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Aber es war zu spät.
»Und nun«, kündete eine Stimme an, »einen kräftigen Applaus für Terry!«
Alle Augen im Raum waren auf mich gerichtet. Ich fing an, ins Mikrofon zu sprechen, und spürte zugleich, wie meine Stimme schwankte. Dann dachte ich an das Publikum, das nun hörte, wie meine Stimme schwankte, was meine Stimme nur noch schwankender machte. Ich gab mir Mühe, den Zettel mit meiner Rede ruhig zu halten, doch meine Hände zitterten. Ich dachte daran, dass das Publikum meine Hände zittern sah, was sie nur noch zittriger machte.
Für einen Augenblick fühlte es sich an, als hätte ich meinen Körper verlassen - ich schwebte über mir und sah auf mich hinab, wie ich stotterte und zitterte. Mein Mund bewegte sich zwar, doch hören konnte ich nur die Stimme des Zweifels in meinem Kopf:
Sie können sehen, dass du nervös bist.
Du wirst es versauen und dich blamieren.
Bitte, lass es einfach schnell vorübergehen.
So gestresst, wie ich war, müssen Sie annehmen, dass ich vor einer großen Menschenmenge eine bedeutende Rede hielt. Weit gefehlt. Ich befand mich in einer Karaoke-Bar und war umgeben von meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern - Kolleginnen und Kollegen aus dem Weißen Haus, in dem ich als Redenschreiber für Präsident Barack Obama arbeitete.
Wir waren auf einer Dienstreise im japanischen Yokohama angekommen, und nach einer Woche äußerst strapaziöser internationaler Reisen wollten wir uns an diesem Abend entspannen. Ich kannte mein Publikum. Sie waren meine Freunde. Ich sprach von meinem Platz aus und musste nicht einmal aufstehen.
Eigentlich hielt ich ja nicht einmal eine Rede (und sang auch kein Karaoke). Ich hatte einen albernen kleinen Sketch auf Obama und andere Staats- und Regierungschefs verfasst, die sich bemühten, die Weltwirtschaft wie ein Autowrack aus dem Graben zu ziehen - eine Parodie auf eine Geschichte, die Obama zu Hause im Wahlkampf immer gern erzählte. Mit anderen Worten: Es war keine große Sache. Es war ganz egal, ob mein Text ankam oder durchfiel, was meine Nervosität umso frustrierender machte.
Warum passierte mir das?
Tief in meinem Innern wusste ich, warum. Obwohl ich beinahe mein gesamtes Erwachsenenleben ein professioneller Redenschreiber gewesen bin, fühlte ich mich, wenn ich selbst in der Öffentlichkeit sprach, fast immer unwohl. Ich konnte eine Rede schreiben, es offenbar aber nicht aushalten, eine Rede zu halten.
Dabei war es keineswegs so, dass ich das Reden in der Öffentlichkeit grundsätzlich vermied. In der Regel konnte ich zu einer kleineren Gruppe sprechen oder die Trauerrede bei einer Beerdigung im Familienkreis übernehmen. Manchmal gelang mir das sogar ganz gut. Meist jedoch ließ mich schon die Vorstellung, zu einer Gruppe von Menschen zu sprechen, vor Angst erstarren. Und deshalb blieb ich den Großteil meines Lebens dort, wo ich mich sicher fühlte - hinter den Kulissen, als Verfasser von Reden anderer.
Aber ich zahlte dafür einen Preis.
Ich verbrachte so viele Jahre damit, Barack Obama und anderen zu helfen, in ihrer Stimme zu sprechen, dass ich mit der Zeit meine eigene verlor. Ich brachte Rednern bei, wie sie ihre Geschichten erzählen sollten, doch die Vorstellung, meine eigene zu teilen, rief Übelkeit in mir hervor. Ich konnte Redeentwürfe für Obama erstellen, den sogar Kritiker für einen der weltbesten Redner halten, war aber beim Vortragen eines belanglosen Sketchs überfordert.
Irgendwie überstand ich den Abend in dieser Bar, auch wenn ich nur undeutliche Erinnerungen daran habe. Meine Kolleginnen und Kollegen lachten und applaudierten. Auf dem Heimweg zum Hotel durch die leeren Straßen einer unbekannten Stadt kam ich mir hilflos vor.
Es schien, als könnte ich nur darauf hoffen, dass die Angst vor dem öffentlichen Reden mit der Zeit nachlassen würde.
Was sie aber nicht tat.
Nach Barack Obamas Präsidentschaft verließ ich das Weiße Haus und versuchte, mich häufiger einem Publikum zu stellen - ich gab Interviews und sprach vor kleinen Klassen von Studierenden. Manchmal lief es gut. In anderen Fällen nicht so wirklich.
