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Der frenetische Beifall rettet mich. Ich verbeuge mich, tiefer als sonst, damit keiner sieht, wie ich die Tränen wegwische. Wie unter einem hypnotischen Zwang wandern meine Augen wieder zu diesem Mann. Sein Blick wird für einen winzigen Moment warm und weich, bevor er verunsichert zu Boden schaut.
Plötzlich werde ich wütend. Tessa, so geht das nicht, verdammt!
Fast spreche ich die Worte tatsächlich aus, zum Glück bleiben sie aber doch nur in meinem Kopf. Entschiedenheit, darum geht es. Klare Abgrenzung. Ich strecke mich, nehme die Energie auf, die von den Menschen im Publikum ausgeht. Ich bin deren Zentrum, sie sind hier, damit ich für sie alle singe.
Simon beugt sich zu mir herüber. »Du bist phänomenal«, flüstert er.
Das hat er während eines Konzertes noch nie getan. Ist er tatsächlich überwältigt, oder will er mich nur aufmuntern?
Das letzte Stück des Abends steht an. Die Musiker konzentrieren sich, positionieren sich und ihre Instrumente. Ich nicke Simon zu, vielleicht ein wenig zu intensiv, er zuckt zusammen. Aber ich will weg von den Gefühlen zu einem Wildfremden, der sich den besten Platz in der ersten Reihe gekauft hat, offenbar mit der Absicht, mir das Leben schwerzumachen. Er ist ein Dieb meiner inneren Ruhe.
Mit seinem Taktstock macht Simon sanft schwingende Bewegungen, als wollte er sagen: »Entspann dich, alles gut, Tessa.«
Die Musik beginnt, ich lasse mich treiben. Wenn ich nichts denke und nur fühle, worüber ich singe, wird alles gut sein. Eine Arie aus der Oper La Wally von Alfredo Catalani. »Ebben? Ne Andrò Lontana«. Der Titel passt wunderbar: »Na und? Dann werde ich eben in die Ferne ziehen«.
Das Stück ist genau das, was ich jetzt brauche. Es beginnt mit dem tiefen Schmerz darüber, die Liebe nicht zu bekommen, nach der man sich so sehr sehnt. Und es endet mit Entschiedenheit und einer Kraft, die sich durch nichts beirren lässt.
Durch nichts! Das ist meine Botschaft an den Mann in der ersten Reihe, der sich in meine innere Welt hineingedrängt hat.
Wieder tosender Applaus, die Zuschauer erheben sich von ihren Sitzen, rufen: »Bravo! Bravissimo!«
Der geheimnisvolle Mann klatscht nicht einmal. Sitzt da, ist in sich versunken, abwesend. Wieder kocht Ärger, nein, Wut in mir hoch. Wie kann er in dieser tosenden Euphorie so ruhig bleiben? Ist er Buddha? Oder will er mir eigentlich sagen: So toll war das nun auch wieder nicht .
Tränen laufen seine Wange herunter. Er wird angestarrt. Aber er schämt sich nicht, lässt sie fließen. Seine Augen suchen meine. Und sein Blick trifft mich mitten ins Herz.
Ich verneige mich, winke und danke meinem Publikum. Einem besonders begeistert klatschenden Pärchen werfe ich eine Kusshand zu, einen der auf die Bühne geworfenen Sträuße hebe ich auf, zupfe die einzelnen Blumen heraus und schleudere sie überschwänglich ins Publikum.
Ich schaue zu Fabian, meinem Manager, meinem treuen Weggefährten und Mentor seit so vielen Jahrzehnten, dessen hochgezogenen Augenbrauen mich wieder einmal ermahnen, mich nicht wie eine Klempnertochter zu benehmen.
Ich weiß, was er sagen wird: »Du bist eine Starsopranistin, eine Diva. So etwas kann Helene Fischer machen, aber nicht du.«
Das ist genau das, was mich an der Welt der klassischen Musik stört: dieses Elitäre, dieses blasierte Selbstverständnis von Überlegenheit. Wahrscheinlich bekäme Fabian Ausschlag, wenn er wüsste, wie oft ich schon heimlich ein Konzert von Adele oder Element of Crime besucht habe. Ja, auch eins von Helene Fischer.
Ich danke dem Orchester, der ersten Geige, dem begleitenden Chor. Fabian nähert sich, schreitet würdevoll wie ein Fürst in einem der altem Sissi-Filme und überreicht mir ein Bouquet weißer Rosen.
»Du bist die Größte, du bist die Königin!«, flüstert er mir ins Ohr.
Superlative wie diese sind mir peinlich, trotzdem perlt eine Welle von Glückshormonen durch meinen Körper. Ich bin auch nur ein Mensch .
Simon kommt auf mich zu mit einem fast schüchternen Lächeln auf den Lippen.
»Darf ich?«, fragt er und breitet seine Arme aus.
»Wer, wenn nicht du?«
Er umarmt mich auf seine britisch-ungelenke Art, mit der er es irgendwie schafft, jeden Körperkontakt zu vermeiden.
Lachend ziehe ich ihn an mich. »Ich bin nicht aus Zuckerwatte, Simon.«
»Ich schon«, antwortet er mit seinem schelmischen Grinsen und windet sich galant aus meiner Umarmung. Er schaut mich voller Wärme an: »So intensiv wie heute habe ich dich noch nie erlebt.«
Ja, das stimmt, und gleichzeitig fühle ich mich auf eine Art wie ertappt, als hätte ich zu viel von mir preisgegeben.
