Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
1. Kapitel
Samstag, 18. Februar 2017
Sie standen am Rand der steil abfallenden Rinne, ihre Snowboards ragten über die Kante. Die Schlucht zog sich in Windungen hinunter ins Tal.
»Also ich weiß nicht, Mann«, beschwerte sich Tuck. »Sieh dir mal diese Felszacken an, das ist wie ein Hobel, das reißt uns die Base auf, wenn wir da rüberfahren.«
»Stimmt.«
Tuck wandte verblüfft den Kopf und starrte Mitch an, der eine orange verspiegelte Gletscherbrille trug, in der sich sein, Tucks, Gesicht spiegelte. »Echt jetzt?«
Mitch nickte. »Deshalb sollten wir die Zacken besser vermeiden.«
Tuck schluckte. Er hätte es besser wissen sollen. Mitch erklärte seinem Freund mit ausgestrecktem Arm, welchen Weg sie nehmen würden. »Für das Steilstück halten wir uns an diese Seite da, im Schatten, okay? Dann links an der Felsnadel vorbei, nicht rechts, da ist es ganz vereist, siehst du?« Er deutete auf eine sechs Meter hohe Felsnadel, die im Couloir aus dem Schnee ragte. »Diesen ganz leichten Schimmer da? Das ist arschglatt, wenn man an der Stelle ausrutscht und die Kontrolle verliert, knallt man mit 120 Sachen gegen die Felswand.« Mitch schüttelte mit einem missbilligenden Schnalzen den Kopf. »Also, wie gesagt, links halten. Wird knapp.« Er musterte die Abfahrt mit schmalen Augen, als wolle er Neigungswinkel und Kurvenverläufe ausrechnen, dann schaute er Tuck an und nickte grinsend. Tuck konnte Mitchs Augen hinter der Brille zwar nicht erkennen, aber das war auch nicht nötig. Er kannte seinen Freund viel zu gut. »Es ist machbar.«
Tuck musterte die Schlucht und wünschte, er wäre ebenso zuversichtlich. »Ist da nicht ein Riss?« Er schlug mit dem Handrücken gegen Mitchs Brust und zeigte nach oben, zur Felswand über ihnen.
»Wo?«
Tuck deutete auf einen Schneeüberhang, etwa zehn Meter die Schlucht hinunter, direkt neben der Felsnadel, in dem sich ein Haarriss abzeichnete. »Mann, das kann jeden Moment runterkommen, und dann sind wir erledigt.«
Mitch grinste. »Nur wenn du kreischst wie ein Mädchen.«
Tuck ließ die Schultern hängen. Innerlich wahrscheinlich schon .
Beruhigend klopfte ihm Mitch auf den Rücken. »Mann, uns bleibt sowieso nichts anderes übrig - es ist der einzige Weg nach unten. Entweder wir setzen uns hier hin und warten, bis das Ding runterkommt, oder wir wagen es und zischen durch. Das ist der letzte schöne Tag, morgen soll es sich zuziehen. Eine andere Gelegenheit kriegen wir nicht. Du weißt ja, dass ich Meg versprechen musste, vor der Hochzeit nichts mehr zu riskieren; sie will mich nicht im Gips vorm Altar stehen sehen. Nein, Mann, das ist die letzte Gelegenheit, um die Aufnahme in den Kasten zu kriegen.«
Tuck war flau im Magen, aber er nickte. Er konnte es auf dem Board mit jedem aufnehmen, außer mit seinem besten Freund und ältesten Konkurrenten: Mitch war ihm schon immer eine Nasenlänge voraus gewesen.
Badger winselte - nicht etwa aus Angst, sondern vor Ungeduld. Eine Mischung aus Bernhardiner und Schäferhund, groß, aber schmal, war er geradezu dazu prädestiniert, seinem Herrchen durch den Tiefschnee zu folgen. Die Ohren gespitzt, den Schwanz wie eine Klobürste aufgestellt und mit heraushängender rosa Zunge, die aus dem Weiß der Umgebung hervorstach, folgte er ihm mit beeindruckender Ausdauer jeden Abhang hinunter, egal wie steil oder wie hoch er war. Mitch hatte ihn gut abgerichtet. Selbst wenn das Schlimmste passieren und sie von einer Lawine verschüttet werden sollten (und die Transmitter in ihren Rucksäcken ausfielen) - der treue Badger würde sie ausgraben. Er war ein guter Kamerad und der beste Beistand, den sich ein Mann wünschen konnte.
»Kannst es kaum abwarten, was, Badger?« Tuck kraulte den Hund mit einem dicken Handschuhfinger hinter den Ohren. »Na gut, bringen wir's hinter uns!« Er zog den Handschuh aus, griff nach oben und schaltete seine Helmkamera ein. »Alles klar?«
»Klarer als klar! Ich werd's dir zeigen!« Mitch schlug seinem Kumpel lachend auf den Rücken. Dann verging ihm das Grinsen. »He, Moment mal, was ist denn das?« Mitch deutete auf Tucks entblößtes Handgelenk.
»Was?« Tuck warf einen Blick auf seinen Arm und bemerkte die tiefen Kratzer an seinem Handgelenk. »Ach nichts, hab mich beim Holzhacken an ein paar Zweigen verletzt.« Er zupfte am Ärmel und streifte den Handschuh über - mit dem schneidigen Wind waren es minus fünfundzwanzig Grad.
»Das sind aber ein paar fiese Kratzer, Mann.«
Tuck zuckte grinsend mit den Schultern. »Waren auch fiese Holzscheite.«
Mitch starrte Tuck wortlos an.
»Was denn?«, lachte der andere.