Einmal, während eines live ausgestrahlten Fernsehinterviews, verspannte ich mich, fing plötzlich an, über meine Worte zu stolpern, und hörte schließlich ganz auf zu sprechen. Ich erstarrte. Dankenswerterweise beendete der Interviewer das Gespräch damit, und ich verließ, peinlich berührt, das Studio.
Bei einer anderen Gelegenheit - einer Online-Videokonferenz mit jungen ausländischen Politaktivisten - trocknete mein Mund während meiner Präsentation vollständig aus, und ich wurde von einem Hustenanfall geschüttelt. Der Veranstalter schaltete mich auf stumm, während ich mich auf ein Glas Wasser stürzte und versuchte, meine Gedanken neu zu sammeln.
Eines Abends, bei einem vertrauten Abendessen mit Kolleginnen und Kollegen, ergriff jeder nacheinander am Tisch das Wort und brachte einen Toast aus, bis sie mich ansahen, da ich an der Reihe war. Ich brachte den Mut nicht auf. Ich saß einfach da und blickte auf meinen Teller hinab. Nach einigen Sekunden unangenehmer Stille begannen die Gespräche wieder, und ich spielte den Rest des Abends diese Szene immer wieder vor meinem inneren Augen ab.
Offensichtlich war ich nicht für das öffentliche Reden gemacht. Nicht einmal in einem privaten Rahmen.
Im Laufe der Zeit versuchte ich daher, diesen Situationen aus dem Weg zu gehen. Lud mich jemand ein, vor einer Gruppe über die Arbeit im Weißen Haus zu sprechen, erfand ich eine Ausrede, weshalb ich es leider nicht einrichten konnte. Bei Abendessen sah ich schweigend zu, wie andere einen Toast ausbrachten und alle ihre Gläser hoben. Ich fühlte mich wohler damit, nichts zu sagen.
Doch dann zwang ein unerwarteter Telefonanruf mich eines Tages dazu, mich meinen Ängsten zu stellen.
»Hallo, hier spricht Antti Mustakallio«, sagte die Stimme am anderen Ende der Leitung in einem knackigen nordischen Akzent. Er sei einer der wenigen Redenschreiber in Finnland, erklärte er.
»Ich habe gehört, Sie halten viele Reden darüber, wie man Reden hält!?«, wollte er wissen.
»Oh ja, absolut«, erklärte ich und legte so viel falsche Zuversicht in meine Stimme, wie ich nur konnte. »Ich liebe es.«
Antti Mustakallio schlug mir vor, gegen Ende des Jahres in seine Heimatstadt Hämeenlinna zu kommen. Ein paar Hundert Kilometer südlich des Polarkreises. Im November.
»Ich möchte Sie einladen, als Gastredner die Keynote-Speech zu halten, und zwar darüber, wie man eine Rede hält. Sie hätten die Bühne für sich und ein Publikum von dreihundert Zuhörern.«
Fast hätte ich aufgelegt. Antti redete weiter, ich hörte aber kaum mehr zu. Szenen meines früheren Versagens zuckten mir durch den Kopf.
»Ich denke darüber nach«, erklärte ich, ohne die Absicht zu haben, darüber nachzudenken.
Doch in den folgenden Tagen . begann ich, darüber nachzudenken. Ich war Ende vierzig. Hier bot sich mir eine einmalige Gelegenheit, die ich verpassen würde, sollte ich meinen Ängsten weiterhin nachgeben. Wie viele weitere Erfahrungen würde ich mir entgehen lassen - um es dann später zu bereuen? Würde ich mich den Rest meines Lebens vor dem Reden in der Öffentlichkeit verstecken? Außerdem: Was konnte im schlimmsten Fall passieren? Sollte ich versagen, würde das zu Hause niemand je erfahren. Es würde in Finnland passieren. Im November.
Vielleicht könnte ich es ja doch schaffen. Vielleicht wäre es dieses Mal anders. Vielleicht könnte ich versuchen, mir all das in Erinnerung zu rufen, was ich als Redenschreiber, unter anderem für Präsident Obama, gelernt hatte, und diese Lehren beim Verfassen und Vortragen einer Rede für mich selbst nutzen?
Glücklicherweise hatte ich jede Menge gelernt.
Ich hatte das Privileg, während der gesamten acht Jahre seiner Präsidentschaft für Barack Obama schreiben zu dürfen. Das war die anregendste und erhebendste, manchmal aber auch die anstrengendste und beängstigendste Erfahrung meines Berufslebens. Ich lernte jeden ...
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