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Das Gatter war hoch und schien Malin unüberwindbar. Sie musste sich auf die Zehenspitzen stellen, sich ganz groß machen, um einen Blick auf die Ponys in dem matschigen Auslauf erhaschen zu können.
Heute Morgen beim Frühstück hatte sie mit angehört, wie sich ihre Eltern über die Ponys vom Klünderhof unterhielten. Ihre Mutter hatte die Zustände dort als Schande bezeichnet, und ihr Vater hatte zustimmend genickt und gemeint, dass es gut sei, dass der Amtstierarzt im Zuge der Zwangsversteigerung des Hofes auch endlich die armen Ponys beschlagnahmt hatte.
Malin verstand nicht so richtig, was sie damit meinten und warum sie sich darüber so aufregten. Dass die armen Ponys sich bestimmt freuten, diesem Elend zu entkommen, konnte sie auch nicht feststellen. Sie tobten vergnügt im Auslauf miteinander herum.
Malin hätte ihnen zu gerne noch länger beim Spielen zugesehen, doch ihr Vater drängte zum Aufbruch. Er hatte die kleine Kehrmaschine, derentwegen sie hierhergekommen waren, ersteigert und wollte nun zurück nach Hause fahren.
»Nur noch einen kleinen Moment«, bettelte Malin.
»Was gibt es denn da Spannendes zu sehen?«, fragte ihr Vater ungeduldig.
»Ponys, ganz viele süße Ponys. Aber am süßesten von allen ist das Braune mit dem weißen Fleck auf der Stirn. Schau doch mal, Papa, wie niedlich es guckt«, schwärmte Malin.
»Kind, komm da weg«, befahl ihr Vater. »Das ist gefährlich.«
Erschrocken wich Malin vom Gatter zurück und sah ihren Vater mit großen Augen an.
»Warum?«
So besorgt, wie ihr Vater guckte, rechnete sie fest mit seiner Vermutung, dass sich keine Ponys hinter dem Gatter befanden, sondern Löwen, Tiger oder vielleicht sogar Monster.
Doch ihr Vater seufzte nur tief und erklärte: »Die haben bestimmt alle miteinander irgendwelche Krankheiten, und ich möchte nicht, dass wir irgendetwas davon mit in unseren Stall schleppen.«
Malin begriff auch jetzt nicht, was er meinte, denn krank sah für sie keines der Ponys aus und erst recht nicht das süßeste von allen, der Braune mit dem weißen Fleck. Das wollte sie ihrem Vater auch so sagen. Doch er ließ ihr keine Chance, drängte stattdessen erneut zum Aufbruch.
Malin wollte so gerne noch bleiben. Aber sie war ja nur ein sechsjähriges Mädchen, dem die Pferde ihres Vaters manchmal nicht ganz geheuer vorkamen mit ihren großen Köpfen und flinken Hufen. Doch in dieses braune Pony, welches ihr gerade zugeblinzelt hatte, hatte sie sich auf Anhieb verliebt.
Es sollte jedoch noch fast zwei Wochen dauern, bis Malin das nächste Mal mit leicht zittrigen Knien am Gatter stand, zwei Zuckerstückchen und eine große Möhre in den Taschen. Ihr Herz hämmerte so laut, dass sie sich sicher war, die Ponys auf der anderen Seite könnten es hören.
»Und, siehst du es?«, fragte ihr Vater. »Ist es noch da, oder hat es bereits ein neues und hoffentlich besseres Zuhause gefunden?«
Malin zuckte erschrocken zusammen. Nein, das durfte nicht sein. Jetzt hatte sie Tag für Tag von nichts anderem als dem Pony geredet, gebettelt und gefleht, immer wieder erklärt, dass sie ohne das Braune mit dem weißen Fleck bestimmt nicht mehr leben könnte, und endlich hatte ihr Vater zugestimmt, es sich wenigstens noch einmal anzugucken - und jetzt war ihnen jemand anders zuvorgekommen?
Malin spürte, wie ihr die Tränen in die Augen stiegen, während sie fieberhaft den rumpligen Auslauf absuchte. Doch von dem Braunen keine Spur. Ihr Pony war nicht mehr da.
»Es . es ist weg«, schniefte sie todtraurig.
Ihr Vater tätschelte ihr tröstend den Kopf. »Magst du ein anderes von ihnen? Was ist zum Beispiel mit dem kleinen Schimmel dort hinten bei den alten Reifen? Das sieht doch nett aus. Und laut Amtstierarzt sind sie zum Glück alle gesund. Wovon ja fast nicht auszugehen war.«
Malin schüttelte den Kopf. »Nein, ich will nicht. Ich will kein anderes Pony .«
Enttäuscht wollte sie sich gerade vom Gatter abwenden, als sie ein leises Wiehern vernahm. Unter einer Plane, die den Ponys wohl als Unterstand dienen sollte, aber inzwischen so tief abgesackt war, dass höchstens ein Schäferhund drunterpasste, lugte der Kopf des braunen Ponys mit dem weißen Fleck hervor.
»Da!«, rief Malin aufgeregt. »Papa, da ist es!«
Von diesem Moment an waren Malin und ihr Pony Cleo unzertrennlich. Er war ihr bester Freund, ihr Seelenverwandter, ihr Ein und Alles, ihre große Liebe. Daran änderte sich auch nichts, als Malin viel zu lange Beine bekommen hatte, um auf Cleo zu reiten, und zur Freude ihres Vaters aufs Großpferd umgesattelt hatte.
Eines ihrer Lieblingspferde war die Fuchsstute Delaya, ein vielversprechendes Dressurtalent, das laut Malins Vater unbedingt aufs große Viereck gehörte. Doch so talentiert sie auch war, so zickig zeigte sie sich im Umgang und vor allem in der Herde mit den anderen Stuten. Einzig den kleinen Cleo duldete sie an ihrer Seite, und so wurde er zu ihrem ständigen Weide- und Paddockpartner.
