um nicht lügen zu müssen, reagiere ich ausweichend. »Hey - ähm, ich muss mal aufs Klo«, erkläre ich ihr. »Wir sehen uns später.«
»Ich warte auf dich.«
»Nee, lass mal.« Ich bin schon am Gehen. »Ich will nicht, dass du Stress mit Ernst bekommst.«
Die Juniper High ist riesig, aber keine dieser Hochglanz-Highschools aus dem Fernsehen. Sie besteht aus mehreren langen Betonblöcken mit jeweils einer Tür am Ende, dazwischen ist einfach blanke Erde. Die Sporthalle sieht wie ein Flughafenhangar aus. Alles ist staubig und sandgestrahlt weiß. Das einzig Grüne hier sind unser Maskottchen - ein plumper Rennkuckuck auf der Wand neben dem Sekretariat - und Klowände in der Farbe von Gänsekacke, das sagt Noor jedenfalls.
Die Toilette ist leer, aber ich verschwinde trotzdem in eine Kabine. Ob...
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