»Ich hätte am liebsten den Taktstock aus der Hand gelegt und dich einfach nur getröstet, Tessa. Diese Trauer, diese Sehnsucht, dieser Schmerz, das wirkte so echt und wahrhaftig! Einfach magisch.«
Was soll ich darauf antworten? Simon hält es eben doch nur für gut gespielt und meine Tränen für das i-Tüpfelchen meiner Schauspielkunst. Ehrlich gesagt, bin ich froh darüber.
Ich umarme ihn noch einmal. Erst jetzt merke ich, wie schweißgebadet er ist, und ich bin es ebenfalls. Es ist ihm unangenehm. Na und? Mir nicht. Wenn sich 400-Meter-Läufer nach dem Endspurt umarmen, sind sie auch nicht trocken wie Babypuder, und was wir die letzten eineinhalb Stunden auf der Bühne geleistet haben, war Schwerstarbeit.
Ein letztes Winken, eine letzte Verbeugung, und wir verlassen die Bühne. In der Garderobe wartet schon meine Maskenfrau, Babette Meinard, auf mich mit ihren pinken Locken. Ich liebe sie, weil sie so gar nicht in diese Hochkultur passen will. Sie war es auch, die mir heimlich die Eintrittskarten für Adele und andere Popstars besorgt hat.
Abschminken, pudern - Babette startet das ganze Programm, als Fabian hereinstürmt und sie mit einer theatralischen Geste stoppt.
»Tessa, Schatz.«
Pause.
Ich ahne schon, dass jetzt etwas Unangenehmes kommt.
»Weißt du, also, hm, wir brauchen ein Foto mit dir und Simon.«
Sein holperiges Formulieren soll mir signalisieren, dass er ein schlechtes Gewissen hat. Was ich ihm keine Sekunde glaube.
»Nachher, morgen, irgendwann, okay?«
»Leider genau jetzt, meine Teure. Tut mir unendlich leid. Das Bild muss heute noch raus.«
»Herrgott, Fabian, es gibt Tausende Fotos von uns! Lass irgendwen irgendwas am PC zusammenbasteln, mit künstlicher Intelligenz, was weiß ich.«
»Sorry, aber es muss jetzt sein! Simon fliegt morgen früh nach Australien. Komm schon, das Ganze dauert keine fünf Minuten. Ihr überreicht einen Scheck an die Organisatorin von diesem Benefizkonzert.« Er macht eine raumgreifende theatralische Geste. »Und außerdem: Nichts geht über die glühende, vibrierende Ausstrahlung einer Diva gleich nach einem erfolgreichen gemeinsamen Konzert.« Er grinst. »Ist doch für einen guten Zweck.«
»Spar dir dein Geschleime«, antworte ich angesäuert.
Warum redet er so abfällig? Der gute Zweck, über den er sich da so lustig macht, ist ein Brunnenprojekt in Afrika. Ich wünschte mir, dass es mehr davon gäbe.
»Du hättest es mir vorhin schon sagen können.«
»Auf der Bühne? Du wärst mir an die Kehle gesprungen und hättest mir das Blut .«
»Lass gut sein«, unterbreche ich ihn und erhebe mich betont gnädig. »Sei froh, dass ich die Tochter eines Klempners bin und keine Diva. Eine Diva würde dich jetzt rauswerfen, und zwar mit Schreien, Spucken und Kratzen.«
»Also, ich fürchte mich mehr vor der Klempnertochter.« Er lächelt und geht voran. »Ist schnell erledigt.«
»Das sagtest du bereits.«
Ich folge ihm, Babette auch. Vor der Bühne bleibe ich kurz stehen, damit Babette mein Gesicht noch ein wenig abpudern und meine Haare richten kann. Simon wartet bereits, auch er entnervt, allerdings deutlich mehr als ich. Neben ihm steht eine sympathische Frau jenseits der sechzig, die erkennbar stolz ist, an der Seite dieser Dirigentenlegende abgelichtet zu werden. Ich will ihr zulächeln, stattdessen zucke ich erschrocken zusammen, als mein Blick in den Saal fällt, erste Reihe.
Der Mann sitzt immer noch dort wie abgeschaltet oder eher wie jemand, der eine ganz andere Welt betreten hat, entrückt und unerreichbar. Ist er betrunken, oder steht er unter Drogen? Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie sich ihm ein Saalordner nähert. Er ruft dem Mann etwas zu, der reagiert jedoch nicht.
Fabian hält uns jetzt einen von diesen überdimensionalen Schecks hin. Wer weiß heutzutage eigentlich noch, was ein Scheck ist? Simon nimmt ein Ende, ich das andere, und in der Mitte positioniert sich die sympathische Frau, mit ihrer Rechten zeigt sie stolz auf den Betrag. Der Fotograf ist schnell, nach ein paar Varianten hebt er den Daumen, das war's. Fabian wirft mir einen gespielt schmachtenden Blick zu: Danke, Tessa, danke. Simon schüttelt er die Hand und verbeugt sich leicht. Dann ist alles vorbei. Na endlich, ich dränge mich an ihnen vorbei. Der Saalordner hat den Mann erreicht, sichtlich wütend, weil der nicht auf seine Zurufe reagiert hat.
»Entschuldigen Sie, Sie müssen jetzt bitte gehen«, höre ich ihn sagen.
Er tippt den Mann ziemlich unfreundlich an. Der schreckt zusammen, hebt entschuldigend beide Hände und springt auf. Zwei seiner Zeichenblätter fallen zu Boden, was er nicht bemerkt. Er legt seine Rechte auf sein Herz, nickt dem Saalordner zu und wendet sich in Richtung Ausgang. Mit meinen Augen folge ich ihm, dann dreht er sich noch einmal um. Unsere Blicke kreuzen sich, ich zucke erschrocken zusammen, ich fühle mich wie ein aufgeschlagenes Buch, in dem er nach Belieben blättern kann. Ein unangenehmes und zugleich warmes...
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