»Na gut, dann los«, seufzte Mitch. »Wir sehen uns unten, ja?«
Und schon stürzte er sich den steilen Abhang hinab in die Schlucht. Mit atemberaubender Geschwindigkeit sauste er durch die tiefe Rinne, sich wie besprochen links im Schatten haltend. Kurz vor der Felsnadel machte er eine scharfe Kurve, stob links an der Nadel vorbei und verschwand. Badger, der wusste, wie es lief, folgte seinem Herrchen in geringem Abstand. Unerschrocken und nimmermüde sprang er durch den tiefen Pulverschnee, verschwand zuerst mit Schnauze und Vorderbeinen im kalten Weiß und schnellte mit den Hinterbeinen wieder heraus, eine schaukelnde Bewegung, wie eine Wippe.
Tuck, der jetzt ganz allein dastand, murmelte fluchend: »Shit, verdammter Mistkerl, immer muss er .« Für Mitch war alles ein Spiel. Angst schien ihm fremd zu sein. Tuck ging in die Knie, beugte sich vor und ließ sich, ehe er es sich anders überlegen konnte, den Abhang runterfallen. Den Blick fest auf die Spur seines Freundes geheftet, folgte er ihm so genau wie möglich. Tiefe Löcher im Pulverschnee rechts von ihm verwiesen auf Badgers Route.
Er näherte sich der Felsnadel - die engste Stelle der Schlucht -, ohne einen Blick zum Schneeüberhang nach oben zu riskieren. Es hätte ohnehin nichts genützt - wenn sich die Lawine löste, würde sie ihn verschütten, ob er nun hinsah oder nicht.
Er hielt den Atem an und schaffte es durch den Engpass an der Nadel vorbei. Jetzt hatte er wieder freie Sicht auf Mitch, der in diesem Moment mit halsbrecherischer Geschwindigkeit in einer schnurgeraden Linie zwischen den spitz aus dem Schnee ragenden Steinen hindurchsauste. »Was für ein Spinner .«, murmelte Tuck. Nicht zu fassen, dass er sich von Mitch zu diesem Himmelfahrtskommando hatte überreden lassen, auch wenn sie seit der Kindheit von dieser Abfahrt durch die enge Rinne träumten. Erst jetzt verfügten sie über das nötige Können, die Erfahrung und die richtige Ausrüstung, insbesondere die richtigen Bretter - um genau zu sein: ihre selbst designten Bretter -, um ein solches Unternehmen zu wagen.
Von den felsigen Schluchtwänden, an denen er mit Lichtgeschwindigkeit vorbeizischte, hingen messerscharfe Eiszapfen herab, die aquamarinblau in der Sonne funkelten. Eine dicke glatte Eisschicht hatte sich über die Felsen gelegt und verzerrte und vergrößerte sie wie in einem Spiegelkabinett. Aber Tuck hatte keine Zeit, hinzusehen oder Angst zu haben. Alles war Instinkt, es gab nur diesen Moment und sonst nichts.
Mitch hatte es bereits hindurch geschafft und befand sich außerhalb, wo die Sonne glitzerte. Hier betrug das Gefälle nur mehr fünfundsechzig Grad. Er warf beide Arme in die Luft und stieß einen lauten Jubelschrei aus. Mit lässigen Schwüngen, leicht in den Knien, wedelte er den Abhang hinunter. Das Schlimmste war vorbei, die Mühe wurde mit der Ausschüttung von Endorphinen belohnt, Glückshormone, die durch seinen Körper rauschten. Badger holte auf und sprang mit begeistertem Gebell neben seinem Herrchen her.
Tuck hatte es auch fast geschafft - die Schlucht öffnete sich und gab den Blick frei auf weite, schneebedeckte Weiden, der Berg wurde wieder zum Freund. In diesem Moment - Mitchs Jubelschreie waren noch nicht ganz verklungen - hörte er das Geräusch, das er am meisten fürchtete: ein tiefes Poltern und Krachen, wie der Husten eines alten Mannes.
Tuck konnte sich nicht umdrehen, solange er sich noch in der Schlucht befand, aber das brauchte er gar nicht, er wusste auch so, dass sich eine gewaltige Schneelawine gelöst hatte und nun durch die Felsspalte auf ihn zuraste. Mitch hörte es ebenfalls, er fuhr herum und erstarrte: Er konnte sehen, was Tuck nur hören konnte.
»Shit, Tuck! Bloß weg hier!«, brüllte er, warf sein Brett herum und sauste in gerader Linie den Abhang hinunter.
Tuck, der nur seinen eigenen keuchenden Atem hörte und das Brausen und Poltern der Lawine, fuhr seinem Freund nach, folgte seiner Spur. Sie hielten sich links und fuhren auf direktem Weg nach unten, eine viel steilere Linie als geplant, aber ihnen blieb nichts anderes übrig, denn dort waren die Bäume näher. Der Wald würde die Lawine zwar nicht ganz aufhalten, aber zumindest ein wenig bremsen können. Wenn sie es schafften, rechtzeitig tief genug reinzukommen .
Hinter ihm wurde das Getöse immer lauter, die Lawine nahm an Umfang und Geschwindigkeit zu. Ihre Abfahrt war halsbrecherisch, sie machten waghalsige Sprünge, ohne zu wissen, wo sie landen würden, selbst Mitch wäre normalerweise ein solches Risiko nicht eingegangen. Nur wenn sie bis an die Grenzen ihres Könnens gingen (und darüber hinaus), würden sie vielleicht überleben . Badger sprang laut bellend neben Mitch her. Hier, wo die Schneefläche offen den Winden ausgesetzt war, lag der Belag kompakter, und er kam leichter vorwärts, tauchte nicht jedes Mal bis zum...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.