Das passte gut, denn so war es Malin möglich, Cleo als Handpferd mitzunehmen, wenn sie mit Delaya ins Gelände ging.
Es geschah an einem Nachmittag im Oktober, eine Woche vor Malins sechzehntem Geburtstag. Nach tagelangem Dauerregen hatte sich der Himmel endlich mal wieder etwas aufgehellt. Malin wollte die Regenpause nutzen und gleich, nachdem sie aus der Schule gekommen war, mit Delaya und Cleo einen Ausritt zum Waldsee machen.
Trotz des eisigen Windes schnaubte Delaya zufrieden und trabte gemächlich den Weg entlang, Cleo trippelte artig neben ihr her. Malin lenkte die Stute und Cleo vorsichtig über einen kleinen Hügel hinweg, dann hatten sie eine Lichtung erreicht. Der Wind pfiff hier noch kräftiger durch die Bäume, sodass sie sich bedrohlich hin und her bogen. Malin schien es eine Ewigkeit her zu sein, dass das Gras auf der Lichtung grün und weich gewesen war. Jetzt war alles verrottet und der Boden von matschigen Stellen übersät.
Die Kälte kroch ihr in die Knochen. Keine gute Idee von ihr, ins Gelände zu gehen, dämmerte ihr allmählich. Zumal es jetzt auch schon wieder zu regnen anfing.
»Ich glaub, wir reiten lieber wieder zurück«, beschloss sie und wendete Delaya, die nun wie ausgewechselt schien. War sie auf dem Hinweg noch entspannt dahingetrabt, so scharrte sie jetzt vor Ungeduld mit dem Huf. Malin hatte Mühe, sie unter Kontrolle zu bringen, hielt die Zügel kurz und presste die Knie gegen ihren Körper. Gleichzeitig versuchte sie, Cleo, der sich allmählich von Delayas Anspannung anstecken ließ, am Führstrick in Schach zu halten. Delaya kämpfte mit zurückgelegten Ohren gegen Malins Paraden an und wollte sich seitwärts herauswinden. Es erforderte Malins ganze Kraft, sie daran zu hindern, schon im engen Dickicht des Waldes loszustürmen.
Als sie schließlich den Abhang hinter sich gebracht und den weichen, sandigen Waldweg erreicht hatten, war Malin einen kurzen Moment unachtsam. Delaya warf sich nach vorne, riss ihr dabei die Zügel aus den Händen und galoppierte aus dem Stand los. Das alles geschah so schnell, dass Malin auch Cleos Führstrick durch die Finger glitt.
Während Delaya im gestreckten Galopp den Weg entlangpreschte, nahm Malin aus dem Augenwinkel wahr, dass Cleo ihnen folgte. Doch schon bald wurde der Abstand zwischen durchgehendem Pferd und hinterhergaloppierendem Pony immer größer und größer.
So jagten sie auf eine Weggabelung zu. Malin versuchte erneut, das Tempo zu drosseln. Sie richtete sich auf, lehnte sich weit im Sattel zurück und zog mit aller Kraft an den Zügeln. Doch Delaya reagierte nicht. Sie lief wie von Sinnen weiter. Hilflos musste Malin mit ansehen, wie sie sich der Weggabelung näherten.
Sie kann bei diesem Tempo nicht wenden, schoss es ihr panisch durch den Kopf. Sie wird das Gleichgewicht verlieren und stürzen.
Panik breitete sich in Malin aus. Sie war wie gelähmt, konnte nur noch darauf warten, dass sich die Stute im letzten Moment herumwarf und sie selbst abgeworfen wurde.
Schließlich hatten sie die Gabelung erreicht. Malin glaubte schon, dass Delaya den Weg verlassen und geradeaus mitten ins Dickicht preschen würde, da warf sie sich mit einer solchen Heftigkeit nach rechts, dass Malin aus dem Sattel flog.
Wie durch ein Wunder landete sie auf ihren beiden Füßen und schaffte es sogar, Delayas Zügel festzuhalten. Die Stute war wohl selbst so perplex, dass sie abrupt stehen blieb.
Das alles hatte nur einen Bruchteil von Sekunden gedauert, aber es hatte ausgereicht, damit Delaya endlich wieder zur Besinnung kam. Ganz verwirrt, heftig schnaufend und mit hängendem Kopf stand sie da und ließ sich von Malin beruhigend die schweißnasse Brust klopfen.
»Ganz ruhig, Delaya, alles ist gut. Ganz ruhig«, redete Malin auf das Pferd ein, während ihr von einem auf den anderen Moment alle Farbe aus dem Gesicht wich. Malins Magen verkrampfte sich, Übelkeit stieg in ihr auf. Erst jetzt wurde ihr so richtig klar, wie schlimm es für sie hätte enden können.
Zitternd atmete sie durch.
Von Cleo war noch immer nichts zu sehen. Womöglich hatte er den direkten Weg genommen und war quer durchs Unterholz zurück zum Hof galoppiert. Sorgen musste sie sich seinetwegen bestimmt nicht machen, dessen war Malin sich sicher, als sie ihren Fuß in den Steigbügel stellte und sich zurück in Delayas Sattel schwang.
Der Gesichtsausdruck ihrer Mutter hätte sie vorwarnen müssen. Doch Malin nahm an, dass sie sich ihretwegen mal wieder Sorgen gemacht hatte. Dass Cleo allein auf den Hof zurückgaloppiert kam, ließ ja wahrhaftig nichts Gutes vermuten.
»Wo ist Cleo? Schon in...
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